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Flammenseele
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Flammenseele

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About this ebook

Jahrzehnte lang hat Ash in Katzengestalt gelebt und versucht, ihre Vergangenheit zu vergessen und ihre Gefühle zu verdrängen.
Doch je mehr Zeit sie mit dem Dämon Lierd verbringt, desto weniger gelingt es ihr, nichts für ihn zu empfinden. Und dabei ist sich Ash überaus sicher, dass es nur zwei Dinge gibt, die Katzen und Dämonen gemeinsam haben: Eine Vorliebe für ein warmes Zuhause und ein ungebundenes Leben ohne Verpflichtungen.
Noch während Ash sich gegen das neue Glühen in ihrer Seele wehrt, taucht jemand aus ihrem früheren Leben auf. Jemand, den sie aus gutem Grund fürchtet. Jemand, der einen Freund sucht, über den Ash lange Jahre gewacht hat.
Ash sieht nur eine Möglichkeit: Sie muss untertauchen und sich ein neues Leben aufbauen, weit weg von der Gefahr, und damit auch weit weg von Lierd. Aber kann sie ihre Vergangenheit wirklich hinter sich lassen?
LanguageDeutsch
Release dateOct 20, 2016
ISBN9783959590358
Flammenseele

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    Book preview

    Flammenseele - Eileen Raven Scott

    978-3-95959-035-8

    Kapitel 1

    Die schweren Bässe der Musik wummerten in Ashs Herz, während sie sich im Tanz enger an Lierd schmiegte. Die Flammen an den Wänden knisterten verheißungsvoll wie ein gemütliches Kaminfeuer, zu dem sie ihre Katzenseele immer wieder lockte. Seit jenem Tag vor einem halben Jahr, als ihre Dämonenfreundin Aruni und Ilvio sich hier unten wiedergefunden hatten, war Ash oft mit Aruni hierher in die Katakomben gekommen, um zu tanzen. Getanzt hatte sie immer nur mit Lierd. Eine solche Faszination hätte Ash früher nie für möglich gehalten. Langsam zweifelte sie allerdings daran, dass sie noch Herrin ihrer Sinne war. Es war doch klar, dass sie sich früher oder später in ihn verlieben würde. Das war ihr immer passiert, wenn sie sich längere Zeit in der Nähe von jemandem aufgehalten hatte, der ihr gefiel.

    Das Argument, dass Lierd gemeingefährlich war, ließ sie längst nicht mehr gelten. Sie kannte ihn mittlerweile von einer völlig anderen Seite. Die Sache mit Ilvio damals war eindeutig ein Unfall gewesen. Der Meereself war einfach sehr unglücklich gefallen, nachdem Lierd ihn fortgedrängt und wieder einmal seine Kraft nicht richtig eingeschätzt hatte. Ash seufzte und schmiegte sich enger an ihren Tanzpartner. Es fühlte sich zum Schnurren gut an. Und doch – Lierd war leichtsinnig und impulsiv. Und damit nicht der Richtige für sie.

    Ash schloss die Augen und ließ sich von der Musik tragen, wiegte ihren Körper im Rhythmus der Bässe. Ein warmer Schauder rieselte durch sie hindurch, wie jedes Mal, wenn Lierd sie berührte. Als sie die Augen wieder öffnete, war Lierds Gesicht ganz dicht vor ihrem. Er lächelte sie vielsagend an. Dann wanderte sein Blick tiefer und er kam noch näher. Die anderen Tanzenden verschmolzen mit dem Hintergrund aus spiegelnden schwarzen Wänden und roten und orangenen Flammen. Ash sah nur noch Lierd, sein Gesicht so nah vor ihrem, seine sanft glühenden Hörner, die aus den schwarzen Haaren hervorlugten und das Lodern in seinen Augen. Ein Gefühl stieg in Ash auf, das sie schon ewig nicht mehr gespürt hatte. Noch ehe sie es richtig einordnen konnte, presste Lierd seine Lippen auf ihren Mund. Noch immer im Zauber der Musik gefangen, erwiderte Ash den Kuss. Heiß und rauchig war Lierds Atem und seine Zunge tanzte auf betörende Art mit ihrer. Ein vollkommen untypisches Seufzen entwich Ashs Mund. Lierd zog sie noch enger an sich, sodass sie seine glatte Haut warm durch ihr dünnes Kleid spüren konnte. Wie meistens hier unten trug Lierd kein Hemd. Ash sog tief den Duft seiner Haut ein und schnurrte erneut, sie konnte einfach nichts dagegen tun.

    Da stieß plötzlich eine Schulter hart gegen Ashs Rücken und sie prallte so heftig gegen Lierd, dass sie ihn aus Versehen in die Lippe biss.

    „Pass doch auf!", knurrte Lierd.

    Ash wollte schon protestieren und erklären, dass es nicht ihre Schuld war, da merkte sie an seinem Blick, dass er gar nicht mit ihr gesprochen hatte. Sie wandte den Kopf. Hinter ihnen tanzten eine blonde Dämonin und ein Hüne mit dicken gedrehten grauen Hörnern, der sie anzüglich ansah. Ash stieß ein kleines Fauchen aus und sah die beiden Dämonen finster an.

    „Ganz die Mutter!", zischte die Dämonin Lierd zu.

    „Liegt in der Familie, seine Schwester leidet auch darunter", sagte der Dämon mit einem fiesen Grinsen.

    „Komm, lass uns weiter drüben tanzen, das ist bestimmt ansteckend." Sie lachten beide ein seltsam rauchiges Lachen. Ash bekam eine Gänsehaut.

    Noch immer hielt Lierd Ash fest in seinen Armen. Sie konnte spüren, wie er seine Muskeln anspannte. Mit einem Knurren zog er Ash wieder näher an sich heran. „Kümmert euch um euren eigenen Kram", fauchte er den beiden Störenfrieden hinterher.

    Nach dem kleinen Zwischenfall tanzten Lierd und Ash zwar weiter, aber der Zauber war verflogen. So unverändert gut die Musik immer noch klang, so unnachahmlich geschmeidig Lierd immer noch tanzte, Ash war auf einmal mehr danach, an einem warmen Kamin zu liegen und von der Welt in Ruhe gelassen zu werden. Die Müdigkeit kroch in ihre Glieder und sie löste sich langsam von Lierd.

    „Ich möchte nicht mehr tanzen", sagte sie und trat einen Schritt zurück.

    „Willst du schon gehen?, fragte Lierd. „Bleib doch noch ein bisschen, wir könnten ... Er ließ den Satz unbeendet, aber Ash hatte auch so verstanden. Wollte Lierd wirklich, dass sie mit in seine Höhle kam? Sie war keine Dämonin und bisher war er den Regeln der Dämonen immer treu geblieben. Das Vermischen verschiedener Arten wurde nicht geduldet. Seine Frage hatte ihn offenbar selbst überrascht, das konnte sie ohne Mühe an seinem Gesicht ablesen. Vermutlich war es ihm einfach so herausgerutscht. Ein Kuss war harmlos, aber Lierd würde sich doch niemals auf mehr bei einer Frau einlassen, die keine Dämonin war. Das hatte sich in dem halben Jahr seit der Sache mit Aruni und Ilvio sicher nicht geändert. Doch auch wenn er seine Meinung ändern würde, für Ash änderte sich nichts. Denn sie wollte ihn nicht näher an sich heranlassen, als sie es ohnehin schon tat. Tanzen war okay, alles weitere würde nur zu Problemen führen, die Ash nicht mochte. Sie hatte sich fest vorgenommen ihn nicht zu verführen. Nicht einfach, weil er ein Dämon war und sie nicht, sondern weil es nicht gut für sie war. Das hatte sie bereits hinter sich.

    Gegen gemischte Paare hatte Ash überhaupt nichts. Gerade bei Ilvio und Aruni sah man ja, wie glücklich die beiden waren. Dabei war Ilvio ein Meereself und Aruni zur Hälfte Dämonin und zur Hälfte Menschenfrau. Lierds Halbschwester außerdem noch. Und warum auch nicht? Die Liebe war nicht wählerisch, was die Arten anging. Und mit Sicherheit nicht so verbohrt wie die Dämonen. Ash lehnte sich ein wenig zur Seite, so dass sie ihren Blick über die Tanzenden schweifen lassen konnte. Hier und da waren Elfen zwischen den Dämonen, auch sie kamen seit damals gerne hierher, um zu tanzen.

    Und gar nicht mal so weit weg von ihnen entdeckte Ash Aruni. Sie tanzte eng umschlungen mit ihrem Ilvio, dessen Haut mal wieder bläulich glühte, wie immer, wenn er glücklich oder erregt war. Vermutlich war er in diesem Moment beides. Ash konnte sich sehr gut vorstellen, was die beiden später tun würden, wenn sie nach Hause kamen. Sie seufzte, es war sehr leise, aber Lierd hatte es gehört und sah sie an.

    „Hör nicht auf die", sagte er und deutete in die Richtung, in der das rempelnde Dämonenpaar verschwunden war.

    Ash seufzte erneut. „Das ist es nicht. Ich bin wirklich müde, Lierd." Sie schaffte nicht mal mehr ein halbes Lächeln. Sie war müde, ja, aber es lag nicht an dem anstrengenden Tag. Schon so lange hatte sie keinen Mann mehr in ihr Herz gelassen. Ihr einsames Leben hatte einen guten Grund gehabt. Das, was sie in ihrer letzten Beziehung erlebt hatte, wollte sie nie wieder durchmachen müssen. Dazu war es viel zu schmerzhaft gewesen.

    „Ich begleite dich zum Ausgang", sagte Lierd. Von der anderen Sache war keine Rede mehr.

    Ash seufzte. Ihre Sorge war völlig unberechtigt gewesen. Natürlich meinte er nicht, dass sie unterwegs in irgendeine Höhle einkehrten, um dort wild übereinander herzufallen. Beinahe hätte Ash über diese Vorstellung gelacht, aber sein fürsorglicher Ton hielt sie davon ab. Irgendwie berührte sie die Art, wie er mit ihr sprach, viel mehr, als die eigentlichen Worte. Aber sie durfte sich davon nicht täuschen lassen, denn natürlich wusste Ash, dass er sicherlich der letzte war, der sich die Blöße geben würde und wirklich mit ihr zusammen sein würde. Vor allen Dämonenaugen hier im Saal. Einen Kuss konnte man noch übersehen, aber mehr würde es für sie nicht geben.

    Und genauso sollte es schließlich auch sein. Nie wieder wollte Ash einen Mann, der nicht voll und ganz zu ihr stand und es wirklich ernst meinte und nur sie allein wollte. Ash fuhr ihre Krallen aus und kratzte sanft damit über Lierds Wange. Kurz genoss sie das erneute Lodern in seinen Augen.

    „Ciao", sagte sie und drehte sich um.

    In einer fließenden Bewegung wurde Ash kleiner und rannte schließlich auf vier Pfoten durch die tanzenden Füße, hinaus aus dem Saal und durch lange Gänge, bis sie endlich in einen Tunnel kam, der sie wieder nach oben ins London der Menschen führen würde. Sie drehte sich noch einmal um, aber Lierd war ihr nicht gefolgt.

    Am Fuß der in Stein gehauenen Treppe nahm Ash wieder ihre menschliche Gestalt an und kletterte eilig nach oben. Weit hinter sich hörte sie jemanden näher kommen. Ob das doch Lierd war? Vermutlich nicht. Und selbst wenn, er würde sie nicht mehr einholen, denn sie war gleich oben.

    Der Gang kam ihr viel länger vor als sonst, aber endlich erreichte sie den U-Bahnschacht und bald darauf den Bahnhof. Sie lugte über den Rand der Plattform. Ein paar Jugendliche standen an der einen Seite und lachten laut. Da sie so mit sich selbst beschäftigt waren, würden sie sie sicher nicht beachten. Ash zog sich mühelos auf die Plattform und ging, ohne sich umzudrehen, in Richtung Rolltreppe. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie mit den Zähnen knirschte. Entnervt schob sie die Kiefer auseinander und fluchte leise vor sich hin. Jemand pfiff ihr nach. Müde reckte sie ihren Mittelfinger nach oben und ging einfach weiter.

    Sie fuhr mit der Rolltreppe und sprang immer zwei Stufen auf einmal empor. Oben angekommen zog sie ihren Umhang enger um sich. Die Fliesen waren kalt unter ihren nackten Füßen. Sie schlängelte sich durch die Menschen, die auch zu dieser Nachtzeit noch unterwegs waren und suchte sich eine dunkle Ecke. Dort nahm sie ihre Katzengestalt wieder an und lief, dicht an der Wand entlang, einfach unter den Drehkreuzen durch.

    Für einen kurzen Moment war Ash unentschlossen, wohin sie gehen sollte. Aruni war noch immer unten und tanzte vermutlich noch tagelang mit Ilvio. Die Beiden bekamen bei so vielen Dingen nicht genug voneinander. Für Ash war das von Vorteil, dann hätte sie die Wohnung für sich allein. Es war ihr in der letzten Zeit zunehmend seltsamer vorgekommen, in der Wohnung zu sein, wenn Aruni und Ilvio auch da waren. Seit sie sich als Gestaltwandlerin geoutet hatte, war das Schlafzimmer für Ash tabu. Dafür hatte sie einen gemütlichen Ort in der Küche in Beschlag genommen. Dort schlief sie als Katze auf dem geflickten Stoffsofa unter dem Fenster und kam so Aruni und Ilvio nicht in die Quere. Seltsam kam sie sich trotzdem vor und so, als würde sie nicht mehr wirklich dazugehören.

    Schon wieder schlich sich Lierd in Ashs Gedanken. Im Nachhinein fiel ihr auf, dass er all die Male, wenn sie mit Aruni und Ilvio ins Dämonenreich hinabgestiegen war, kaum mit den Dämoninnen getanzt hatte. Wenn es doch vorkam, hatte er diese sofort stehen lassen und war zu Ash gekommen, sobald er ihre Anwesenheit bemerkte. Dreimal war seine Tanzpartnerin diese Dämonin Jenna gewesen, die einst mit Lierd ein Paar gewesen war – falls es so etwas wie Partnerschaft oder Treue unter Dämonen überhaupt gab. Sicherlich hatte Jenna schnell einen anderen willigen Dämonen für Tanz und Bett gefunden. Aber ob sie Lierd einfach aufgegeben hatte?

    Ash schüttelte den Kopf. Was dachte sie überhaupt darüber nach? Selbst wenn Lierd wirklich Gefühle für sie haben sollte, woran sie zweifelte, ging es ihm mit Sicherheit nur um das Eine. Wieder dachte sie daran, wie Ilvio beinahe gestorben war. Ein Unfall, sagte sie sich in Gedanken, stellte fest, dass alle Fenster geschlossen waren und nahm ihre menschliche Gestalt an. Sie ballte die Hände zu Fäusten.

    „Und wenn schon, murmelte sie vor sich hin. „Er kann seine Wut nicht zügeln und damit ist er gefährlich. Für sich und für andere. Und für mein Herz ganz besonders, fügte sie im Stillen hinzu.

    Da Ash immer noch keinen Schlüssel hatte, öffnete sie die Haustür mit einer ihrer Haarnadeln. Immer noch konnte sie Lierds rauchigen Duft auf ihrem Kleid und ihrem Umhang erschnuppern.

    Im Hausflur war es kühl und es roch, wie so oft, nach nassen Regenschirmen. Ash schüttelte sich und beeilte sich, in Arunis Wohnung zu kommen. Genau genommen war es seit etwa einem halben Jahr so etwas wie Arunis, Ilvios und ihre WG. Davor hatte Aruni noch nicht einmal gewusst, dass Ash gar keine gewöhnliche Katze war, sondern eine Gestaltwandlerin. Aruni hatte damals nicht schlecht gestaunt, als sich ihre kleine Katzenfreundin als geheimnisvolle Frau entpuppte. Ash lächelte bei dem Gedanken. Über die ganzen Jahre, in denen sie sich nie in ihre menschliche Gestalt verwandelt hatte, hatte sie es beinahe schon selbst vergessen, dass sie keine normale Katze war.

    Die Tür fiel leise ins Schloss. Ash ging in das Wohnzimmer und zündete ein Feuer im Kamin an. Sie beobachtete, wie die kleinen Flammen langsam nach dem Holz leckten. Auf dem Kaminsims stand ein Foto von Aruni und Ilvio, eng umschlungen lächelten sie in die Kamera. Mit Sicherheit war es an der Zeit, dass Ash den beiden mehr Privatsphäre gönnte und sich endlich eine eigene Wohnung suchte. Ash wischte sich eine Träne von der Wange, als sie daran dachte, auszuziehen und Aruni nicht mehr so häufig zu sehen und nicht mehr in dieser gemütlichen Wohnung zu leben.

    Das Feuer brannte endlich. Mit einer Wolldecke kuschelte sich Ash auf den Ledersessel, der dem Kamin am nächsten stand. Morgen, gleich morgen würde sie sich auf die Suche nach einer eigenen Wohnung machen.

    Kapitel 2

    „Ash!", brüllte Lierd und horchte in den Gang. Die Flammen hinter ihm knisterten, die Musik wummerte, aber er versuchte trotzdem, ihre Schritte zu hören. Vergeblich. Ash war fort. Was war nur mit ihr los? Sie hatten so gut miteinander getanzt! Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das noch stundenlang so weitergehen können. Aber dann kamen diese dämlichen Typen und mussten so blöde Sprüche äußern. Ansteckend. Pah! Lierd ballte die Fäuste, während er langsam zurückging zur großen Festhöhle. Die Lust auf Tanzen war ihm jedenfalls gerade vergangen, und wenn er sich die anderen so ansah, gab es keine Dämonin unter ihnen, die so anmutig tanzte wie Ash.

    Er seufzte über seine eigenen Gedanken.

    In der Menge entdeckte er seine Mutter und den Dämonenfürsten eng umschlungen, etwas weiter am Rand der Höhle tanzten Aruni und ihr Meereself. Lierd konnte immer noch nicht begreifen, was seine Halbschwester an diesem Bläuling fand. Blaue Dämonen gab es nicht und das aus gutem Grund. Es sah einfach nicht sonderlich heiß aus. Lierd seufzte erneut und drehte sich weg. Dass Ilvio ein ganz passabler Typ war, gestand er sich nur in ganz schwachen Momenten ein.

    Ohne jemanden anzurempeln, bahnte sich Lierd einen Weg durch die tanzenden Leiber. Immer wieder entdeckte er zierliche Elfenfrauen zwischen den Dämonen. Viele von ihnen besuchten alle paar Wochen die Katakomben, um hier zu tanzen. Sie waren genau wie Dämonen süchtig nach guter Musik und man konnte nicht abstreiten, dass die Musik noch viel besser geworden war, seitdem die Meereselfen mitmischten. Aber wo sollte das alles hinführen? Lierd wartete immer noch auf den Moment, in dem die Dämonen entscheiden würden, mal die Elfen zu besuchen und an deren Strand oder gar in der Elfenstadt im Meer zu tanzen. Lächerlich. Der bloße Gedanke daran war einfach lächerlich. Er ging an einer Elfenfrau mit langen blonden Haaren vorbei, die wie die meisten ihrer Art nur ein Kleid aus Seetangschnüren trug, welches kaum ihren Hintern bedeckte. Die Elfen waren tatsächlich zum Teil ganz hübsch, aber ihm waren sie entschieden zu ... weich. Zart war etwas, was ihm an Frauen überhaupt nicht gefiel. An Männern natürlich schon mal gar nicht.

    „Tanz mit mir, Lierd", raunte ihm jemand ins Ohr und eine Hand mit langen goldenen Krallen hielt ihn am Arm fest. Jenna, auch das noch. Schon seit einer Weile versuchte Lierd, ihr aus dem Weg zu gehen, wo immer es möglich war.

    „Jetzt nicht", knurrte er.

    Jenna ließ nicht locker und zog an seinem Arm, bis er sich zu ihr umdrehte. Sie schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln. Aber Lierd war wirklich nicht in der Stimmung. Er schüttelte den Kopf und machte sich los.

    „Was?, fragte Jenna leicht schnippisch. „Vermisst du die Katzenschlampe? Tanzt wohl nur noch mit ihr, wie?

    Lierd ballte seine Hände zu Fäusten. Vermissen? Sie war doch grade erst eine Minute weg. Und selbst wenn, Jenna würde er es sicher nicht auf die Nase binden. „Wieso sollte ich?"

    „Mir bist du noch nie nachgelaufen." Sie klang beleidigt. Jetzt musste Lierd lachen.

    „Du bist echt nicht der Typ, dem man nachlaufen muss. Meistens holst du mich doch selbst zu dir."

    Jenna grinste. Lierd hatte den Eindruck, dass sie das als Kompliment auffasste, aber eigentlich war es keins. Ganz ehrlich wusste er in diesem Moment nicht mehr so genau, was er an Jenna früher so anziehend gefunden hatte. Klar, sie war ihm immer die liebste Dämonin gewesen, und er hatte die Spielchen mit ihr geliebt, aber mittlerweile spürte er überhaupt nichts mehr, wenn sie ihm gegenüber stand oder ihn berührte. Auch beim Tanzen nicht. Im Grunde war das unheimlich, auch wenn er genau wusste, warum es so war.

    Sie beugte sich vor und küsste ihn. Lierd erwiderte den Kuss, spürte aber nichts dabei. Normalerweise hätte er sie jetzt mit in seine Wohnhöhle genommen, aber irgendetwas in ihm sträubte sich. Vielleicht die Tatsache, dass Sex mit ihr schon lange nicht mehr so war wie früher. Die einzigen Momente, in denen er Jennas Nähe genoss, waren die in denen er dabei an Ash dachte. Und das konnte nicht richtig sein. Er schob sie energisch von sich.

    „Tut mir leid, mir ist heute nicht danach. Tanz ruhig weiter. Bis später." Damit ließ er sie stehen. Er drehte sich nicht um, Jennas wütenden Gesichtsausdruck konnte er sich nur zu gut vorstellen. Aber Jenna war keine Frau, die verflossenen Liebhabern lange hinterhertrauerte. Nach einigen Momenten würde sie mit den Schultern zucken, sich umdrehen und sich irgendeinem anderen Dämon an den Hals werfen. Vielleicht würde sie es auch mal mit einem Meereself probieren, jetzt, wo Fürst Luzius demgegenüber nicht mehr ganz so streng war wie noch vor Arunis Eskapade mit Ilvio. Lierd strich mit der Hand durch die Flammen, nahm sich im Vorbeigehen welche mit, leckte sie von seinen Fingern, genoss ihre Wärme. Er beachtete niemanden, sogar die Musik prallte an ihm ab, er ging einfach weiter und ließ die Tanzenden hinter sich.

    Leise knurrte er vor sich hin und wusste selbst nicht, warum er so unzufrieden war. Erst einige Schritte später bemerkte er, dass er im Gang nicht alleine war. Unwirsch drehte er sich um und stand Auge in Auge mit Jenna.

    „Läufst du mir nach?", fragte er, während Wut in ihm aufstieg. Wieso, wusste er selbst nicht. Über die letzten Monate war ihm Jenna zwar immer weniger wichtig geworden, aber ein bisschen gefreut hatte er sich doch immer noch, wenn sie ihn aufsuchte. Warum nur war das heute so anders? In Gedanken spürte er noch einmal Ashs Lippen auf seinen. Der Kuss. Ein Kuss konnte doch nicht so viel verändern, nein!

    „Wenn du mir nicht nachläufst ..., antwortete sie und zog einen Schmollmund. „Bedrückt dich etwas?, fragte sie weiter und strich mit den Fingerspitzen an seinem Arm entlang. „Vielleicht kann ich dir helfen?" Sie kam einen Schritt näher. Lierd musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen.

    „Ich muss allein sein."

    In diesem Moment sah sie wirklich gekränkt aus. Sie ließ ihre Hand sinken.

    „Tut mir leid, ich komme später bei dir vorbei, ja?", lenkte Lierd ein, aber er war sich nicht sicher, ob er das wirklich tun würde. Jenna sah ihn immer noch an, dann lächelte sie und leckte sich leicht über die Unterlippe.

    „Bist du sicher, dass ich nicht doch jetzt mitkommen soll? Ohne eine Antwort abzuwarten, presste sie ihren Körper an seinen und küsste ihn leidenschaftlich. Automatisch küsste Lierd sie zurück, aber seine Arme blieben schlaff an seinen Seiten hängen. Er berührte Jenna nicht, bis ihre Hand nach der seinen griff und sie auf ihre Taille legte. Heiße Wut stieg in Lierd auf, und er presste Jenna an die Wand. Sie stöhnte leise und fuhr mit ihren Krallen über seinen Rücken. In dem Moment brach Lierd den Kuss ab. Er griff nach Jennas Handgelenken, hielt sie fest und sah ihr finster in die Augen. „Ich will nicht! Was daran hast du nicht kapiert?

    Dann ließ er sie los und marschierte mit großen Schritten den Gang hinunter, trat in seine Wohnhöhle ein und gab dem Torstein einen Tritt, so dass er laut krachend wieder vor die Öffnung rollte.

    Lierd blieb stehen und bewegte sich nicht. Was war da eben passiert? Hatte er wirklich Nein zu Jenna gesagt? Das war ihm seit seiner Geschlechtsreife nicht mehr passiert, dass er eine sexy Dämonin abgewiesen hatte. Und dann noch Jenna, der er laut seiner Halbschwester Aruni hörig war. Da hatte sie sich wohl gewaltig getäuscht. Lierd war niemandem hörig. Er war sein eigener Herr, er konnte Nein sagen, er brauchte niemanden.

    Da kam ihm ein schlankes dunkles Gesicht ins Gedächtnis und leuchtend gelbe Augen mit einer länglichen Pupille. Ash. Was, bitte, hatte Ash in seinen Gedanken verloren? Sie wollte ihn nicht, war einfach gegangen. Warum? Weil sie genau wusste, dass Lierd ein Dämon war, der an den alten Traditionen festhielt. Aus Überzeugung. Die Arten sollten sich nicht mischen, da konnten auch keine neuen Regeln gegen angehen. Dumm nur, dass er die Gründe für diese Tradition nicht mehr verstand. Doch, er verstand sie,

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