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Die Kinder der Isis
Die Kinder der Isis
Die Kinder der Isis
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Die Kinder der Isis

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About this ebook

Ägypten in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert. Die Konfrontation der Mythen, Riten und Traditionen mit der rasanten und zum Teil rücksichtslos unmenschlich agierenden Moderne, staatlich verordnet und an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen vorbeigehend, stellt die Gesellschaft vor schier unlösbare Probleme und erzeugt soziale Gegensätze von enormer Sprengkraft. Am Schicksal der Familie Kamal werden die sichtbaren und unsichtbaren Verflechtungen aufgezeigt, die Abhängigkeit von materiellen Gütern und die Verhängnisse, Fügungen und Bestimmungen des Karmas, des Schicksals, das wie ein dunkler Schatten über dem Hause Kamal schwebt. Auf der einen Seite erleben wir das aufstrebende, ehrgeizige und moderne Ägypten, wo kein Platz ist für Mythen, Riten und Erzählungen, wo der Allmacht der Götter und Pharaonen keine Heimstatt bereitet wird.
Dagegen steht die andere Seite dieses Ägyptens, geheimnisvoll, mystisch, überliefert. Eine Welt, in der die Götter und Herrscher der Alten Zeit ihre Hände schützend über die Menschen halten, so wie es einst die große Göttermutter ISIS bei ihren Kindern tat. Die Kinder der ISIS– das sind mehr als 4000 Jahre lebendige Geschichte eines einzigartigen Volkes, das durch die Lebensader Nil inmitten lebensfeindlicher Wüsten zur Wiege der Kulturen wurde. Die materielle und geistige Hinterlassenschaft dieses Volkes hat alle nach ihm kommenden Generationen weltweit bis heute durchdringend geprägt.
Erleben Sie den Atem der Geschichte, hautnah, tauchen Sie ein in eine Welt, die vom Glanz und Elend der Herrschenden, vom großen und kleinen Glück der einfachen Menschen und vom Glauben an die Allmacht der Götter geprägt ist – bis an das Ende aller Zeiten.
LanguageDeutsch
Release dateSep 21, 2016
ISBN9783961180707
Die Kinder der Isis

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    Book preview

    Die Kinder der Isis - Harald-Hans-Joachim Rech

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    Harald-Hans-Joachim Rech

    Historienroman mit fantastischen Elementen

    "Wen das Licht des RE-AMUN berührt,

    den führt der Tag in das Paradies"

    für meine ägyptischen Brüder  --  in Dankbarkeit

    Serag El Hanafi

    Ahmed Moussa

    Samir Tartour

    Impressum

    Covergestaltung: Erhard Coch

    Digitalisierung: Erhard Coch

    ISBN: 9783961180707

    © 2016 by andersseitig.de

    andersseitig Verlag

    Helgolandstraße 2

    01097 Dresden

    Hinweis

    Das Buch ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das Übersetzen in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es auch nicht gestattet, diese Bücher oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten oder zu verbreiten.

    PROLOG

    Wer den Namen Ägypten vernimmt denkt dabei unwillkürlich an die weltberühmten Pyramiden, jenen Zeugen der Ewigkeit vor den Toren Kairos. Dabei hat dieses wundervolle Land Ägypten - und diese Bezeichnung ist an dieser Stelle so zu verstehen - ein Land voller Wunder-, ein Vielfaches von dem zu bieten, was den erwartungsvollen Besucher in atemloses, ehrfürchtiges und zuweilen auch in betroffenes Schweigen versetzt. Wer als Gast dieses Land bereist sollte sein Herz und seine Seele öffnen wie ein Felukensegel, denn das Verständnis und Erleben der ägyptischen Kultur offenbart sich nicht wie andernorts mit elementarer Macht, stürzt sich nicht auf den suchenden und sehenden Menschen, um ihm den letzten Rest an Orientierung zu entreißen. Nein meine Freunde, so stehen die Dinge nicht. Ägypten, und das sei hier besonders vor allen anderen Kulturen gesagt, die das Antlitz dieser Erde und die Menschen auf ihr prägten, erwartet mehr von uns, erwartet mehr von mir, der ich in diesem Lande weilte, verlangt und fordert von uns allen letztes Erkennen und Begreifen.

    Dieses Land am größten Strom dieser Welt hat ein legitimes Recht auf Achtung, Ehrerbietung und Bewunderung. Lange bevor im Lebensraum der nördlichen Völker Sprache und Schrift zur Vervollkommnung fanden, als noch nackte behaarte Menschen, nur gelegentlich mit Tierhäuten behangen durch die dunklen Wälder streiften und Auerochse und Elch nachstellten, lange bevor sich die in Höhlen und Grotten zur Nacht Schutz Suchenden um ein wärmendes Herdfeuer scharten, lange bevor dies alles geschah, berührte der Fuß des göttlichen OSIRIS die Gestade des Nil, und sein heilbringender Segen spendete dem erwachenden Geist den Atem der Unsterblichkeit. Geboren aus dem Willen des allmächtigen Gottes, dem Urvater allen Lichtes, der Wärme und Fruchtbarkeit, dem großen und unnahbaren RE-AMUN, begab sich sein Sohn OSIRIS  hernieder auf die Gefilde der Unschuld, drückte das Zeichen seiner Herrlichkeit in den Grund allen Lebens und hauchte den Menschen am großen Strom die Sehnsucht der Erkenntnis ein. Folgen Sie mir, meine Freunde, folgen Sie mir. Wohin - werden Sie fragen? Ich möchte Ihnen die Götter nahe bringen, noch näher als sie Ihnen bereits sind.

    Suche du die Pyramiden, sie warten auf dich. Sie wissen dass du kommen wirst, lange bevor du geboren wurdest.

    Dies, meine Freunde, ist die Inschrift auf einem verwitterten Fries aus der Zeit gottköniglicher Macht und Erhabenheit. Gottgleich und königlich. Die Pyramiden. Die Zeugen der Ewigkeit. Ich habe euch gesehen, ich habe euch gefühlt, ich habe euch begriffen. Ich habe euch angerufen und ihr habt mir geantwortet. Ich komme wieder, denn ihr habt es gewusst. Lange bevor ich war und ihr werdet es wissen, weit nach meiner Zeit. Ihr ewiges Geheimnis wird das ihrige bleiben, und sollten die Menschen jeden Stein und jeden Block wenden. Sie werden nichts finden, das sie der Wahrheit und der Erkenntnis näher bringt. Die Erkenntnis liegt in uns selbst und führt uns über die Wahrheit zu uns selbst zurück. In den Ursprung. In den Beginn. Damals. Bevor die Zeitrechnung existierte. Als in jenen Tagen das Licht des göttlichen OSIRIS das Dunkel menschlicher Verharrung erhellte und der Aufbruch der Menschheit begann. Die Wasser des Nil fließen fruchtbar, und die Sonnenscheibe des RE-AMUN  kreuzt den Atem des Windes, der die Weisheit birgt.

    Kairo, im Dezember 1988

    Abu Simbel, im Dezember 1988

    Dazwischen 4000 Jahre göttliche Allmacht und die Liebe der  I S I S  zu ihren Kinder.

    1. Kapitel

    E C H A N I A

    Amal --- Amal --- .

    Hell klang die Stimme einer jungen Frau vom westlichen Nilufer herauf in die Tempelstadt Edfu. Der Empfänger dieser eindringlich rufenden Stimme wird ihr drängendes Bemühen kaum wahrgenommen haben. Wie sollte er auch. Wer nie in Edfu weilte wird sich schwer vorstellen können, welchen Lärm Menschen, Tiere und Fuhrwerke verursachen können. Dabei war es erst wenig später als 10 Uhr am Morgen, mithin noch keine Touristenzeit. Die Busse mit den neugierigen Fremden kamen erst am späten Vormittag, oftmals jedoch in den Nachmittag hinein. Dann rollten sie auf die Parkplätze, die noch vor einigen Jahren ausschließlich den Kamelkarawanen vorbehalten blieben. Aber was waren schon ein paar Jahre in dieser hektischen Zeit, die nichts mehr gemein hatte mit den Lebenstraditionen der Väter.

    Ja, als es diese reichen Ausländer noch nicht an den Nil zog, da galt noch das Wort des Dorfältesten, da wurde noch nach alter Väter Sitte gearbeitet und gelebt. Inzwischen jedoch ist das alles anders. Die Versprechen von gestern galten heute schon nichts mehr, und die Zusagen von morgen waren am nächsten Tag schon Lug und Trug. Begriffe wie Ehre, Vertrauen, Aufrichtigkeit wurden den modernen Göttern geopfert, und die bedachten ihre Anhänger mit reichlich Bakschisch. Ja meine Freunde, ihr habt euch kaufen lassen, mitsamt eurer Seele. Ihr habt euch unterworfen und abhängig gemacht von blassen weißen Riesen, die in jedem Jahr die verwehten Stätten der Götter heimsuchen. Würdelos seid ihr geworden, zu billigen Heloten der devisenschweren Fremden seid ihr geworden, die euch in eurem eigenen Land sagen, was ihr zu tun habt, damit sich die Frauen und Männer aus dem Norden wohlfühlen.

    Sie wurden im Laufe der Jahre zu einer Plage, ohne Zweifel. Sie fallen über die antike Hinterlassenschaft der Pharaonen her, so wie einst die Heuschrecken im biblischen Land die blühenden Felder heimsuchten. Am liebsten würden sie alles mitnehmen, ausgraben, Stück um Stück. Zurück blieben tiefe Gruben und gewaltige Schuttberge. Nichts ist ihnen heilig. Nur mit Mühe waren sie davon abzuhalten, sich ohne Hemmungen aus den Reliquien der Antike zu bedienen. Dass es so war wie es ist, daran trugen die Einwohner von  Edfu keine Schuld. Alles was sie betraf entschieden die hohen Herren in Kairo. Ob es ihnen nun passte oder nicht, sie mussten sich fügen.

    Also fügten sie sich in das Unabänderliche, in den Strom der Touristen. Dieser alles beherrschende Tourismus unterliegt den höchsten Stellen im Land und wird vom Tourismus-Ministerium nachdrücklich gefördert. Dem musste sich alles unterordnen, und das war nicht immer einfach und leicht. Auf die persönlichen Bedürfnisse und Empfindungen der Menschen in diesem Land nahmen die Planer und Verantwortlichen im fernen Kairo wenig Rücksicht. Der Tourismus brachte Gäste ins Land und die Gäste bringen viel Geld mit. Devisen. Die braucht der Staat, um seine ehrgeizigen Programme zu verwirklichen. Aber welche Programme waren das? Industrialisierung. Modernisierung. Steigerung der Produktivität. Alles neuartige und fremde Begriffe, welche die Politiker von ihren Reisen in die westlichen Länder mitbrachten, um sie dann auf Kosten der heimischen Bevölkerung rigoros durchzusetzen.

    Dies waren die erklärten Ziele der Kairoer Regierung. Dass dabei Vorteilsnahme, Korruption und Bestechung häufig im Vordergrund stand, regte niemanden mehr auf. Jeder wusste es, und damit war diese schmutzige Sache legitim. Aber das dabei Ägypten auf der Strecke zu bleiben drohte, das war einigen nicht gleichgültig. Sie riefen die Propheten an und klagten Allah ihr Leid.

    Sie beweinten lautstark den Verfall der Sitten und Traditionen, den Zusammenbruch der Moral und des Glaubens und schlossen sich in Dörfern, Städten und Gemeinden zu religiösen Erlösergruppen zusammen. An den Universitäten des Landes, besonders in Assiut, nahmen sich die moslemischen Studenten dieser Bedrohung an und diskutierten über die Grenzen der staatlichen Macht. Was aber geschah mit den Bräuchen, Riten und Mythen? Wo blieben all die Geheimnisse und Erzählungen der Alten Zeit? Sie wurden in handliche Reiseführer gedruckt, ansehnlich verpackt und mit hübschen bunten Bildern versehen an die Zahlenden dieser Welt verschachert. Ägypten - das größte Freilichtmuseum der Welt. Geschmacklos war das - zum ausspucken.

    So jedenfalls empfand es Semalia. Semalia, die Mutter von Amal. Sie bewohnte gemeinsam mit ihrer Familie ein traditionell gebautes Haus. Doch statt der üblichen Lehmschlammziegel verwandten sie auf den Bau ihres Heimes richtige Steine aus gebranntem Ton. Die Regierung verbot schon vor längerer Zeit die Herstellung von Bauziegeln aus Nilschlamm. Wegen der Ökologie. Der Schlamm des Nil wurde auf den Feldern gebraucht und nicht beim Hausbau. Wer es trotzdem wagte musste eine Strafe zahlen und verlor unter Umständen sein Land. Das wollten sie nicht riskieren, und so errichteten sie ihr Haus aus Steinen. Soweit sich Semalia zurückerinnerte, gab es in ihrer Familie nur wenige Personen, die sich nicht als Fellachen ihr Brot verdienten. Einer dieser Menschen war ihr Vater, den sie sehr verehrte und der in jener Nacht starb, als ihr Sohn Amal geboren wurde. Sie waren Bauern aus Tradition und wollten es bleiben. Aber es gab auch viele Familien die ihr Land nicht mehr ernähren konnte und die gezwungen waren, sich in fremder Arbeit zu verdingen. Das fiel den meisten nicht leicht, und nur vereinzelt traf sie bei ihren Einkäufen auf dem Markt von Edfu alte Freunde wieder, die sich glücklich schätzten, in der Fremde zu arbeiten. Gewiss, sie zahlten gut, die fremden Herren, aber dafür verlangten sie den ganzen Menschen. Mit Haut und Haaren.

    Nein, Semalia wollte mit ihrer Familie unabhängig bleiben und ihr Land bewirtschaften, das ihnen einen annehmbaren Wohlstand ermöglichte. Dass ihr Mann im fernen Arabien arbeitete und nur zweimal im Jahr nach Hause kam, betrübte sie schon, ließ sich aber wegen des Vertrages, den er mit der Ölgesellschaft geschlossen hatte, vorläufig nicht ändern. Sie konnte nichts anderes tun, als auf den Tag seiner Rückkehr warten.

    Ihr Mann überwies regelmäßig einen Großteil seines Lohnes an die Familie, und das Konto bei der Bank von Edfu wuchs stetig. Das war beruhigend zu wissen. Ihr Schwager, der mit ihrer Schwester im gleichen Haus wohnte, war ein fleißiger Mensch und arbeitete von früh bis spät auf den Feldern. Ihre Erträge ließen sich vorzeigen und standen bei den ortsansässigen Hotels hoch im Kurs. So belieferten sie regelmäßig renommierte Häuser wie das ISIS-Hotel oder das NILE BLUE WATER in Edfu, worauf sie mächtig stolz waren, was der Familie Kamal in der Stadt ein gewisses Ansehen verschaffte.

    Bald kamen wieder die Wintertage, da wurde es ruhiger. Weniger Touristen, weniger Hektik, weniger Lärm und weniger Geschrei. Dann blieb ihnen vielleicht Zeit für sich selbst. Für ihre Erinnerungen, die schon sehr weit zurücklagen. Viel zu weit. Dann kam ihr Mann aus dem Ölfeld zurück in ihr kleines Haus, und für eine Weile würde sie dann die Einsamkeit ihres Herzens vergessen können. Dann teilte sie ihr Bett mit dem geliebten Shamir und konnte stolz und glücklich sein. Die Tage bis zur Ankunft des Gemahls vergingen Semalia viel zu langsam. So herrschte im Hause Kamal in jedem Jahr die gleiche Aufregung, die gleiche Freude und - auch die gleiche Trauer, wenn der Vater ihres Sohnes Amal, in das kleine warme Haus am westlichen Nilufer zurückkehrte und es nach wenigen Tagen wieder verließ.

    Amal --- Amal ---

    Wo steckt der Junge bloß wieder?

    Wahrscheinlich hockt er bei diesem durchtriebenen Hassan und lässt sich die Ohren vollstopfen mit verbotenen Dingen. Semalia verabscheute diesen zwielichtigen Basaristen. Es gab wenig Gutes über ihn zu berichten, und die Menschen in der Stadt bedienten sich seiner nur deshalb, weil er über alles und jegliches Bescheid wusste. Er kannte sämtliche Kniffe und Hinterhältigkeiten und wurde dadurch zu einer gefragten, wenn auch unrühmlichen Persönlichkeit. Um seine, Hassans Person, rankten und woben sich die schlimmsten Gerüchte und wildesten Geschichten. Was daran nun wahr ist und was Märchen, das interessierte Semalia weniger. Ihre Sorge galt dem Umgang, den Amal pflegte, und da gehörte dieser Hassan nicht dazu. Grabräuber soll er gewesen sein, viele Jahre lang. Zu einer Zeit, als es noch üblich war für ein Bakschisch die Kultur Ägyptens zu verraten. Jedenfalls war das lange vor Semalias Zeit. Ihr Vater, er möge in Allah ruhen, erzählte ihr als Kind von den Pyramiden, den Tempeln, den Gräbern, Mythen und Rätseln. Er erzählte ihr von den großen Pharaonen jener Zeit, von CHEOPS, AMENOPHIS, DJOSER, ECH-N-ATON und RAMSES. Er sprach von wunderschönen Königinnen, die an der Seite der Pharaonen herrschten,

    HATSCHEPSUT,

    NOFRETETE

    NEFERTARI,

    CLEOPATRA.

    Sie lauschte den Erzählungen ihres Vaters mit glühenden Wangen, und ihre Mutter hatte jedes mal die größte Mühe sie ins Bett zu bringen. Semalia erfuhr sehr viel von ihrem Vater über den Gottglauben der Vorfahren, über OSIRIS, ISIS, HORUS und ANUBIS. Kamal, Semalias Vater, wusste ungleich mehr über alle die komplizierten und verwobenen Verbindungen, die zwischen den Pharaonen und Göttern bestanden. Semalias Vater arbeitete in der Verwaltung von Luxor, unweit des Tals der Könige bei Theben. Dort bekam er Einblick in all die Dinge, die den meisten Menschen nicht nur in Ägypten alle Zeit verborgen blieben, weil sie nicht suchten, weil sie nicht glaubten. Semalias Vater war zuweilen erfüllt von tiefer Melancholie, von einer Sehnsucht, die nicht von dieser Welt zu stammen schien und sie, Semalia, fürchtete sich dann vor ihrem geliebten Papa und weinte herzzerreißend. Ihren Vater stürzte das in tiefe Schuldgefühle, wollte er doch seiner Semalia, seiner kleinen Prinzessin keine Angst einflößen.

    Mama, Mama -- schau doch nur was mir Hassan geschenkt hat

    Aufgeregt und voller Besitzerstolz hielt Semalias Sohn Amal eine Tonscherbe in seinen kleinen Händen, die er seiner Mutter freudig entgegenstreckte.

    Das ist NEFERTARI, die Frau von RAMSES II. Das sagt Hassan. Er muss es wissen, denn er hat sie ausgegraben. Schau nur wie hübsch sie aussieht.

    Semalia lächelte und strich ihrem Sohn liebevoll über das lockige Haar. Ja, sie sieht hübsch aus. Alle Königinnen sehen hübsch aus auf Bildern und Tonscherben. Du hast recht mein Sohn.

    Geschenkt hat er sie dir, dieser Hassan? Du hast nichts dafür gegeben? Gar nichts. Hat er vielleicht etwas von dir verlangt? Sag mein geliebter Sohn, mein Amal, sag es deiner Mama, warum hat dir Hassan dieses Tonbild geschenkt?

    Einfach so Mama, Ehrenwort. Ich habe nur zehn Minuten auf seinen Wagen acht gegeben. Nur zehn Minuten. Oben am Markt. Das war alles. Dafür gab er mir dieses Bild. Sie ist doch schön, nicht wahr?

    Unsicher klang die kindliche Stimme fragend an Semalias Ohr, und Amals dunkle Augen prüften die Mutter eindringlich.

    Oh du mein süßes Lämmchen, natürlich ist sie schön. Wirklich, sie ist eine schöne Frau. So sollst du sie auch behalten. Trage sie zu deinen Sachen und bewahre sie gut auf. Schließlich ist es ein Geschenk für eine Arbeit, die du ordentlich gemacht hast.

    Schön ist sie, ja, aber du bist natürlich viel hübscher. Da kann NEFERTARI nicht mithalten, so heißt sie doch.

    Ja,ja

    lachte Semalia herzerfrischend,

    ach du mein lieber Junge, deine Mama hat dich sehr, sehr lieb. Das sollst du wissen.

    Dann drückte Semalia ihrem Sohn Amal sanft und liebevoll einen warmen Kuss auf seinen kleinen Mund. Amal schlang seine Ärmchen zärtlich um den Hals seiner Mutter und flüsterte ihr ins Ohr.

    Weißt du Mama, die Königin NEFERTARI schaut genauso aus im Gesicht, wie Großvater manchmal schaute.

    Semalia sackten die Arme nach unten und sie fühlte einen Schauer über ihren Rücken laufen. Langsam, ganz langsam löste sie die Hände ihre Sohnes von ihrem Hals. Behutsam glitten Semalias Fingerspitzen über das Gesicht des Kindes.

    Wie meinst du das, Amal, sie schaut so aus dem Gesicht wie Großvater schaute?

    Ach nur so. Ich habe doch Fotos gesehen von Großvater. In dem Karton unter deinem Bett, darin liegen viele Bilder. Da ist auch eines dabei von Großvater. Darauf schaut er auch so wie die NEFERTARI. Jetzt weißt du es.

    Ja mein Junge, jetzt weiß ich es. Natürlich, die Fotos. Wie konnte ich das vergessen.

    Darf ich noch zum Nil, ich möchte mir ein Papyrusschiffchen bauen und es schwimmen lassen?

    Aber ja, du darfst. Bevor es dunkel wird kommst du zurück. Hast du verstanden?

    Ja Mama

    Lachend lief der Junge den sandigen Weg hinunter an das westliche Nilufer, auf dessen Anhöhe Semalias Haus steht. Umfasst wurde das Anwesen von Hecken, Opuntienstauden, Palmen und Hibiskussträuchern. Zwischen den einzelnen Parzellen hatten sie Streifen abgetrennt, auf denen das Vieh weidete. Schafe, Ziegen und Rinder. Enten und Hühner gehörten obligatorisch zum Tierbestand eines Fellachen. Damit ließ sich bei den Touristen und in den Hotels manches gute Pfund extra verdienen. Natürlich versuchten alle Fellachen Devisen zu erhaschen. Dollars, Deutsche Mark und Franc. Meistens jedoch bezahlten die Besucher in Ägyptischen Pfund. Das war zwar auch Geld, aber die Devisen hatten eine andere Zugkraft. Damit ließ sich schnell und wirksam etwas anfangen. So ein paar tausend amerikanische Dollar oder Deutsche Mark, das war ein Vermögen für einen Bauern. Damit ließ sich einiges auf die Beine stellen.

    Nur sah die Wirklichkeit anders aus, und von dieser Wirklichkeit sahen die Fremden fast nichts. Schließlich sollten sie sich im Land der Pharaonen wie zu Hause fühlen. Zuhause - ob sie wirklich wissen was das ist?

    Ein paar Schritte noch und Amal war verschwunden. Die Ufer des Nil verschluckten Semalias Sohn, und der Wind verwehte im Sand die feinen Spuren seiner Füße.

    <>

    Semalia gingen die Worte ihres Sohnes durch den Kopf, und sie fühlte eine Last auf ihrer Brust, die sie vorher nie empfand. Kamal, Semalias Vater, starb während der Geburt ihres Sohnes Amal an den Folgen eines Unfalls. Er kam auf der Heimfahrt von Luxor nach Edfu von der Straße ab und stürzte mit seinem Wagen in den Kanal. Fremdverschulden war nach den Ermittlungen der Behörden auszuschließen. Zeugen wollen beobachtet haben, dass ihr Vater offensichtlich übermüdet war und den Verkehr nicht ausreichend beachtete. So las sich die offizielle Version des Untersuchungsberichtes der Polizei und des staatlichen Versorgungsamtes. Trotz seines unermüdlichen Einsatzes für Stadt und Land fiel die Witwenpension bescheiden aus. Wenn der Betrag auch für ihre Mutter Echania reichte, so kam jedoch nie ein Wort der Klage über Echanias Lippen, was Semalia, wenn das Gespräch auf Vaters Leistung und Lohn kam, sehr wütend machte.

    <>

    Ihr Vater bearbeitete in der Verwaltung von Luxor zu Beginn seiner Tätigkeit die Ressorts Feldbewässerung, die Neulandgewinnung und das Bestattungswesen. Ein Sammelsurium von Ämtern, über das er stets klagte.

    <>

    Das waren seine Worte. Er gebrauchte sie sehr oft, wenn er in den späten Abendstunden in sein Heim zu Frau und Kindern kam. Im Laufe der Zeit bemühte er sich um eine Loslösung von dieser unerfreulichen Belastung, und eines Tages erhielt er schließlich die Bestallung zum Oberamtbestattungsverwalter. Seine leidigen Beiämter, die Feldbewässerung und Neulandgewinnung gab er mit Freuden ab. Endlich hatte er den Beruf, die Beamtung die ihn schon von Kindesbeinen an interessierte, faszinierte und in ihren Bann zog. Er, Kamal, konnte nun seinen archäologischen Neigungen freien Lauf lassen. Nun bekam er Zutritt zu allen Sammlungen, Museen, Grabfeldern, Tempeln und anderen sakralen Einrichtungen wann immer er wollte und wann immer es ihm beliebte. Das war sein Traum, Kamals Traum. Seine Erinnerung an die Geschehnisse damals waren so frisch, wie der Tau auf den Gräsern des Papyrus am Morgen. Damals, als der englische Ausgräber und Grabräuber Carter das Grab des Pharao fand, das Grab des TUT-ENCH-AMUN. Er, Kamal, wusste was geschah, damals. Er kannte die Wahrheit, die ganze Wahrheit. Kind noch, zu seines Vaters Diensten, Wasserträger für die Ausgräber im Tal der Könige. Gerade zehn Jahre alt. Noch zu jung, um selbst an dieser Freveltat teilzuhaben - jedoch alt genug um zu sehen, zu fühlen und zu hören. Jener frühe Novembertag des Jahres 1922 brannte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis ein.

    Ein denkwürdiger Tag.

    Ein Tag, der die Geschichte der modernen Archäologie und besonders der Ägyptologie nachhaltig beeinflussen sollte.

    Was geschah an diesem frühen Novembertag des Jahres 1922 im Tal der Könige von Theben? Kamal, Semalias Vater, war dabei und erzählt es durch die Gedanken seiner Tochter Semalia.

    <

    Ich kannte alle bisher entdeckten und freigelegten Grabstätten im Tal der Könige. Dieser Eindruck war überwältigend und beeindruckend. Nie zuvor sah ich solche Pracht und Herrlichkeit. Aber das, was dieser Carter jetzt vorhatte, schien mir nicht glaubwürdig genug zu sein. In meinem kindlichen Verstand zementierte sich eine Welt, die sich von der des Howard Carter erheblich unterschied. In dieser Welt gab es keinen Schutt und kein Geröll, da lagen die Könige nicht in tiefen Erdgruben oder Steinlöchern. In meiner Welt der Pharaonen ruhten die Könige immer auf den Spitzen der Berge. Immer. Von dort oben war es ihnen möglich über die ganze Welt zu blicken, alles zu sehen und alles zu verstehen, und vor allem waren sie den Göttern näher als jeder andere auf dieser Welt. Schon aus diesem Grunde verrichtete ich mit einer, ja ich muss gestehen, ziemlichen Gleichgültigkeit meine lebenserhaltende Tätigkeit. Bis zu jenem Novembertag des Jahres 1922.

    An diesem Tag fand mein Vater Shamir Kamal, im Geröll der Wüste und im Gestein des Tals der Könige einen Quader, der sich in keiner Weise mit all dem anderen Abraum und Schutt in Verbindung bringen ließ. Mein Vater grub und scharrte weiter und dann bemerkte dieser einfache Mann, dass sich dieser Quader in die Tiefe fortsetzte. Dieser geometrische Körper wuchs in die Tiefe des Berges hinein wie eine Treppenstufe. Das musste es sein. Der Eingang zum Grab des Königs, zum Pharao. Grell stießen die Schreie der Arbeiter dem Archäologen Carter in sein Bewusstsein, als sie ihn bestürmten und bedrängten weiter zu graben an der Stelle, wo mein Vater Minuten zuvor jenen besagten Quader fand. Stelle dir vor was geschehen wäre, hätte mein Vater wohlweislich geschwiegen und seine Entdeckung für sich behalten. Du musst wissen, dass dieser Novembertag der letzte Grabungstag der Archäologengruppe um Carter war, und der Förderer dieser Aktion, ein gewisser Lord Carnavon aus England, seine finanziellen Mittel endgültig zurückziehen wollte. Dann wären wahrscheinlich Wochen oder Monate später auf dem antiken Kunstmarkt Grabungsstücke aufgetaucht, welche die Fachwelt in Erstaunen und Sprachlosigkeit versetzt hätten. Dann wären Ruhm und Ehre meinem Vater zuteil geworden. So aber vertraute er in die Gnade Allahs und die Aufrichtigkeit des Engländers. Allah schenkte im die Gnade der Erlösung, der Engländer schenkte ihm Spott und Schmach. Mein Vater wurde um den Lohn seiner Entdeckung schmählich betrogen. So war das in jenen Tagen.

    Als Carter von diesem Quader erfuhr ließ er sich nur widerwillig zu jener Stelle drängen, die Shamir Kamal, mein Vater, einen halben Stundenstrich zuvor freilegte. Die im absinkenden Nadir stehende Sonne spendete ihr goldenes Licht, und ihre wärmenden Strahlen ließen die erste Stufe in das Reich des OSIRIS in strahlendem Glanz glühen.

    Da stand er nun, der große Howard Carter. Wie betäubt stand er da, der Chefausgräber und Hausarchäologe seiner Lordschaft aus England. Unfähig und gelähmt stand er da und starrte auf diesen Kreidequader, der ihm aus Schutt und Geröll entgegenschimmerte wie der Unterkiefer eines gewaltigen steinernen Schädels. Uns allen lief eine Gänsehaut über den Rücken, denn wir hatten ja keine Vorstellung von dem, was da auf uns zukommen sollte. Damals als Kind war das eine aufregende Sache. Mein Vater findet den Eingang zum Grab des Pharao, zum Grab des TUT-ENCH-AMUN.

    Den Namen meines Vaters kennt niemand auf dieser Welt, nicht einmal mehr die Menschen in dem Ort wo er lebte, arbeitete und begraben liegt. Unbekannt, vergessen, verweht. Ja, so ist es mit meinem Vater geschehen. Ich war zwar noch ein Kind zu jener Zeit, aber ich habe alles gesehen und gehört.

    Wie hat er sich ausgetobt in den Geröllhaufen, dieser Carter. Wie ein wilder Eber im Feld eines Fellachen. Abgewandt haben sie sich, die ägyptischen Arbeiter, angewidert von diesem unwürdigen Schauspiel. Carter war nicht mehr Herr seiner selbst. Wie er tobte, fluchte und schäumte im Angesicht der riesigen Geröllmassen, die die Grabungsfläche bedeckten und wie verwachsen schienen mit dem Untergrund. Stück um Stück brach aus Jahrtausendealter Schichtung heraus. Stück um Stück schälten sich nunmehr im Lichte erster Laternen die gradlinigen Umrisse eines von Werkzeugen behauenen Steines heraus, der in seiner Form und Gestaltung unmöglich das Produkt natürlicher Verwitterung sein konnte. Carter war kaum noch fähig zu atmen. Stoßweise drangen Worte, Satzfetzen, wirre Impulse eines gemarterten Hirns aus seinem staubverkrusteten Mund. Mich haben diese Vorgänge weniger geängstigt als verwundert. Mir war es unbegreiflich, das sich ein erwachsener Mensch so in seinem Wesen verändern konnte, allein wegen der Existenz eines Steines oder Quaders.

    Doch, doch, es war ein faszinierendes Schauspiel, das uns dieser Mister Carter bot, ein schaurig-schönes Schauspiel, das ich bis an das Ende meiner Tage nicht vergessen werde. Mittlerweile fraßen sich die Hacken und Schaufeln der Arbeiter wie gierige Krallen in den Schutt der Berge. Eine geheimnisvolle, unergründliche Macht hatte Besitz ergriffen von all diesen Menschen hier im Tal der Könige. Sie waren nicht mehr sie selbst. Nun sahen auch die einfachen Arbeiter die ausgehauenen Seitenflächen, die offensichtlich die Begrenzung der Stufen oder Treppe darstellten, wenn es denn eine Treppe war. Die Treppe, Stufen, der Pharao.

    TUT-ENCH-AMUN.

    Ich will dich haben, ich will dich haben

    Grell stießen Carters Schreie in die Nacht hinaus, und nur das beherzte Eingreifen seiner Arbeiter verhinderte Schlimmeres. Sie legten ihm kühle Tücher auf die Stirn und flößten ihm warmen Tee ein. Sie reichten ihm Zwieback und Salz.

    Meine besten Jahre hast du mir gestohlen, gestohlen, zeig dich doch endlich, du bist in meiner Schuld. Gib mir meine Jugend wieder. Gib sie mir zurück. Zurück. Zurück.

    Schluchzend und zitternd verkrallten sich Carters Hände in den Zeltwänden der nächtlichen Lager. Nur mit Mühe war der Tobende zu bezwingen, und erst die Kühle der Nacht bescherte dem sichtlich erschöpften Menschen die Gnade des traumlosen Schlafes. Der nächste Morgen machte nicht nur mich neugierig denn es zeigte sich, dass die Ausgrabungen Carters Erfolg zeigten. So ging ich denn nur widerwillig meiner Arbeit als Wasserträger nach und fand es sehr ungerecht, dass sich alles nur noch um diesen Carter aus England drehte.

    Gegen Mittag des dritten Tages erscholl aus dem Gräberfeld im Tal der Könige Jubelgeschrei, hinderte mich doch meine Entfernung zum Ausgrabungsort daran genau festzustellen, welche Ursache diese Aufregung hatte. Als ich mit meinen Wasserkrügen die Grabungsstätte erreichte, sah ich einen Haufen Männer wie wild durcheinander springen und sich laufend umarmen. Alle schienen sehr erregt und sich maßlos über etwas zu freuen. Später erfuhr ich dann den Grund für diese Freude. Im Zuge der weiteren Ausgrabung stießen Arbeiter auf das königliche Siegel, das Siegel des Pharaos TUT-ENCH-AMUN.

    Damit schenkte das Land Ägypten, mein Land und unser Land der Welt einen Schatz, wie es ihn bis zum heutigen Tage auf dieser Erde nicht ein zweites mal gibt.

    Er, Howard Carter, war am Ziel.

    TUT-ENCH-AMUN, der Pharao, lag zu seinen Füßen.

    Achtzehn Stufen tief, achtzehn goldene Stufen, die Goldene Treppe.

    Der Name meines Vaters fand nicht einmal Erwähnung im inoffiziellen Bericht des ägyptischen Museums in Kairo. Sein einziger Lohn bestand darin Gewissheit zu haben, dass er die erste Stufe fand zum Grab des Königs. Mein Vater starb wenige Monate später an gebrochenem Herzen, verbittert und in seinem Glauben an die Menschen, an Gerechtigkeit und Anerkennung zutiefst enttäuscht.

    Ich, sein Sohn Kamal, war dabei und habe alles erlebt.>>

    So erzählte er diese Geschichte oft seiner Tochter Semalia, wenn diese auf seinen Knien saß und nicht ins Bett gehen wollte.

    Ich bin aber noch nicht müde, Papa, erzähle mir doch noch eine Geschichte, von den Pharaonen, von TUT-ENCH-AMUN, von BASTET, von ANUBIS. Du erzählst so spannend und aufregend. Großmutter weiß nur Märchen und die kenne ich alle schon. Bitte, Papa, bitte, bitte.

    Welcher Vater widersteht dieser Bitte seiner Tochter? Sehr zum Missfallen seiner Frau Echania, die um ihre Autorität fürchtete.

    TUT-ENCH-AMUN.

    Die goldene Treppe.

    Oft bat Semalia ihren Vater diese Geschichte zu erzählen. Die Geschichte von der Entdeckung des Königsgrabes. Und jedes mal erzählte ihr Vater mehr, fügte Satz auf Satz hinzu, Stein auf Stein und Semalia erfuhr Dinge und Begebenheiten, die ihre Neugier zusehends in Furcht und Angst verwandelten bis zu jenem Tag, an dem sie von ihrem Vater verlangte, nie wieder von diesen Dingen zu erzählen. Denn es begab sich folgendes, von Zeugen und Beteiligten verbürgtes Ereignis in jener besagten Nacht, die auf die Entdeckung und Öffnung des Grabes folgte.

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    So bettelte Semalia ihren Vater an bis dieser nachgab und die Geschichte zu Ende führte.

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    drängte Semalia ungestüm und unnachgiebig.

    Kamals Gedanken verwirbelten mit den Schatten der Erinnerung in die er tief eintauchte, verwoben sich, bildeten Konturen, Gestalten, Stimmen.

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    klang zart die Stimme seiner geliebten Semalia ängstlich und stockend an sein Ohr.

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    Kamal erzählte seiner Tochter von den Ausgrabungen im Tal der Könige, von ihrem Großvater und auch davon, dass sein Vater sich heimlich einen Fund in sein Gewand steckte, den er in einer Mauernische entdeckte. Bei diesem Fundstück handelte es sich um die Darstellung eines dreibeinigen Schakals. Eine Skulptur aus schwarzem Granit. Ohne Zweifel, es war ein Schakal. Sicher stellte diese Figur den Wächter und Begleiter der Toten in die Unterwelt dar, nämlich den Gott ANUBIS. Aber dieser Gott ANUBIS hatte nur drei Beine. Wir sahen es genau mein Kind, der Schakal hatte nur drei Beine. Das vierte Bein war nicht etwa abgebrochen, nein, es war säuberlich in einem kleinen Stumpf heraus modelliert. Sonst nichts. Ein dreibeiniger Schakal aus schwarzem Granit. Ein wirklich bemerkenswerter Fund. Später hat mein Vater versucht dieses Stück zu verkaufen, aber wohin er auch kam, alle lachten sie ihn nur aus. Spott und Hohn, ja sogar Verachtung brachten sie ihm entgegen, jenem Mann, der das Grab des TUT-ENCH-AMUN wirklich fand, den Eingang zur Mastaba des Königs. Großvater verbitterte immer mehr und erging sich in Selbstvorwürfen. Ich konnte ihm nicht helfen, war ich doch selbst noch ein Kind. Aber diese dreibeinige Schakalskulptur trug er stets bei sich. Auch an jenem Tag, als er starb. In seinen Händen hielt er dieses granitene Zerrbild eines Tieres.

    Fest umklammerten seine Finger den kalten Leib eines verkrüppelten Gottes und immer wieder flüsterten seine Lippen die Worte:

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    Als er gegen Mitternacht starb ereigneten sich die merkwürdigsten Dinge in Luxor. Die Stromversorgung fiel aus, die Fahrstühle blieben in den Hotels stecken, die Straßenbeleuchtung erlosch und der Telegraph schwieg für eine volle Stunde. Der Rücken des Bergkammes, hinter dem sich das Tal der Könige befand erglühte in einem Licht, wie es selbst die Ältesten der Stadt noch nie erlebten. Blaugrün und leuchtend, fahlgelb und rot; Farbmuster schlangen sich ineinander, verwoben und verschmolzen, bildeten Gestalten und Formen. Mein Kind, meine Semalia, die Menschen damals, sie sahen und spürten nicht den Atem des göttlichen OSIRIS.

    # Ich kam zu euch - aber ihr saht mich nicht #

    # Ich zeigte mich euch - aber ihr erkanntet mich nicht #

    # Ich ging von euch - und ihr habt es nicht bemerkt #

    Im Winter Palace Hotel in Luxor liegen alte Gästebücher. Eine Fundgrube für Forscher und Archäologen. Ein unbekannter Gast schrieb diesen Text an jenem Tag gegen Mitternacht bei Kerzenlicht in dieses Buch. Der Gast verschwand und niemand im Hotel erinnerte sich daran, wer er war, woher er kam und wohin er ging. Dabei wohnte dieser Mann zwei Wochen in diesem Haus. Sie kannten nicht einmal seinen Namen. Nun Semalia, das alles trug sich zu in der Nacht, als dein Großvater von uns ging. Im Augenblick seines Todes erlosch das Licht im gesamten Haus und ein klagendes Heulen drang vom Hof herauf in das Zimmer. Wir sprangen auf vom Totenlager, vernahmen wir doch solche grässlichen Laute niemals zuvor, und als wir aus dem Fenster sahen, wollte uns das Blut in den Adern gefrieren. Dort unten im Hof stand ein dreibeiniger Schakal und starrte aus glühenden Augen unverwandt auf das Fenster. Ein tiefes Seufzen riss uns aus unserer Erstarrung, und wir bemühten uns um unseren kranken sterbenden Vater. Seine Arme lagen ausgestreckt neben seinem Körper, und von der granitschwarzen Schakalskulptur war nichts mehr zu sehen. Sie blieb verschwunden bis zum heutigen Tag. Wir haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt, aber die Figur war nicht mehr aufzufinden. Ja liebes Kind, so ist das damals gewesen. Jetzt kennst du die Geschichte. Wenn du älter geworden bist, wirst du die Zusammenhänge verstehen. Ganz sicher. Schlaf gut meine Prinzessin, schlaf gut.>>

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    Schluchzend und zitternd krallte sich Semalia mit ihren kleinen Fingern in das wollene Hemd des Vaters und Kamal strich ihr immer wieder beruhigend mit der Hand über ihr weiches Haar.

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    Bebend schüttelte sich der zarte Leib des Kindes in den Armen des Vaters als wollte er sich für immer in ihm verkriechen. Knarrend sprang die Türe zu Semalias Zimmer auf und Echania, Semalias Mutter, stürzte bleichen Gesichtes an das Bett ihres Kindes.

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    Semalia weinte nun nicht mehr und trocknete sich mit dem Ärmel ihres Nachthemdes die Tränen ab.

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    Schuldbewusst nickte Kamal, blickte zu seiner Frau und sagte dann leise zu Semalia.

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    Semalias kleine Hand legte sich warm und weich in die große herbe Hand ihres Vaters, und zärtlich strichen die Finger über ihren Handrücken.

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    Die Türe zu Semalias Zimmer schloss sich und die Stille der Nacht bescherte Kamals Tochter einen ruhigen und tiefen Schlaf.

    ###

    Daran erinnerte sich Semalia, als ihr Sohn Amal ihr vom verlorenen Blick ihres Vaters erzählte. Das muss ich mir genauer ansehen, überlegte Semalia und kramte unter dem Bett den Karton mit den Bildern hervor. Es lag lange zurück, seit sie das letzte mal diese Bilder anschaute, dennoch war es für sie immer wieder eine Reise in die Vergangenheit. Staub bedeckte die Schachtel und Semalia musste erst mit dem Behälter vor die Türe gehen. Dort blies sie mehrmals kräftig über den Deckel. Behutsam öffnete sie den vergilbten Karton und entfernte das zuoben liegende Schutzblatt.

    Eigenartig, in diesem kleinen Karton liegt unserer ganze Familie. Vater, Mutter, Onkel und Tante und die Geschwister. Und dann noch Bilder von Vaters Arbeit und seinen Kollegen. Aus Theben und Luxor, aus Edfu und Abu Simbel. Tempel, Gräber, Mumien. Es war immer das gleiche. Nachdenklich betrachtete sie die Bilder ihres Vaters, aber sie konnte nichts entdecken, das die Bemerkung ihres Sohnes rechtfertigte.

    Kamal, Semalias Vater, sah so aus wie alle Männer und Väter ausschauen die Familie, Arbeit und ihre kleinen und großen Sorgen haben. Was der Junge sich da nur einbildet. Oder doch nicht? Sie erinnerte sich an ihr Gefühl das sie empfand, als sie klein war. Da bemerkte sie zuweilen an ihrem Vater diesen abwesenden, melancholischen Blick. Damals fürchtete sie sich vor diesem Verhalten. Aber Amal konnte davon überhaupt nichts wissen, denn er kannte Großvater nur von Bildern und von der Erzählung der Großmutter. Und natürlich von ihr. Amal wurde geboren in dem Jahr, als ihr Vater starb, als er mit dem Wagen verunglückte. Ja, sie hatte es noch genau vor Augen, jenen 21. Februar 1960. Sie lag mit Wehen im Kreiskrankenhaus von Luxor, dem einzigen annehmbaren und gut ausgestatteten Hospital in der weiteren Umgebung.

    Gegen Mitternacht erblickte ihr Sohn Amal das Licht dieser hektischen und lauten Welt und kündigte mit kräftigem Geschrei seine Ankunft an. Alle Schmerzen und Plagen der letzten Tage und Stunden waren mit einem Schlag vergessen. Dieses kleine warme Wesen, das da auf ihrem Bauch zwischen den Brüsten ruhte, war ihr eigenes Kind. Es gehörte ihr, nur ihr allein und sie legte ihre weichen Hände zart und behutsam auf den rosigen Leib des Knaben. Das war die Nacht, in der ihr Vater mit seinem Wagen in den Kanal fuhr und umkam. Sie erfuhr es erst Tage später und erlitt einen Nervenzusammenbruch.

    Sie mussten ihr Kind zu einer Amme geben die es säugte und pflegte. Es stand sehr schlimm um Semalia, und ihre Mutter Echania telegraphierte ihrem Schwiegersohn nach Arabien und bat ihn zu kommen. Semalia ginge es sehr schlecht und der Vater ist tot. Vielleicht stirbt auch Semalia, und dann ist dein Sohn schon Halbwaise, bevor er seine Mutter überhaupt kennt.

    Shamir, Semalias Mann, kam schon zwei Tage später mit dem Flugzeug von Riad und landete in Luxor. Aber auch die Ankunft des geliebten Mannes und seine rührende Sorgfalt vermochten den Zustand Semalias nicht zu ändern. Echania, Semalias Mutter, waren die Tränen versiegt, und mit ihren großen dunklen Augen sah sie unverwandt aus dem Fenster ihres Hauses hinaus, hinüber zu jenem Platz, auf dem sich gewaltig und monumental der große Tempel des  HORUS  erhob. Zu Hunderten kamen sie jeden Tag, die Touristen, und ihre nimmersatten Augen krochen wie gierige Schlangen in jeden Winkel und in jede Ecke, um nur ja nichts zu versäumen oder zu übersehen. Das Getrappel ihrer Füße hallte von früh bis spät durch die Hallen und Säulengänge dieses Bauwerks. Nirgends war man vor ihnen sicher, überall traf man auf sie, selbst in ihre Wohnungen steckten sie die Köpfe. Immer hielten sie sich diese schwarzen Kästen vor ihre Augen und fotografierten in einer Hast und Eile, als würde der Tempel zum Abend hin abgerissen. Es war schlimm gekommen mit Ägypten, sehr schlimm. Die Abfälle ihres Besuches versteckten sie hinter Simsen und Kapitellen, zwischen Steinen und Fugen und hinter den Sockeln der großen HORUS - Statuen, die den Tempel beherrschten.

    HORUS , der Falkengott, Sohn der  ISIS  und des  OSIRIS. Ihm wurde dieser Tempel vor mehr als zweitausend Jahren geweiht. Als Alexander der Große in Ägypten einfiel, arbeiteten die Menschen bereits an diesem gewaltigen Bauwerk. Sein Nachfolger Ptolemäus ließ dieses Heiligtum weiter vergrößern und erst im Jahre 60 vor der christlichen Zeitrechnung vollendeten begnadete Baumeister den größten Tempel Ägyptens.

    Echania wusste viel von diesem Tempel und von jenem Gott, dem er geweiht war.

    H O R U S

    Durch ihren Mann Kamal öffnete sich ihr die Welt der Götter und Mythen, der Riten und Rätsel. Mit nie enden wollender Geduld lehrte er sie die Bedeutung der Hieroglyphen und Schriftzeichen, welche die Tempel, Gräber und Gerätschaften einer Jahrtausendealten Kultur verzierten. Er lehrte sie die Zusammenhänge erkennen, ihren Wert und ihre Ewigkeit. Die Macht und Gewalt der Götter, die sich in den Tempeln und Nekropolen widerspiegelte. Aus alten Schriften offenbarte sich ihrem wissbegierigen Verstand das Geheimnis des  AMUN - Kultes und die Stellung der Priesterschaft im Pharaonenstaat.

    Ganz besonders faszinierten sie die Gebetsformeln des altägyptischen Totenkultes, die zu mitternächtlicher Stunde in heiligen Prozessionen zelebriert, den Gott der Bestattungsriten, den schakalköpfigen Gott ANUBIS, gnädig stimmen sollten in der Hoffnung, dem Verstorbenen die Aussicht auf ein weiteres diesseitiges Leben zu gewähren. Sie, Echania, kannte diese Formeln, Gebete und Zaubersprüche, sie wusste um ihre Anwendung und Bedeutung. Doch schon die Gedanken an diese Absicht ließen sie erschauern und frösteln.

    Bei Tage schon gewaltig und furchteinflößend, schien dieser mächtige Tempel in der Nacht erschreckend und unheimlich. Der mächtige Pylon des östlichen Eingangs reckte seine beiden Türme wie riesige Arme in den nachtschwarzen Himmel, dräuend und finster, bereit sie auf jeden herabzuschmettern, der sich in frevelnder Weise diesem Heiligtum näherte. Still und unbeweglich verharrte dieses Monument aus Steinen und Quadern in unergründlicher Einsamkeit. Zu beiden Seiten des Großen Eingangs flankierten haushohe Granitskulpturen als Zeugen der Ewigkeit den Herrschaftsanspruch des Falkengottes HORUS und manifestierten die legitimen Rechte ihres Herrschers für alle Zeiten. Gesichter der Weisheit, der Kraft und der Stärke, so zeigte sich dem Suchenden der Atem des Falkengottes. Unnahbar, erhaben, groß und übermächtig, so standen sie seit Jahrtausenden an ihrem Platz und bewachten das Heiligtum des Göttersohnes.

    Die Wärme des Tages strahlte aus den Steinen und ließ Miriaden von Insekten im Dunkel der Nacht tanzen. Die Sterne des Wüstenhimmels glühten in allen Farben, und ihr zartes Licht floss über steinerne Kaskaden, Skulpturen, Monumente und Statuen in den Innenhof des Tempels.

    Echania näherte sich dem Sanktuarium, dem Allerheiligsten des Tempels. Dort, an diesem Ort, bewahrten die Priester und Pharaonen die goldene Barke auf, jenes Boot, auf dem der Pharao nach seinem Tod die lange Reise in die Ewigkeit antrat.

    Die Barke gab es schon lange nicht mehr. Grabräuber oder Plünderer raubten sie in biblischen Zeiten. Aber der Ort an dem sie einst stand, ist allgegenwärtig.

    Bizarre Schatten huschten über Echania hinweg und verloren sich in der Finsternis. Nilflughunde, Fledermäuse; sie bewohnten als letzte Statthalter des Pharao diesen Tempel, verließen ihre Tagesquartiere und flogen zur Jagd in die Nacht hinaus.

    Vor ihnen fürchtete sich Echania nicht. Ihr waren diese Tiere vertraut. Am meisten fürchtete sich Echania vor sich selbst und vor ihrem Tun. Ihr Mann Kamal sagte ihr immer, dass man an den heiligen Gesetzen und Geboten der ägyptischen Götter keinen Frevel begehen dürfte. Die Götter seien stets gegenwärtig. Da sich die Menschen jedoch ihrem irdischen Wohlergehen ausgeliefert und von den Göttern abgekehrt hatten, war ihnen jede Möglichkeit genommen mit ihnen Zwiesprache zu halten.

    Die Götter konnten nichts anderes tun, als sich in ihre Fluchtburgen, die Tempel und Nekropolen zurückzuziehen und auf die Besinnung der Menschen hoffen. Doch die Jahrhunderte gingen dahin wie ein Tag und eine Nacht, und die Hoffnung der Götter auf Einsicht und Besinnung der Menschen wurden abermals enttäuscht. In ihrer Maßlosigkeit und Gier überschwemmten sie jene Stätten der Ruhe und des Friedens, erklommen die Spitzen der Pyramiden und entweihten mit banalen Oberflächlichkeiten die Gräber und Nekropolen aus vergangener Zeit. Sie kannten keine Ehrfurcht, und jegliche Achtung vor den Ahnen einstiger Größe war ihnen fremd und zuwider. Sie dachten nur an ihre eigene Zufriedenheit, an die Befriedigung niederer Wünsche und Instinkte. Ungezählte Füße zertraten den geheiligten Boden der Jahrtausende wie Straßendreck, und die Exkremente ihrer Anwesenheit legten beredtes Zeugnis ab davon, wie es um ihre Vorstellung vom Umgang mit diesen antiken Kultstätten in ihren von Zivilisation und Fäulnis zerfressenen Köpfen aussah. So blieb den Vertriebenen, den heimatlos gewordenen, den missbrauchten und zur Touristenattraktion verkommenen Herrschern der Vergangenheit nur noch die Nacht.

    In den Gefilden der Dämmerung ruhten sie aus, erschöpft, geschlagen, verhöhnt, verachtet und gedemütigt. Die Nacht war zu ihrem Reich geworden und  ANUBIS  begrüßte seine Schwestern und Brüder voller Wehmut und Trauer.

    Ja Echania, du hast uns gesucht und gefunden.

    Du kommst zu uns in friedvoller Absicht, als bittender Mensch.

    Sei willkommen, Tochter des Tages, du bringst uns das Brot der Erfüllung.

    Echanias Herz schlug wie wild und ihre Schritte waren schwer wie die Quader des  HORUS Tempels. Weitergehen, ich muss weitergehen. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Lampe, deren Licht die Dunkelheit nur spärlich erhellte.

    Sie durfte keinen Lärm verursachen wollte sie nicht Gefahr laufen, von den Wachen gehört zu werden, die gelegentlich auch zur Nachtstunde den Tempel betraten. Auf keinen Fall sollte ihr Licht gesehen werden, dass ihren schweren Gang begleitete. Erst im Inneren des Tempels, im Sanktuarium, würde sie die Kerzen entzünden, Weihrauch verbrennen und Reis und Wasser opfern. Niemand durfte sie sehen denn geschweige davon erfahren, dass sie zu nächtlicher Stunde in diesem Tempel war und opferte. Im zerspringenden Schein der Lampe funkelte der granitschwarze Körper einer massigen Kolossalstatue. Langsam und träge, in zittrigem Lauf, kroch der zerfallende Finger des Lichtes an diesem ewigen Monument empor und verharrte auf dem steinernen Antlitz des Gottes.

    H O R U S

    Der Hakenschnabel des Falkengottes warf ein bizarres Muster auf die hellen Sandsteinwände und verlieh dem unergründlich weisen Gesicht das Aussehen einer gewaltigen Kralle. Kamals Frau, nunmehr Witwe und in Trauer, erstarrte zu Stein, sie fühlte ihr Blut aus den Adern weichen und eine eisige Kälte Einzug halten in ihr Herz.

    H O R U S

    So nah, so groß, so übermächtig. Aus dunklen Augen sah sie der Falkengott durchdringend an. Echanias Hand begann zu zittern und ehe sie sich versah, fiel die Lampe zu Boden. Es gab ein schepperndes Geräusch, das sich zwischen den Säulen, Vorhöfen und Kapellen zu einem virtuosen Echo entfaltete, um dann so plötzlich abzubrechen, wie es entstand. Echania atmete schwer und tief. Sie war in Schweiß gebadet und fühlte eine tiefe Angst, die sich in ihrem Leib ausbreitete wie die Fluten des Nils auf den Feldern. Der Lichtschein der Lampe zeigte direkt in den Eingang des Sanktuariums, wo er sich in der Unendlichkeit verlor. Dann soll es geschehen. Jetzt und an diesem Ort. Ich muss es tun. Mein Kind, mein Enkel, sie dürfen nicht sterben.

    H O R U S  --   H I L F   M I R

    Der Altar des Sanktuariums war erreicht. Echania rührte sich nicht und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Jetzt erst empfand sie die Stille dieser geweihten Stätte und sie wusste nicht zu sagen was größer war in ihr; die Angst vor dem was sie hier tat oder die Angst vor dieser Ruhe, in der selbst der Schlag ihres Herzens die Gewalt von Pauken besaß. Mit zitternden Fingern löste sie die Umhängetasche von ihrer Schulter und entnahm die benötigten Opfergaben. Die Kerzen stellte sie gemäß dem Lauf der Sonne auf, entgegengesetzt, für den Aufgang des Lichtes im Osten und für den Untergang der Himmelsfackel im Westen. Sie postierte im fahlen Schein der Handlampe die Schälchen für Reis und Wasser, um diese dann während des Gebetes zu füllen, das sie gleich sprechen würde. Sie musste es sprechen, dieses Bittgebet, es blieb ihr kein Entscheid zwischen wollen und dürfen. Zudem versagte ihr die Zeit, sollte dieses nächtliche Weiheopfer seinen Sinn und Zweck erfüllen, eine großzügige Betrachtung aller Umstände, die sie in diesen Tempel führten. Aus der Tasche ihres Kleides kramte sie Zündhölzer hervor und hielt das tanzende Flämmchen an die Dochte der heiligen Kerzen. Für Augenblicke wurde Echania vom grellen Licht geblendet, aber nach und nach schälten sich aus dem Dunkel des Altarraumes die Umrisse des Allerheiligsten heraus. Vor ihren Augen der Altar, auf dem beide Kerzen still und ohne Eile ihr warmes Licht verschenkten. Dazwischen ihre Opferschalen für Reis und Wasser.

    Hinter dem Altar erkannte sie nun den göttlichen HORUS, dem seine Gemahlin  HATHOR  und Götterschwester ein Opfer bringt, in der Begleitung der göttlichen ISIS und Göttermutter. Über die gesamte Decke des Raumes wölbte sich wie ein Himmel die Sonnenscheibe des RE - AMUN, deren Strahlen das Sanktuarium umfassten und in der Wärme seiner Hände bargen. Die Kerzen flackerten leicht, denn Echanias Atem ging stoßweise. Die Wärme in diesem Raum verlor sich auch nicht in den Nachtstunden, und die kühlen Winde die der Nilstrom spendete, wurden von den Häusern und Straßen der Stadt verschluckt, bevor sie den Tempel erreichten.

    Echania entnahm ihrer Tasche die Wasserflasche und Reis und legte beides zusammen vor sich auf den Altarboden. Ein Windhauch strich durch die Nischen und Kammern des  HORUS -Tempels und trieb die Flämmchen der Kerzen mit leichter Hand umher.

    Ihr zuckendes Licht bildete eine gespenstische Beleuchtung und verwandelte die Schatten seiner Umgebung in immer neue Figuren. Echania kniete vor dem Altar nieder und beugte ihr Haupt bis auf den Boden. Dabei breitete sie ihre Arme weit nach vorne aus, bis die Spitzen ihrer Finger die Altarwand berührten.

    Echania gibt ein Opfer für HORUS, dem göttlichen Sohn des OSIRIS und dem Herrn der Ewigkeit.

    Echanias Stimme klang hohl und dumpf und verlor sich im Gewirr der Gänge und Flure des Tempels.

    Dem großen Gott, dem Ersten des Westens

    Ruhig und gelöst sprach sie die Beschwörungsformel.

    Er möge ein Begräbnis geben dem Kamal, meinem Mann

    Echania redete nicht mehr selbst, die Macht des Sanktuariums ergriff zusehends Besitz von ihr und ließ Worte und Sätze in ihr entstehen, die als Gebet und Opferspruch aus ihrem Mund herausflossen.

    Gottvater, AMUN-RE, Worte gegeben, zu sprechen durch AMUN-RE, dem Herrn der Throne beider Länder.

    Echanias Körper schüttelte sich und über den Tempel des HORUS legte sich eine stille Schwermut. Ein Stöhnen ging nun deutlich vernehmbar von den Decken, Wänden und Säulen des Bauwerks aus, während sich Echania in Krämpfen am Boden des Sanktuariums wand.

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    Zitternd krallte sich ihre Hand um den Reis, scharrte, wühlte und klaubte die Körner zusammen, die sie in die Opferschale füllte.

    Ich habe gegeben alles Leben, alle Dauer und alles Glück meinem Mann Kamal.

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    Die Schmerzen in Echanias Leib steigerten sich zur Unerträglichkeit und ließen sie leise wimmern. Unter Aufbietung aller Kräfte schüttete sie aus einer alten Lederflasche gereinigtes Wasser in die Tonschale. Dann stürzte sie vor dem Altar nieder und wandte sich schreiend vor Schmerzen, wobei sie sich krümmte in einer Art, als wäre das Entsetzten in ihre Brust gefahren und hätte von ihr Besitz ergriffen.

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    Ich berge meine Arme um  d e n, der in mir ist.

    Echania fühlte sich emporgehoben, sie schwebte und alles um sie herum begann sich zu drehen, erst langsam, dann schneller werdend, bis sie selbst der Mittelpunkt einer glühenden Scheibe war, die sich in sprühendem Lichterglanz wie rasend drehte. Mit einem Schlage erlosch alles in ihr, um sie herum, und ihr gemarterter Leib fiel kraftlos gegen die Wand des Sanktuariums. Es dauerte eine Weile bis sie begriff was ihr geschehen war. Sie war wie ausgebrannt, leer und verbraucht. Alle Glieder ihres Körpers schmerzten oder fühlten sich taub und zerschlagen. Schwerfällig öffnete sie die Auglider und bemerkte den schwachen Schein ihrer Lampe, dessen verlöschender Finger sich auf die gegenüber- liegende Wand des Heiligtums stützte. Die letzten Nebel der Vergangenheit verwehten, und Echanias geläuterte Seele erfüllte eine tiefe Zufriedenheit, eine Wärme, die sie zuvor niemals empfand.

    Ich muss heim, zu meinen Kindern, zu Semalia, Shamir. Echania sammelte ihre Habseligkeiten ein, die Kerzen, den Reis und die Wasserflasche. Die Opferschalen auf dem Altar verblieben an ihrem Ort solange, bis sich der allmächtige HORUS geneigt zeigte, ihr, Echanias Opfer anzunehmen. Leise verließ Echania den großen Tempel des Falkengottes und schritt rasch ihrem Zuhause entgegen, wo ihre Kinder auf sie warteten. Meine Kinder, Gott schütze euch. Eine Sternschnuppe zog zischend ihre Bahn, und aus der Verlorenheit der Wüste klang einsam des Geheul eines Schakals.

    ###

    Das alles geschah in jenen Tagen, als sich über dem Hause des Kamal und seiner Frau Echania die dunklen Wolken des Verhängnisses ballten, als die verhöhnten und verspotteten Götter den Frevel der Vergangenheit sühnten und die Seele des Kamal in das Reich des OSIRIS geleiteten. Echania erinnerte sich in diesen Stunden an die warnende Botschaft ihres Mannes und sie tat einen Schwur, einen Eid, dass niemals ein Wort nur davon über ihre Lippen käme. Dieses Geheimnis sollte das ihre bleiben bis in ihr Grab.

    Noch in der Nacht stellte sich eine sichtbare Besserung des Gesundheitszustandes bei Semalia ein, und bereits nach wenigen Tagen war sie in der Lage aufzustehen und sich in den Garten zu setzen. Sie waren Muslime und im Glauben an Allah erzogen. Deshalb dankten sie ihrem Gott und entzündeten Räucherkerzen im Haus. Ihr Schwiegersohn Shamir und der Mann ihrer zweiten Tochter Lahib, Sohn zweiter Reihe, dankten Allah in sehr ergebener Weise im traditionellen Freitagsgebet in der Moschee zu Edfu.

    Sania, ihre zweite Tochter, war nur um drei Jahre Jünger als Semalia. Allah verwehrte Echanias Bauch die gewünschten Söhne, derweil segnete der Allmächtige den Leib ihrer Sania mit vier gesunden Kindern, unter denen sich auch ein Knabe seines unbekümmerten Lebens erfreute. So gab es unter ihren Enkelkindern zumindest zwei Söhne, was Echania befriedigte. Sie betrachtete dies als späte Genugtuung und als ein Geschenk des großen Gottes an sie. Jetzt, wo ihr Mann Kamal von ihr gegangen war, fühlte sie die Bedeutung dieser Fügung besonders. Das war eine schlimme Zeit, die Tage und Wochen nach dem Tod ihres Gemahls.

    Sie bekam jedes mal ein Schütteln, und auch nach Jahren liefen ihr im Gedenken an diese Zeit die Schauer den Rücken hinab, erinnerte sie sich finsterer Bestimmung. Ihr Mann starb in der Nacht, als ihr Enkel geboren wurde. Die Todesstunde ihres Mannes Kamal war die Geburtsstunde ihres Enkelsohnes Amal. Niemals hielt sie es für möglich, dass gerade solch schreckliches Ereignis sie und ihre Familie treffen könnte. Echnania war alt geworden. Müde und schwer lag ihr geplagter Leib und die Last der Jahre auf ihrer verwundeten Seele. Schwer drückten die Geheimnisse um das Wissen jener Tage, und manchmal saß sie still und versunken unten am Nil, weinte unhörbar in sich hinein und starrte weltentrückt auf das andere Ufer.

    ###

    Das lag nun schon viele Jahre zurück und für Semalia, die sich im Betrachten der Bilder erging, gab es keinen Anlass an den Aussagen ihrer Mutter zu zweifeln, denn sie wusste es nicht anders. Noch einmal nahm Semalia das Bild ihres Vaters in die Hand, doch so sehr sie sich auch mühte, es war nicht möglich eine Beziehung oder eine Übereinstimmung festzustellen zwischen dem Gesichtsausdruck dieser  NEFERTARI  und ihm. Kinder haben eben ihre eigene Vorstellungswelt, da hat Fantasie noch sehr viel Raum. Nur von diesem Hassan, da musste sich der Junge fernhalten. Sollte dieser doch sehen wer auf seinen Wagen aufpasste. Schließlich hatte es Amal nicht nötig für irgendwelche zwielichtigen Erscheinungen den Laufburschen zu spielen. Wenn Amal gleich heim kommt, werde ich es ihm sagen. Solche Tonscherben werden in den Werkstätten rund um Edfu zu Tausenden hergestellt und an die unkundigen Touristen verkauft. Semalia fand es unverschämt einem Kind solche Lügen zu erzählen. Aber bei Hassan wunderte sie das nicht, er war selbst ein Kind der Lüge. Da war er nun so alt und konnte es immer noch nicht lassen. Kamal, ihr Vater, würde jetzt im gleichen Alter sein wie dieser Hassan. Er hat nie etwas über diesen Menschen erzählt, niemals, obwohl er ihn gekannt haben muss. Das brachte schon seine Tätigkeit in Edfu, später in Luxor mit sich. Ihr Vater Kamal war einer der wenigen Personen aus ihrer Familie, der sich nicht das Kleid des Fellachen umhing, sondern lange Zeit die Schule besuchte und viel arbeitete, damit er sein Studium bezahlen konnte.

    Soweit Semalia darüber wusste, lernte er ihre Mutter Echania bei Ausgrabungen hier in Edfu kennen. Ihr Vater bezog in dieser Zeit Quartier im Haus ihrer Großeltern. Echania war die einzige Tochter und so sehr sich ihre Großeltern auch weitere Kinder wünschten, der Wille Allahs verwehrte ihnen dieses Geschenk. Ihre Großeltern schätzten sich glücklich einen so klugen und gebildeten Mann zu beherbergen und ihre Mutter Echania, eine sehr hübsche Frau selbst noch im Alter, bezauberte ihren Vater durch Anmut, Grazie und einem sprichwörtlichen Interesse an seiner Arbeit, die von tiefer Ungeduld geprägt war. Ihm, Semalias Vater, einem weltoffenen Unterägypter, gefiel die weibliche Unschuld und Unbekümmertheit auf der einen sowie die außerordentliche Wissbegier Echanias auf der anderen Seite.

    Auf diese Weise lernte Echania schon als Mädchen und junge Frau mehr über ihre Ahnen, ihre Vorfahren, die Pharaonen, Götter und Geister als alle anderen Mädchen und Frauen ihres Alters in der Stadt Edfu. Die Ausgrabungen zogen sich hin, es fehlte das Geld, dann das Material, dann wieder die Arbeitskräfte. Ein ewiger Kreislauf, indem sich nicht nur die ägyptischen Archäologen befanden. Wenn die Fellachen ihre Felder bestellten, ruhten die Ausgrabungen, gleiches galt für die Zeit der Ernte. Dann waren keine Arbeitskräfte zu bekommen. In dieser Zeit fuhr Semalias Vater zurück nach Luxor, wo er seine Verwaltungs- arbeiten erfüllte. Erst nach der Bestallung zum Oberamtmann des Bestattungswesens konnte er sich tagein-tagaus den Ausgrabungen nicht nur in Edfu widmen. Waren auch seine bisherigen Tätigkeiten stets an die Weisungen aus Luxor und Kairo gebunden, so ließ ihn doch sein Einfallsreichtum die Wege und Hintertüren finden, die ihm die Arbeit in seinem Lieblingsberuf möglich machten; der Archäologie. Nachdem sich nun sein größter Wunsch erfüllte, verlegte er in wenigen Wochen seine Arbeitsstelle für die Zeit der Ausgrabungen nach Edfu und hatte so die Möglichkeit, direkt in die Maßnahmen und Freilegungen einzugreifen, ihnen seine Handschrift aufzudrücken und damit seinen Beitrag zu leisten in die ewige Fortschreibung der Geschichte.

    Er stellte es sich immer vor wie es

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