Dorian Hunter 45 – Teufelsdiener
By Ralf Schuder
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About this ebook
Der 45. Band der legendären Serie um den "Dämonenkiller" Dorian Hunter. - "Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer
enthält die Romane:
196: "Dämonische Intrigen"
197: "Das Grauen in den Bergen"
198: "Teufelsdiener"
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Dorian Hunter 45 – Teufelsdiener - Ralf Schuder
Teufelsdiener
Band 45
Teufelsdiener
von Ralf Schuder
© Zaubermond Verlag 2014
© Dorian Hunter – Dämonenkiller
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur
http://www.zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
Was bisher geschah:
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor.
Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit Asmodi, dem Oberhaupt der Schwarzen Familie, der ihm die Unsterblichkeit sicherte.
Um seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen, auf die de Conde es abgesehen hatte, blieben ungeschoren. Vielmehr wurde bald er selbst als Ketzer angeklagt und hingerichtet. Der Pakt galt, und de Condes Seele wanderte in den nächsten Körper. In vielen Inkarnationen verfolgte er seitdem rachsüchtig die Mitglieder der Schwarzen Familie, bis es ihm in der Gegenwart als Dorian Hunter endlich gelang, Asmodi zu vernichten und auch dessen Nachfolgern wenig Glück beschieden war.
Hunter, der sich selbst als Dämonenkiller bezeichnet, besitzt als Hauptstützpunkt seiner Aktivitäten die Jugendstilvilla in der Londoner Baring Road. Dort lebt er zusammen mit der Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu ihm die Seiten wechselte, und den anderen Mitstreitern des Dämonenkiller-Teams: dem Zyklopenjungen Tirso, dem Hermaphroditen Phillip sowie Trevor Sullivan, dem alten Leiter der Mystery Press, der jedoch nach einer schlimmen Auseinandersetzung mit den Dämonen seit Monaten in einem Londoner Krankenhaus im Koma liegt.
Bis vor Kurzem gehörte auch Martin Zamis, Dorians und Cocos Sohn, zu den Bewohnern der Jugendstilvilla. Aber Martin hat die Seiten gewechselt – auf eine Art, die den Dämonenkiller in die schlimmste Krise seines Lebens gestürzt hat: Von einem Dämon namens Isbrant entführt stürzte Martin durch einen Zeitschacht in die Vergangenheit, wo er ohne seine Eltern aufwuchs und später die Identität seines Entführers annahm. Isbrant ist Martin, und Martin ist Isbrant. Der neue Fürst der Finsternis – ist das Kind des Dämonenkillers!
Dorian ertränkt seinen Kummer im Bourbon. Er weiß, dass es keine Möglichkeit gibt, Martin zurückzuholen, ohne bereits geschehene Ereignisse rückgängig zu machen. Die schreckliche Konsequenz dieses Gedankens lässt Hunter zum Einsiedler werden. Er zieht sich vor Coco und den anderen zurück und denkt daran, seinen Kampf endgültig aufzugeben.
Da erreicht ihn ein Anruf seines alten Freundes Tim Morton – und ein Lebenszeichen seines neuen, alten Sohnes Isbrant ...
Erstes Buch: Dämonische Intrigen
Dämonische Intrigen
Trotz der ungewöhnlichen Kälte trug er nur leichte Kleidung, und während er vornübergebeugt gegen den eisigen Wind ankämpfte, versanken seine Schuhe bei jedem Schritt im tiefen, weichen Schnee. Ihm bedeuteten die Anstrengung und der eisige Sturm nichts. Die fremdartige Kraft hatte den Mann völlig durchdrungen und von den Schwächen des menschlichen Körpers befreit.
Als der Wind etwas nachließ und der Schneefall gleichzeitig schwächer wurde, blieb er stehen und sah nach vorn. Er folgte einer einsamen Landstraße, deren Umrisse längst nicht mehr auszumachen waren. Seit den Mittagsstunden des Vortages hatte es ohne Unterbrechung geschneit und der Asphalt war unter Verwehungen verborgen, die einen halben Meter und höher waren. Doch die Strecke war von Bäumen gesäumt, sodass der Mann keine Schwierigkeiten hatte, sich zu orientieren. Von einer düsteren Vorfreude erfüllt stapfte er weiter auf sein Ziel zu. Mehr als zehn Kilometer lagen bereits hinter ihm, kein Mensch war ihm begegnet. Es zwang ihn niemand dazu, diesen Weg auf sich zu nehmen, er hätte sich ein Opfer aus der Umgebung Coldinghams holen können, wie so oft in den letzten Wochen. Aber heute war ein besonderer Tag, heute würde er eine persönliche Rechnung begleichen. Der wolkenverhangene Winterhimmel verdunkelte sich; keine Stunde mehr und es würde finster sein. Der Mann lächelte zufrieden.
1. Kapitel
»Bedrohlich, nicht wahr?«
»Was denn?«
»Sieh doch hinaus!«
»Ich sehe nur Schnee.«
Carol wandte ihren Blick von dem Küchenfenster ab und schnäuzte sich. Max fand, dass sie trotz der Erkältung erstaunlich hübsch aussah. Sie bekam regelmäßig zum Herbstanfang einen fürchterlichen Schnupfen, der dann bis zum Winterende anhielt. Seit sie vor fünf Jahren Jenny zur Welt gebracht hatte, nahm sie allerlei vorbeugende Mittel und verpasste keine der jährlichen Grippe-Impfungen, doch geholfen hatte ihr bisher nichts. Dr. Jenkins fand keine Erklärung dafür, meinte aber, es gäbe keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
»Was ist, wenn das ewig so weitergeht, Max? Wenn es wochenlang schneit und der Strom ausfällt?« Sie nahm das Papiertuch von der geröteten Nase und ließ es im Abfalleimer verschwinden.
»Dann werden wir erfrieren und für immer unsere Ruhe haben.« Er trank vorsichtig einen Schluck seines heißen Tees. Der Earl Grey schmeckte ausgezeichnet.
»Weißt du, was ich am liebsten tun möchte, wenn du so zynisch bist?«
»Keine Ahnung – mich ein zweites Mal heiraten?« Er stellte die Tasse auf den Tisch. Sie lächelte nur schwach und es tat ihm sofort wieder leid, dass er ihre Sorgen so einfach abgetan hatte. Er lebte seit seiner Kindheit auf dem Lande, vielleicht war das der Grund dafür, dass ihn das raue Wetter nicht beunruhigte. Dennoch, wirklich sorglos war auch er nicht: Das da draußen war kein weihnachtliches Geriesel, es war ein Schneesturm, der seinen Höhepunkt noch längst nicht erreicht hatte.
Jetzt runzelte Carol die Stirn. »Was hat mich nur dazu bewogen, mich mit einem Farmer einzulassen, der nichts anderes als seine dummen Schafe im Kopf hat, der nichts weiter besitzt als ein einsames Haus an der Küste?«
Manchmal konnte er nicht sagen, wann es seiner Frau ernst war und wann sie ihn auf den Arm nahm, und dies war einer dieser Momente.
Ein Grund dafür war der, dass sie recht hatte. Im Umkreis von mehreren Kilometern gab es nur das Meer, begrünte Hügel sowie die schwach frequentierte Landstraße nach Invercavour. Und außer seiner Farm und den Tieren besaß Max tatsächlich nichts.
»Liebe war es auf keinen Fall, die dich in meine Arme getrieben hat«, antwortete er. Und es gelang ihm dabei, so ernst zu bleiben wie sie.
Sie grinste und gab ihm einen Knuff.
»Machst du dir nicht doch Sorgen?«, fragte sie dann.
»Weil die Straße zugeschneit ist? Wir könnten es selbst bei diesem Wetter zu Fuß bis nach Invercavour schaffen.«
»Ja, die Kinder wären begeistert – fünf Kilometer durch kniehohen Schnee, während der Wind versucht, uns die Kleider vom Leib zu reißen. Daniel fände es vermutlich aufregend, für einen Zwölfjährigen ist alles ein Abenteuer, aber Jenny würde sich den Tod holen.«
»Glaube mir, Carol, dieses Haus trotzt jedem Sturm, seitdem mein Großvater es gebaut hat!«, sagte er und legte den Arm um sie. »Wäre irgendetwas zu befürchten, hätte ich dich und die Kinder längst fortgebracht.«
Sie wurde sehr ernst und schmiegte sich an ihn. »Im Geiste sehe ich ständig schlimme Dinge. Meterhohen Schnee, der die Fenster und die Türen blockiert und das Dach zum Einstürzen bringt. Kein Strom, keine Heizung, niemand, der uns zur Hilfe kommt. Ich fürchte, ich rede wie ein kleines Kind, das überall Gespenster sieht. Jake meinte oft, dass ich hysterisch bin.« Sie presste die Lippen zusammen. »Krank. Das war ein anderes Wort, das er gern benutzte.«
Max antwortete nicht sofort. Wie immer, wenn sie von ihrem früheren Mann sprach, fühlte er sich hilflos.
»Vielleicht empfindest du das Aufbrausen der Natur deshalb als überwältigend und bedrohlich, weil du in einer Großstadt aufgewachsen bist«, sagte er schließlich.
Carol schwieg und Max beobachtete das grau-weiße Treiben hinter der Fensterscheibe. Unablässig stürmten Flocken auf das Glas zu, begannen in der Sekunde des Aufschlags zu schmelzen, um dann wie klebrige Insekten lautlos nach unten zu rutschen. Eine schneebedeckte Wiese führte nach zweihundert Metern zu Steinen und bizarren Felsformationen, die das Meer vom Land trennten. Die tosende Nordsee bot einen überwältigenden Anblick. Die dunklen Wellen brausten auf, bildeten Schaumkronen und brandeten gegen die Klippen, während am Himmel dunkle Wolken entlang zogen. Pfeifend und brausend strich der Wind um das Haus und für einen Moment drückte eine Bö so heftig gegen das Fenster, dass Max befürchtete, die Scheibe würde bersten.
Er gab Carol einen Kuss auf die Wange und ging dann ins Wohnzimmer hinüber, um nach den Kindern zu sehen. Jenny saß dicht beim Fenster und spielte mit ihren Barbies. In ihrem gepunkteten Kleid und mit ihrem hellblonden, gelockten Haar sah die Fünfjährige beinahe selbst aus wie eine Puppe. Ihre Augen waren streng auf Ken gerichtet, der mit verrenkten Plastikbeinen auf dem Fensterbrett lag.
Daniel saß am Tisch und drehte gelangweilt an den Knöpfen eines defekten Kofferradios. Der Junge wirkte seit Chubys Tod bedrückt. Der alte Hirtenhund war sein ein und alles gewesen. Das Tier hatte zum Schluss allerlei Gebrechen gehabt und seit dem Frühjahr die Schafherde nicht mehr zusammenhalten können. Dennoch war es für die Willards ein Schock gewesen, als sie den armen Kerl vor acht Tagen tot an seinem Platz fanden. Er war im Schlaf gestorben, ganz friedlich, und sie hatten ihn hinter dem Haus begraben.
»Ich habe gestern mit Fred McDowell gesprochen«, sagte Max. »Er meinte, seine Welpen sind Anfang Februar so weit, dass er sie abgeben kann. Vielleicht sogar schon im Januar.«
Daniel blickte auf und lächelte. »Das wäre schon toll, einen kleinen Hund zu haben.«
»Er wird ins Wohnzimmer pinkeln. Das tun alle Welpen«, mischte sich Jenny ein, ohne den Blick von ihren Puppen zu nehmen.
Daniel warf seiner Schwester einen bösen Blick zu. »Ich werde mich um ihn kümmern und einen guten Schäferhund aus ihm machen.«
»Da bin ich mir sicher.« Max streichelte dem Jungen über die Schulter.
Vor sechs Jahren, als Max Carol heiratete, war es nicht unbedingt so gewesen, dass er auf eine Frau mit Kind aus war. Es gab nicht wenige Freunde und Bekannte, die ihm Schwierigkeiten bei der Erziehung eines Stiefsohns vorausgesagt hatten. Doch das hatte sich nie bewahrheitet – er hatte immer eine sehr gute Beziehung zu dem Jungen gehabt.
Max hatte Carol auf dem jährlichen Ball der Schafzüchter kennengelernt. Sie war damals Mitte dreißig gewesen, so wie er, und hatte eigentlich nichts mit den einfachen Farmersleuten zu tun. Sie war eingeladen worden, weil sie sich als Sekretärin für den Verband beworben hatte, das war jedenfalls die offizielle Begründung. In Wahrheit war sie anwesend, weil sie verflucht gut aussah und dem alten McGovern gefallen hatte, der seit Ewigkeiten Vorstandsmitglied war. McGovern besaß eine erstaunlich rote Säufernase, einen Bauch, der weit über den Gürtel hing und die hässlichsten Schweinsäuglein, die Max je gesehen hatte. Trotzdem gelang es dem feisten Kerl dann und wann, eine junge Frau in sein Bett zu locken (was sicher in engem Zusammenhang mit seinem stets prall gefüllten Portemonnaie stand). Um Carol hatte sich McGovern vergeblich bemüht. Auf dem Ball sah sie wirklich umwerfend aus, mit ihren blauen Augen und ihrem schüchternen Lächeln. Es war ihr nicht anzusehen, dass sie noch einen Monat zuvor mit einem Mann verheiratet gewesen war, der ihr die Hölle auf Erden bereitet hatte. Nicht nur Max war sofort von ihr verzaubert, sondern auch sein Freund Harry Foster, und es mutete wie ein Wunder an, dass die Kameradschaft der Männer damals nicht zerbrach.
Der Sturm nahm zu und das Geräusch des Windes, der um das Haus strich, riss Max aus seinen Gedanken.
Carol erschien im Zimmer. »Es funktioniert nicht mehr!«
Ihre Stimme hatte einen Unterton, der Max nicht gefiel.
»Was?«
»Das Telefon! Ich habe versucht, Kerstin anzurufen.«
»Der Sturm, Carol. Vermutlich sind irgendwo die Leitungen gerissen.«
»Ich mache mir trotzdem Sorgen.«
Er befürchtete, dass sie Angstzustände bekommen würde, so wie im ersten Jahr nach der Trennung von Jake, in dem es ihr verdammt schlecht gegangen war und das sie nur mithilfe der Medikamente hinter sich gebracht hatte, die ihr Dr. Jenkins damals verschrieb.
»Ich werde in den Keller hinuntergehen und den Anschluss überprüfen. Vielleicht liegt das Problem bei uns. Zur Not haben wir immer noch das Funkgerät im Jeep.«
»Okay.« Sie nickte. Es schien sie ein wenig zu beruhigen, dass Max gelassen blieb. »Und ich mache uns einen Kaffee.«
Bevor er sagen konnte, dass das eine gute Idee sei, hörte er einen Aufschrei.
»Ein Einbrecher! Er hat den Stall aufgebrochen!« Jenny war eigentlich ein stilles Mädchen, aber nun überschlug sich ihre Stimme. Sie sah aus dem Fenster und ihr Gesicht berührte dabei die Scheibe.
Mit wenigen Schritten war Max bei seiner Tochter. Er folgte ihrem Blick und für einen Moment blieb ihm die Luft weg. Trotz der beginnenden Dämmerung konnte er deutlich erkennen, dass das Tor des nahen Stalls vom Wind hin- und hergerissen wurde. Max hielt es für undenkbar, dass es sich von allein geöffnet haben könnte – er selbst hatte es fest verriegelt.
»Hast du jemanden gesehen, Jenny?«
»Nur das offene Tor«, antwortete das Mädchen.
Daniel war längst ans Fenster gekommen, Carol ebenfalls.
Max spürte die Fingernägel seiner Frau in der Schulter.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht«, sagte er, obwohl er genau wusste, was los war. Jemand hatte sich Zutritt zum Stall verschafft.
»Was willst du jetzt tun?«
Max antwortete nicht, sondern hastete zur Diele und öffnete die Tür zum Abstellschrank. Ganz oben, außerhalb der Reichweite von Kinderhänden, bewahrte er die doppelläufige Flinte auf. Daneben lag ein kleiner Karton mit der dazugehörigen Munition. Er selbst hasste die Jagd, die Waffe hatte seinem Vater gehört, aber er konnte mit der Flinte umgehen. Er lud sie und ging zurück ins Wohnzimmer. Carol sah mit weit aufgerissenen Augen erst die Waffe an und blickte dann in das entschlossene Gesicht ihres Mannes. Jenny stand neben ihr – es war der Kleinen anzusehen, dass sie gleich weinen würde.
»Ich werde mir die Sache ansehen. Vielleicht stellt sich alles als harmlos heraus, aber ich möchte nicht, dass ihr ohne Schutz im Haus zurückbleibt.« Max hielt Carol die Waffe hin. »Die Patronen sind im Lauf, du brauchst nur zielen und abzudrücken.«
Sie schüttelte hysterisch den Kopf. »Das kann ich nicht, ich habe das Ding doch noch nie benutzt!«
Das stimmte nicht. Carol hatte die Flinte schon in der Hand gehabt, wenn auch nur ein einziges Mal. Es war Daniels zehnter Geburtstag gewesen, als sie vergeblich versuchte, eine Konservendose zu treffen, die wenige Schritte entfernt auf einem Baumstumpf stand.
»Nimm Sie, bitte!«
»Wenn ein Einbrecher im Stall ist, brauchst du das Gewehr.«
Mit zwei Schritten war er beim Kamin, nahm den gusseisernen Schürhaken aus dem Köcher und drückte ihn seiner Frau in die Hand. »Dann nimm wenigstens das!«
Daniel hatte Jenny an die Hand genommen. »Dad, sollten wir nicht lieber die Polizei rufen?«
»Sie können bei diesem Wetter nicht zu uns kommen, Junge. Jedenfalls nicht rechtzeitig. Vielleicht ist es nur ein Landstreicher, der sich vor dem Schneesturm in Sicherheit bringen will, aber wenn er die Tür aufgebrochen hat, werde ich ihn vom Hof jagen.«
Während er sich umdrehte und mit dem Gewehr in der Hand zur Diele lief, hörte Max, dass Jenny jetzt weinte. Carol rief ihm noch irgendetwas hinterher, aber er hörte nicht zu, sondern streifte sich in aller Eile einen Mantel über und schlüpfte anschließend in seine Stiefel. Als er die Klinke herunterdrückte, wurde ihm die Haustür vom Wind aus der Hand gerissen. Max war von der Intensität des Sturms überrascht – ein unglaubliches Pfeifen und Surren erfüllte die Luft, der Wind zerrte an seinen Haaren und an dem offenen Mantel.
»Carol, schließ ab!«, brüllte er, bevor er die Tür von außen ins Schloss drückte.
Er blickte zum Stall hinüber, der nur noch schemenhaft zu erkennen war. Das Tor schwang hin und her, wie von einer riesigen, unsichtbaren Hand bewegt, und schlug dabei immer wieder lautstark gegen die Wand. Er lief mit vorgestreckter Waffe los, wie ein Soldat, der in einem heftig umkämpften Gebiet um sein Leben rennt.
Eine Bö trieb ihm eine Schneewolke ins Gesicht, und für einige Sekunden konnte er nichts mehr erkennen.
Prustend wischte er sich die Eiskristalle aus den Augen und hastete weiter. Er hatte schon davon gehört, dass Familien in einsamen Gegenden überfallen und massakriert worden waren. Und aus Coldingham wurden neuerdings merkwürdige Dinge berichtet: Sieben Menschen galten als spurlos verschwunden. Die Stadt war keine zwanzig Kilometer entfernt und Max fluchte innerlich darüber, dass er diesen mysteriösen Vorfällen bisher nicht mehr Bedeutung beigemessen hatte.
Er erreichte den Stall, hielt das Tor im Schwung fest und blickte auf den Boden. Dort lag, halb vom Schnee bedeckt, das große Vorhängeschloss – der Metallbügel war verbogen, offensichtlich hatte sich jemand mit einem Brecheisen daran zu schaffen gemacht. Max spürte, wie ihm trotz der Kälte heiß wurde. Er hob das Gewehr und zielte ins Innere des Stalls.
»Komm raus, Bursche! Ich weiß doch, dass du da drinnen steckst!« Er brüllte gegen den Sturm an. Er war überzeugt davon, dass der Einbrecher ihn in diesem Moment hörte.
Doch wie er erwartet hatte, regte sich nichts. Mit einem großen Satz sprang er in den Gang. Links und rechts befanden sich die Boxen, in denen die Tiere untergebracht waren. Max hörte die Schafe unwillig blöken. In der Mitte des Gangs ragte ein gewaltiger Holzbalken bis zum Dach, um die Konstruktion zu verstärken. Daran lehnten ein Rechen und eine Forke. Aber etwas fehlte: die Schippe!
Niemand war zu sehen. Max ging langsam auf die erste Box zu und blickte über das Gatter.
»Was zur Hölle ...?«
Zwei Schafe lagen kreuzförmig übereinander, das obere Tier hatte das Maul zu einem grotesken Lächeln geöffnet. Unablässig quoll Blut zwischen den Zähnen hervor, fiel in dicken Tropfen herab und sickerte ins Stroh. Das zweite Schaf bot einen noch grausigeren Anblick – der Wanst war mit einem langen Schnitt geöffnet worden. Die Eingeweide lagen dampfend auf dem Boden und verbreiteten einen abscheulichen Gestank. Max unterdrückte einen Würgereiz. Hatte er nicht geahnt, dass er es mit etwas Schlimmeren als einem Einbrecher zu tun hatte? Seine Hände zitterten und er war bereit auf alles zu schießen, was ihm irgendwie verdächtig vorkam. Er hatte keinen Zweifel daran, dass derjenige, der das angerichtet hatte, auch Menschen umbringen würde. Solche Typen taten das immer. Vielleicht war die kranke Kreatur noch hier. Versteckmöglichkeiten gab es genug: in den hinteren Boxen, auf dem Heuboden. Er ging vorsichtig weiter in den Gang hinein. Die Tiere, die er sehen konnte, waren am Leben. Sie hatten sich ängstlich an die Holzrahmen gedrückt.
Der Jeep! Ich muss über das Autotelefon die Polizei verständigen! Max stolperte ins Freie zurück, richtete den Kopf nach unten und rannte los. Mitten im Lauf hielt er inne. Durch das Brausen und Pfeifen des Sturms hörte er einen Schrei – einen von Panik erfüllten Schrei. Carol und die Kinder! Er raste auf das Haus zu und erreichte die Eingangstür. Ungestüm durchwühlte er seine Jacken- und Hosentaschen und fand endlich den Schlüssel, doch es gelang ihm nicht, ihn ins Schloss zu stecken. Carol hatte von innen verriegelt, so wie er es ihr gesagt hatte. Er warf sich einige Male gegen die Tür und trat mit den Füßen dagegen, doch das massive Eichenholz gab nicht nach. Nun hörte er wieder einen Schrei. Das Blut strömte ihm in den Kopf.
»Max, hilf uns, wir –« Carols Stimme war schrill und hoch, von Todesangst erfüllt.
Es polterte im Inneren des Hauses. Noch einmal hörte er die entsetzten Schreie seiner Frau.
»Nein! Bitte, tu meinen Kindern nichts!« Carol war kaum zu verstehen, ihre Stimme überschlug sich.
Max rannte zum Wohnzimmerfenster – die Vorhänge waren geschlossen. Er schlug mit dem Lauf des Gewehrs die Scheibe ein, schob die Hand in die Öffnung und entriegelte das Fenster. Dass sich dabei ein großer Glassplitter in sein Fleisch bohrte, nahm er kaum wahr. Als er ins Innere kletterte und den Vorhang beiseiteschob, sah er etwas Metallenes, Rechteckiges auf sich zurasen. Ein harter Gegenstand schlug gegen seine Stirn und augenblicklich breitete sich Schwärze vor seinen Augen aus. Max bemerkte nicht mehr, dass er hart auf dem Wohnzimmerboden aufschlug. Später vermutete er, dass er über eine Stunde lang bewusstlos auf dem Teppich gelegen hatte. Er öffnete die Augen und setzte sich stöhnend auf. Die Hoffnung, dass das Erlebte nur ein böser Traum gewesen war, währte nur wenige Sekunden. Das zerschlagene Fenster, die Schmerzen und die Kälte bewiesen ihm die furchtbare Realität. Er sah sich um. Der große braune Sessel lag umgekippt auf dem Boden, ebenso der Tisch. Von Carol und den Kindern war nichts zu sehen. Während Max seine geschwollene Stirn abtastete, auf der sich eine Menge verkrustetes Blut befand, rief er den Namen seiner Frau. Vergeblich.
Und dann bemerkte er die große Scherbe, die in seinem linken Arm, knapp unter dem Ellenbogen steckte. Erst jetzt, als er die Verletzung sah, spürte er ein Brennen, jedoch keinen Schmerz. Das Glas hatte keine Arterie getroffen und die Blutung war zum Stillstand gekommen, als er bewusstlos gewesen war.
Mit einem Ruck zog er die Scherbe heraus und blickte in eine rosafarbene Mulde aus klaffendem Fleisch, aus der jetzt Blut lief. Es sah schlimm aus, aber nicht schlimm genug – darum würde er sich später kümmern. Er suchte nach dem Gewehr, konnte es aber nirgends entdecken.
Max ignorierte die hämmernden Schmerzen in seinem Kopf und stand auf. Das Bild vor seinen Augen flimmerte und er stützte sich mit den Händen auf der Fensterbank ab, die kleinen Schnittwunden, die er sich an den herumliegenden Scherben zufügte, spürte er kaum. Er beugte seinen Kopf aus dem Fenster, und als der Wind wieder an seinen Haaren zerrte, bemerkte er, wie furchtbar kalt ihm war und wie elend er sich fühlte.
Von der Flinte war nichts zu sehen. Er machte einige Schritte zurück ins Zimmer. Nach einigen Atemzügen spürte er, wie sich sein Zustand besserte. Mit vorsichtigen Bewegungen erreichte er den Korridor. Der Hörer des Wandtelefons hing an der Strippe.
Er hielt sich die Telefonmuschel ans Ohr – die Leitung war noch immer tot.
Als er die Tür zur Küche aufstieß, drohte ihn erneut eine Ohnmacht zu übermannen. Ein