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Das Haus Zamis 2 - Der Rattenfänger
Das Haus Zamis 2 - Der Rattenfänger
Das Haus Zamis 2 - Der Rattenfänger
Ebook470 pages6 hours

Das Haus Zamis 2 - Der Rattenfänger

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About this ebook

Die junge Hexe Coco Zamis wird von ihrem Vater nach Trinidad geschickt, um dort bei dem gefürchteten Dämon Makemake in die Lehre zu gehen. Binnen weniger Stunden gerät Coco in den Dreikampf zwischen Makemake, dem Roten Hahn und einem weiteren Wesen, das man wegen seiner unfassbaren Macht über alle Schwarzblütigen als den Rattenfänger bezeichnet ...

Der 2. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

5: "Der Rattenfänger"
6: "Der Maya-Gott"
7: "Der Seelenhändler"
LanguageDeutsch
Release dateJan 1, 2013
ISBN9783955722029
Das Haus Zamis 2 - Der Rattenfänger

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    Das Haus Zamis 2 - Der Rattenfänger - Ernst Vlcek

    Der Rattenfänger

    Band 2

    Der Rattenfänger

    von Ernst Vlcek und Neal Davenport u.a.

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Erstes Buch: Der Rattenfänger

    Der Rattenfänger

    von Ernst Vlcek

    1. Kapitel

    »Coco, du bist eine Hexe von schwarzem Geblüt, eine wahrhaftige Zamis! Es wird Zeit, dass du dich deiner Abstammung entsinnst. Ich, dein Vater Michael Zamis, bin nicht länger gewillt, untätig deinen Kapriolen mit den Sterblichen zuzusehen, mit denen du den Ruf und die Ehre unserer Familie aufs Spiel setzt. Ich werde deiner Entwicklung zum Bösen nachhelfen, indem ich dich in die Dienste eines erfahrenen und mächtigen Dämons schicke. Bei Makemake auf Trinidad sollst du lernen, was dir zu einer Hexe fehlt, die würdig ist, den Namen Zamis zu tragen. Du wirst sofort abreisen. Dein Bruder Georg hat bereits eine Maschine für dich gechartert.«

    Und hier war ich nun. Trinidad. Der kleine Flugplatz vor den Caroni-Sümpfen lag im roten Schein der Abendsonne. Die Maschine war kaum ausgerollt, da drangen bereits gedämpfte Calypsoklänge an mein Ohr. Durch die Luke sah ich eine Steelband über das Rollfeld kommen. Sie hatten die ausgedienten Ölfässer mit den zu Pauken gehämmerten Böden auf fahrbaren Wagen untergebracht, die mit Girlanden und Lampions geschmückt waren.

    Der große Karneval. Karneval auf Trinidad. Ich wiegte mich unwillkürlich im Rhythmus der Klänge, aber dann erinnerte ich mich der Worte meines Vaters und an den Grund für mein Hiersein, und mein Körper versteifte sich sofort. Die Karnevalszeit auf Trinidad würde für mich eher trostlos verlaufen.

    Eine Stewardess kam und fragte mich nach meinen Wünschen. Bei ihrem Anblick musste ich unwillkürlich grinsen. Dabei war an ihr gar nichts Ungewöhnliches, aber ich erinnerte mich, dass dieses Flugzeug ursprünglich mit Stockholm als Zielflughafen gestartet war.

    Jetzt malte ich mir in Gedanken aus, welche Gesichter die Passagiere und die Crew machen würden, wenn ihnen bewusst wurde, wo sie gelandet waren. Im Augenblick nämlich standen sie noch im Bann meines Bruders Georg, der diese Maschine für mich gechartert hatte, wie es mein Vater ausgedrückt hatte. Es hatte ihn zweifellos nur wenig Mühe gekostet, die Crew dahingehend zu beeinflussen, statt Skandinavien einfach die Karibik anzufliegen. Ich war als einziger Passagier auf dieses Ziel vorbereitet und trug nur ein T-Shirt und Jeans. Die anderen waren vermummt wie bei einer Nordpol-Expedition.

    Die Stewardess erwiderte mein Grinsen irritiert und gab mir den Weg frei. Die anderen Passagiere blieben stocksteif sitzen. Bevor ich den Ausstieg erreichte, drehte ich mich ein letztes Mal um und nahm durch ein Fingerschnippen den Bann von den Flugzeuginsassen. Augenblicklich brach ein Tumult los, und überall wurden erboste Stimmen laut. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, nahm mein Handgepäck auf – eine Reisetasche, die nur das Allernötigste enthielt – und betrat die Gangway. Das Lächeln gefror mir auf den Lippen, als ich daran dachte, wer mich erwartete.

    Makemake! Über diesen uralten Dämon hatte ich schon viele schaurige Geschichten in der Schwarzen Familie gehört. Er herrschte über die beiden Inseln Trinidad und Tobago. Aus dem Untergrund führte er ein strenges Regime. Trinidad war nicht wie Haiti, wo die Dämonensippschaft mit großem Spektakel die Voodoo-Trommeln rühren ließ, eine Insel der Geheimkulte und heidnischen Riten. Hier blühte das Böse im verborgenen.

    Ich erreichte das Ende der Gangway und war sofort von einer Schar dunkelhäutiger Männer umringt. Sie tanzten mit geschmeidigen Bewegungen zu den synkopischen Rhythmen der Steelband, die sich hinter ihnen zu einem Kreis formiert hatte.

    »Willkommen zum Karneval, Miss«, sagte eine heisere Stimme, und eine Hand griff nach meiner Reisetasche. Ich erblickte einen etwa vierzehnjährigen Jungen mit verschwitztem Gesicht, der mit der Tasche in der einen und einer Rassel in der anderen Hand hüftwiegend zwischen den Menschen verschwand.

    Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und ließ ihn gewähren. Makemake konnte warten. Ich war jung und temperamentvoll und ließ mich gern von der ursprünglichen Ausgelassenheit der Calypso-Tänzer mitreißen.

    Ein Schwarzer mit nacktem Oberkörper verrenkte sich provozierend vor mir im Rhythmus der hämmernden Instrumente. Ich passte mich seinen Bewegungen an. Da merkte ich, dass er mir auf den Busen starrte und dabei einen seltsamen Gesichtsausdruck bekam. Ich trug keinen BH, und deshalb war mein erster Gedanke, dass sein Interesse der ungezügelten Bewegung meiner Brüste galt, doch dann merkte ich, dass er nur Augen für das Amulett hatte, das mir an einem Lederriemen um den Hals hing. Es bestand aus einem dreieckigen Tierknochen, in den ein Kolibri geschnitzt war. Das Erkennungszeichen für Makemake. Vater hatte mir aufgetragen, dieses Amulett sichtbar zu tragen, damit die Diener des Dämons mich erkennen konnten.

    »Gefällt dir mein Halsschmuck?«, fragte ich den Tänzer auf Englisch.

    Er gab einen krächzenden Laut von sich. Das Lächeln um seinen Mund war erstarrt. Kleine Schweißtröpfchen bildeten sich über seinen aufgeworfenen Lippen. Seine Augen hatten sich geweitet, waren fiebrigen Blicks.

    Ich kannte diesen Ausdruck, er war das Symptom beginnender Trance. Seine Bewegungen wurden immer ekstatischer, und das metallische Hämmern der Steelband peitschte ihn immer mehr auf. Die Musik wurde noch lauter und schwoll zu einer infernalischen Kakophonie an.

    Ich wollte mich der Musik entziehen, den Kreis der Tänzer verlassen, doch das gelang mir nicht, denn längst hatte ich die Kontrolle über meinen eigenen Körper verloren. Ein unheimlicher Bewegungsdrang hatte mich erfasst und bewies mir, dass ich im Bann der unheimlichen Musik stand. Ich schrie und hielt mir die Ohren zu, aber das Hämmern der Steelband übertönte mich und drang mir förmlich durch Mark und Bein.

    Die Tänzer bildeten eine undurchdringliche Menschenmauer um mich. Sie bewegten sich so rasch, dass ich sie nur als verschwommene Schemen wahrnehmen konnte, und ich musste mich ihrem Bewegungsablauf anpassen, ob ich wollte oder nicht.

    Was war das für ein teuflisches Spiel! Sollte ich mich hier zu Tode tanzen? Wollte mich Makemake auf die Probe stellen? Sollte dies nur ein Test meiner magischen Fähigkeiten sein, oder ein diabolischer Scherz?

    Plötzlich erkannte ich, dass es bitterer Ernst war. Die Tänzer trugen nun alle Handschuhe, die mit Hühnerfedern geschmückt waren, und die Finger endeten in langen, gebogenen Krallen. Damit durchteilten sie beim Tanzen die Luft, dass es nur so pfiff. Wie zufällig schlugen sie mit ihren mörderischen Krallen immer knapper an mir vorbei.

    Einige Male entging ich den Hieben nur deshalb, weil ich mich rechtzeitig duckte. Der schnellere Zeitablauf, in den ich mich versetzen wollte, um dieser Horde tanzender Amokläufer zu entgehen, funktionierte nicht. Ich stand unter einem magischen Bann, einem Circulus vitiosus, der mich zwang, mich nach dem Rhythmus dieser hämmernden Musik zu bewegen und immerfort weiterzutanzen. Bis in den Tod ...

    Etwas traf mich am Rücken, und dann hörte ich das Zerreißen von Stoff. Ich merkte, wie etwas Eiskaltes seine Bahn quer über mein Kreuz zog, und gleich darauf wurde mir heiß. Es brannte wie das Fegefeuer.

    Ich wirbelte herum, sah einen halbnackten Mann, wie er erneut mit seiner Krallenhand ausholte. Gleichzeitig wurde ich an verschiedenen Stellen gepackt und weiter um meine Achse gedreht. Mir wurde schwindelig. Ich konnte nicht einhalten, wurde immerfort weiter herumgewirbelt. Dies war der Moment, da ich mit meinem Leben abschloss.

    Auf einmal jedoch hörte das Hämmern der Steelband auf. Ein Geschrei erhob sich. Aus der rasenden Drehung heraus sah ich schemenhafte Schatten flüchten, und ein Gezirpe wie von einem Vogelschwarm erhob sich. Um mich war ein Flattern und Rennen, ein Gekreische und Gefluche, aber ich konnte keine Einzelheiten erkennen, da ich mich immer noch von einer fremden Macht getrieben um die eigene Achse drehte, bis mich endlich jemand stoppte. Es war, als renne ich gegen eine massive Wand.

    »Kommen Sie, Miss, schnell!«, sagte der Fremde gehetzt und in akzentreichem Englisch. »Wir müssen weg, bevor die magische Steelband sich wieder sammelt.«

    Ich war wie benommen. Noch immer drehte sich alles um mich. Ich merkte nur, dass mir das T-Shirt in Fetzen vom Körper hing, es war blutbesudelt, und ich bedeckte meine Blöße notdürftig. Eine Hand schloss sich mit festem Griff um meinen Oberarm und zog mich vorwärts. Ich taumelte mehr als ich ging. Meine Umgebung sah ich verschwommen, dunkle, unergründliche Schatten schienen mit Lichterketten einen eigentümlichen Reigen zu tanzen.

    »Hier sind wir vorerst in Sicherheit, Miss«, sagte die angenehm tiefe Stimme von vorhin. »Ruhen Sie sich erst einmal aus.«

    »Wo bin ich?«, fragte ich keuchend.

    »Im Sumpf. Hierher werden uns die Tänzer des Roten Hahnes nicht folgen. Der Flugplatz liegt hinter uns. Der Sumpf ist Makemakes Hoheitsgebiet.«

    Ich verstand überhaupt nichts mehr, war aber dankbar, dass ich mich wenigstens ausruhen und von dem Schrecken erholen konnte. Es war bereits finstere Nacht. Wir waren von übermannshohem Schilf und knorrigen Bäumen umgeben. Einige Baumstämme waren geknickt, die Wurzeln ragten wie die Klauen dämonischer Bestien in die Luft.

    Aus dem Sumpf ertönten die Geräusche der Nachtgeschöpfe, die sich in einem hektischen Wettstreit zu übertreffen versuchten. Kleine Irrlichter umtanzten uns und hüllten uns in ihren grünlichen, überirdischen Schein. Schließlich erreichten wir eine kleine Insel, die vom Schilf geschützt war. Durch eine Lücke erblickte ich einen brackigen Tümpel, dessen Oberfläche mit grünlichem Moos bedeckt war. Zwischendurch bildeten sich Gärgasblasen und zerbarsten mit leisem Knall.

    Ich lehnte seitlich gegen einen Baumstumpf, darauf bedacht, nicht mit der schmerzenden Rückenwunde anzustoßen. Als ich in dem Tümpel eine unheimliche Bewegung gewahrte, fuhr ich alarmiert hoch.

    »Kein Grund zur Aufregung, Miss«, sagte mein Retter. Im Sumpf sind wir sicher. Hier gibt es zwar Krokodile und sogar Giftschlangen, aber wer Makemakes Zeichen trägt, den lassen die Sumpfbewohner in Ruhe.«

    Ich beruhigte mich wieder. Als ich zu der Stelle blickte, wo ich die Bewegung wahrgenommen hatte, sah ich die träge blickenden Glubschaugen und die Schnauze einer riesigen Echse. Ich wandte mich ab und betrachtete meinen Retter eingehender. Er war betagt, hatte graumelierte Schläfen, und auch sein Haupthaar, das er in der Mitte gescheitelt und eng an den Kopf gebürstet trug, war von Silberfäden durchzogen. Er mochte bereits über sechzig Jahre zählen, wirkte aber unglaublich rüstig. Und er war Inder, das erkannte ich sofort. Insgeheim fragte ich mich, welcher Religion er angehören mochte. Wahrscheinlich aber war er weder Muslim noch Hindu, denn als Makemakes Diener hatte er sich mit Sicherheit dem Bösen verschworen. Auf der Stirn trug er ein kleines rotes Mal, ähnlich dem verheirateter Inderinnen. Bei genauerem Hinsehen erkannte man jedoch, dass es sich um eine Tätowierung handelte, die einen Kolibri darstellte: das Zeichen Makemakes.

    »Ich heiße Sady«, stellte er sich vor, als er meinen prüfenden Blick bemerkte. »Ich bin Makemakes Vertrauter. Wenn Sie etwas von ihm wollen, dann wenden Sie sich nur an mich.«

    »Wenn es nach mir ginge, könnte mir Makemake gestohlen bleiben«, sagte ich wütend.

    Sady zuckte bei meinen Worten leicht zusammen. Er wirkte gekränkt und zog die weiße, kragenlose Jacke enger um seinen Körper. Dann winkelte er im Sitzen die Beine an und wandte sich demonstrativ ab. »Makemake hat Sie nicht zu sich gebeten«, erklärte er eingeschnappt. »Es war die Idee Ihrer Familie, dass mein Herr und Meister Sie in die Lehre nehmen soll. Mir wäre es nur recht, wenn Sie die nächste Maschine nähmen und Trinidad wieder verließen. Das würde uns eine Menge Scherereien ersparen.«

    »Ich bin auch nicht gerade aus Spaß an der Freude hier«, sagte ich. »Vorhin, als ich die Maschine verließ, wäre ich am liebsten sofort wieder umgekehrt. Jetzt aber möchte ich diesen Burschen heimzahlen, was sie mir angetan haben. Ich werde sie finden und jeden einzelnen von ihnen einen Veitstanz aufführen lassen, bis er umfällt!«

    Bei der Erinnerung an die Demütigung überkam mich unsägliche Wut. Und als ich durch eine heftige Bewegung mit dem Rücken gegen den Baumstamm stieß, durchzuckte mich ein furchtbarer Schmerz. Die Wunde war anscheinend schlimmer, als ich ursprünglich angenommen hatte.

    »Lassen Sie mal sehen«, erbot sich Sady und drehte mich herum. »Das sieht tatsächlich böse aus. Am besten, Sie legen sich auf den Bauch, Miss, ich werde Sie sofort behandeln.«

    Ich gehorchte ihm und spürte gleich darauf eine leichte Berührung auf dem Rücken. Er begann die Wunde mit kreisenden Bewegungen zu massieren, so dass mich ein wohliger Schauer überrieselte. Der Schmerz verflüchtigte sich.

    »Was ist das für ein Mittel?«, wollte ich wissen; ich interessierte mich sehr für alle magischen Heilpraktiken und die Salben und Tinkturen, die dabei eingesetzt wurden.

    »Ein Gemisch aus Vogelkot und Sumpfkräutern«, antwortete Sady und drückte mich zurück auf den Boden, als ich angewidert emporfahren wollte. »In wenigen Minuten wird Ihre Wunde verheilt sein, ohne dass eine Narbe zurückbleibt, Miss.«

    Ich entspannte mich wieder. »Mach weiter so, Sady«, sagte ich. »Es tut wohl. Und nenn mich nicht dauernd ›Miss‹. Ich heiße Coco.«

    Er antwortete nicht, sondern massierte mich wortlos weiter.

    Ich war so müde, dass ich auf der Stelle hätte einschlafen können. Langsam keimte in mir Vertrauen für den Burschen empor; in seiner Nähe fühlte ich mich sicher und geborgen.

    Um mich wach zu halten, begann ich ein Gespräch. »Was waren das für Kerle, die mich am Flugplatz überfielen?«, fragte ich. »Kennst du sie, Sady?«

    »Legen Sie sich besser nicht mit ihnen an, Miss ... äh, Coco«, antwortete er. »Es sind die Diener des Roten Hahnes.«

    »Das sagt mir überhaupt nichts«, meinte ich leichthin. »Wer ist dieser Rote Hahn, dass du so beeindruckt von ihm bist? Ein Dämon der Schwarzen Familie? Oder gar ein Dämonenjäger?«

    »Wir wissen nicht, wer sich hinter dem Namen verbirgt«, antwortete Sady. »Aber es muss ein Mitglied der Schwarzen Familie sein. Ein Sterblicher würde die schwarzmagischen Praktiken nicht so gut beherrschen wie er. Der Rote Hahn hat meinem Herrn und Meister den Kampf angesagt und als Höhepunkt des Karnevals eine Eskalation des Bösen prophezeit. Wenn ihm nicht das Handwerk gelegt wird, dann wird er seine Drohung auch wahr machen. Die Omen sind deutlich genug.«

    »Was redest du da?«, entfuhr es mir. »Ich dachte, Makemake sei unumschränkter Herrscher von Trinidad und Tobago.«

    »Ist er auch«, sagte Sady würdevoll. »Und er wird den Roten Hahn in die Schranken weisen!«

    »Ich verstehe«, sagte ich. »Dieser unbekannte Dämon hat Makemake den Fehdehandschuh hingeworfen und stellt Machtansprüche. Wie lange geht das schon so?«

    »Einige Monate«, erzählte Sady. »Zuerst hat es nur einige kleinere Zwischenfälle gegeben. Aber der Rote Hahn ist immer dreister geworden. Zuletzt hat er sogar eine offene Herausforderung an meinen Herrn und Meister gerichtet. Aber da er ein feiger und hinterhältiger Dämon ist, scheut er die direkte Konfrontation. Er kämpft nur aus dem Hinterhalt und hat seine Machtansprüche nicht einmal dem Schiedsgericht der Schwarzen Familie gemeldet. Offenbar glaubt er, Makemake auf diese Weise zermürben zu können. Außerdem wird er schon wissen, warum er sich versteckt hält. Die Anonymität ist der beste Schutz vor Makemakes Zorn. Aber mein Herr und Meister wird diesen memmenhaften Emporkömmling auch so vernichten.«

    Ich seufzte. Wo war ich denn da nur wieder hineingeraten?

    Obwohl ich mich bei dem karibischen Dämon auf eine harte Schule gefasst gemacht hatte, hatte ich mir trotzdem einiges von meinem Aufenthalt auf Trinidad versprochen. Von Lydia hatte ich mir sagen lassen, dass der Karneval von Trinidad alles in den Schatten stellte, was die europäischen Dämonen an Schwarzen Messen und orgiastischen Satansfesten zu bieten hatten, und wenn meine Interessen auch anders gelagert waren als die meiner nymphomanischen Schwester, so hatte ich mich auf den Karneval doch gefreut. Und nun das! Ein Kampf zwischen rivalisierenden Dämonen um die Macht auf dieser paradiesischen Insel, und ich war sofort darin verwickelt worden, kaum dass ich den Fuß in dieses Land gesetzt hatte. Das konnte ja heiter werden.

    »So«, sagte Sady und ließ von mir ab. »Die Wunde ist so gut wie verheilt, Coco. Ziehen Sie das hier an.«

    Er überreichte mir seine Jacke, und ich schlüpfte hinein. Es schien ihn nicht zu stören, dass er mit freiem Oberkörper herumlaufen musste. Kein Wunder, er war auch nicht schlecht gebaut. Hatte Makemake ihm vielleicht ewige Jugend und ein langes Leben gewährt, als er sich ihm mit ganzer Seele verschrieb?

    »Wir sollten uns auf den Weg machen«, schlug der Inder vor. »Es wäre zu gefährlich, die Caroni-Sümpfe zu verlassen. Und da wir zu Fuß unterwegs sind, werden wir die ganze Nacht brauchen, um zu unserem Ziel zu gelangen.«

    »Warum müssen wir uns vor den Leuten des Roten Hahns verstecken?«, wunderte ich mich. »Warum erteilt ihnen Makemake nicht einfach einen Denkzettel? Ich bin eine Zamis, und es verletzt meinen Stolz, dass ich mich vor irgendeinem dahergelaufenen Dämon verkriechen soll.«

    »Eben weil Sie eine Zamis sind, Coco, müssen Sie besonders vorsichtig sein«, erklärte Sady. »Der Rote Hahn muss von Ihrem Kommen unterrichtet gewesen sein, sonst hätte er Ihnen nicht diesen mörderischen Empfang bieten können. Offenbar wollte er Sie töten, um Ihre Familie gegen Makemake aufzubringen. Sie sind nun besonders gefährdet, denn bestimmt spinnt der Unbekannte weitere Intrigen. Der Rote Hahn ist ein ernstzunehmender Gegner.«

    »Der wird sich noch wundern!«, sagte ich gepresst, aber meine Gefühle waren durchaus zwiespältig. Nach allem, was ich über Makemake erfahren hatte, traute ich ihm jede Teufelei zu. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er diesen geheimnisvollen Dämon, der angeblich gegen ihn kämpfte, einfach erfunden hatte, um mich auf die Probe zu stellen. Vielleicht hatte sogar mein Vater diesen Plan mit ihm ausgeheckt. Ich sah meinen alten Herrn förmlich vor mir, wie er sagte: »Coco ist ein missratenes Stück, das weiße Schaf in unserer Schwarzen Familie. Mir ist jedes Mittel recht, um sie auf den Weg des Bösen zurückzuführen. Aus diesem Grund ...«

    Na wartet, dachte ich bei mir, während ich Sady durch den Sumpf folgte. Ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben, wenn ihr glaubt, mir das Gruseln beibringen zu können.

    2. Kapitel

    Makemake ist ein uralter Dämon, der früher über Ozeanien herrschte. Er lebte in einem Vulkan auf Hawaii; Luft und Feuer waren seine Elemente. Auf der sogenannten Osterinsel wurde er als Vogelmann verehrt. Doch er verließ sein Reich und übergab es Te-Ivi-O-Atea, seinem Bruder. Zum Feuer hat er immer noch eine besondere Verbindung, und seine Stürme beherrschen die ganze Karibik. Die Vögel von Trinidad sind seine Boten. Nicht umsonst ist sein Zeichen der Kolibri, denn dieser so lieblich und harmlos scheinende Vogel wird durch seine Magie zur tödlichen Waffe.

    Makemake war schon da, als Kolumbus am 31. Juli 1498 die Insel entdeckte. In der Folgezeit spielte er die Briten, Spanier, Franzosen und Holländer geschickt gegeneinander aus, ohne dass sie von seinem Einfluss etwas bemerkten. Makemake ist ein Meister der Intrige, doch wenn es nicht anders ging, dann griff er auch hart durch. Die unzähligen Todesarten, mit denen er seine Feinde bestrafte, zeugen von seinem großen Einfallsreichtum.

    An diese Worte meines Vaters musste ich denken, als wir das Ende des Sumpflandes erreichten. Am Horizont war die Meeresbucht mit der Hauptstadt von Trinidad, Port of Spain, zu erkennen. Sie war etwa fünf Kilometer entfernt. Als Sady mich von den Todestänzern des Roten Hahnes erlöst hatte, hatte ich den Eindruck gehabt, als würde ich das Gekreische von Vögeln hören. Ich fragte den Inder nicht, auf welche Art er mich befreit hatte, sondern nahm an, dass Makemake ihm seine Kolibris zur Verstärkung geschickt hatte. Allerdings gelang es mir nicht, in diesen kleinen, flinken Vögeln die Bestien zu sehen, die Makemake offensichtlich aus ihnen machte.

    Sady blieb plötzlich stehen und starrte wie gebannt nach vorn. Rechts von uns zogen sich die Caroni-Sümpfe scheinbar endlos dahin. Auf der anderen Seite lag das Meer, und vor uns begann die Savanne. Geknickte Bäume und morsches, verfaulendes Treibgut, das angeschwemmt worden war, versperrte uns teilweise die Sicht. Alles war mit einem schwarzen Teerfilm überzogen, der fluoreszierend leuchtete, wenn er von den ersten Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne getroffen wurde. Das ganze Land vor uns war in dieser öligen Masse versunken.

    »Was ist, Sady?«, fragte ich den Inder.

    »Das ist das Werk des Roten Hahnes«, sagte er und deutete mit einer müden Bewegung vor sich.

    »Handelt es sich um eine magische Falle?«, erkundigte ich mich. »In diesem Fall sollten wir besser einen Umweg machen. Ich habe keine Lust, geteert und gefedert zu werden.«

    »Es besteht keine Gefahr mehr«, sagte Sady kopfschüttelnd. »Die Schlacht ist vorbei. Der Rote Hahn hat den Vogelschwarm vernichtet, den Makemake zu unserem Schutz geschickt hat.«

    Ich ging näher und starrte in den schwarzen, fluoreszierenden Schlamm. Erst jetzt entdeckte ich die Kadaver der Vögel, die von dem tödlichen Film überzogen waren. Es handelte sich um Kolibris, Papageien und Aasgeier. Keiner der Vögel bewegte sich mehr. Sie boten ein Bild des Grauens. Erstarrt in ihrem verzweifelten Todeskampf, lagen sie mit gebrochenen Schwingen, aufgeplatzten Körpern und gereckten Schnäbeln umher.

    Ich wandte mich angewidert ab und folgte Sady zum Strand, um einen Bogen um diesen Landstreifen der Trostlosigkeit und des Todes zu machen.

    »Wie konnte das geschehen?«, fragte ich den Inder, während wir durch das knöcheltiefe Wasser wateten.

    Er gab keine Antwort. Stattdessen hielt er den Kopf gesenkt und schien in tiefer Trauer zu meditieren.

    Ich wollte nicht weiter in ihn dringen, aber ich war geneigt, meine Meinung zu revidieren. Nun konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass Makemake dieses Schauspiel nur inszeniert hatte, um mich zu erschrecken. Es musste mehr dahinter stecken. Im Moment war ich jedoch viel zu müde, um mir darüber Gedanken zu machen. Fürs erste wollte ich mich nur ausruhen. Später dann konnte ich immer noch mit Makemake sprechen, um mir ein Bild von ihm zu machen.

    Das Meer umspülte meine wunden Füße. Das laue Wasser tat ihnen gut, aber es reichte nicht, meine Sinne zu beleben. Auch hatte ich keine Lust, mich künstlich wachzuhalten, indem ich mich magisch auflud. Diese Art des Aufputschens war mir ohnehin zuwider, und ich wollte nur in Notfällen darauf zurückgreifen.

    Nachdem wir den Landstrich mit der Ölpest umrundet hatten, wandten wir uns wieder landeinwärts. Ich bekam den Eindruck einer paradiesisch schönen Landschaft, deren Anblick ich allerdings kaum genießen konnte.

    »Gleich ist es geschafft«, sagte Sady und deutete unbestimmt nach vorn. Anstatt jedoch die Richtung beizubehalten, schlug er plötzlich einen Haken und wandte sich wieder dem Meer zu. Ich fragte nicht nach dem Grund, sondern nahm eben an, dass er diesen Umweg machte, um den Feind zu verwirren – oder mich. Vielleicht hatte er Befehl, den Weg zu Makemakes Unterschlupf vor mir zu verbergen.

    Endlich erreichten wir das Ende der Savanne und betraten einen exotischen Park. Es war eigentlich mehr ein Urwald, der ungepflegt wucherte und den Eindruck von unberührter Wildnis vermittelte. Aber vielleicht war das durchaus beabsichtigt.

    Zwischen den dichten Pflanzen waren seltsame Götzenstatuen zu sehen. Es waren fremdartige, drohend wirkende Figuren, moosbewachsen und von Schlingpflanzen überwuchert, so dass keine Einzelheiten zu erkennen waren. Man erahnte sie mehr, als dass man sie sah, und ich machte mir nicht die Mühe, sie einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Das alles hatte Zeit.

    »Ist das hier Makemakes Domizil?«, erkundigte ich mich bei Sady.

    »Nein, es ist das Anwesen von Sir Winslow Bendix«, antwortete der Inder. »Sie werden sein Gast sein, bis Makemake sich bei Ihnen meldet.«

    Das Unterholz lichtete sich. Vor uns tauchte ein altes, verfallendes Herrschaftshaus auf. Keine Menschenseele war zu sehen, es herrschte eine eigenartige Stille. Sady führte mich durch einen Hintereingang ins Haus. Drinnen war es kühl, fast kalt, und ich bekam eine Gänsehaut. Die Läden vor den Fenstern waren geschlossen, und es herrschte ein Zwielicht, in dem nicht viel zu erkennen war. Die Ruhe und die düstere Atmosphäre machten mich nur noch müder. Ich folgte dem indischen Diener über eine geschwungene Treppe ins Obergeschoss und durch einen Korridor zu einer Tür. Er öffnete sie und ließ mich eintreten. Das Zimmer war stilvoll eingerichtet. Vorhänge mit indischen Motiven waren vor die beiden hohen Fenster gezogen, und die Möbel bestanden aus Bambusrohr. Vor einem Marmorkamin saß ein steinerner Gepard.

    Sady erklärte mir, dass die eine Tür ins Bad und die andere in die Garderobe führte. Dabei wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal mehr Gepäck besaß. Der Junge auf dem Flugplatz hatte mir die Reisetasche abgenommen und war damit auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Es war mir auch egal, denn in der Tasche hatte sich nichts befunden, was unentbehrlich für mich war. Im Gegenteil, bei manchen der Gegenstände war ich sogar froh, sie losgeworden zu sein. An sie waren Erinnerungen geknüpft, die ich am liebsten ebenso verloren hätte. Ich überreichte Sady seine Jacke und ließ mich auf das breite Bambusbett fallen. Wie aus weiter Ferne hörte ich noch, dass die Tür zufiel, dann war ich auch schon fest eingeschlafen.

    Irgendetwas weckte mich. Ich fuhr im Bett hoch und zog mir die dünne Decke bis zum Hals herauf, als könnte sie mich gegen die unbekannte Bedrohung schützen. Obwohl es im Zimmer stockdunkel war und ich nichts sehen konnte, spürte ich die Anwesenheit von etwas Fremdem, doch als ich lauschte, war nichts zu hören.

    Ich spannte mich an, bereit, sofort in den schnelleren Zeitablauf zu verfallen, um zu fliehen. Draußen musste es inzwischen Nacht geworden sein, denn durch die Schlitze der Jalousien fiel kein Lichtschimmer mehr.

    Mit einer Hand tastete ich vorsichtig nach dem Schalter der Nachttischlampe. Ich fürchtete mich nicht im Dunkeln, aber elektrisches Licht konnte manche Spukerscheinungen abwehren. Die Schatten der Toten zum Beispiel reagierten darauf sehr empfindlich, und wer wusste schon, was für Gespenster in diesem alten Gemäuer hausten.

    Dann aber zögerte ich plötzlich. Keine drei Schritte von mir entfernt bildete sich eine magische Aura, die phosphoreszierend leuchtete. Sie dehnte sich rasch aus und nahm die Umrisse einer menschlichen Gestalt an.

    »Kein Licht!«, donnerte eine herrische Stimme aus Richtung der Astralerscheinung. »Finger weg vom Schalter, kleine Coco.«

    Ich zuckte überrascht zusammen, fasste mich aber schnell wieder.

    »Ich bin Makemake«, sagte die phosphoreszierende Gestalt und ließ sich auf den Rand meines Bettes sinken. Unwillkürlich zog ich die Knie an. »Habe ich deine süßen Träume gestört, Coco? Es tut mir leid, falls ich dich erschreckt habe.«

    »Mich bringt nichts so leicht aus dem Gleichgewicht«, erwiderte ich. »Schon gar nicht, wenn mir einer seinen Astralkörper schickt. Warum kommst du nicht selbst, Makemake? Bist du so hässlich, dass du dich vor mir verstecken musst?«

    »Ich bin sehr beschäftigt«, erwiderte die Spukerscheinung. »Trotzdem wollte ich es mir nicht nehmen lassen, dich zu besuchen. Dein Vater hat mich in alles eingeweiht. Wir sind alte Freunde, darum verschwieg er mir nicht, dass er mit dir seine liebe Not hat. Aber verlass dich darauf, ich werde schon eine richtige Hexe aus dir machen.«

    Ich hatte eine passende Antwort parat, überlegte es mir dann aber doch anders. Es war wohl besser, erst einmal abzuwarten und mich mit diesem mächtigen Dämon nicht sofort anzulegen. Auch wenn er mir im Augenblick nicht viel anhaben konnte, musste ich versuchen, mich mit ihm einigermaßen gut zu stellen. Schließlich sollte ich einige Zeit mit ihm zusammenleben. »Ich bin gekommen, um von dir zu lernen, Makemake«, sagte ich deshalb. »Und ich hoffe, dass du mich auf den rechten Weg zurückbringen wirst. Ich möchte, dass aus mir eine richtige Hexe wird.«

    »Du scheinst recht einsichtig zu sein«, sagte die Spukerscheinung. »Dein Verhalten passt eigentlich gar nicht zu dem, was Michael Zamis mir über dich erzählt hat. Aber ich werde schon noch herausfinden, woran es dir mangelt. Stimmt es, dass du es sogar gewagt hast, Asmodi, dem Fürst der Finsternis, die Stirn zu bieten? Und dass du damit deiner Familie einige Schwierigkeiten eingehandelt hast?«

    »Vater übertreibt in dieser Beziehung maßlos«, erwiderte ich. »Stets habe ich versucht, mein Bestes zu geben. Ich bin nur das Opfer von Missverständnissen geworden. Es scheint mein Fluch zu sein, dass man meine ehrlichen Bemühungen immer falsch versteht.«

    »Dann stimmt es wohl auch nicht, dass du gelegentlich mit normalen Sterblichen Umgang pflegst?«

    »Das ist üble Nachrede«, erwiderte ich und war froh darüber, dass Makemake sich nur in seinem Astralkörper hier befand, denn andernfalls hätte er diese Lüge wohl leicht durchschaut.

    »Ich hoffe, du sprichst die Wahrheit«, sagte er. »Im Grunde genommen ist es mir egal, was du früher getrieben hast. In meinem Hoheitsgebiet hast du dich jedenfalls anständig aufzuführen. Sady wird mir über jede deiner Entgleisungen sofort berichten. Mir wird nichts verborgen bleiben, und ich werde dich für alles, was du tust, zur Rechenschaft ziehen. Aber genug davon. Erzähle mir von der Sache mit Atma. Stimmt es, dass Asmodi von diesem Dämon fast besiegt worden wäre?«

    Ich erzählte ihm die ganze leidige Geschichte und endete mit den Worten: »Der wahre Sieger ist Merlin. Er hätte sogar Asmodi vernichten können, wenn er gewollt hätte, weil er sehr viel mächtiger ist!«

    »Solche Reden möchte ich nicht hören«, rief Makemake erregt. »Wage es nicht noch einmal, Asmodis Allmacht in meiner Gegenwart anzuzweifeln, denn dann müsste ich dich züchtigen. Hüte deine Zunge, kleine Hexe!«

    Ich gab mich zerknirscht und beteuerte kleinlaut, dass Asmodi auch mein Fürst sei. Überhaupt war ich natürlich mal wieder darauf bedacht, meine Rolle in der Angelegenheit herunterzuspielen. Das war mir in letzter Zeit beinahe schon zur Gewohnheit geworden.

    »Auf Trinidad brauchst du dich vor nichts zu fürchten«, erklärte Makemake. »Hier stehst du unter meinem Schutz. Wenn du vor etwas Angst haben sollst, dann höchstens vor mir. Aber auch nur dann, wenn du glaubst, widerspenstig und ungehorsam sein zu müssen. Sady wird mir alles berichten.«

    »Ich werde mich bemühen«, versprach ich. »Wann wirst du damit beginnen, mich in die Geheimnisse deiner Magie einzuweihen, Makemake?«

    »Bald, schon sehr bald!«, rief er mit erhobener Stimme. »Zuerst muss ich mich nur noch dieses lästigen Widersachers entledigen, der als Roter Hahn auftritt und alles dafür tut, sich meinen Zorn zuzuziehen. Aber das ist nur eine Kleinigkeit, die sich fast von selbst erledigen wird. Dann widme ich mich dir.«

    Die Erscheinung löste sich auf. Danach herrschte wieder Dunkelheit im Zimmer. Ich schaltete die Nachttischlampe ein und dachte über die erste Begegnung mit dem gefürchteten Makemake nach. Da ich ihm nicht persönlich gegenübergestanden hatte, konnte ich mir noch keine abschließende Meinung über ihn bilden, doch was ich vom Hörensagen wusste, mahnte mich, vorsichtig zu sein. Obwohl es in letzter Zeit um diesen großen Dämon relativ still geworden war, durfte man ihn nicht unterschätzen. Die Tatsache, dass er seit Jahrhunderten nach Belieben auf Trinidad schaltete und waltete, sprach für sich. Und den Dämon, der ihm seine Rechte streitig machen wollte, würde er sich bestimmt schon bald vom Leib schaffen. Insgeheim hätte ich allerdings nichts dagegen, wenn er eine Weile mit ihm beschäftigt wäre und nicht so schnell Zeit fände, sich mit mir zu befassen.

    Seufzend schlug ich die Bettdecke zurück und ging ins Bad, um mich zu duschen. Danach suchte ich die Garderobe auf. Die Schränke waren mit Frauenkleidern aus allen Epochen der letzten hundert Jahre gefüllt, aber es fand sich nichts darunter, was meinem Geschmack entsprach.

    Ich wollte es schon aufgeben, als ich im hintersten Winkel eines Schrankes einen Reisekoffer mit etwas modernerer Wäsche entdeckte. Darin fand sich ein reichliches Sortiment von Strandensembles über Unterwäsche bis zum Abendkleid. Und es war sogar annähernd meine Größe.

    Dennoch scheute ich mich zuerst, etwas davon anzuziehen, weil ich mir vorstellen konnte, dass die Kleider einem von Makemakes unzähligen Opfern gehört haben mochten, aber dann sagte ich mir, dass solche Sentimentalitäten selbst für eine ehrbare Hexe wie mich zu übertrieben seien und wählte einen knappen Bikini und ein seidenes Strandkleid aus. Danach machte ich mich auf den Weg, das Anwesen des Dämonendieners Sir Winslow Bendix zu erkunden.

    Das Haus machte den Eindruck auf mich, als sei hier die Zeit um die Jahrhundertwende stehengeblieben. Das elektrische Licht wirkte in den antiquierten Räumen wie ein Anachronismus. Es gab eine Menge Dämonen, die sich traditionell gaben und die moderne Technik der Menschen ablehnten. Ich gehörte aber nicht dazu. Kerzenschein und offenes Feuer brauchte ich höchstens, wenn ich einem Sterblichen, der sich in mich vergafft hatte, tief in die Augen sehen wollte. Auf solche Eskapaden wollte ich unter Makemakes strenger Aufsicht jedoch vorerst lieber verzichten.

    Das Erdgeschoss war wie ausgestorben. Ich begegnete weder dem Hausherrn selbst noch jemandem aus der Dienerschaft, und auch Sady suchte ich vergeblich. Also verließ ich das Haus und begab mich ins Freie.

    Die Nacht war lau. Aus Richtung der Hauptstadt war das Knallen von Feuerwerkskörpern zu hören, und ihr Widerschein zuckte wie Wetterleuchten über den nächtlichen Himmel. Um wie viel lieber wäre ich dort gewesen als in der moderigen Atmosphäre dieses morbiden Herrschaftssitzes! Ich fühlte mich in eine riesige Gruft versetzt, die sich bis in den verwilderten Park mit seinen hässlichen Götzenstandbildern erstreckte. Nicht einmal unter freiem Himmel konnte ich richtig durchatmen. Fast war ich geneigt anzunehmen, dass es sich bei Makemake in Wirklichkeit um einen Ghoul handelte, der diese Atmosphäre heimlich genoss. Als Leichenfresser hätte er es unter den Dämonen jedoch kaum zu solchem Ansehen gebracht, und ganz bestimmt wäre ihm auch meine Familie aus dem Weg gegangen.

    Ich betrat den Urwald mit seinen jahrhundertealten Bäumen, die wahrscheinlich noch die Anfänge von Makemakes Herrschaft auf Trinidad miterlebt hatten. Sofort stürzte sich ein Schwarm von Irrlichtern auf mich und umschwirrte meinen Kopf, um mir den Weg zu leuchten. Ich verscheuchte sie, indem ich eine Beschwörungsformel knurrte. Die Leuchttierchen und die Irrwische, so nützliche Geister sie manchmal waren, konnten überaus lästig werden, wenn man für sich allein sein wollte. Ich war meiner Mutter Thekla dankbar, dass sie mir die Formel gegen diese Quälgeister schon in jungen Jahren beigebracht hatte.

    Als ich tiefer in den Urwald eindrang, vorbei an übermannshohen Statuen, die unbekannte Dämonen und Mischwesen darstellten, hörte ich auf einmal ein mehrstimmiges Gemurmel. Es hörte sich an wie die Litanei einer Teufelsbeschwörung. Ich verlangsamte meinen Schritt und näherte mich vorsichtig dem Ursprung der Stimmen. Plötzlich sah ich durch die Büsche einige flackernde Lichter, und als ich das Blattwerk teilte, sah ich mich einem Dutzend Männern und Frauen gegenüber. Sie standen im Halbkreis vor einer Statue mit einem gewaltigen Vogelkopf, der gut drei Meter hoch war. Der dazugehörige Körper, ebenso groß und menschenähnlich, wirkte dagegen verkümmert. Mir war sofort klar, dass dies nur die Götzenstatue für den Vogeldämon Makemake sein konnte.

    Die Männer und Frauen waren bis auf ein etwa zwanzigjähriges Mädchen dunkelhäutig. Jeder hielt eine schwarze Kerze in der einen und einen Napf mit Opfergaben in

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