Die Prinzessin von Babylon
By Voltaire
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Voltaire
Voltaire was the pen name of François-Marie Arouet (1694–1778)a French philosopher and an author who was as prolific as he was influential. In books, pamphlets and plays, he startled, scandalized and inspired his age with savagely sharp satire that unsparingly attacked the most prominent institutions of his day, including royalty and the Roman Catholic Church. His fiery support of freedom of speech and religion, of the separation of church and state, and his intolerance for abuse of power can be seen as ahead of his time, but earned him repeated imprisonments and exile before they won him fame and adulation.
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Book preview
Die Prinzessin von Babylon - Voltaire
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
Über den Autor
Über den Übersetzer
Impressum
Hinweise und Rechtliches
E-Books im Reese Verlag (Auswahl):
Voltaire
Die Prinzessin von Babylon
Aus dem Französischen von Johannes Schlaf
Reese Verlag
Herausgegeben von Lothar Reese
I
Der alte Belus, König von Babylon, hielt sich für den höchsten aller Menschen; denn all seine Höflinge sagten, seine Historiographen bewiesen es ihm. Was dieser Wunderlichkeit zur Entschuldigung gereichen mochte, war der Umstand, daß ja tatsächlich dreißigtausend Jahre vor ihm seine Vorfahren Babylon erbaut hatten und daß es von ihm mit Prachtbauten verschönert worden war. Es ist bekannt, daß sein einige Parasangen von Babylon entfernter Palast und dessen Parkanlagen sich zwischen dem Euphrat und Tigris erstreckten, welche jene bezaubernden Ufer bespülten. Das ungeheuere Bauwerk erhob sich mit seiner dreitausend Schritte langen Front bis zu den Wolken empor. Die Plattform wurde von einer fünfzig Fuß hohen Balustrade aus weißem Marmor umgeben, auf welcher die Riesenstatuen aller Könige und großen Männer des Reiches standen. Sie hatte von einem Ende bis zum anderen zwei aus Backsteinen erbaute Reihen und war zwölf Fuß hoch mit Erdreich bedeckt, die Backsteinreihen aber waren dick mit Blei überzogen. In das Erdreich aber waren Wälder von Oliven-, Orangen-, Zitronenbäumen, Palmen, Gewürznelkenbäumen, Kokos- und Zimmetbäumen gepflanzt worden, die für die Sonnenstrahlen undurchdringliche Alleen bildeten.
Das Euphratwasser wurde in hundert hohlen Pfeilern aufwärtsgepumpt und füllte in diesen Gartenanlagen gewaltige Marmorbecken, um dann in anderen Kanälen gleich wieder abzustürzen und im Park sechstausend Fuß lange Wasserfälle zu bilden und hunderttausend unübersehbar hohe Springbrunnenstrahlen. Die Gärten der Semiramis, die mehrere Jahrhunderte später Asien in Erstaunen versetzten, bedeuteten nur eine schwache Nachahmung dieser alten Wunderwerke; denn zu Semiramis’ Zeiten fingen Männer und Weiber bereits an aus der Art zu schlagen.
Doch das Bewunderungswürdigste, was es in Babylon gab und alles andere in Schatten stellte, war des Königs einzige Tochter, die Formosante hieß. Nach ihren Bildnissen und Statuen meißelte in der Folge der Jahrhunderte später Praxiteles seine Aphrodite, jene, die Venus Kallipygos genannt wird. Aber, o Gott, was für ein Unterschied zwischen dem Urbild und jenen Nachahmungen! So war denn Belus auch stolzer auf seine Tochter als auf sein Königreich. Sie war achtzehn Jahre alt, und es war an der Zeit, daß sie einen ihrer würdigen Gemahl erhielt; doch wo ihn finden? Ein altes Orakel hatte vorgeschrieben, daß Formosante einzig dem angehören dürfe, der den Bogen des Nimrod spannte. Dieser Nimrod, der gewaltigste Jäger vor dem Herrn, hatte einen sieben babylonische Fuß hohen Bogen hinterlassen, dessen Ebenholz härter war als das Eisen des Kaukasus, das in den Hochöfen von Derbent verarbeitet wird; und kein Sterblicher hatte nach Nimrod dies Wunder von Bogen spannen können.
Ferner hieß es, daß der Arm, der diesen Bogen gespannt haben würde, auch den furchtbarsten und gefährlichsten Löwen töten müßte, der je im Zirkus von Babylon losgelassen worden wäre. Und das war noch nicht alles. Der Spanner des Bogens, Obsieger des Löwen, mußte alle seine Nebenbuhler zur Strecke bringen; besonders aber mußte er auch viel Geist haben, der ausgezeichnetste aller Menschen sein und der tugendreichste, zudem im Besitz des seltensten Dinges stehen, das es in der Welt gab.
Drei Könige traten auf, die es wagten, sich Formosante streitig zu machen: der Pharao von Ägypten, der Schah von Indien und der Großkhan der Skythen. Belus setzte den Tag fest und in dem weiten, von den Fluten des Euphrat und des Tigris dort, wo beide sich vereinigten, eingeschlossenen Gebiet, am äußersten Ende des Parkes, auch Ort und Stelle. Rings um den Kampfplatz wurde ein Amphitheater aus Marmor errichtet, das fünfhunderttausend Zuschauer faßte. Dem Amphitheater gegenüber befand sich der Thron des Königs, der, gefolgt vom Hofstaat, mit Formosante erscheinen würde; zur Rechten und zur Linken, zwischen Thron und Amphitheater, befanden sich andere Throne und Sitze für die drei Könige und alle übrigen Herrscher, welche die Neugier auf diese majestätische Veranstaltung herbeiführen würde.
Als erster traf auf dem Apisstier, die Isisklapper in der Hand, gefolgt von zweitausend in Leinwandgewänder, die weißer als Schnee waren, gehüllten Priestern, zweitausend Eunuchen, zweitausend Magiern und zweitausend Kriegern der König von Ägypten ein. Bald darauf kam auch auf einem von zwölf Elefanten gezogenen Wagen der König von Indien. Er hatte ein noch zahlreicheres und glänzenderes Gefolge als der König von Ägypten.
Als letzter erschien der König der Skythen. Er hatte bloß auserlesene, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Krieger bei sich. Sein Reittier war ein herrlicher Tiger, den er gezähmt hatte und der so hoch war wie die schönsten persischen Rosse. Die gewaltige, majestätische Gestalt dieses Herrschers stellte seine Nebenbuhler in Schatten; so nervig wie weiß, schienen seine nackten Arme bereits den Bogen des Nimrod zu spannen.
Die drei Fürsten warfen sich zunächst vor Belus und Formosante nieder. Der König von Ägypten bot der Prinzessin die zwei schönsten Nilkrokodile, zwei Nilpferde, zwei Zebras, zwei ägyptische Ratten und zwei Mumien und Bücher des großen Hermes dar, die er für das Seltenste hielt, was es auf Erden gab. - Der König von Indien bot ihr hundert Elefanten zum Geschenk dar, von denen jeder einen Turm aus vergoldetem Holz trug, und legte ihr die von Xaca eigenhändig geschriebenen Veden zu Füßen.
Der König der Skythen, der weder lesen noch schreiben konnte, bot hundert Schlachtrosse, die Decken aus schwarzem Fuchsfell trugen. - Die Prinzessin schlug vor ihren Verehrern die Augen nieder und verneigte sich mit soviel Anmut, wie Bescheidenheit und edlem Anstand.
Belus ließ die Herrscher zu den für sie bereiteten Thronen geleiten. »Warum hab’ ich nicht drei Töchter?« wandte er sich zu ihnen. »Ich würde heute sechs Personen glücklich machen.« Dann ließ er auslosen, wer von ihnen sich als erster an dem Bogen des Nimrod versuchen sollte. Die Namen der drei Bewerber wurden in einen Goldhelm getan. Der des Königs von Ägypten sprang als erster heraus; dann kam der des Königs von Indien zum Vorschein. Den Skythenkönig leidete es, als er den Bogen und seine Nebenbuhler sah, nicht, der dritte zu sein.
Während man die glänzenden Proben vorbereitete, teilten zwanzigtausend Edelknaben und zwanzigtausend junge Mädchen in der besten Ordnung zwischen den Sitzreihen hin an die Zuschauer Erfrischungen aus. Alle Welt hätte zugestehen können, daß die Götter die Könige zu keinem anderen Zweck eingesetzt hätten, als alle Tage, natürlich möglichst abwechslungsreiche, Feste zu geben; daß das Leben zu kurz sei, um es auf eine andere Weise hinzubringen; daß Prozeßstreitigkeiten, Intriguen, der Krieg, die Dispute der Priester, unter denen das menschliche Leben so dahingeht, abgeschmackte und abscheuliche Dinge seien; daß der Mensch einzig zur Freude geboren sei; daß er die Vergnügungen nicht mit so anhaltender Leidenschaftlichkeit lieben würde, wenn er nicht für sie geschaffen wäre; daß es das Wesen der menschlichen Natur sei, sich zu ergötzen, und daß alles übrige Torheit sei. Diese vortreffliche Moral ist ja auch niemals durch etwas anderes Lügen gestraft worden als durch die Tatsachen.
Als man eben daranging, mit den Proben zu beginnen, die das Schicksal Formosantes entscheiden sollten, zeigte sich, auf einem Einhorn, in Begleitung eines in gleicher Weise berittenen Dieners, und auf der Faust einen mächtigen Vogel, an der Schranke ein junger Unbekannter. Die Wächter staunten, als sie in solchem Aufzug ein Antlitz erblickten, das wie das eines Gottes war. Es war, wie man später sagte, wie das Gesicht eines Adonis auf dem Körper eines Herkules: mit Anmut vereinte Majestät. Seine schwarzen Brauen zu langen, blonden Haaren, eine in Babylon unbekannte Mischung von Schönheit, bezauberten die Versammlung; um ihn besser sehen zu können, erhob sich das ganze Amphitheater; sämtliche Frauen des Hofes hefteten erstaunte Blicke auf ihn. Selbst Formosante erhob die sonst stets gesenkten Augen und errötete; die drei Könige aber erblaßten. Indem sie Formosante mit dem Unbekannten verglichen, riefen alle Zuschauer: »In aller Welt gibt’s nur diesen jungen Mann, der so schön ist wie die Prinzessin!«
Von Erstaunen ergriffen, fragten ihn die Wächter, ob er ein König wäre. Der Fremde erwiderte, daß er nicht diese Ehre hätte, daß er aber von sehr weit hergekommen sei, aus Neugier, zu sehen, ob es Könige gäbe, die Formosantes würdig seien. Man führte ihn mit seinem Diener, seinen beiden Einhörnern und seinem Vogel zum ersten Rang des Amphitheaters hin. Mit tiefem Gruß verneigte er sich vor Belus, seiner Tochter, den drei Königen und der ganzen Versammlung, darauf nahm er errötend Platz. Seine beiden Einhörner legten sich ihm zu Füßen, sein Vogel aber setzte sich ihm auf die Schulter, und sein Diener, der einen kleinen Sack trug, ließ sich ihm zur Seite nieder.
Die Proben begannen. Man entnahm seiner goldenen Hülle den Bogen des Nimrod. Von fünfzig Edelknaben gefolgt und unter Vorantritt von zwanzig Trompetern bot der Oberzeremonienmeister ihn dem König von Ägypten dar, der ihn von seinen Priestern segnen ließ und, nachdem er ihn auf das Haupt seines Apisstieres gelegt hatte, nicht zweifelte, daß er diesen ersten Sieg davontragen werde. Er stieg in die Mitte der Arena hinab, versuchte sich, erschöpfte unter Verrenkungen, die das ganze Amphitheater lachen machten, und selbst Formosante ein Lächeln abnötigten, seine Kräfte.
Sein Oberalmosenpfleger trat an ihn heran. »Leisten Ew. Majestät doch«, sagte er, »auf diese nichtige Ehre Verzicht, bei welcher es ja bloß auf Muskeln und Nerven ankommt: in allen übrigen Punkten werden Sie den Sieg davontragen. Den Löwen werden Sie besiegen, da Sie ja das Schwert des Osiris haben. Die Prinzessin von Babylon soll dem Fürsten gehören, der den meisten Geist besitzt, und Sie haben die schwierigsten Rätsel gelöst; sie soll den Tugendhaftesten zum Gemahl erhalten: Sie sind es, da Sie ja von den Priestern Ägyptens erzogen wurden; der Freigebigste soll sie gewinnen: Sie haben ihr die zwei schönsten Krokodile und Ratten, die es jemals im Delta gegeben hat, zum Geschenk gebracht; Sie besitzen außerdem den Apisstier und die Hermesbücher, die die