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Das Haus Zamis 17 - Maskenball
Das Haus Zamis 17 - Maskenball
Das Haus Zamis 17 - Maskenball
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Das Haus Zamis 17 - Maskenball

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About this ebook

Coco wird von ihrer Familie nach Venedig abkommandiert. In einem heruntergekommen Palazzo haust dort Belios Di Avolo, ein entfernter Onkel von ihr. Bereits bei ihrer Ankunft wird Coco von einem toten Mädchen bedrängt. Und auch sonst scheinen plötzlich in Venedig die Toten lebendig zu werden …

Der 17. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
50: "Schirille"
51: "Laguna Morta"
52: "Maskenball"
LanguageDeutsch
Release dateJan 1, 2013
ISBN9783955722173
Das Haus Zamis 17 - Maskenball

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    Das Haus Zamis 17 - Maskenball - Uwe Voehl

    Maskenball

    Band 17

    Maskenball

    von Uwe Voehl, Jörg Kleudgen, Michael M. Thurner und Dario Vandis

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Lektorat: Dario Vandis

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Erstes Buch: Schirille

    Schirille

    von Michael Marcus Thurner

    1. Kapitel

    Er litt.

    Sein Dasein maß er in Jahrhunderten der Qual. Die Erinnerung an das Davor war nahezu verblasst. Nur mühsam konnte er sich an seine früheren magischen Fähigkeiten erinnern.

    Würmer knabberten an ihm. Sie durchbohrten seinen Körper, taten sich an seinen Innereien gütlich, verursachten ungeahnte Schmerzen. Ein winziger Käfer hatte mit scharfen Beißzangen sein rechtes Augenlid zerrissen, sich dann durch den Augapfel gefressen. Zwischen zertrümmerten Knochenwülsten bohrte er sich weiter vor, bis er das Gehirn erreichte – oder was davon noch übrig war.

    Obwohl er nach menschlichem Ermessen längst tot war, spürte er jeden einzelnen seiner Gegner. Würmer, Egel, Spinnen, Käfer. Parasiten und Aasfresser, Mikroben und Bakterien. Sie alle gehorchten dem uralten Befehl seines Bezwingers, rannten unermüdlich gegen die erbärmlichen Reste seiner Körperlichkeit an. Sie stießen auf breiter Ebene vor, und seine Abwehrmagie half nur unzureichend, ihn vor den Eindringlingen zu schützen. Sie suchten sich kleinste Lücken, setzten ihre Larven und Eier in verfaulendem Gewebe ab, vermehrten sich und zersetzten seinen Leib.

    Irgendwann würden seine Selbstheilungsfähigkeiten an Grenzen stoßen. Dann würde der Körper sterben, das Gehirn vertrocknen und lediglich ein geistiges, heimatloses Irgendwas übrig bleiben. So, wie es sein Bezwinger vorgesehen hatte.

    Doch es bestand Hoffnung.

    Einen Teil seines Selbst hatte er … auslagern und in einen fremden Körper transferieren können. Von dort aus betrieb er die Wiedergeburt, die Wiederherstellung.

    Der Plan war kompliziert, und es standen ihm viele Widrigkeiten im Weg. Doch er war zuversichtlich, dass alles so funktionieren würde, wie er es sich vorstellte. Schließlich war er einmal einer der mächtigsten Dämonen gewesen, die über die Erde gewandelt waren.

    Er musste Geduld haben, und er musste das Ende der Schlacht um seinen Leib so weit wie möglich hinauszögern.

    »Ich werde das nicht tun!«

    Das Geschöpf riss verächtlich das Maul auf und präsentierte seine dünne, gespaltene Zunge, die zwischen dunkelgelben Zahnstümpfen umherpeitschte. Ich trat automatisch einen Schritt zurück. Das Wesen, das auf Befehl meines Vaters im Beschwörungskeller unserer Villa erschienen war, wirkte, als wäre es von einem verrückten Chirurgen aus Körperteilen verschiedenster Tiere zusammengesetzt worden. Es besaß einen ziegenähnlichen Kopf mit verdrehten Hörnern und außerdem drei Beine. Der Rumpf jedoch glich dem eines Vogels, und so wie es mit den gerupften Flügeln schlug, war es – zumindest mithilfe seiner magischen Kräfte – vielleicht tatsächlich imstande zu fliegen.

    »Ich werde das nicht tun«, wiederholte es geifernd und spuckte einen Brocken weißlichen Schleims auf den Boden. Gleichzeitig glitt es so weit zur Wand hin zurück, wie es die Kettenbänder erlaubten, die um seine Füße geschlungen waren. Die Fesseln, aus vertrockneten und magisch ineinander verknoteten Nabelschnüren Neugeborener geformt, raschelten. »Völlig ausgeschlossen. Niemals.«

    Mein Vater, der die Angewohnheit besaß, in solchen Situationen leicht die Fassung zu verlieren, sah sich das Gebaren des Vogelwesens mit erstaunlicher Ruhe an. In seinem Blick lag ein beinahe wissenschaftliches Interesse. Jetzt lächelte er schmal. Ich kannte dieses Lächeln. Es war grundsätzlich ein schlechtes Zeichen.

    »Und ob du das wirst!«, stellte er leise fest.

    Das Vogelwesen duckte sich förmlich, und seine aufgesetzte Protestlaune verflog so schnell, wie sie gekommen war.

    »Coco«, wandte sich mein Vater an mich. »Das ist Schirille. Sie ist eine Habergeiß. Bestimmt hast du schon von diesen Wesen gehört.«

    Ich musste nicht lange überlegen. Eine Habergeiß war ein gespenstisches, vogelartiges Geschöpf, das nachts in den Wipfeln hoher Bäume schaukelte und Menschen mit schriller Stimme verspottete. Habergeißen gelten als unverwundbar. Ehrlich gesagt hatte ich mir diese Wesen immer etwas imposanter und unheimlicher vorgestellt, aber die Sache mit der schrillen Stimme stimmte schon mal.

    »Schirille, du wirst Coco auf ihrer Reise nach Klagenfurt begleiten.«

    Das seltsame Wesen mit dem Namen Schirille duckte sich abermals und kratzte sich mit einem seiner drei Beine am Hinterteil. »Wie du wünschst, Herr. Ich füge mich, wenn auch widerwillig! Aber erwarte nicht, dass ich deinem Balg besondere Sympathie entgegenbringe.«

    Michael Zamis zuckte mit den Achseln. »Das habe ich nicht verlangt. Du sollst auf Coco achtgeben und mir berichten, wenn sie Unsinn anstellt. Aber du wirst auch ihre Wünsche erfüllen. Zu diesem Zweck werde ich euch mental aneinanderketten.«

    Langsam verlor ich die Geduld. Bisher hatte ich nämlich keinen blassen Schimmer, was dieser Auftritt zu bedeuten hatte. Mein Vater hatte mich ohne besonderen Grund in den Beschwörungskeller zitiert, und nun sollte ich plötzlich eine Reise nach Klagenfurt antreten?

    »Dürfte ich bitteschön wissen, um was es hier eigentlich geht?«, fragte ich lauter, als es mir im Angesicht meines Vaters zustand. »Und was habe ich mit dieser hässlichen Kreatur zu schaffen?«

    »Du wirst nach Klagenfurt reisen, Coco, und Schirille wird dich begleiten. Du hast dort eine Kleinigkeit für mich zu erledigen. Alles, was du wissen musst, erfährst du von ihr.«

    Noch bevor ich etwas erwidern konnte, intonierte mein Vater einen Zauberspruch. Ich fühlte, wie etwas zwischen dem Wesen und mir entstand. Eine Verbindung, ein unzertrennliches Band. Von jetzt an würde ich immer wissen, wo sich Schirille befand und ob sie in Schwierigkeiten steckte. Umgekehrt galt natürlich dasselbe.

    »Ich erwarte, dass du dich heute noch auf den Weg machst«, sagte mein Vater, nachdem er den Zauber abgeschlossen hatte. »Pack deine Siebensachen und beeil dich. Schirille wird bei eurem Gefährt auf dich warten.«

    Er klatschte in die Hände, die Fesselung der Habergeiß löste sich auf. Das Wesen flatterte mit trägen Flügelschlägen an mir vorbei. Es hinterließ einen stechenden, tranigen Geruch.

    »Schirille besitzt vielerlei Begabungen«, erklärte mein Vater. »Mit ihren Fähigkeiten kann sie dir in größter Not eine Hilfe sein.« Mit diesen Worten nickte er mir zu und verließ den Arbeitsraum.

    Ich folgte ihm seufzend. Ich kannte die Launen meines Vaters und wusste, wann es sich lohnte, ihm zu widersprechen, und wann nicht. Es lohnte sich nie. Seine Stimmung schwankte meist zwischen düster und ganz düster. Heute war wohl einer seiner schlechteren Tage. Ich tat gut daran, nicht weiter in ihn zu dringen, sondern stattdessen zu gehorchen. Hastig eilte ich nach oben, in mein Zimmer, und raffte die notwendigsten Habseligkeiten zusammen.

    Klagenfurt?

    Was hatte die Schwarze Familie in der Kärntner Landeshauptstadt zu schaffen, und worin bestand das besondere Interesse meines Vaters? – Nun, ich würde meine Antworten von Schirille erhalten.

    Ich verabschiedete mich in aller Eile von meinem Bruder Georg und von Mutter. Mein Vater ließ sich nicht mehr blicken. Doch als ich vom Vorhof unserer Hietzinger Villa nach oben sah, hoch zu den verdunkelten Mansardenfenstern des ersten Stocks der Gründerbau-Villa, konnte ich seine Präsenz spüren.

    Er ließ mich wissen, dass er sich unbedingt einen Erfolg von meiner Mission erwartete. Seine Forderung drückte mir aufs Gemüt. Nur allzu deutlich schwang ein »Sonst-kannst-du-was-erleben« in seiner gedanklichen Botschaft mit.

    Ein khakifarbener Jeep glitt aus der Garage, die Fahrertür öffnete sich wie durch Geisterhand. Ich war nicht überrascht, einen leeren Fahrersitz vorzufinden. Der Motor lief bereits. Es war, als könnte mein Vater es gar nicht abwarten, mich endlich los zu sein.

    »Das wird aber auch Zeit!«, klagte Schirille prompt. »Ich dachte schon, wir würden diese schreckliche Gegend überhaupt nicht mehr verlassen.« Die Habergeiß ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und schnalzte wieder mit der Zunge. Ich sah, dass sie gerade auf einem undefinierbaren Brocken aus Fleisch und Sehnen herumkaute, offenbar so eine Art Kaugummi für Habergeißen.

    Ich löste die Handbremse und bewegte den Jeep ruckelnd hinein in die Ratmannsdorfgasse.

    »Dächer und Mauern«, erklärte Schirille und blickte sich angewidert um. »Häuser. Straßen. Ringsum Dinge, von Menschenhand gefertigt. Kein natürliches Felswerk, keine Feuchtigkeit …« Schirille furzte. Rotgelber Ausfluss drang unter ihrem struppigen Stummelschwanz hervor und verteilte sich über Sitz und Fell. Ich wandte einen geruchsreinigenden Zauber an, bevor der Würgereiz zu intensiv wurde, und versuchte zu ignorieren, wie sie ihre Ausscheidungen aufzulecken begann. »Ihr Zweibeiner verbergt euch schamhaft hinter Mauern, anstatt die Offenbarungen des Lebens und des Sterbens in vollen Zügen zu genießen«, meckerte sie weiter.

    Na, das konnte ja eine schöne Reise werden.

    »So? Und was verstehst du unter den Offenbarungen des Lebens und des Sterbens?«, fragte ich wenig interessiert.

    »Das Odeur vergehenden Lebens auf Friedhöfen. Das Japsen und Jammern Sterbender. Letzte, röchelnde Atemzüge. Der Schmerz des Todes. Die Erkenntnis in den Augen der Menschen, wenn sie wissen, dass es zu Ende geht.« Schirille wälzte sich auf den Rücken. Ich erblickte drei längliche Euter und eine mit groben Stichen zugenähte Vagina.

    Was bezweckte mein Vater, indem er mich mit diesem abscheulichen Wesen zusammenspannte? Hatte er eine weitere neue Form der Demütigung für mich entdeckt, oder steckte ein tieferer Sinn hinter ihrer Begleitung?

    Nun – ich würde mir die Antworten später holen. Vorerst konzentrierte ich mich darauf, den Jeep unter Kontrolle zu bekommen. Er war groß, breit, schwerfällig und mindestens 20 Jahre alt. Er besaß keine Servolenkung; das Lenkrad zitterte in meinen Händen. In den schmalen Gässchen Hietzings, in denen man bei Gegenverkehr auf das Gutdünken anderer Autofahrer angewiesen war, musste ich mehr als einmal auf meine magischen Fähigkeiten zurückgreifen.

    Am Grünen Berg geriet ich in den freitäglichen Mittagsstau, der sich auf der Auffahrt zur Südost-Tangente fortsetzte. Ein Mann mit schütterem Haar betrachtete mich interessiert aus seinem nebenher ruckelnden PKW. Schirille hingegen bemerkte er nicht. Die Habergeiß blieb für Menschen unsichtbar.

    Gut so.

    Erst auf der Südautobahn gestaltete sich der Verkehr zu meiner Erleichterung flüssiger. In drei Stunden würden wir unser Reiseziel erreichen.

    »Und nun zu uns beiden«, sagte ich, an Schirille gewandt. »Glaub bloß nicht, dass es mir Spaß macht, einfach so an einen hässlichen Vogel wie dich gekettet zu werden. Ich möchte alles wissen. Wer du bist, was du mit meinem Vater zu tun hast, warum er uns nach Klagenfurt schickt.«

    Die Habergeiß, kaum mehr als einen Meter groß, sprang unwillkürlich aus ihrem Sitz hoch und krallte sich mit den Beinen in die Decke des Autos. Sie streckte einen Fuß nach mir aus, als wollte sie mir die Augen auskratzen. Erschrocken wich ich zum Fenster zurück, mühsam die Kontrolle über das Auto behaltend.

    Gift träufelte von Schirilles Fingernägeln. Es spritzte über die gepolsterten Sitzmöbel und zog lange Furchen. »Wäre ich nicht deinem Vater verpflichtet«, zischte mich die Habergeiß an, »hätte ich dich längst getötet.«

    Ich glitt in den rascheren Zeitablauf. Schirille erstarrte, in der Normalzeit gefangen. Angewidert packte ich sie an den Beinen und zog sie von der Wagendecke. Mit aller Wucht schleuderte ich sie gegen die Beifahrertür, murmelte einen magischen Bannspruch und glitt in den normalen Zeitenlauf zurück. Nicht einmal eine Zehntelsekunde war vergangen.

    Schirille stöhnte auf.

    »Nur, um gleich zu Beginn etwas klarzustellen«, sagte ich kühl. »Was auch immer mein Vater über mich erzählt hat: Ich bin nicht bereit, mich auf ein Spielchen mit einer Spukgestalt einzulassen, die höchstens kleinen Kindern Angst einflößt. Du beantwortest meine Fragen ohne Widerrede, und du wirst mir bedingungslos zur Verfügung stehen. Haben wir uns verstanden?«

    Schirille röchelte. Ihr Ziegenkopf klebte an der Fensterscheibe. Ich machte mir keine übermäßigen Sorgen um ihre Gesundheit. Habergeißen galten als hart im Nehmen. Gerüchte besagten, dass sie unverwundbar wären.

    Ich lockerte den magischen Bann ein wenig. Schirille schnappte erleichtert nach Luft, atmete tief durch und hauchte dann: »Ver…standen.«

    »Gut so. Und nun nochmals von vorne: Wer und was bist du?«

    »Mein Name ist Schirille. Ich entstamme der Sippe der Konvoch, die im Salzburger Lungau zu Hause ist.«

    »Die Konvoch sind also eine Art … Großfamilie der Habergeißen?«

    »Die berühmteste.« Schirille warf sich in eine stolze Pose. Dutzende Flöhe sprangen aus ihrem Fell. »Seit mehreren Jahrhunderten bewohnen wir die Umgebung der ›Entrischen Kirche‹ bei Dorfgastein im Gasteiner Tal …«

    »Entrische Kirche?«, echote ich.

    »Das ist der Name für eine Tropfstein- und Wasserhöhle nahe des Luxkogels. Der Name bedeutet so viel wie ›unheimliche Höhle‹. Eine Vampirsippe haust dort und versorgt die regionalen Friedhöfe mit ausreichend Nachschub.«

    »Was haben die Konvoch-Habergeißen damit zu tun?«

    Wir näherten uns bereits der Kurstadt Baden. Ein schwarzer Mercedes mit verspiegelten Fenstern und Wiener Kennzeichen überholte uns mit überhöhter Geschwindigkeit.

    Ich fühlte die Präsenz dreier Dämonen; so, wie auch sie mich spüren konnten.

    Ich versuchte, auf magische Weise einen Blick durch die Spiegelscheiben zu werfen, konnte aber niemanden der Insassen erkennen. Das irritierte mich allerdings nicht. Die vorübergehende Versteinerung Wiens hatte einige Änderungen mit sich gebracht.

    Dutzende unbekannter Mitglieder der Schwarzen Familie hatten die Unruhen ausgenutzt und waren aus der Fremde nach Wien gezogen, um neues Machtterrain zu erobern. Damit bissen sie jedoch bei meinem Vater auf Granit. Er verteidigte die Machtposition der Zamis-Sippe mit harter Hand.

    »Wir sind Todeskünder und gut Freund mit allen Geschöpfen, die auf Friedhöfen beheimatet sind«, erklärte Schirille weiter. »Wir geben Laut, sobald das Ende eines Menschen bevorsteht. Besonders ängstliche Wesen sind in der Lage, uns zu sehen. Wir nähren uns besonders gerne von ihrem Entsetzen und Aberglauben, von ihren Ängsten und der Todesfurcht. Das Salzburger Land ist ein besonders guter Nährboden für uns.« Schirille meckerte gehässig, während unablässig eine sämige Flüssigkeit aus ihrem zugespitzten Mund tropfte.

    Mittlerweile näherte sich die Sonne dem Horizont. Die Spitze des Schneebergs glitzerte in ihren letzten Strahlen, die Kalkabbrüche der Hohen Wand leuchteten unter der Dunkelheit des stark bewaldeten Plateaus hervor.

    »Was hast du mit meinem Vater zu schaffen?«

    »Die Konvoch sind der Zamis-Sippe verpflichtet«, sagte sie zu meiner Überraschung.

    »Verpflichtet? Weswegen?«

    »Ich trage eine alte Schuld ab«, sagte sie ausweichend. »Für eine längere Zeitspanne darf dein Vater über mich verfügen.«

    Ich ahnte, dass ich von ihr vorläufig keine genauere Antwort erhalten würde. »Warum befiehlt uns mein Vater, nach Klagenfurt zu fahren?«, bohrte ich weiter. »Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, ein wenig im Wörther See zu pritscheln. Aber ich vermute, dass er nicht mein Vergnügen im Sinn hatte, als er mich auf den Weg schickte?«

    »Ich weiß nicht viel mehr als du«, gab Schirille zu. »Ein dämonisches Wesen macht sich in der Stadt breit. Eines, das nicht der Schwarzen Familie angehört. Mein … Herr, dein Vater, will, dass du klärst, was in der Stadt vor sich geht.«

    Ich überlegte. Klagenfurt war neutrales Gebiet, so weit ich mich erinnerte. Zumindest kannte ich keine Dämonensippe, die sich dort niedergelassen hatte. Warum das so war, vermochte ich nicht zu sagen. Manche Städte wurden von Dämonen gemieden, zum Beispiel, weil die Menschen dort zu abergläubisch und das Leben für einen Dämon zu gefährlich war. Ich versuchte mich zu erinnern, was ich bei meiner Ausbildung auf dem Schloss meines Onkels Cyrano von Behemoth über die territoriale Aufteilung Österreichs gelernt hatte. Doch so sehr ich mir auch den Kopf zermarterte, über Beziehungen und Verknüpfungen der Zamis-Familie nach Kärnten war mir nichts bekannt.

    »Das ergibt keinen Sinn«, sagte ich. »Warum sollte es meinen Vater interessieren, was in Klagenfurt los ist.«

    »Die Welt ändert sich.« So etwas wie Wehmut klang in Schirilles Gekrächze mit. »Manche Sippen werden mächtiger, andere verlieren an Einfluss.«

    Ohne dass sie es explizit sagte, glaubte ich herauszuhören, dass Schirilles Sippe zu den Zweitgenannten zählte.

    »Wie auch immer«, murmelte sie. »Dein Vater erwartet von dir, dass du dem fremden Dämon das Handwerk legst. Du sollst ihn festnageln – und zwar lebend. Anschließend sollst du eine Nachricht nach Wien schicken, damit dein Vater kommen und den Dämon eingehend befragen kann.«

    »Na toll. Und wieso erledigt er diese Aufgabe nicht selbst?«

    Sie lachte hämisch. »Vielleicht hat er Wichtigeres zu tun. Du erfüllst jedenfalls höchstens die Rolle einer einfachen Handlangerin für ihn.«

    »Dann bist du eben die Sklavin einer einfachen Handlangerin«, entgegnete ich giftig und konzentrierte mich wieder auf die Fahrt, die uns immer weiter in Richtung Süden führte.

    Das Wechselgebirge. Entlang der Pannonischen Tiefebene ins Grazer Becken. Dann hinauf zur winterlichen Pack, dem Grenzgebiet der Steiermark zu Kärnten, und anschließend immer nur bergab. Hinein ins breite Lavanttal und damit in ein anderes, nahezu mediterranes Klima, wie man es im restlichen Österreich überhaupt nicht kannte.

    Es war dunkel geworden. Nur noch wenige Fahrzeuge bewegten sich die zweispurige Autobahn entlang. Die meisten Wochenendreisenden hatten längst ihren Zielort erreicht. Schirille wälzte sich im Halbschlaf auf ihrem Sitz umher. Ich konnte trotz allen magischen Aufwands, den ich betrieb, den penetranten Gestank der Habergeiß kaum von mir fernhalten. Wenigstens war ich froh, dass sie eine Zeitlang die Klappe hielt. Vorher hatte sie mich eingehend über ihre Weltsicht informiert, wobei ich Mühe gehabt hatte, über ihre Schwätzerei nicht am Steuer einzuschlafen. In mancherlei Hinsicht erinnerte mich Schirille an ein naives und besonders eigensinniges Kind. Ihre Ansichten waren denkbar einfach. Sie unterteilte in Wesen, die sie mochte, und in solche, die sie hasste. Die meisten hasste sie. Oder, anders gesagt: Die Habergeiß sah sich nahezu allein gegen den Rest der Welt stehen. Die niederrangige Rolle, die Habergeißen in der Schwarzen Familie spielten, versuchte sie mit irgendwelchen Verschwörungstheorien zu erklären. Dabei war der Grund dafür offensichtlich. Um ihre magischen Kräfte war es nicht gerade zum Besten bestellt.

    Ich atmete tief durch. Eine längere Zusammenarbeit mit Schirille erschien mir jetzt schon wie eine Qual. Obgleich sie in magischer Hinsicht wenig taugte, schien sie extrem aufsässig zu sein. Um sie bei der Stange zu halten, würde ich sie immer wieder und mit allem Nachdruck an ihre untergeordnete Position erinnern müssen. Auch konnte ich mir nicht vorstellen, wie und wann mir ihre Unterstützung zum Vorteil gereichen könnte.

    Allerdings hatte sich mein Vater vermutlich etwas dabei gedacht, als er mir Schirille zur Seite stellte.

    Ich war müde. Müde vom Streiten mit Schirille, vom Autofahren, vom Grübeln. Es war an der Zeit, eine Pause einzulegen. Bei Völkermarkt verließ ich die Autobahn. Der Tankwart war so freundlich, mir den Tank gratis aufzufüllen. Ich schenkte ihm dafür die Erinnerung an einen Kuss, den er nie bekommen hatte, ließ den Jeep die wenigen Meter nach rechts zur Raststätte rollen und weckte dann Schirille.

    »Vertritt dir ein wenig die Beine«, beschied ich ihr und stieg aus. »Ich esse eine Kleinigkeit. In einer Stunde treffen wir uns hier beim Auto.«

    »Meine Beine sind nicht zum Gehen da«, entgegnete die Habergeiß. »Damit kratze ich Augen aus und zerteile Gedärme fachgerecht in kleine Häppchen.«

    »Wie auch immer. Ich verbiete dir, Menschen anzufallen oder sonst wie zu schädigen. Wir sollten keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.«

    »Du hast nicht zugehört, kleine Zamis!« Schirille nahm ein paar Meter Anlauf und erhob sich mit tollpatschig anmutendem Flügelschlag in die Lüfte. Niemand außer mir kümmerte sich um sie, niemand konnte sie hören. »Ich bin eine Todesbegleiterin, aber ich töte niemals Menschen. Die Drecksarbeit sollen gefälligst andere für mich erledigen.«

    Sie geriet außerhalb der Lichtkegel der Parkplatzbeleuchtung und verschmolz mit der Dunkelheit. Ich hörte ein letztes Meckern, dann war Schirille verschwunden.

    Ich wandte mich ab und betrat die Raststation. Ein paar Saufkumpane reckten die Köpfe und bedachten mich mit dämlichen Sprüchen. Ich beachtete sie nicht. Die Bedienung war eine junge, blonde Frau, der die Brüste fast aus dem engen Ausschnitt fielen.

    Ich bestellte einen Espresso. Schon nach dem ersten Schluck breitete sich eine angenehme Wärme in meinem Magen aus. Ich winkte die Bedienung erneut heran.

    »Entschuldigen Sie, wie weit ist es noch bis nach Klagenfurt?«

    »Nur noch zwanzig Minuten. Aber da brauchst du heute nicht mehr hinzufahren, Süße. Nach Mitternacht ist dort tote Hose.«

    »Tatsächlich? Ich dachte, da wäre ganz schön was los.«

    Das Mädchen zog eine Schnute. »Hat sich alles geändert. Noch vor wenigen Monaten ist es in den Gassen im Zentrum der Stadt ganz schön abgegangen. Ausgelassene Partys ohne Ende, Süße. Aber jetzt … Ehrlich, wenn du mich fragst, ist da der Mief der Fünfziger und Sechziger Jahre zurückgekehrt. Um zehn Uhr abends werden die Gehsteige hochgeklappt.«

    Ich überlegte. Wenn in Klagenfurt tatsächlich nichts mehr los war, hatten vielleicht auch die Hotels am Stadtrand schon geschlossen.

    »Habt ihr hier Zimmer für die Nacht?«

    Die Blonde nickte. »Klar haben wir die.«

    Am nächsten Tag setzten wir die Reise bei prächtigem Wetter fort. Schirille hatte in der Nacht mehrmals zornig an mein Zimmerfenster geklopft, aber ich hatte einfach so getan, als würde ich ihr Gezeter nicht hören. Nun hockte sie mit verschränkten Flügeln auf dem Beifahrersitz und sah beleidigt aus dem Fenster.

    Ich fuhr beim Klagenfurter Flughafen von der Autobahn ab und reduzierte das Tempo.

    »Spürst du irgendetwas Verdächtiges?«, fragte ich Schirille. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wonach wir eigentlich suchen sollten.

    »Zum allerletzten Mal«, platzte es aus ihr heraus. »Ich bin kein Spürhund, den du beliebig auf eine Fährte ansetzen kannst!« Die Habergeiß flatterte erregt mit den Flügeln und spuckte auf die Innenseite der Frontscheibe.

    Ich ließ den Wagen neben der Bundesstraße auf den Parkstreifen rollen, schloss die Augen und konzentrierte mich auf meine Umgebung. Nichts. Es war keine dämonische Ausstrahlung zu spüren. Ich reihte mich wieder in den vormittäglichen Verkehr ein und nahm die Verbindungsstraße nach Annabichl, der angegliederten Gemeinde im Norden der Stadt.

    »Ich habe Hunger!«, krächzte Schirille. Sie leckte mit der Zunge über ihre behaarten Lippen und blickte begierig nach draußen. Wir näherten uns den weiß getünchten Mauern des Annabichler Friedhofs.

    »Ich dachte, du hättest während der Nacht einen Imbiss zu dir genommen?«

    Schirille schüttelte den Kopf. »Rings um die Raststation gab es über Kilometer hinweg nur Felder und ein paar vereinzelt dastehende Bauernhöfe.« Angewidert spuckte sie aus. »Überall gesunde, rotwangige Kinder und kräftige Erwachsene. Keine Siechen und keine Alten. Niemand, dem ich mich hätte offenbaren können, um von seinen Ängsten zu naschen. Der einzige Friedhof, den ich finden konnte, hatte vor mehr als fünf Jahren seinen letzten Neuzugang zu verzeichnen. Ich musste auf morschen Knochen herumkauen und an Urnen schnüffeln, um meinen Appetit irgendwie zu sättigen. Bäh!«

    Ich reduzierte das Tempo und rollte neuerlich rechts ran, neben dem Eingang der Aufbahrungshalle. »Ich kann es nicht verantworten, dass

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