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Yoga und Atemtypen: Fachbuch für eine individuelle Yogapraxis für Lehrende und Lernende
Yoga und Atemtypen: Fachbuch für eine individuelle Yogapraxis für Lehrende und Lernende
Yoga und Atemtypen: Fachbuch für eine individuelle Yogapraxis für Lehrende und Lernende
eBook733 Seiten4 Stunden

Yoga und Atemtypen: Fachbuch für eine individuelle Yogapraxis für Lehrende und Lernende

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Über dieses E-Book

Der Atem spielt im Yoga eine zentrale Rolle. Es hat den Anschein, als würden alle Menschen auf ein und dieselbe Art und Weise atmen. In der Praxis berichten jedoch sowohl Lehrende wie Lernende, dass das, was anderen völlig stimmig und umsetzbar ist, für sie selber nicht funktioniert. Dieses Buch bietet mit der Anwendung der Erkenntnisse der typenpolaren Atmung auf den Yoga eine Erklärung hierfür und gleichzeitig diverse Vorschläge für stimmige Wege des Übens. Das Erkennen des eigenen Atemtyps hat eine fundamentale Bedeutung sowohl für die individuelle Yogapraxis wie für den Yogaunterricht. Ein umfassendes, unverzichtbares Yogafachbuch mit fundierter Theorie, das die Umsetzung eines zeitgemäßen Konzepts für ein dem Einzelnen angepasstes Yogaüben bereithält. Über 120 Fotos und detaillierte Erläuterungen veranschaulichen mehr als 60 Ᾱsanas, Prāṇāyāmas, Kriyās, Bandhas, Meditation und Mantras – EIN PARADIGMENWECHSEL im Yoga !
SpracheDeutsch
HerausgeberAurum Verlag
Erscheinungsdatum19. Sept. 2016
ISBN9783958831902
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    Buchvorschau

    Yoga und Atemtypen - Anna Trökes

    DER TYPENPOLARE ANSATZ

    ATEMDYNAMIK, BALANCE UND BEWEGUNG

    Margarete Seyd

    1A TEM – DER F LUSS DES L EBENS

    Der Atem gehört zu den selbstverständlichen Dingen unseres Lebens.

    So lange wir gesund sind, vergessen wir ihn meist. Die Fragen tauchen erst auf, wenn wir uns unseres Atems bewusst werden. Und – wenn wir etwas tun, das uns »Atem kostet«. Der Eindruck entsteht, die Luft sei nicht immer einfach da!

    Wenn wir sprechen oder singen wollen, holen wir deshalb zuerst Luft, bevor wir beginnen.

    Dann sprechen wir oft möglichst schnell, damit alles gesagt wird, vermeiden Pausen, um die Aufmerksamkeit des Gegenübers nicht zu verlieren und hängen gleich noch zwei Sätze dran, wo wir schon mal dabei sind. Und siehe da: Die Luft reicht nicht aus bis zur Vollendung des Satzes!

    Bei konzentrierten körperlichen Übungen halten wir die Luft auch gerne einmal an. Bei Yogaübungen, die Bewegung und Atem koordinieren, ziehen und schieben wir den Atem, damit er zur Länge der Bewegung passt. Bei dynamischen Bewegungsübungen oder beim Joggen kommen wir »aus der Puste«. Wie ist das möglich?

    Einerseits braucht jede Bewegung natürlich auch Übung. Muskeln müssen sich aufbauen, Bewegungsabläufe koordiniert und im Körpergedächtnis verankert werden. Andererseits sind wir uns unseres Körpers und seiner Fähigkeiten allzu oft gar nicht mehr bewusst.

    Alle Ebenen unseres Seins wirken zusammen: Körper, Seele und Geist. Die Energie aus allen drei Ebenen kann uns jederzeit zur Verfügung stehen. Z.B. haben wir sicher alle schon einmal das Potenzial unserer Selbstheilungskräfte erfahren können, wenn wir es geschafft haben, uns bei den ersten Anzeichen einer Krankheit umgehend ins Bett zu legen und auszuschlafen. Oder wir sind bei verschiedensten Geschehnissen plötzlichen Eingebungen gefolgt, deren Herkunft uns rational nicht erklärbar war.

    Über den Atem sind diese nicht fassbaren Ebenen mit den Funktionen des Körpers verbunden. Und wenn wir die rhythmischen Gesetze dieses Zusammenspiels achten, steht uns ein ungeheures Potential an Energie zur Verfügung.

    Tatsache ist, dass wir viel zu oft unseren Willen einsetzen, um körperliche Abläufe zu steuern. Unser Wille wird zur Führungszentrale im Sinne von: »Wenn Du willst, geht alles!«, »Wenn es anfängt weh zu tun, mach es noch einmal!«. Solche o. ä. Redensarten gehören längst zum Allgemeingut. Sicher könnten Sie die Reihe beliebig fortsetzen.

    Eine solche vom Körpererleben losgelöste Einstellung führt dazu, dass ausgeklügelte Techniken entwickelt werden. Wir folgen vernünftigen, verallgemeinerbaren Regeln. Kurz: Konditionierte Konzepte und Glaubenssätze treten an die Stelle von Wahrnehmung und Körpererfahrung.

    Wir benötigen den Willen, um zu handeln, den Intellekt, um zu erfassen und zu steuern. Aber deren Fähigkeiten sind, bezogen auf die des gesamten Organismus, deutlich eingeschränkt. Wenn wir ihnen allein die Führung überlassen, blockieren wir viele Funktionskreise unseres Körpers, statt sie zu nutzen.

    Dann ist die Luft tatsächlich nicht immer vorhanden.

    Um etwas zu tun, z. B. um zu sprechen, fokussieren wir uns willentlich auf eine bestimmte Muskel- oder Körperpartie und isolieren sie so aus ihrem Funktionszusammenhang. Beim Sprechen liegt die Konzentration oft auf dem Kehlkopf, da wir annehmen, dort würden Sprache und Stimme produziert. Das führt aber nur dazu, dass die Kehlmuskulatur viel zu stark angespannt wird und nicht mehr frei reagieren kann. Der Stimmklang wird gepresst und in den kurzen Pausen beim Sprechen kann der Körper nicht mehr schnell für eine mühelose Einatmung sorgen. Die Informationsketten des Organismus sind unterbrochen.

    Das Gleiche passiert, wenn im Yoga Ᾱsanas und Bewegungsabläufe der Form entsprechend ausgeführt werden, statt im achtsamen Kontakt mit dem gesamten Körper. Das Üben wird anstrengend, weil es nicht mehr mit der Unterstützung des ganzen Systems geschieht. Alle Abläufe, die sonst dem organischen Fluss von Bewegung und Atem folgen, müssen jetzt willentlich von uns selbst gesteuert werden. Diese Anstrengung beengt auch den Atem. All das legt den Schluss nahe, dass richtiges Üben eben kein Spaß, sondern Mühe sei.

    Wir könnten stattdessen jedoch auch einen Weg suchen, der die Bewegung erleichtert.

    Der Körper gibt eindeutige Signale. Sobald etwas genug ist, entsteht das Bedürfnis nach einem Wechsel, oder Sie werden müde. Die Steigerung der Energie spüren Sie schnell, wenn Sie »Ihren Rhythmus« gefunden haben. Das äußert sich in Freude. Sie haben Lust, weiter zu machen, mehr zu leisten. Alles was leicht ist, und dazu gehört auch eine körperlich herausfordernde Leistung, zeigt eine physiologisch ausgeglichene Koordination. Alles was anstrengt, im Sinne von Mühe, weist auf einseitige Belastung oder Überforderung hin.

    Lassen Sie mich also an den ersten Gedanken nochmals anknüpfen:

    Der Atem gehört zu den selbstverständlichen Dingen unseres Lebens und er ist gleichzeitig das zentrale Geschehen des Lebendigen in uns.

    Der Klang der Stimme ist hörbar gewordener Atem.

    In Bewegungen, wie z.B. im Üben des Yoga, werden Fluss und Dynamik der inneren Bewegung sichtbar – das ist der Atem.

    Was heißt »Typenpolar«?

    Der Begriff »Typenpolar« bezieht sich auf die dynamische Prägung des Atemrhythmus: Seine polaren Kräfte, die Einund Ausatmung, sind unterschiedlich gewichtet. Diese Prägung hat Auswirkungen auf alle Bewegungen des Körpers bis hin zur Stimme, deren Klang hörbar gewordene Atemluft ist.

    Aber ist die Frage richtig gestellt? Ermöglicht sie uns, den freien Blick zu behalten, den Forschen braucht? Es sollen hier keine schnellen Antworten gefunden werden. Es geht um die Offenheit, auf neue Weise zu lernen, Fragen anders zu stellen, um vom Körper lernen zu können! Die Frage sollte eher so formuliert werden:

    »Wie organisiert sich der Körper selbst in Bezug auf den Atem, auf die Balance in der Bewegung und auf die Stimme?«

    Die Atembewegung

    Die Atmung wird durch das Atemzentrum im Gehirn zentral gesteuert. Tief eingebettet im Stammhirn ist es über die Formatio Reticularis, einem Nervennetzwerk im Stammhirn, das die Zusammenarbeit des ganzen Systems zeitlich koordiniert, mit allen Funktionen des Körpers verknüpft.

    Die Atmung ist der einzige körperliche Vorgang, der sowohl vom vegetativen als auch vom motorischen Nervensystem Impulse empfängt und verarbeitet. Das heißt, das Gehirn stellt auf der einen Seite absolut sicher, dass wir nie aufhören zu atmen. Andererseits können wir diese Steuerung jederzeit mit einem willentlichen Impuls durchbrechen und bewusst ein- oder ausatmen.

    Betrachten wir den vegetativen Aspekt unserer Atmung näher.

    Die unwillkürlich gesteuerte Atmung reagiert auf eine Vielzahl von Informationen. Sie empfängt Hinweise aus dem Inneren des Organismus über den Sauerstoffbedarf der Organe oder z. B. wann Ihre Lunge, falls Sie gähnen, ihre Dehnungsgrenze erreicht hat und es Zeit wird, wieder auszuatmen.

    Äußere Ereignisse, die uns erschrecken oder angenehm überraschen, verändern sofort den Atemfluss.

    Bestimmt kennen Sie ähnliche Situationen aus Ihrem Alltag: Sie arbeiten konzentriert am Computer oder lesen ein Buch. Aus einem unwillkürlichen Impuls heraus lehnen Sie sich zurück, dehnen und strecken sich, gähnen ausgiebig. Danach wenden Sie sich wieder mit neuem Interesse Ihrer Tätigkeit zu. Was ist geschehen? Durch die lange Konzentration und die ruhige Haltung ist Ihre Atmung immer flacher geworden. Vor allem die Organe und das Gehirn leiden dadurch schnell unter Sauerstoffmangel. Dieser Zustand wird an das Atemzentrum weitergegeben, das einen Reflex auslöst, der Sie dazu bringt, Ihre Tätigkeit zu unterbrechen und sich zu strecken. Dadurch vertieft sich die Atmung erneut, der Körper wird mit Sauerstoff versorgt. Die Folge ist, Sie fühlen sich erfrischt.

    Aber nicht nur in dieser Situation wirkt das Zusammenspiel der äußeren und inneren Muskulatur: Jede Ihrer Bewegungen, egal ob automatisiert oder bewusst ausgeführt, hat eine Reaktion der Atmung zur Folge.

    Sie können diese Behauptung einmal selbst überprüfen:

    ÜBUNG

    Heben Sie einen Arm

    – lassen Sie ihn wieder sinken

    – entspannen Sie.

    Heben Sie den anderen Arm

    – lassen Sie ihn wieder sinken

    – entspannen Sie.

    Sofern Sie nicht die Luft angehalten haben: Wie hat Ihr Atem auf die Bewegung Ihres Armes reagiert? Wann haben Sie eingeatmet? Wann haben Sie ausgeatmet? Finden Sie für sich eine Antwort.

    ÜBUNG

    Wiederholen Sie die Bewegung des Armes und variieren Sie das Tempo. Achten Sie darauf, die Muskeln des Armes und der Schulter am Ende eines Bewegungsablaufes immer wieder zu lösen.

    ÜBUNG

    Wiederholen Sie das Experiment mit anderen Bewegungen: Heben Sie ein Bein, eine Schulter, wenden Sie den Kopf …

    Falls Sie zu den Menschen mit mehr Bewegungserfahrung gehören: Versuchen Sie immer wieder, Ihr Wissen beiseite zu lassen, um neuen Entdeckungen nicht mit gewohnten Mustern im Wege zu stehen.

    Jede Bewegung, die Sie ausführen, nutzt Ihr Körper, um die Atmung anzuregen. Anders formuliert: Jede äußere Bewegung ist auch eine innere Bewegung.

    An dieser Stelle möchte ich Sie auf den doppelten Wortsinn »innere Bewegung« aufmerksam machen.

    »Atmung« ist innere Bewegung im Sinne des funktionellen Ablaufs von Nervenimpulsen, Muskelbewegungen und Sauerstoffversorgung über das Blut.

    »Atem« ist eine Bewegung, die über das körperliche Geschehen der Atmung hinaus weist.

    Emotional sind wir »innerlich bewegt«.

    Im Tanz sprechen wir von einer Bewegung, die atmet. Eine anmutige Haltung entsteht ebenfalls aus einem Fluss zwischen Innen und Außen. Die Wirkung solcher Harmonie geht so weit, dass Sie sich als ZuschauerIn selbst automatisch entspannen, unwillkürlich mit atmen: Wir nennen dieses Phänomen Ausstrahlung.

    Ein Charakteristikum des Atems ist ein ständiges Wechselspiel von Spannungen, das den ganzen Körper mit einbezieht. Kommen wir seinem Verlauf präziser auf den Grund.

    Der Atemrhythmus

    Der Begriff des Atemrhythmus besagt, dass eine Abfolge bestimmter Phasen sich in immer ähnlicher Weise wiederholt.

    Im Falle der Atmung gibt es drei unterschiedliche Vorgänge:

    Die Phase der Einatmung.

    Die Phase der Ausatmung.

    Die Phase des Lösens oder der Pause.

    An welcher Stelle innerhalb des Atemrhythmus das Moment der Lösung ist, wird immer wieder unterschiedlich beschrieben.

    Dazu einige Beispiele: Die Atemtherapie nach Ilse Middendorf (vgl. Middendorf, Literaturverzeichnis Nr. 12/13) sieht die Pause, die sie als Atemruhe bezeichnet, innerhalb eines dreiteiligen Rhythmus nach der Ausatmung.

    Die Methode Schlaffhorst-Andersen (vgl. Schlaffhorst/Andersen, Literaturverzeichnis Nr. 17) unterscheidet verschiedene Rhythmen im Körper. Sie folgen dem Prinzip von Zusammenziehung – Streckung – Lockerheit (Zwerchfellrhythmus) oder Zusammenziehung – Dehnung – Lockerheit (Lungenrhythmus). Die Lösungsphase wird nach der Streckung gesehen. Bezogen auf die Bewegung des Zwerchfells bedeutet das: Lösung am Ende der Ausatmung. Bezogen auf die Bewegung der Lunge: Lösung am Ende der Einatmung.

    Im Yoga findet sich das Halten in der Fülle – Halten in der Leere (vgl. Trökes, Literaturverzeichnis Nr. 22). Es geht hier aber nicht um den rhythmisch funktionellen Verlauf der Atmung, sondern gemeint ist das »Dazwischen«, der Zustand in der Mitte, in dem man sich der Fülle wie der Leere verbunden fühlt. Atmend wird dieses »Dazwischen« eingeübt.

    Üblicherweise finden auf vielen Tagungen und Kongressen Debatten darüber statt, welches der richtige Weg sei, den Körper, den Atem oder die Stimme zu schulen. Die Auseinandersetzungen darüber werden mit überraschender Heftigkeit geführt und das nicht nur in therapeutischen, sondern auch in den entsprechenden künstlerischen Bereichen: Schauspieler »müssen in den Bauch atmen«, »die Kraft aus dem Becken holen«, Sänger »müssen mit weitem Brustkorb singen«, Bläser »müssen Bauch und Brustkorb mit Luft füllen« etc. Immer steht ein klares Ziel im Raum und der Weg dahin scheint über den Willen zu gehen.

    Es gibt aber auch Lehrer, die den Musiker auffordern, einfach seiner Musik zu lauschen; die den Sänger oder Sprecher unterstützen, ein Gefühl zu entwickeln für ihre frei schwingende Stimme.

    Ein Grund für die scheinbare Widersprüchlichkeit der jeweils als allgemeingültig vertretenen Ansätze ist natürlich, dass wir es hier nicht mit objektiven Faktoren zu tun haben. So etwas wie Objektivität kann es gar nicht geben in Bereichen, in denen der Ausdruck des Persönlichsten im Zentrum steht – in der Stimme, in der Bewegung, im Klang des Instrumentes. Aber was tritt an die Stelle der Objektivität?

    Aus meiner Sicht führt uns etwas anderes weiter: Alles was mit unserem Körper, unserem Leib, wie Prof. Ilse Middendorf dies treffender ausdrückt, zu tun hat, (be-)trifft uns wirklich (vgl. Middendorf, Literaturverzeichnis Nr. 12/13). Wir erleben bewusst oder unbewusst, dass unser Körper, unser Geist und unsere Seele zusammenwirken.

    Vielleicht scheint die richtige Technik einen Schutz zu bieten gegen die Verunsicherung, die mit der Erweiterung unserer Identität einhergeht. Vielleicht ist deshalb jede andere Meinung, jede Korrektur schnell eine Ablehnung unserer selbst.

    Im Umgang mit Leib-Seelischen Prozessen sollten wir wissen: Kein Atemzug ist wie der andere, kein Rhythmus gleicht dem Vorigen.

    Was ich selbst als hilfreich im Hinblick auf die Entwicklung meiner Stimme oder meines Körpers erlebe, kann ich im Unterricht nicht einfach auf eine andere Person übertragen. Jeder Weg des Lernens und des Lehrens ist verschieden und benötigt Zeit und Freiheit, sich zu entfalten.

    Und doch gibt es Übereinstimmungen, übergeordnete Gesetzmäßigkeiten, die immer wieder durchscheinen. Physiologische Erkenntnisse, Beobachtung, Bewegungsgefühl, das Lauschen z.B. auf den Klang der Stimme oder eines Instrumentes, subjektives Erleben sowie auftretende scheinbare Widersprüche führen uns auf die Spur und müssen gleichberechtigt nebeneinander stehen bleiben.

    Die polare Atemdynamik

    Die Typenpolarität lenkt das Augenmerk auf einen besonderen Aspekt – und zwar auf die dynamische Qualität der einzelnen Atemphasen. Dies wirft verschiedene Fragen auf:

    Sind die verschiedenen Phasen der Atmung gleich lang?

    Ist eine Phase intensiver, die andere sanfter?

    Welche Körperräume werden von der Welle des Atems gedehnt, welche geben nach?

    Machen Freunde und Bekannte die gleiche Erfahrung?

    Im Alltag gibt es viele Gelegenheiten, die von uns einen erhöhten Kraftaufwand oder Konzentration erfordern. Kann Ihre Atmung Sie dabei unterstützen? Und auf welche Weise?

    Zur Erforschung folgendes Experiment:

    Beobachten Sie sich und die spontane Reaktion Ihres Atems in verschiedenen Situationen. Machen Sie Ihren Freundes- und Bekanntenkreis zum Experimentierfeld!

    ÜBUNG

    Entdecken Sie jenseits aller gelernten, vernünftigen Ratschläge neu:

    Womit lässt sich ein Kasten Wasser leichter anheben, mit der Ein- oder Ausatmung?

    Oder haben Sie Ihren Atem beim Anheben angehalten?

    Hier noch einige weitere Beispiele:

    ÜBUNG

    Lässt sich die Kraft fordernde Bewegung am Fitness-Gerät leichter mit der Ein- oder mit der Ausatmung koppeln? Wann halten Sie länger durch?

    Was unterstützt Sie beim Joggen:

    ruhiges Ausatmen mit Hilfe eines Geräuschs und anschließend unhörbares Einatmen (evt. sogar durch den leicht geöffneten Mund) oder:

    langsames Einschlürfen der Luft mit anschließendem Lösen der Atemspannung durch leichtes Öffnen des Mundes?

    Wie atmen Sie, wenn Sie auf der Autobahn einen langen LKW überholen müssen und wenn möglicherweise sogar die Fahrbahn verengt ist? Und wie machen das Ihre Bekannten?

    Für mich bedeutete die letztgenannte Situation lange Zeit immer puren Stress. Ich wurde nervös, fahrig, lenkte unsicher und war, magisch angezogen von der Gefahrenquelle LKW, kaum in der Lage, mich auf meine Spur auszurichten. Bis mir bewusst wurde, dass langsames Ausatmen mich beruhigte und wieder zentrierte. Heute fahre ich mühelos zielgerichtet an jedem LKW vorbei – ausatmend!

    Begeistert erzählte ich einem Freund von meiner Entdeckung. Er stutzte kurz und fragte: »Ausatmen? Natürlich atme ich ein! Sonst verschwinde ich ja ganz neben dem LKW, der sowieso schon so viel Platz neben mir einnimmt!« Es würde mich nicht wundern, wenn nicht auch Sie wenigstens eine Person treffen, die Ihnen bei Ihrer Art, den Atem einzusetzen, widerspricht!

    Sicher kennen Sie weitere Beispiele aus Ihrem Alltag: Was hilft Ihnen, sich am Ende eines Tages zu entspannen? Oder was tun Sie als erstes, wenn der ersehnte Urlaub beginnt? Welchen Stimmen hören Sie gerne zu, was weckt Ihre Fantasie?

    Wenn Sie einen Yogakurs besuchen, haben Sie vielleicht das Glück, dass der/ die LehrerIn Ihnen aus der Seele spricht. Sie können sich, ohne nachzudenken, von der Stimme und der bildhaften Sprache durch den Unterricht leiten lassen. Falls nicht, sollten Sie sich nicht mit weniger zufrieden geben. Ihr Körper reagiert mit Wohlspannung oder Missempfinden auf jede Situation. Je deutlicher Sie seine Signale erleben, desto bewusster können Sie für sich sorgen und Ihre Umgebung gestalten.

    Zusammenfassend lässt sich feststellen:

    Nicht alle Menschen reagieren mit ihrem Atem auf die gleiche Weise.

    Für meine Person ist es sowohl mental als auch emotional sehr fremd, ein anderes Vorgehen als das eigene für möglich zu halten.

    Überprüfen Sie das einmal bei sich selbst, indem Sie die nächste Übung über einen längeren Zeitraum probieren. Die Übung bietet zwei unterschiedliche Möglichkeiten, Spannung aufzubauen, wieder zu entspannen und dadurch Kraft zu entwickeln.

    Führen Sie Übung 1 und Übung 2 zunächst im Vergleich nacheinander aus.

    ÜBUNG 1

    Setzen Sie sich an einen Tisch.

    Legen Sie Ihre Hände mit den Handballen an die Tischkante und drücken Sie sanft aber deutlich gegen den Tisch, als wollten Sie ihn wegschieben. Blasen Sie dabei gleichzeitig die Luft mit einem Geräusch auf den Laut »f« aus. Beenden Sie Geräusch und Druck gleichzeitig, solange es noch genügend Spielraum zum Ende der Ausatmung gibt. Lösen Sie die Spannung. Entspannen Sie den Bauch. Wiederholen Sie den Wechsel zwischen Schub und Lösen für einige Zeit. Ggf. wechseln Sie zwischen beiden Händen oder nur einer aktiven Hand.

    Beenden Sie die Übung und spüren Sie ihrer Wirkung einen Moment nach.

    ÜBUNG 2

    Fassen Sie die Tischkante mit Ihren Fingern und ziehen Sie sie zu sich heran. Schlürfen Sie gleichzeitig die Luft so zwischen Lippen und Zähnen ein, dass ein Geräusch entsteht. Lösen Sie den Zug zu einem Zeitpunkt, an dem noch genügend Spielraum für Ihre Atmung vorhanden ist. Entspannen Sie, ohne in sich zusammen zu fallen. Wiederholen Sie diesen Wechsel zwischen Zug und Lösen einige Zeit. Ggf. wechseln Sie zwischen beiden Händen oder nur einer aktiven Hand.

    Beenden Sie die Übung und spüren Sie ihrer Wirkung einen Moment nach.

    Haben Sie die eine oder andere Bewegungsrichtung spontan als angenehmer erlebt?

    Entscheiden Sie sich jetzt für eine der beiden Formen und üben Sie diese über einen längeren Zeitraum. Sie können Pausen machen und die Übung nach einer halben Stunde oder nach einer Stunde auf die gleiche Weise wiederholen. Geht es Ihnen mit der Zeit besser? Oder werden Sie zunehmend unruhig, lustlos, angestrengt? Leidet die Konzentration?

    Wechseln Sie erst nach einem längeren Übungszeitraum (nach Stunden oder Tagen) zum gegenpolaren Ablauf. Bei zu schnellem Wechsel nivelliert sich das Ergebnis unter Umständen. Sie verlieren dann die Vergleichsmöglichkeit, weil der Körper die Fähigkeit besitzt, sich ungeheuer schnell neuen Gegebenheiten anzupassen.

    Wie erleben Sie die unterschiedliche Dynamik der beiden Übungen? Welche Auswirkungen hat das Üben auf Ihren Körper?

    Die Beantwortung der eben gestellten Fragen hat nichts mit Wissen zu tun. Nehmen Sie einfach wahr, was Ihnen auffällt, und vertrauen Sie Ihren Sinneseindrücken. Erst in einem zweiten Schritt ist der funktionelle Hintergrund von Interesse.

    In der ersten Übung haben Sie den Kraftaufwand mit der Ausatmung kombiniert. Bezogen auf das Gleichgewicht des Körpers heißt das, Sie haben den Kraftaufwand mit der gesamten Ausatemmuskelkette kombiniert. Die Einatmung haben Sie ohne weitere Beeinflussung geschehen lassen. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass sie mit der Zeit immer unwichtiger wurde. Haben Sie überhaupt an sie gedacht?

    Bei der zweiten Übung haben Sie den Kraftaufwand mit der Einatmung verbunden, d.h. mit der Einatemmuskelkette. Die Ausatmung war hier eine Folge des Lösens der vorher aufgebrachten Spannung. Hier haben Sie möglicherweise den Zug der Bewegung und der Atmung als zunehmend kraftvoll, das Lösen bzw. die folgende Ausatmung als immer nebensächlicher erlebt.

    Die Bewegung, die Sie oben wiederholt ausgeführt haben, folgt keinem statischen Ablauf.

    Die Qualität der Bewegung wechselt zwischen einer aktiv führenden und einer passiv folgenden Phase. Wir sprechen auch von einer gewichteten und einer leichten Bewegung. Das lösende Moment (Atempause) liegt dabei immer im Zeitraum zwischen der aktiven und passiven Phase: Sie schieben aktiv, lösen den Schub auf und entlassen Druck und Spannung gleichzeitig aus Hand, Arm und Schulter (passive Phase). Hieraus entsteht die Möglichkeit zu neuem Schub!

    Oder Sie ziehen aktiv, lösen den Zug, entlassen gleichzeitig die Spannung aus Hand, Arm und Schulter ohne mit dem Oberkörper einzusinken (passive Phase). Hieraus erwächst wieder der neue Zug-Impuls!

    Diese beiden Möglichkeiten des Krafteinsatzes lassen sich auf einen einfachen Bewegungsablauf im Yoga übertragen.

    ÜBUNG

    Beginnen Sie in der Haltung

    »Yoga Mudrā «.

    Legen Sie die Arme ausgestreckt in Verlängerung des Körpers ab.

    Dies ist die Ausgangshaltung.

    Um in den Bewegungsablauf zu kommen, wählen Sie eine der folgenden Möglichkeiten. Führen Sie sie einige Male durch und spüren Sie in der Ruhe nach, bevor Sie die zweite Variante im Vergleich ausführen.

    Variante 1

    Die Handflächen sind dem Boden zugewendet. Kommen Sie in den Vierfüßlerstand, indem Sie den Boden deutlich mit den Unterschenkeln nach unten wegschieben.

    Die Aufwärtsbewegung ist eine leichte Folge aus diesem Schub. Um zurückzukehren, schieben Sie über die Hände den Boden nach vorne schräg unten weg. Das Becken sinkt dadurch gelöst zurück auf die Fersen.

    Fahren Sie auf diese Weise fort. Spüren Sie nach dem Beenden der Übung in der Ruhe nach.

    Variante 2

    Die Handflächen liegen auf dem Boden. Kommen Sie in den Vierfüßlerstand, indem Sie den Boden mit Hilfe der Handflächen zu sich heran ziehen. Nehmen Sie die Bewegung Ihres Brustkorbs wahr und erlauben Sie dem Kopf, sich etwas zu heben.

    Genießen Sie die Bewegung und lassen Sie sich nach einem kurzen Moment einfach dem Steißbein nach unten folgend wieder zurück sinken.

    Fahren Sie in dieser Weise fort. Spüren Sie nach dem Beenden der Übung in der Ruhe nach.

    Variante 1 entspricht dem Wegschieben des Tisches (s. o.); dies ist die Qualität der ausatembetonten Übungsweise. Variante 2 entspricht dem Heranziehen des Tisches (s. o.); dies entspricht der Qualität des einatembetonten Übens.

    Im Prinzip ist der dynamische Aktiv-Passiv-Wechsel mit einer führenden Richtung jeder Bewegung eigen. Auch bei höheren Leistungsanforderungen ändert sich dieser dynamische Ablauf nicht.

    Woher kommt das?

    2P OLARE A TEMDYNAMIK NACH E RICH W ILK

    Polaritäten – verstanden als zwei zusammenwirkende Aspekte eines Phänomens – finden wir überall in der Natur.

    Erich Wilk, Musiker und Naturforscher, wurde zu seinen Forschungen auf diesem Gebiet durch eine Beobachtung während seines Geigenstudiums angeregt:

    Sein Lehrer war ein ausgezeichneter Violinist. Ihm selbst schien es jedoch unmöglich, zu einer ähnlichen Klangqualität zu kommen. Er begann zu forschen, experimentierte mit Handhaltung, Strich und Bogenführung und fand heraus, dass sein Spiel sich deutlich verbesserte, wenn er eine gänzlich andere Körperhaltung einnahm, als die, die er von seinem Lehrer kannte.

    Diese Entdeckung war der Beginn lebenslanger Forschungen und Entdeckungen. Erich Wilk untersuchte den Einfluss unterschiedlicher klimatischer Bedingungen auf Menschen, ihre Art, sich zu ernähren, ihre Gewohnheiten und Vorlieben. Seine lebenslangen Studien führten ihn zu der Überzeugung, dass es zwei unterschiedliche Grundprägungen des Menschen gibt, die er in einer unterschiedlichen dynamischen Gewichtung des Atemrhythmus sah. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte er die nach ihm benannte Typenlehre, die besagt, dass die Zusammenarbeit der Einatemmuskulatur und der Ausatemmuskulatur (es scheint mir heute zutreffender, von Muskelketten zu sprechen) nicht nur in einem einfachen Wechsel der Phasen liegt, sondern vielmehr einem dynamischen Wechselspiel folgt, in dem entweder die dehnende Einatmungs- oder die verengende Ausatmungsbewegung führend ist.

    Ein rhythmisches Geschehen ist dadurch gekennzeichnet, dass einem gewichteten Impuls ein leichter folgt. Dies geschieht in immer währender Wiederholung, wobei die Phasen immer nur ähnlich, jedoch nie völlig identisch sind: gewichtet-leicht / aktiv-passiv / führendfolgend.

    Führt die Dehnung des Brustkorbs – das Atemzentrum innerviert die äußere Zwischenrippenmuskulatur und die ihr zugeordneten Muskelgruppen –, so folgt im Moment des Lösens die Verengung »automatisch«.

    Führt die Verengung des Brustkorbs – das Atemzentrum innerviert die innere Zwischenrippenmuskulatur und die ihr zugeordneten Muskelgruppen –, so folgt dem Moment des Lösens die Dehnung »automatisch«.

    Prägung durch die polare Atemdynamik

    Erich Wilk fand eine Übereinstimmung zwischen der vorherrschenden kosmischen Kraft des Mondes (lunar) und der Sonne (solar) einerseits und der Prägung des Atemrhythmus eines Menschen andererseits. Er schloss daraus, dass die kosmischen Kräfte, die das Wachstum auf der Erde bestimmen, auch Einfluss auf den Organismus des Menschen haben müssen und er bezog in seine Forschungen alle Fachgebiete mit ein, die diese Entdeckung tangieren: Anatomie, Physiologie, Physik, Bewegung, Ernährung, Psychologie. Wilk setzte zeitlebens seine Forschungen fort und entwickelte in Übereinstimmung mit ihnen eine Reihe von spezifischen Bewegungsübungen und Ernährungskonzepten.

    Sonne, Mond und Erde

    Sonne, Mond und Erde sind aufeinander bezogen in ihrem Verlauf und ihrem rhythmisch wechselnden Abstand zueinander.

    Die Erde kreist um die Sonne und dreht sich dabei um ihre eigene Achse. Der Mond kreist als Satellit um die Erde. Die elliptische Umlaufbahn des Mondes ist der Grund für seine wechselnde Entfernung zur Erde. So kommt es, dass – relativ gesehen – einmal der Mond, einmal die Sonne näher an der Erde sind.

    Das bekannteste Phänomen der wechselseitigen Anziehungskraft zwischen Mond und Erde sind die Gezeiten.

    Auf der erdzugewandten Seite ist die Anziehungskraft des Mondes besonders stark. Da die Erde aufgrund ihrer Ozeane und der besonderen Beschaffenheit der Erdkruste keine feste Masse bildet, entsteht, durch den Mond angezogen, eine Wölbung, die an den Ozeanen eine besonders starke Ausprägung erfährt.

    Auf der entgegengesetzten Seite der Erde entsteht aufgrund der in diesem Vorgang wirkenden Zentrifugalkraft eine Ausbuchtung, die aber, durch die Fliehkraft bedingt, etwas kleiner ist. Die Erde rotiert schneller um die eigene Achse als der Mond sie umkreist. So kommt es, dass die Ausbuchtungen wie zwei große Wellen dem Mond um den Erdball herum folgen. An den Gestaden der Ozeane zeigen sie sich dann als Ebbe und Flut.

    Widerspiegelung der kosmischen Dynamik im Organismus

    Kehren wir zurück zu den Auswirkungen, die Sonne und Mond über die Atmosphäre auf den

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