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Bericht aus dem Inneren einer Kugel
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Ebook257 pages3 hours

Bericht aus dem Inneren einer Kugel

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About this ebook

Der Roman 'Bericht aus dem Inneren einer Kugel' ist ein Werk des aufrichtigen Irrens. Es handelt von zwei Personen, wie sie sich durch geträumte Wahrheiten in wahrhaften Träumen begegnen. Diese Träume, lebendigen Phantasmen gleich, sind so sehr ineinander verwickelt, dass die beiden Protagonisten, Madame d'Aubigny und Karl Diana, schon bald selbst die rettende Orientierung innerhalb ihrer eigenen Realität verlieren. In ihrem Leben geraten die Strukturen der Wirklichkeit auf seltsame Art und Weise durcheinander.
Alfred Polansky ist ein österreichischer Autor, Komponist, Konzertgitarrist und Lautenist. Lebt in Wien und Debrecen.

Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (14. Februar 2016)
LanguageDeutsch
Release dateApr 20, 2015
ISBN9783990415481
Bericht aus dem Inneren einer Kugel

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    Bericht aus dem Inneren einer Kugel - Alfred Polansky

    Alfred Polansky

    Bericht aus dem Inneren einer Kugel

    (Roman)

    Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien

    2. Auflage, 14. Februar 2016

    Alle Rechte vorbehalten

    eBook: Bericht aus dem Inneren einer Kugel (Roman)

    ISBN: 978-3-99041-548-1

    Inhaltsverzeichnis

    Abschnitt 1

    Abschnitt 2

    Abschnitt 3

    Abschnitt 4

    Abschnitt 1

    Es war ein sehr heißer Tag in Aix-en-Provence. Wer konnte, verordnete sich reichlich Bewegungslosigkeit oder fuhr ans Meer. Die Strände waren um diese Jahreszeit meist von aufgekratzten Kindern und entnervten Eltern aussichtslos überfüllt, trotzdem trafen immer wieder Menschen mit eifrig suchendem Blick, Kofferradios oder schlaffen Luftmatratzen ein, um einen Platz an der Sonne zu erspähen und diesen schließlich um jeden Preis an sich zu reißen. Oftmals geschah dies mit Tücke, immer aber mit heroischer Dreistigkeit. Da an diesem tropischen Tag allerdings keiner der Sonnenanbeter Wert auf detaillierte Scharmützel zu legen schien, blieb es bei aufgeblasenen Wortgefechten. Die lähmende Hitze ließ eben nichts anderes zu.

        Wer diesem bizarren Strandvergnügen nicht nachkam, zeigte entweder Nerven, hatte Stil, oder er ging seinen Geschäften nach.

        Vor zwei Stunden war Vivienne d’Aubigny mit ihrem Privatjet in Marseille gelandet. Sie war eine kultivierte Dame, so um die vierzig Jahre alt und stets nach den neusten Richtlinien der schicken Pariser Haute Couture gekleidet.

        Am Rollfeld des Flughafens wurde sie bereits von einem Chauffeur samt standesgemäßer Limousine erwartet. Nachdem sie auf dem Rücksitz Platz genommen hatte, fuhr der Wagen an. Die Fahrt ging auf schmalen Straßen durch eine karge, müde Landschaft in Richtung Norden. Wenige Menschen waren um diese frühe Nachmittagsstunde unterwegs, jedoch zogen hie und da einsame Häuser und lustlos dahintrabende Hunde am Wagenfenster vorbei. Madame d’Aubigny nahm davon kaum Notiz. Mit einem Druck auf den Kippschalter, der diskret ins Leder der Armlehne eingearbeitet war, schloss sie die Trennscheibe zum Fahrersitz.

        Sie kramte eine Zeit lang gedankenlos in ihrer Louis Vuitton – Tasche herum, um daraus schließlich ein Mobiltelefon hervorzuholen. Nachdem sie eine Nummer gewählt hatte, hielt sie den Hörer ans Ohr und lauschte. Nichts geschah. Der Teilnehmer am anderen Ende hob, wie schon in den Tagen zuvor, nicht ab. Zornig warf Madame d’Aubigny das Telefon zu Boden. Schon wollte sie mit dem Fuß darauf steigen, tat es dann aber nach kurzem Zögern doch nicht.

        Nach einer Weile hielt der Wagen abrupt an. Madame d’Aubigny hatte es sich mittlerweile wieder gemütlich gemacht und blätterte gerade ein Modejournal durch, als sie der überraschende Halt dermaßen durchrüttelte, dass das Hochglanzmagazin ziemlich unprätentiös ihren Händen entglitt. Das war zu viel des Guten.

        „Sind Sie denn wahnsinnig geworden?", schrie sie wütend, doch der Chauffeur konnte wegen der geschlossenen Trennscheibe keinen Ton hören. Empört beugte sie sich nun nach vor, um ihren Unwillen durch herrisches Klopfen mitzuteilen. Da sah sie die Schafherde. Gemächlich, als ob er alle Zeit der Welt hätte, geleitete der Schäfer seine blökenden Schützlinge über die Straße. Nachdem er das Auto gesehen hatte, lächelte er freundlich und winkte.

        Madame d’Aubigny jedoch war nicht nach guter Laune zumute. Sie ließ das Fenster herunter. Sofort strömte warme, nach Rosmarin duftende Luft ins gekühlte Wageninnere.

        „Was soll das?, hustete sie dem Schäfer entgegen. „Mach’, dass du weiterkommst!

        Interessiert blickte sie der Hirte an. Er schlenderte zum Fenster hin und sah Madame d’Aubigny milde in die Augen.

        „Ganz schön heiß, nicht wahr?", meinte er dann ruhig. Seine Stimme hatte einen angenehmen Klang ohne jegliche Aggression.

        „Du bist wohl der Dorftrottel hier! Hast du’s noch nicht kapiert? Ich will vorbeifahren. Also, worauf wartest du noch? Treib’ deine Viecher gefälligst woanders über die Straße!" Erbost betätigte sie den Kippschalter, der das Fenster surrend wieder nach oben in Bewegung setzte.

        „War das nun alles?" Noch bevor die Scheibe vollkommen geschlossen war,  vernahm sie die Worte. Erstaunt sah sie den Hirten an, aber er war es nicht, der soeben gesprochen hatte, sondern ihr Chauffeur.

        „Was soll das?, stotterte Madame d’Aubigny verwirrt. „Warum ist die Trennscheibe nicht zu? Ich werde mich bei Ihrer Agentur beschweren!

        Der Fahrer lächelte.

        „Ja, ja. Immer schön der Reihe nach, meinte er unbeeindruckt. „Wir haben Sie entführt. Seien Sie doch dankbar.

        Nun blinzelte auch der Hirte zum Fenster hinein. „Wissen Sie eigentlich, was das ist? Dankbarkeit, Madame? Dieses Gefühl würde einiges in Ihnen ändern. Zum Guten."

        „Was wollt ihr zwei perversen Schweine? Wollt ihr Geld? Meinen Schmuck? Oder wollt ihr mich vergewaltigen? Oh, mein Gott!"

        Langsam geriet Madame d’Aubigny in Panik.

        „Wir wollen viel mehr, erwiderte der Hirte. Er öffnete die Wagentür und setzte sich zwanglos neben die schockierte Dame. „Wir wollen eine Viertelstunde Ihrer kostbaren Zeit.

        „Was? Keine Vergewaltigung?"

        „Nicht, dass ich wüsste. Sind Sie nun enttäuscht?"

        Ängstlich betrachtete sie den ungebetenen Fahrgast.

        „Was?, flüsterte sie. „Nein. Nein. Natürlich nicht.

        „Sie brauchen keine Furcht zu haben. Der Hirte sah Madame d’Aubigny besorgt an. Er war etwas jünger als sie, so um die Mitte dreißig, und sehr schlank. Ein Dreitagebart umspielte seine durchaus interessanten Züge und verlieh der gesamten Erscheinung etwas unangepasst Hintergründiges. „Sie brauchen nur zuzuhören. Nur ein klein wenig. Danach können Sie mit dem, was ich Ihnen anvertraut habe, nach Gutdünken verfahren.

        „Und weiterfahren?", fragte die Dame leise.

        Der seltsame Hirte nickte bestätigend. „Und dann können Sie weiterfahren. Selbstverständlich." Nach einer kurzen Verinnerlichung begann er schließlich zu sprechen.

        „Im Grunde ist alles ganz einfach, nur muss man die Dinge an sich heranlassen. So, wie sie sind. In all ihrer Pracht und Schönheit, aber auch mitunter in ihrer schrecklichen Wildheit und Fremdheit. Wer dieser unmittelbar offerierten Aufforderung zur Teilnahme ausweicht, wer den Ruf nicht vernimmt, der permanent den Menschen, unter diesen und jenen Masken, vom Schicksal zugeweht wird, ist schon tot. Es ist eine Sache des Zulassens, verstehen Sie? Wer nämlich nichts zulässt, wird nicht zugelassen. Lassen Sie also nicht zu, dass Sie wie auf Schienen mit Scheuklappen durchs Leben rollen. Sonst bleiben Sie in Ihrer vermeintlich sicheren Normalität bis zur Austauschbarkeit gewöhnlich. Das ist gar nicht gut, Madame. Begegnen Sie sich doch selbst im Anderen, das Sie erobern müssen, das Sie erkämpfen, und wo Sie Opfer bringen müssen. Opfer, welche Ihnen Tore zu ungeahnten Möglichkeiten öffnen. Durch solche Entbehrungen verlieren Sie nichts. Zumindest nichts, was nicht sein soll. Im Gegenteil. Sie gewinnen. Sie gewinnen letztlich ein Gesicht, gewinnen Konturen und eine individuelle Stimme, die bis zum Thron meines Vaters …"

        Der Chauffeur räusperte sich. Auf der Stelle hielt der Hirte in seinem verzückten Sermon inne.

        „Seid ihr von einer religiösen Sekte?", fragte Madame d’Aubigny nun scheu.

        „Für Sie sind wir alles, was Sie wollen. Oder auch nicht. Der Chauffeur, der soeben das Wort ergriffen hatte, blickte verträumt in die Ferne. „Tatsache ist, dass von der Wiege bis zur Bahre eine Menge Parasiten das Leben aus den Menschen herauszuzeln.

        „Herauszuzeln?" Die feine Dame wirkte etwas irritiert.

        „Herauszuzeln, bestätigte der Fahrer jedoch seine Wortwahl. „Jawohl. Nun gut. Also weiter. Parasiten, denen durch Achtlosigkeit Tür und Tor geöffnet werden, und die wie böse Geister in die Seelen der Menschen strömen, um sie in Besitz zu nehmen. Aber noch ist nichts verloren, denn das Übel hat Namen. Namen wie Hochmut, Gier, Neid und noch viele, viele andere. Und all diesen Eigenschaften ist eines gemeinsam, nämlich ihr unseliger, ausschließlicher Selbstbezug. Es ist die unvorstellbare Dummheit, die hinter allem steckt, die Dummheit in ihren unzählig verwirrenden Kostümen. Madame d’Aubigny, noch ist Zeit. Kehren Sie um. Sie brauchen keine Haute Couture und die dazugehörigen Gesichtscremen, um schön zu sein. Sie brauchen keine Privatflugzeuge, um sich stilvoll fortzubewegen, keine Reichtümer, um Ihre Kinder rechtschaffen zu erziehen. Das ist alles fauler Ballast. Gehen Sie zu Fuß nach Paris zurück. Das ist mehr als nur ein Weg! Hören Sie auf mich!

        „Ich glaube, das ist genug an Theorie, Michael, unterbrach ihn der Hirte. „Lass’ uns doch abschließend zu etwas Handfesterem übergehen. Madame d’Aubigny, Sie fahren nach Aix-en-Provence, um dort bei einem gewissen Monsieur Antunovic ein Parfüm zu finden, welches Ihre Mutter vor vielen Jahren bei ihm hatte zusammenstellen lassen. Diesen Meister gibt es jedoch nicht mehr, Sie werden sehen. Merken Sie sich lieber einen anderen Namen: Karl Diana. Sie werden ihn in Wien finden. Erinnern Sie sich noch an die Stadt an der schönen, blauen Donau? Sie waren früher öfters dort. Stephansplatz, Kohlmarkt, die Oper und Heurige. Alle Herrlichkeiten zusammengefasst an einem Ort. Phantastisch, nicht wahr? Und natürlich war da auch noch Franz Schlappal, der tätowierte Fiaker, mit dem Sie seinerzeit eine ziemlich ausschweifende Beziehung durchlebt hatten.

        Madame d’Aubigny zuckte zusammen. „Woher wissen Sie…", stammelte sie mit bebenden Lippen und rotem Gesicht.

        „Woher?, antwortete der Hirte verklärt. „Ich bin das Alpha und das…

        Ein weiteres Mal räusperte sich der Chauffeur. „Also, wie gesagt, Karl Diana in Wien. Sie finden ihn in der Kapuzinergruft. Er wird Ihnen weitere Informationen geben. Sie allein können entscheiden, ob Sie entkommen oder nicht. Ach ja, seine Telefonnummer lautet 0043 676 965 87 31. Können Sie sich das merken, bis Sie wieder wach sind? Ich schreibe sie Ihnen lieber auf."

    „Madame d’Aubigny! Wir wären hier!" Die Stimme des Chauffeurs drang diskret aus dem kleinen Lautsprecher oberhalb des Seitenfensters. Er blickte durch die geschlossene Trennscheibe und wies dabei geschäftig mit dem Finger auf eine Bar. Die feine Dame fuhr hoch. Sie war wohl während der Fahrt nach Aix eingeschlafen.

        Vorsichtig sah sie nach unten. Das Modejournal lag noch aufgeschlagen auf ihrem Schoß, hatte also den Fall in ihrem Traum nicht mitgemacht. Erleichtert lachte sie auf. Auch der Chauffeur sah ganz anders aus. Langsam löste sie sich aus der Beklemmung ihrer illusionären Schattenbilder. Was für ein seltsamer Traum. Bei wem sollte sie sich melden? Ihr fiel der Name nicht mehr ein, nur mehr Wien und die Kapuzinergruft. Ach ja. Und auch noch dieser Franz Soundso, mit dem sie einst ein paar wilde Wochenenden verbracht hatte. Mein Gott, das war schon lange her.

        Das Telefon läutete. Ihr Mann war am Apparat. Er habe den Privatjet nach Nizza beordert, ließ er sie wissen. Einige russische Geschäftsleute, mit denen er gerade an der Riviera weilte und von deren Gunst viel abhing, wollten heute einen Abstecher nach Biarritz machen. Casino, Champagner, Wodka und langbeinige Mädchen von irgendwo her. Monsieur d’Aubigny wusste, worauf es ankam. Ja, ja, sagte Madame, mach nur, mach nur. Sie, auf jeden Fall, werde hier übernachten oder einen Linienflug zurück nehmen. Irgendetwas wird sich schon ergeben.

        Nachdem sie aufgelegt hatte, kehrten weitere Bruchstücke des Traums zaghaft in ihr Bewusstsein zurück. Was hatte dieser Chauffeur gesagt? Sie solle zu Fuß nach Paris gehen? Und wie lautete dieses komische Wort? Herauszuzeln? Ja, genau. Irgendwelche Parasiten zuzeln das Leben aus den Menschen heraus. Seltsam, dachte sie und stieg aus.

        Die Adresse war richtig, aber an der Stelle des Geschäftes von Monsieur Antunovic war eine lausige Bar. Madame d’Aubigny war untröstlich. Sie wollte doch ihre Mutter mit einem kleinen, aber feinen Geburtstagsgeschenk überraschen, indem sie die verloren geglaubte Rezeptur ihres Lieblingsparfüms wieder ausfindig gemacht hätte. Allerdings so, wie sich die Sachlage derzeit darstellte, sollte wohl nichts daraus werden. Aber hatte das nicht auch einer ihrer Traumschemen behauptet? Das Geschäft werde nicht mehr da sein? Natürlich. Sie konnte sich nun wieder genau daran erinnern. Es war dieser Hirte mit dem milden Blick.

        „Wie heißen Sie?", fragte Madame d’Aubigny unvermittelt ihren Chauffeur, der neben ihr stand und, so wie sie, zur Bar hinblickte.

        Der Mann zog die Mütze. „Charles, sagte er. „Ich heiße Charles. Er nickte freundlich mit dem Kopf und setzte sich seine Kappe wieder auf.

        „Also, Charles, wenn wir schon einmal hier sind, wollen wir doch in diese trostlose Spelunke da gehen, nicht wahr?"

        „Ganz, wie Madame wünschen. Ich gehe aber vor."

        Madame d’Aubigny musste lächeln. Dieser Charles hatte nicht nur eine tolle Statur, sondern auch gute Manieren. Beides gefiel ihr. Sie folgte dem Fahrer in die Bar und stellte sich an die schmuddelige Theke. Charles tat es ihr gleich. Ein fetter Mann im Unterleibchen und einer Zigarette im Mundwinkel trat schlurfend aus einem Nebenraum heraus.

        „Ja?, fragte er unwillig. „Was soll’s sein?

        Die feine Dame rümpfte die Nase. „Einen Wodka. Kalt, wenn’s geht."

        „Und der da?" Mit einer Kopfbewegung deutete der Wirt auf Charles.

        „Der da, erwiderte der Fahrer süßlich lächelnd, „der da will einen Mocca. Heiß, kurz und stark.

        Madame d’Aubigny bekam augenblicklich eine Gänsehaut. Soeben hatte Charles ihre Vorstellung von einer leidenschaftlichen Liebesnacht klar umrissen. Heiß, kurz und stark. Ein einmaliges Abenteuer eben, ohne Zukunft. Nicht nur ihr Mann mit seinen langbeinigen Huren, auch sie hatte nun eine bezahlte Entourage. Plötzlich fühlte sie sich sehr sinnlich in ihrer Haut. Ein warmer wohliger Schauer erfasste ihren Körper, als sie aufsah und Charles verführerisch in die Augen blickte.

        „Erzählen Sie doch ein bisschen von sich, Charles. Woher Sie kommen, und so weiter. Sie waren doch nicht immer Chauffeur? Die feine Dame lächelte kokett. „Oder trete ich Ihnen damit zu nahe?

        Noch bevor Charles antworten konnte, erschien der Wirt und platzierte die georderten Getränke lustlos vor seine Gäste. Unüberhörbar begann nun im Nebenraum ein Telefon zu läuten. Der muffige Kerl jedoch machte keinerlei Anstalten, das Gespräch entgegenzunehmen.

        „Wollen Sie nicht abheben?", fragte Madame d’Aubigny irritiert.

        „Nein. Der einsilbige Fettwanst schlurfte davon. Nach ein paar Schritten blieb er doch noch stehen. „Das Zeug ist noch eine Installation von meinem Vorgänger, brummte er missmutig. „Die haben wohl völlig drauf vergessen." Sprach’s, drehte sich um und latschte ins angrenzende Nebenzimmer.

        Madame d’Aubigny war nun einiges klar. Die Telefonnummer, die auf den altertümlichen Etiketts der Flakons ihrer Mutter aufgedruckt war, gab’s zwar noch, und so glaubte sie irrtümlich, dass auch noch das Geschäft von Monsieur Antunovic bestünde. Und dass dieser liederliche Zeitgenosse hier in Aix partout nicht abhob, hielt diese Illusion am Brodeln.

        „Nun gut, sagte sie mehr zu sich selbst. „Wollen wir uns nicht setzen, Charles? Ich habe mich entschlossen, die heutige Nacht in dem Städtchen hier zu verbringen und erst morgen im Lauf des Tages wieder nach Paris zurückzukehren. Bezaubernd lächelte sie den Chauffeur an. „Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?"

        Charles war offensichtlich überrascht. „Aber, Madame, ich meine, vielleicht ist das …"

        „Ich werde natürlich all Ihre Spesen übernehmen, unterbrach ihn Madame d’Aubigny. „Ein gepflegtes Abendessen bei Kerzenlicht in einem romantischen Hotel. Es wird sich doch wohl eines auftreiben lassen, hier in Aix-en-Provence. Was meinen Sie dazu?

        „Sie sind verheiratet, Madame. Das meine ich dazu. Nicht, dass ich ein Heiliger wäre, aber …"

        „Nur auf dem Papier, Charles, nur mehr auf dem Papier. Unsere Ehe ist schon seit langem vorbei."

        „Tut mir leid, das zu hören."

        „Muss es nicht. Es ist wohl auch besser so. Mein Mann wurde im Laufe der Jahre immer mehr zu einem skrupellosen Reptil. Keine kriminelle Organisation, kein Verbrecherregime war ihm bislang zu schmutzig, um nicht Geschäfte mit diesen Bestien zu machen. Das weiß die ganze Welt, aber ich profitiere auch davon, indem ich sittsam schweige und ein schönes Leben führe. Was halten Sie davon?"

        „Tun Sie das wirklich? Ein schönes Leben führen?"

        „Ach, Charles, lächelte Madame d’Aubigny melancholisch, „eigentlich wollte ich doch Sie ausfragen.

        „Und jetzt ist es umgekehrt, nicht wahr?"

        „Ja, hauchte sie. „Küssen Sie mich doch endlich.

        Charles nahm die feine Dame zärtlich bei der Hand und zog sie an sich. Widerstandslos ließ sie ihn gewähren, als seine Hände ihre Taille entlangfuhren und schließlich den Rock anhoben. Im Nu hatte er ihr das Höschen abgestreift und sie auf den Kaffeehaustisch gesetzt. Madame d’Aubigny stöhnte kein einziges Mal während er sie nahm, aber wohlige Schauer jagten deutlich spürbar durch ihren zitternden Körper.

        Als die beiden kurz danach etwas derangiert Platz genommen hatten, tauchte auch der Wirt wieder auf. 

        „Das nächste Mal nehmt ihr euch ein Zimmer, brummte er griesgrämig. „Am besten ein paar Straßen weiter im Hôtel de Vienne.

        „Wo? Im Hôtel de Vienne?", echote Madame d’Aubigny, während sie sich noch das Haar richtete. Plötzlich war ihr Traum wieder gegenwärtig. Wien, Wien, überall Wien. Selbst hier in Aix-en-Provence. Was sollte das? Sie verlangte die Rechnung, doch Charles hatte schon bezahlt. Erstaunt sah sie ihn an.

         „Hôtel de Vienne, sagte er und nickte nachdenklich mit dem Kopf. „Aber nur, wenn ich Sie einladen darf, Madame.

        „Ja, schnurrte sie. „Sie dürfen unbedingt. Kommen Sie!

        Händchenhaltend, als wären sie verliebte Teenager, traten die beiden nun aus der Bar ins gleißende Sonnenlicht. Als Charles Madame d’Aubigny die hintere Wagentür öffnete, sah sie ihn vorwurfsvoll an.

        „Ich will aber neben Ihnen sitzen, Charles. Vorne, wenn ich darf."

        „Sie dürfen unbedingt, Madame", erwiderte der Fahrer und lachte auf, da er sich an ihre ähnliche Antwort kurz zuvor erinnert hatte.

        „Was meinen Sie, Charles, fragte ihn Madame nun verspielt, nachdem der Wagen gemächlich durch die Gassen rollte. „Sollten wir nicht sofort das Zimmer beziehen?

        „Ganz, wie Sie wünschen, Madame. Aber auf das romantische Abendessen muss ich bestehen."

        Madame d’Aubigny war fest entschlossen, sich in diesen Stunden vollkommen gehen zu lassen, für die kurze Zeit des Beisammenseins mit diesem unbekannten, aber durchaus sympathischen Mann keine Sorgen mehr haben zu wollen. Es sollte alles wieder so unbeschwert wie früher sein. Sie griff nun Charles in den Schritt, knöpfte seine Hose auf und beugte sich schließlich zu allem entschlossen nach unten. Charles stöhnte auf und gab Vollgas. Mit einem gewaltigen Satz sprang die Luxuslimousine nach vorne und raste völlig außer Kontrolle die nahezu menschenleere Straße entlang. Nach einigen unendlich langen Sekunden und etlichen riskanten Lenkmanövern gelang es dem Chauffeur schließlich, das Fahrzeug doch noch zum Stillstand zu bringen.

        Hinter einem Baum, wo er sich vor dem blechernen Ungetüm offensichtlich in Sicherheit gebracht hatte, trat nun ein Gendarm hervor und zog süffisant lächelnd einen Notizblock samt Kugelschreiber aus seiner Brusttasche. Als er bereits ziemlich nahe an den Boliden herangekommen war, beendete Madame d’Aubigny jäh ihre kauernde Aktivität und hob ahnungslos lächelnd den Kopf. Der Gesetzeshüter jedoch, der die pikante Situation sofort richtig erkannt hatte, verdrehte schwärmerisch die Augen.

        „O là là", rief er, drohte den beiden neckisch mit dem Zeigefinger und steckte Notizblock samt Kugelschreiber zurück in die Brusttasche. Danach ging er so, als wäre nichts geschehen, wieder seiner Wege.

        „Vive la France, stammelte Charles, noch sichtlich gezeichnet vom panischen Genuss. Dankbar blickte er dem Gendarmen hinterher. „Das ging ja gerade noch einmal gut.

        Madame d’Aubigny musste schmunzeln. „Das ging sogar sehr gut, fand ich. Sehen Sie doch, wo wir uns eingeparkt haben!" Sie deutete salopp mit dem Daumen auf eines der hübschen

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