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Die Blockchain-Revolution: Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert
Die Blockchain-Revolution: Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert
Die Blockchain-Revolution: Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert
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Die Blockchain-Revolution: Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert

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Blockchain ermöglicht Peer-to-Peer-Transaktionen ohne jede Zwischenstelle wie eine Bank. Die Teilnehmer bleiben anonym und dennoch sind alle Transaktionen transparent
und nachvollziehbar. Somit ist jeder Vorgang fälschungssicher. Dank Blockchain muss man sein Gegenüber nicht mehr kennen und ihm vertrauen – das Vertrauen wird durch das System als Ganzes hergestellt. Und digitale Währungen wie Bitcoins sind nur ein Anwendungs­gebiet der Blockchain-Revolution. In der Blockchain kann jedes wichtige Dokument gespeichert werden: Urkunden von Universitäten, Geburts- und Heiratsurkunden und vieles mehr. Die Blockchain ist ein weltweites Register für alles. In diesem Buch zeigen die Autoren, wie sie eine fantastische neue Ära in den Bereichen Finanzen, Business, Gesundheitswesen, Erziehung und darüber hinaus möglich machen wird.
LanguageDeutsch
Release dateOct 26, 2016
ISBN9783864704062
Die Blockchain-Revolution: Wie die Technologie hinter Bitcoin nicht nur das Finanzsystem, sondern die ganze Welt verändert

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    Book preview

    Die Blockchain-Revolution - Don Tapscott

    Dank

    Teil 1

    Say you want a Revolution

    Kapitel 1

    Das Protokoll des Vertrauens

    Wieder einmal hat es den Anschein, als hätte jemand den Geist der Technik aus seiner Flasche befreit. Niemand weiß, wer diesen Geist heraufbeschworen hat oder aus welchen Motiven – in einer Zeit, die alles andere als sicher ist. Dennoch steht uns dieser Geist jetzt zu Diensten. Er kann die Machtverteilung in der Wirtschaft auf den Kopf stellen und die alte Gesellschaftsordnung zum Besseren wenden. Wir müssen es uns nur wünschen.

    Wie es dazu kam?

    Die ersten vier Jahrzehnte nach der Erfindung des Internets brachten uns Neuerungen wie E-Mail, das World Wide Web, Dotcoms, soziale Medien, das mobile Web, Big Data, Cloud-Computing und die ersten Tage des Internets der Dinge. All das hat in erheblichem Maße dazu beigetragen, die Kosten für die Suche nach und den Austausch von Informationen und für die Zusammenarbeit zu reduzieren. Es hat die Einstiegsbarrieren für neue Nachrichten- und Unterhaltungsmedien, neue Formen des Einzelhandels und der Arbeitsorganisation und bislang ungekannte digitale Projekte gesenkt. Durch Sensortechnologie verfügen wir nun über intelligente Brieftaschen, Bekleidung, Fahrzeuge, Gebäude, Städte – und diese Entwicklung hat nicht einmal vor unserer ureigenen Biologie Halt gemacht. Unser gesamtes Umfeld ist derart gesättigt damit, dass wir uns im Berufs- und Privatleben bald nicht mehr in diese allgegenwärtige Technologie „einloggen", sondern gänzlich darin aufgehen werden.

    Alles in allem hat das Internet viel zum Guten verändert – zumindest für diejenigen, die Zugang dazu haben. Im Geschäfts- und Wirtschaftsleben weist es aber schwerwiegende Defizite auf. The New Yorker konnte Peter Steiners Cartoon über das Gespräch zwischen zwei Hunden von 1993 gänzlich unverändert noch einmal abdrucken: „Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Online sind wir nicht in der Lage, unsere Identität zweifelsfrei nachzuweisen, und für jede Transaktion und jeden Austausch von Zahlungsmitteln sind wir auf die Validierung durch einen Dritten wie eine Bank oder Regierungsbehörde angewiesen. Eben diese Intermediäre sammeln unsere Daten und missachten aus Profitgier oder aus Gründen der nationalen Sicherheit den Datenschutz. Doch selbst mit dem Internet schließt ihre Kostenstruktur an die 2,5 Milliarden Menschen aus dem globalen Finanzsystem aus. Trotz des Versprechens, eine Welt zu schaffen, in der alle gleichberechtigt sind, zeigt sich, dass die wirtschaftlichen und politischen Vorteile ungleich verteilt sind. Macht und Wohlstand fließen den Menschen zu, die bereits darüber verfügen – ohne dass sie noch viel dafür tun müssten. Mit Geld verdient man mehr Geld als die meisten Bürger durch Arbeit.

    Technologie schafft weder Wohlstand noch greift sie in die Privatsphäre ein. Doch im digitalen Zeitalter steht und fällt einfach alles mit Technologie – Gutes ebenso wie Schlechtes. Sie sorgt dafür, dass wir die Rechte unserer Mitmenschen auf ganz neue Art und Weise respektieren oder mit Füßen treten können. Die explosionsartige Zunahme der Online-Kommunikation und des elektronischen Geschäftsverkehrs schafft mehr Gelegenheiten für Internet-Kriminalität. Das Moore’sche Gesetz, demzufolge sich die Prozessorleistung jedes Jahr verdoppelt, bedeutet auch, dass sich die Zahl der Betrüger und Diebe – der Moore’schen Gesetzlosen ¹ – verdoppelt, ganz zu schweigen von der Flut an fragwürdigen Existenzen, die Spam versenden, Identitäten stehlen, Phishing betreiben, andere bespitzeln, Bot-Netze für ihre Zwecke missbrauchen, Rechner hacken und Cybermobbing oder Datenerpressung begehen – also Viren in Umlauf bringen, die ganze Festplatten verschlüsseln, und vom Anwender dann Lösegeld fordern. Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.

    Auf der Suche nach dem Vertrauensprotokoll

    Bereits 1981 arbeiteten Erfinder an der Lösung der mit dem Internet verbundenen Probleme wie Datenschutz, Sicherheit und Einbindung von Kryptografie. Doch wie sie es auch drehten und wendeten, es gab immer Sicherheitslücken, weil Dritte ins Spiel kamen. Die Online-Zahlungsabwicklung über Kreditkarten war unsicher, da die Kunden zu viele persönliche Daten preisgeben mussten. Außerdem waren die Transaktionsgebühren bei geringen Rechnungsbeträgen zu hoch.

    Schon 1993 hatte sich der brillante Mathematiker David Chaum das digitale Bezahlsystem eCash ausgedacht, „ein in technischer Hinsicht perfektes Produkt, das sichere und anonyme Zahlungen über das Internet ermöglichte. … Es eignete sich ideal, um elektronisch Kleinstbeträge über das Internet zu senden." ² Es war so beeindruckend, dass selbst Branchenriesen wie Microsoft Interesse bekundeten, eCash als Feature in ihre Programme zu integrieren. ³ Das Problem war, dass Datenschutz und Sicherheit für Online-Käufer damals kein Thema waren – ein Grund dafür, dass Chaums niederländisches Unternehmen DigiCash 1998 in Konkurs ging.

    Etwa zu dieser Zeit verfasste einer von Chaums Geschäftspartnern, Nick Szabo, eine kurze Abhandlung mit dem Titel „The God Protocol (sinngemäß: „Das Gottesprotokoll), eine Anspielung auf den von Nobelpreisträger Leon Lederman geprägten Begriff vom „Gottesteilchen, um auf die Bedeutung des Higgs-Bosons für die moderne Physik zu verweisen. Szabo sinnierte darin über ein allumfassendes Protokoll, das Gott als Vertrauensperson ins Zentrum aller Transaktionen rückte: „Alle Beteiligten sollten ihre Eingaben an Gott schicken, der dann zuverlässig die Ergebnisse berechnen und diese zurücksenden würde. Da Gott als ultimative Instanz für Verschwiegenheit gilt – man denke nur an das Beichtgeheimnis –, würde keiner der Beteiligten mehr über die Eingaben eines anderen Beteiligten erfahren, als er aufgrund seiner eigenen Eingaben und Ergebnisse ohnehin wüsste. ⁴ Seine Argumentation überzeugte: Geschäfte über das Internet abzuwickeln ist ohne Vertrauensvorschuss praktisch unmöglich. Doch da es der Infrastruktur an der dringend benötigten Sicherheit fehlt, haben wir oft keine andere Wahl, als Intermediäre wie Götter zu behandeln.

    Ein Jahrzehnt später, also im Jahr 2008, kam es zur weltweiten Finanzkrise – womöglich ein günstiger Zeitpunkt für eine Person oder Gruppe, unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ein neues Protokoll für ein elektronisches Peer-to-Peer-Zahlungssystem unter Verwendung einer Kryptowährung namens Bitcoin vorzustellen. Kryptowährungen (also digitale Währungen) unterscheiden sich dadurch von herkömmlichen Fiatwährungen, dass sie nicht von Staaten eingeführt und kontrolliert werden. Das neue Protokoll stellte in Form dezentraler Berechnungen Regelsätze auf, um die Datenintegrität der zwischen Milliarden elektronischen Endgeräten übermittelten Daten sicherzustellen, ohne dass ein vertrauenswürdiger Dritter vonnöten war. Dieser scheinbar unspektakuläre Schritt war der Zündfunke, der in der Computerwelt helle Aufregung auslöste – und mitunter auch Angst und Schrecken. Die Zukunft wurde in den schillerndsten Farben ausgemalt. Von dort aus sprang das Feuer auf die Geschäftswelt über und erfasste Behörden, Datenschützer, Aktivisten für soziale Entwicklung, Medientheoretiker und Journalisten, um nur einige zu nennen – und das weltweit.

    „Sie alle jubelten ‚Mein Gott, das ist es! Endlich ist der Durchbruch geschafft! Darauf haben wir die ganze Zeit gewartet‘, formulierte es Marc Andreessen, der Mitentwickler des ersten kommerziellen Webbrowsers Netscape und einer der großen Technologie-Investoren. „‚Er hat alle Probleme gelöst. Wer immer er sein mag, er hat den Nobelpreis verdient – er ist ein Genie.‘ Das ist der ganz große Wurf! Das ist das dezentrale Vertrauensnetzwerk, das das Internet schon immer gebraucht und bislang entbehrt hat.

    Heutzutage versuchen vorausschauende Menschen auf der ganzen Welt zu begreifen, welche Tragweite ein Protokoll hat, das es Normalsterblichen ermöglicht, Vertrauen mithilfe eines cleveren Codes zu erzeugen. So etwas hatte es bislang noch nicht gegeben – sichere und direkte Transaktionen zwischen zwei und mehr Parteien, authentifiziert durch die Zusammenarbeit der Masse, neuerdings angetrieben durch kollektives Eigeninteresse und nicht mehr durch die Profitgier großer Unternehmen.

    Mochte es auch nicht allmächtig sein, so war es doch eine vertrauenswürdige globale Plattform für unsere Transaktionen – also an sich schon eine große Sache. Wir bezeichnen das als Protokoll des Vertrauens.

    Dieses Protokoll bildet die Grundlage für eine wachsende Zahl globaler dezentraler Hauptbücher, die Blockchains genannt werden. Die größte davon ist die Bitcoin-Blockchain. Die Technologie dahinter ist sehr kompliziert und auch der Begriff Blockchain geht nicht wirklich leicht ins Ohr, aber die zugrunde liegende Idee ist beeindruckend simpel. Solche Blockketten ermöglichen es, Geld direkt und sicher zum Beispiel von mir zu Ihnen zu transferieren, ohne dass einer von uns eine Bank oder ein Kreditkartenunternehmen oder PayPal bemühen müsste.

    Das ist nicht mehr das Internet der Daten, sondern ein Internet des Wertes oder des Geldes. Zugleich ist es eine Plattform, auf der jeder die Wahrheit erkennen kann – zumindest, was strukturierte, erfasste Daten betrifft. Im Grunde handelt es sich um einen offenen Quellcode. Das heißt, jedermann kann die Plattform kostenlos herunterladen, nutzen oder damit neue Tools für die Verwaltung von Online-Transaktionen entwickeln. Somit birgt sie das Potenzial für unzählige neue Anwendungen und bislang noch nicht realisierte Möglichkeiten – und sie verfügt über die Fähigkeit, vieles von Grund auf zu ändern.

    Wie funktioniert dieses weltweite Hauptbuch?

    Großbanken und manche Behörden nutzen Blockchains als dezentrale Hauptbücher und revolutionieren damit die Art und Weise, wie Daten gespeichert und Transaktionen abgewickelt werden. Dabei verfolgen sie hehre Ziele: Geschwindigkeit, niedrigere Kosten, Sicherheit, weniger Fehler und das Wegfallen zentraler Angriffspunkte und Fehlerquellen. Bei diesen Modellen ist die Einbindung einer Kryptowährung für Zahlungen aber kein Muss.

    Die wichtigsten und weitreichendsten Blockchains basieren auf Satoshis Bitcoin-Modell. Und so funktionieren sie.

    Der Bitcoin wird wie andere digitale Währungen auch nicht irgendwo in einer Datei gespeichert; er steht für Transaktionen, die in einer sogenannten Blockchain gespeichert sind – eine Art globales Datenblatt oder Hauptbuch, das sich die Ressourcen eines großen Peer-to-Peer-Bitcoin-Netzes zunutze macht, um jede einzelne Bitcoin-Transaktion zu verifizieren und zu genehmigen. Jede Blockchain ist wie die Bitcoin-Blockchain verteilt. Das heißt, sie läuft auf von Freiwilligen in aller Welt zur Verfügung gestellten Rechnern. Es gibt keine zentrale Datenbank, die gehackt werden könnte. Die Blockchain ist öffentlich. Das heißt, jeder kann sie jederzeit einsehen, da sie Teil eines Netzwerks ist und nicht Teil einer einzelnen Institution, die mit der Überprüfung von Transaktionen und der entsprechenden Dokumentation betraut ist. Außerdem ist eine Blockchain verschlüsselt. Das heißt, es kommt eine umfassende Verschlüsselung einschließlich öffentlicher und privater Schlüssel zum Einsatz (was in etwa dem 2-Schlüssel-System eines Schließfachs entspricht), um virtuelle Sicherheit zu gewährleisten. Kein Grund mehr also, sich um die miserable Firewall von Target oder Home Depot zu sorgen oder um räuberische Mitarbeiter von Morgan Stanley oder US-amerikanischer Behörden.

    Alle zehn Minuten – sozusagen der Herzschlag des Bitcoin-Netzwerks – werden alle durchgeführten Transaktionen verifiziert, freigegeben und in einem Block abgespeichert, der sich an den vorausgegangenen Block anschließt, sodass eine Kette entsteht. Jeder Block muss sich auf den vorherigen Block beziehen, ansonsten ist er ungültig. Mit dieser Struktur ist dafür gesorgt, dass jeder Wertaustausch dauerhaft mit einem Zeitstempel versehen und gespeichert wird, was erfolgreich verhindert, dass das Hauptbuch geändert werden kann. Wer eine Bitcoin-Einheit stehlen will, müsste ihre gesamte Historie in der Blockchain unter aller Augen neu schreiben und das ist praktisch unmöglich. Somit ist die Blockchain ein dezentrales Hauptbuch, das für einen Netzwerkkonsens über jede einzelne Transaktion steht, die je erfolgt ist. Ebenso wie man vom World Wide Web der Daten spricht, könnte man auch vom World Wide Ledger der Werte sprechen – von einem dezentralen Hauptbuch, das jedermann herunterladen und auf seinem PC laufen lassen kann.

    Manche Wissenschaftler behaupten, die Einführung der doppelten Buchführung habe den Aufstieg des Kapitalismus und die Bildung der Nationalstaaten erst möglich gemacht. Das neue digitale Hauptbuch für wirtschaftliche Transaktionen lässt sich so programmieren, dass es quasi alles aufzeichnet, was für die Menschheit von Wert und Bedeutung ist: Geburts- und Sterbeurkunden, Heiratserlaubnisse, Besitzurkunden, Eigentumsnachweise, Bildungsabschlüsse, Jahresabschlüsse, Patientenakten, Versicherungsfälle, Wahlen, Herkunft von Lebensmitteln und alles andere, was sich in Programmiersprachen ausdrücken lässt.

    Die neue Plattform ermöglicht den Abgleich digitaler Datensätze über alles Mögliche, und das auch noch in Echtzeit. Fakt ist, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Milliarden intelligenter Dinge in der materiellen Welt über Sensortechnik allerhand wahrnehmen, darauf reagieren, kommunizieren, sich ihren eigenen Strom kaufen, wichtige Daten austauschen, ja, einfach alles erledigen – vom Umweltschutz bis hin zur Gesundheitsvorsorge. Dieses Internet für alles braucht natürlich auch ein Hauptbuch für alles. Die Unternehmen, der Geschäftsverkehr und die Wirtschaft brauchen ein digitales Rechnungswesen.

    Und was hat das alles mit Ihnen zu tun? Nun, unserer Auffassung nach kann uns die Wahrheit befreien und dezentrales Vertrauen wird jeden einzelnen Lebensbereich in erheblichem Maße beeinflussen. Vielleicht sind Sie ja ein großer Musikfan und möchten gerne, dass Interpreten von ihrer Kunst leben können. Oder Sie zählen zu den Verbrauchern, die wissen möchten, woher das Hackfleisch für ihren Hamburger wirklich stammt. Oder Sie sind ein Einwanderer, der es satt hat, jedes Mal, wenn er Geld in sein Heimatland überweist, um seine Familie zu unterstützen, hohe Gebühren zu berappen. Oder ein saudische Frau, die gerne ihre eigene Modezeitschrift herausgeben möchte. Vielleicht sind Sie aber auch Entwicklungshelfer, der Grundbesitzrechte klären muss, um nach einem Erdbeben Häuser wiederaufzubauen. Oder Sie wünschen sich als kritischer Bürger von den Politikern Ihres Landes mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht. Oder aber Sie legen als Nutzer sozialer Medien Wert auf Datenschutz und sind der Auffassung, dass sämtliche von Ihnen erzeugte Daten etwas wert sind – zumindest für Sie. Noch während wir diese Zeilen schreiben, tüfteln Entwickler an Blockchain-basierten Anwendungen, die auf solche Dinge ausgelegt sind. Und das ist erst der Anfang.

    Rationaler Überschwang für die Blockchain

    Eines steht fest: Die Blockchain-Technologie wird zahlreiche Institutionen von Grund auf verändern. Und genau deshalb dürften so viele kluge und einflussreiche Menschen so aufgeregt sein, wenn es um die Blockchain geht. Ben Lawsky hängte seinen Job als Leiter der Bankenaufsicht im US-Bundesstaat New York an den Nagel, um ein eigenes Beratungsunternehmen zu gründen, das sich auf die Blockchain-Technologie spezialisiert hat. Er sagte uns: „In fünf bis zehn Jahren werden wir das Finanzsystem nicht mehr wiedererkennen … und ich will diesen Wandel mitgestalten." ⁶ Blythe Masters, ehemalige Finanzchefin und Leiterin der globalen Rohstoffabteilung der Investmentbank J.P. Morgan, gründete ein Blockchain-fokussiertes Technologie-Start-up, um die Branche aufzumischen. Im Oktober 2015 war Masters auf der Titelseite von Bloomberg Markets. Die Schlagzeile lautete: „Alles dreht sich um die Blockchain. Auch in dem Leitartikel „Die Vertrauensmaschine des Economist vom Oktober 2015 hieß es, die Technologie hinter dem Bitcoin könne die Wirtschaft auf den Kopf stellen. ⁷ Für The Economist ist die Blockchain-Technologie eine fantastische Kette des Vertrauens. Banken in aller Welt bauen hochkarätige Teams auf, um Chancen auszuloten, und heuern dafür Spitzenkräfte an. Gerade Bankern gefällt die Vorstellung von sicheren, reibungslosen und blitzschnellen Transaktionen, doch der Gedanke von Offenheit, Dezentralisierung und neuen Währungsformen ist ihnen suspekt. Die Finanzdienstleistungsbranche hat die Blockchain-Technologie bereits umfirmiert und privatisiert – unter der Bezeichnung Technologie des dezentralen Hauptbuchs. Damit will sie die großen Vorteile des Bitcoin – nämlich Sicherheit, Geschwindigkeit und Kosten – mit einem in sich geschlossenen System vereinen, in dem eine Bank oder ein anderes Finanzinstitut die Nutzungsgenehmigung erteilen muss. In ihren Augen sind Blockchains zuverlässiger als bestehende Datenbanken. Und diese Datenbanken ermöglichen es ihren maßgeblichen Interessengruppen – Käufern, Verkäufern, Depotbanken und Aufsichtsbehörden –, über gemeinsame, unauslöschliche Datensätze zu verfügen und auf diese Weise die Kosten und Abwicklungsrisiken zu senken und zentrale Schwachpunkte zu eliminieren.

    Investitionen in Blockchain-Start-up-Unternehmen sind jetzt ebenso angesagt und gefragt wie damals in den 1990er-Jahren Investitionen in Dotcoms. Wagniskapitalgeber legen eine Begeisterung an den Tag, die den damaligen Dotcom-Investoren nachgerade peinlich wäre. Allein 2014 und 2015 floss bereits über eine Milliarde US-Dollar an Risikokapital in das aufkeimende Ökosystem der Blockchain und die Höhe der Investitionen verdoppelt sich nahezu jährlich.

    „Wir sind sehr zuversichtlich", sagte Marc Andreessen in einem Interview mit The Washington Post, „dass wir in 20 Jahren mit der gleichen Selbstverständlichkeit [von der Blockchain-Technologie] reden wie heute vom Internet."

    Auch die Aufsichtsbehörden stehen in den Startlöchern und haben schon Arbeitsgruppen gebildet, um herauszufinden, welche Gesetze sinnvoll wären – wenn überhaupt. Autoritäre Regierungen, etwa in Russland, haben der Verwendung des Bitcoin einen Riegel vorgeschoben oder die Nutzung stark eingeschränkt. Das Gleiche gilt für einige demokratische Staaten wie zum Beispiel Argentinien, die es aufgrund ihrer Währungskrisen eigentlich besser wissen müssten. Vernünftiger agierende westliche Regierungen geben derzeit viel Geld aus, um zu analysieren, wie die neue Technologie nicht nur das Zentralbankwesen und den Charakter des Geldes transformieren könnte, sondern auch den Staatsbetrieb und das Wesen der Demokratie. Carolyn Wilkins, die stellvertretende Direktorin der Bank of Canada, ist überzeugt, dass die Zeit für die Zentralbanken in aller Welt reif ist, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was passiert, wenn das gesamte nationale Währungssystem auf digitales Geld umgestellt würde. Der Chefvolkswirt der Bank of England, Andrew Haldane, macht sich für eine nationale digitale Währung für das Vereinigte Königreich stark. ¹⁰

    Es ist eine aufregende Zeit und so viel steht fest: Mit der steigenden Zahl der Befürworter digitaler Währungen nimmt auch der Anteil an Opportunisten, Spekulanten und Kriminellen zu, die Bitcoin und Co für sich entdecken. Als Erstes hören die meisten Menschen vom Konkurs der Bitcoin-Börse Mt.Gox oder der Verurteilung von Ross William Ulbricht, dem Gründer der virtuellen Handelsplattform Silk Road, der von FBI-Beamten wegen des Verdachts auf den Handel mit Drogen, Kinderpornografie und Waffen festgenommen wurde. Ulbricht nutzte die Bitcoin-Blockchain als Zahlungssystem. Der Bitcoin-Kurs schwankte heftig und der Bitcoin-Besitz ist nach wie vor stark konzentriert. Eine Studie wies 2013 nach, dass 937 Personen etwa die Hälfte aller Bitcoins besitzen, doch das ändert sich allmählich. ¹¹

    Aber wie kommen wir weg von Pornografie und Schneeballsystemen und hin zu Wohlstand? Dazu Folgendes vorab: Sie sollten sich für den Bitcoin nicht als nach wie vor spekulative Anlageklasse interessieren – es sei denn, Sie sind Trader von Beruf. In diesem Buch geht es um weit mehr als um Geldanlage, nämlich um die technologische Plattform, die dem allen zugrunde liegt, und um ihre Möglichkeiten.

    Das soll nicht heißen, dass der Bitcoin oder Kryptowährungen per se unwichtig seien, wie so mancher behauptet, der natürlich daran interessiert ist, dass das eigene Projekt nicht mit den Skandalen der jüngsten Vergangenheit in Verbindung gebracht wird. Diese Währungen sind für die Blockchain-Revolution entscheidend, denn sie dreht sich in erster Linie um den Peer-to-Peer-Austausch von Werten, vor allem von Geld.

    Wie lässt sich im digitalen Zeitalter Vertrauen gewinnen?

    Vertrauen in der Geschäftswelt bedeutet nichts anderes als die Erwartungshaltung, dass sich der Geschäftspartner an die vier Grundregeln der Integrität hält: Ehrlichkeit, Gegenleistung, Rechenschaftspflicht und Transparenz. ¹²

    Ehrlichkeit ist nicht nur eine Frage der Ethik, sie hat auch eine wirtschaftliche Dimension. Für eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Mitarbeitern, Geschäftspartnern, Kunden, Aktionären und auch der breiten Öffentlichkeit muss die Kommunikation wahrheitsgetreu, korrekt und vollständig ablaufen. Tabu sind Lügen, indem Wichtiges weggelassen wird, und auch Verschleierungstaktiken durch vermeintliche Komplexität.

    Unter Gegenleistung versteht man in der Geschäftswelt häufig den in gutem Glauben erfolgenden Austausch von Vor-, aber auch Nachteilen zwischen Parteien. Doch zu einer vertrauensvollen Beziehung gehört viel mehr, nämlich echter wechselseitiger Respekt für die Interessen, Wünsche und Gefühle des anderen und dass beide Parteien einander Wohlwollen entgegenbringen.

    Rechenschaftspflicht bedeutet, den eigenen Anspruchsgruppen klare Zusagen zu machen und diese dann auch einzuhalten. Jeder Einzelne muss ebenso wie jede Institution unter Beweis stellen, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt und die Verantwortung für gebrochene Versprechen übernimmt. Vorzugsweise bestätigen das die eigenen Anspruchsgruppen oder aber externe Fachleute. Was gar nicht geht: anderen den schwarzen Peter zuschieben und die Schuld abstreiten.

    Transparenz bedeutet, unter aller Augen zu operieren. Allein die Frage „Was verheimlichen sie uns? ist ein untrügliches Zeichen für mangelnde Transparenz, was in der Regel Misstrauen nach sich zieht. Zweifelsohne sind Unternehmen aus gutem Grund und völlig legal berechtigt, Betriebsgeheimnisse und andere vertrauliche Informationen zu schützen. Doch wenn es um nützliche Informationen für Kunden, Aktionäre, Mitarbeiter und andere Interessenvertreter geht, ist aktive Offenheit gefragt, denn nur damit lässt sich Vertrauen gewinnen. Der Spruch „Kleider machen Leute gilt für Unternehmen nicht mehr. Stattdessen sollten sie sich besser bis auf die Unterhose ausziehen.

    Doch mit dem Vertrauen in Unternehmen und andere Institutionen ist es nicht weit her. Das sogenannte „Trust Barometer" (Vertrauensbarometer) des PR-Netzwerks Edelman für das Jahr 2015 spricht eine deutliche Sprache: Das Vertrauen in Institutionen, allen voran in Unternehmen, ist wieder so gering wie zuletzt während der Finanzkrise von 2008. Edelman stellte fest, dass selbst die einst unangreifbare Technologiebranche, die unter den Wirtschaftssektoren auch heute noch das größte Vertrauen genießt, zum ersten Mal in fast allen Ländern einen Vertrauensverlust hinnehmen musste. Weltweit betrachtet zählen CEOs und Regierungsbeamte zu den Informationsquellen, denen man am stärksten misstraut – weit abgeschlagen hinter Wissenschaftlern oder Fachleuten. ¹³ Auch Gallup kam in einer Umfrage von 2015 zum Vertrauen der US-Bürger in Institutionen zu dem Ergebnis, dass „Unternehmen" den vorletzten Platz von insgesamt 15 zur Auswahl stehenden Institutionen belegten. Weniger als 20 Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Unternehmen in erheblichem oder hohem Maße vertrauten. Nur der US-amerikanische Kongress schnitt noch schlechter ab. ¹⁴

    In der Welt vor der Erfindung der Blockchain entstand Vertrauen bei Transaktionen, wenn sich Einzelne, Intermediäre oder andere Organisationen integer verhielten. Doch da wir unsere Geschäftspartner oft gar nicht kennen und erst recht nicht beurteilen können, ob ihr Verhalten integer ist, müssen wir uns auf Dritte verlassen, die ihre Hand für diese Unbekannten ins Feuer legen, die aber auch Daten über Transaktionen speichern und die Geschäfts- und Transaktionslogik beherrschen, die dem elektronischen Geschäftsverkehr zugrunde liegt. Diese mächtigen Intermediäre – Banken, Behörden, PayPal, Visa, Uber, Apple, Google und andere digitale Konzerne – schneiden sich für ihre Dienste ein großes Stück vom Kuchen ab.

    In der aufstrebenden Welt der Blockchain entsteht Vertrauen durch das Netzwerk und sogar durch die Objekte in diesem Netzwerk. Carlos Moreira von dem kryptografischen Sicherheitsunternehmen WISeKey ist davon überzeugt, dass die neuen Technologien Vertrauen effektiv delegieren – sogar an materielle Dinge. „Ist das Vertrauen, dass ein Objekt wie der Sensor eines Sendemasts, eine Glühbirne oder ein Herzmonitor, ordnungsgemäß funktioniert oder Dienstleistungen honoriert, nicht vorhanden, werden sie von anderen Objekten automatisch abgelehnt." ¹⁵ Das Hauptbuch an sich ist die Grundlage für Vertrauen. ¹⁶

    Um es klarzustellen: „Vertrauen" bezieht sich auf den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen sowie auf die Integrität und den Schutz von Daten, nicht jedoch auf das Vertrauen in allen geschäftlichen Angelegenheiten. Doch Sie werden in diesem Buch immer wieder davon lesen, wie ein globales Hauptbuch mit wahrheitsgetreuen Daten dazu beitragen kann, in all unseren Institutionen für mehr Integrität zu sorgen und die Welt somit sicherer und vertrauenswürdiger zu machen. Wir sind überzeugt, dass Unternehmen, die alle oder einen Teil ihrer Transaktionen über eine Blockchain abwickeln, einen enormen Vertrauensschub erleben, was sich im Aktienkurs niederschlagen wird. Aktionäre, aber auch Normalbürger werden erwarten, dass alle an der Börse notierten Unternehmen und mit Steuergeldern finanzierten Organisationen mindestens ihre Finanzabteilung über die Blockchain laufen lassen. Aufgrund der damit verbundenen höheren Transparenz können Investoren selbst beurteilen, ob ein CEO seinen fetten Bonus wirklich verdient hat. Mithilfe von durch Blockchains ermöglichten intelligenten Verträgen werden die Vertragsparteien faktisch gezwungen, ihre Pflichten zu erfüllen – und Wähler können aus erster Hand erfahren, ob ihre Volksvertreter ehrlich sind und sorgsam mit Steuergeldern umgehen.

    Die Rückkehr des Internets

    Das erste Internetzeitalter begann mit der Energie und Geisteshaltung eines jungen Luke Skywalker – in der festen Überzeugung, dass jedes Kind eines unwirtlichen Wüstenplaneten ein Imperium des Schreckens zu Fall bringen und eine neue Zivilisation gründen könnte, indem es ein Dotcom-Unternehmen startet. Keine Frage, das war ziemlich naiv. Aber viele Menschen, so auch wir, hofften, das Internet oder besser gesagt das World Wide Web würde die industrielle Welt auf den Kopf stellen, in der die Macht auf ein paar wenige verteilt und ein Aufstieg innerhalb der Machtstrukturen schwer war und diese noch schwerer zu überwinden waren. Anders als die alten zentralisierten Medien, die von mächtigen Kräften kontrolliert wurden, während die Nutzer in Trägheit verharrten, waren die neuen Medien dezentral und neutral. Einfach jeder konnte sich aktiv daran beteiligen und war nicht mehr auf die passive Rolle eines bloßen Empfängers reduziert. Niedrige Kosten und die enorme Peer-to-Peer-Kommunikation im Internet sollten dazu beitragen, traditionelle Hierarchien zu untergraben und Bürger von Entwicklungsländern in die Weltwirtschaft zu integrieren. Wert und Reputation sollten sich nach der Qualität des Beitrags richten, nicht mehr nach dem Status. Der Einsatz eines intelligenten, fleißigen Inders sollte durch einen tadellosen Ruf belohnt werden. Die Welt sollte nivellierter werden, leistungsorientierter, flexibler und fließender. Und das Tüpfelchen auf dem i wäre, wenn die Technologie dazu beitrüge, Wohlstand für alle zu schaffen – nicht nur Reichtum für ein paar wenige.

    Manches davon ist eingetreten. Es gab große Gemeinschaftsprojekte wie Wikipedia, Linux und Galaxy Zoo. Outsourcing und vernetzte Geschäftsmodelle haben dazu beigetragen, dass Menschen aus Entwicklungsländern besser an der Weltwirtschaft teilhaben konnten. Mittlerweile arbeiten rund zwei Milliarden Menschen sozial gleichgestellt als „Peers" zusammen. Wir alle haben in bislang unbekanntem Umfang Zugriff auf Informationen.

    Doch das Imperium hat zurückgeschlagen. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die konzentrierte Macht von Unternehmen und Staaten die ursprünglich demokratische Architektur des Internets nach ihrem Willen gebeugt hat.

    Riesige Institutionen besitzen und kontrollieren inzwischen diese neuartigen Mittel der Produktion und der sozialen Interaktion – die zugehörige Infrastruktur, die jetzt schon gewaltige und weiter anwachsende Fundgrube an Daten sowie die Algorithmen, die das Geschäfts- und Privatleben zunehmend bestimmen, die Welt der Apps und außergewöhnliche und neuartige Fertigkeiten, maschinelles Lernen und selbstfahrende Autos. Vom Silicon Valley über die Wall Street bis nach Schanghai und Seoul nutzt diese neue Aristokratie ihr Insiderwissen, um mithilfe der außergewöhnlichsten aller je entwickelten Technologien Menschen zu Wirtschaftsakteuren zu machen, um riesige Vermögen anzuhäufen und ihre Macht und ihren Einfluss über Volkswirtschaften und Gesellschaften zu stärken.

    Viele der pessimistischen Befürchtungen der digitalen Vorreiter sind im Großen und Ganzen eingetreten. ¹⁷ Wir haben zwar das Bruttoinlandsprodukt gesteigert, aber in den meisten Industrieländern konnte das Beschäftigungswachstum nicht Schritt halten. Die Reichen werden immer reicher, die soziale Ungerechtigkeit nimmt zu. Einflussreiche Technologieunternehmen sind wieder ein ganzes Stück abgerückt vom offenen, verteilten, egalitären und ermächtigenden Web und entscheiden sich mehr und mehr für geschlossene Bereiche im Internet (sogenannte „Walled Gardens") oder eigentumsrechtlich geschützte Read-only-Anwendungen, die neben anderen Dingen auch die Kommunikation torpedieren. Mächtige Konzerne bedienen sich vieler dieser wunderbaren demokratischen und offenen Peer-to-Peer-Anwendungen und sichern sich damit einen ungebührlich hohen Anteil an Wert.

    Und das Ergebnis? Ökonomische Macht ist noch hermetischer und konzentrierter geworden und hat sich fester etabliert. Statt dass unsere Daten breiter und demokratischer verteilt werden, werden sie von einigen wenigen Stellen gehortet und dafür eingesetzt, noch mehr Macht und Kontrolle auszuüben. Wer Daten sammelt und somit an Einfluss gewinnt, kann seine Position noch weiter stärken, indem er sie in geschützte Informationen umwandelt. Dieses Privileg sticht Verdienst aus, egal worauf es fußt.

    Außerdem greifen „digitale Konzerne" wie Amazon, Google, Apple und Facebook – allesamt einst Internet-Start-up-Unternehmen – schamlos in die Schatzkiste voller Daten, die Bürger und Institutionen häufig in privaten Datensilos, und nicht im Web, erzeugen. Auch wenn sie dadurch enormen Wert für Verbraucher schaffen, so führt dies dennoch dazu, dass Daten zu einer neuen Vermögensklasse werden, die frühere ausstechen könnte. Außerdem werden dadurch unsere traditionellen Vorstellungen von Privatsphäre und Autonomie des Individuums untergraben.

    Regierungen sämtlicher Couleur nutzen das Internet, um ihre Tätigkeit und ihre Dienste zu verbessern, doch sie setzen die Technologie inzwischen auch dafür ein, Bürger zu überwachen und sogar zu manipulieren. Viele Demokratien verwenden moderne Informationsund Kommunikationstechnologien, um ihre Bürger zu bespitzeln, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, bestimmte Interessen zu bedienen, bürgerliche Rechte und Freiheiten einzuschränken und um an der Macht zu bleiben. Repressive Regierungen wie in China und im Iran kontrollieren das Internet oder missbrauchen es, um gegen Andersdenkende vorzugehen und Bürger für ihre Ziele zu mobilisieren.

    Das soll aber nicht heißen, dass das Web tot wäre, wie so mancher andeutet. Das Web ist entscheidend für die Zukunft der digitalen Welt und wir alle sollten uns Initiativen anschließen, die es verteidigen – wie der World Wide Web Foundation, die darum kämpft, dass es offen und neutral bleibt und sich laufend weiterentwickelt.

    Mit der Blockchain-Technologie hat sich eine ganz neue Welt mit ungeahnten Möglichkeiten aufgetan, die all diese Trends umkehren könnte. Inzwischen verfügen wir über eine richtige Peer-to-Peer-Plattform, die die vielen aufregenden Dinge ermöglicht, von denen Sie aus diesem Buch erfahren. Damit sind wir wieder Herr unserer eigenen Identität und unserer persönlichen Daten. Wir können Transaktionen abwickeln, Werte schaffen und damit handeln, ohne dass wir dafür mächtige Intermediäre bemühen müssten, die als Hüter von Geld und Daten auftreten. Milliarden ausgeschlossener Menschen werden schon bald Teil der Weltwirtschaft sein. Wir können unsere Privatsphäre schützen und unsere eigenen Daten versilbern. Wir können dafür sorgen, dass die Urheber geistigen Eigentums dafür entlohnt werden. Wir müssen uns nicht mehr mit dem Versuch begnügen, das Problem der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit dadurch zu lösen, dass wir den Wohlstand neu verteilen, sondern wir können ganz am Anfang ansetzen – nämlich dort, wo Wohlstand geschaffen wird. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen aller Länder, vom Bauern bis zum Musiker, von Anfang an an dem von ihnen geschaffenen Wohlstand beteiligt werden. Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt.

    Dabei haben wir es allerdings eher mit Meister Yoda zu tun als mit Gott. Wenn das neue Protokoll auch nicht göttlich ist, so ermöglicht es doch eine vertrauensvolle und sichere Zusammenarbeit in einer Welt, die genau das braucht. Und das ist schon eine ganze Menge. Aufgeregt wir sind.

    Ihr persönlicher Avatar und die Blackbox der Identität

    In der Geschichte hat jede neue Medienform der Menschheit ermöglicht, Zeit, Raum und die Sterblichkeit ein Stück weiter zu überwinden. Diese – ein zugegebenermaßen gewagtes Attribut – göttliche Fähigkeit stellt erneut die existentielle Frage nach unserer Identität in den Raum: Wer sind wir? Was bedeutet es, Mensch zu sein? Wie definieren wir uns? Wie Marshall McLuhan feststellte, wandelt sich das Medium im Lauf der Zeit zur Botschaft. Wir Menschen formen die Medien und wir werden von ihnen geformt. Unser Gehirn, unsere Institutionen, die Gesellschaft – alles passt sich an.

    „Heutzutage brauchen wir eine Organisation, die das Recht besitzt, Sie mit einer Identität auszustatten, nicht anders als bekämen Sie eine Bank- oder Kredit- oder Vielfliegerkarte" ¹⁸, sagt Carlos Moreira von WISeKey. Ihre Eltern gaben Ihnen Ihren Namen, eine staatlich geprüfte Geburtshelferin oder Hebamme, die bei Ihrer Geburt dabei war, erfasste Ihre Werte, stellte Ihr Gewicht und Ihre Größe fest, und beide Parteien bestätigten Zeit, Datum und Ort Ihrer Geburt mit ihrer Unterschrift auf Ihrer Geburtsurkunde.

    Inzwischen lässt sich diese Urkunde in der Blockchain speichern und gleich mit einer Geburtsanzeige und einem Sparplan fürs Studium verbinden. Freunde und Familienangehörige können mit Bitcoins zur Finanzierung Ihrer Ausbildung beitragen. Genau an dieser Stelle entspringt Ihr Datenfluss.

    In den Anfangstagen des Internets schrieb Tom Peters: „Du bist deine Projekte." ¹⁹ Damit wollte er sagen, dass es nicht mehr unsere Betriebszugehörigkeit und unsere Berufsbezeichnung sind, die uns definieren. Inzwischen gilt auch: „Du bist deine Daten. Das Problem ist laut Moreira: „Ihre Identität gehört zwar Ihnen allein, aber die Daten, die durch ihre Interaktion mit dem Rest der Welt entstehen, gehören anderen. ²⁰ So sehen das zumindest die meisten Unternehmen und Institutionen: Sie sind nichts anderes als ein Datenkondensstreifen im Internet. Sie vereinen Ihre Daten zu einem virtuellen Abbild von Ihnen und lassen dieses „virtuelle Ich in den Genuss von außergewöhnlichen Vorteilen kommen, wie sie sich Ihre Eltern in ihren kühnsten Träumen nicht für Sie erhofft hatten. ²¹ Doch diese Bequemlichkeit hat ihren Preis: Ihre Privatsphäre. Wer behauptet „Die Privatsphäre ist tot – damit müssen wir uns abfinden, der irrt. ²² Die Privatsphäre, also der Datenschutz, ist das Fundament freier Gesellschaften.

    „Wir Menschen definieren Identität stark vereinfacht" ²³, sagte der Blockchain-Theoretiker Andreas Antonopoulos. Wir verwenden das Wort Identität, um unser Ich zu beschreiben, und die Projizierung dieses Ichs gegenüber der Welt. Dazu kommen dann noch alle Eigenschaften, die wir mit der Vorstellung von unserem Ich oder seinen Projektionen in Verbindung bringen und die entweder angeboren sind oder uns vom Staat oder privaten Organisationen verliehen wurden. Wir können eine oder mehrere Rollen ausfüllen, mit denen eine ganze Reihe von Kenngrößen verbunden ist. Obendrein können sich diese Rollen jederzeit ändern. Denken Sie nur einmal an Ihren letzten Job. Hat sich Ihre Rolle dort organisch verändert, weil sich Ihre Aufgaben gewandelt haben? Oder lag es vielmehr daran, dass Ihre Stellenbeschreibung umgeschrieben wurde?

    Was, wenn Ihr „virtuelles Ich wirklich Ihnen gehörte? Wenn es Ihr persönlicher Avatar wäre und in einer Blackbox Ihrer eigenen Identität „lebte? Dann könnten Sie Ihren Datenstrom zu Geld machen und nur das Notwendigste preisgeben, zum Beispiel, wenn Sie ein bestimmtes Recht in Anspruch nehmen.

    Weshalb beinhaltet Ihre Fahrerlaubnis mehr Informationen über Sie als die Tatsache, dass Sie die Fahrprüfung bestanden und somit nachgewiesen haben, dass Sie ein Fahrzeug führen können? Stellen Sie sich vor, eine neue Ära des Internets beginnt, in der Ihr persönlicher Avatar den Inhalt Ihrer Blackbox verwaltet und schützt. Dieser vertrauenswürdige Software-Diener könnte in jeder Situation aufs Neue lediglich die unbedingt nötigen Daten und Details preisgeben und zugleich die Datenkrümel auflesen, die Sie hinterlassen, wenn Sie durch die digitale Welt navigieren.

    In Ihren Ohren mag das wie der Stoff für Science-Fiction-Filme wie Matrix oder Avatar klingen. Doch mit der heutigen Blockchain- Technologie wäre das durchaus machbar. Joe Lubin, CEO von Consensus Systems, bezeichnet dieses Konzept als „dauerhafte digitale Identität und Persönlichkeit auf einer Blockchain. „Meinen Freunden vom College zeige ich einen anderen Aspekt meiner Persönlichkeit als den Zuhörern meines Vortrags vor der Chicago Fed, sagte er. „In der digitalen Online-Wirtschaft zeige ich unterschiedliche Aspekte von mir und interagiere über eine Plattform mit meinen verschiedenen Persönlichkeiten. Lubin geht davon aus, dass er früher oder später eine „autorisierte Persönlichkeit besitzt, sprich, die Version seiner selbst, die Steuern zahlt, Kredite aufnimmt und Versicherungen abschließt. „Vielleicht werde ich eine Geschäftspersönlichkeit und eine Privatpersönlichkeit haben, damit ich unterscheiden kann, welche Angelegenheiten ich mit meiner ‚autorisierten Persönlichkeit‘ verbinden kann. Vielleicht gibt es dann ja auch eine Spielerpersönlichkeit, die völlig losgelöst von meiner Geschäftspersönlichkeit existieren soll. Oder sogar eine Persönlichkeit aus dem Dark Web, die mit meinen anderen Persönlichkeiten nicht in Verbindung gebracht werden kann." ²⁴

    Ihre Blackbox enthält womöglich Informationen wie einen von einer Behörde ausgestellten Ausweis, Ihre Sozialversicherungsnummer, medizinische Daten, Nutzerkonten, Finanzkonten, Diplome, Zulassungen, Geburtsurkunde und andere Nachweise und Daten, die so persönlich sind, dass Sie sie zwar nicht preisgeben, aber ihren Wert dennoch realisieren möchten. Zum Beispiel könnten Sie im Rahmen einer Umfrage oder Studie Ihre sexuellen Vorlieben oder Ihre Krankengeschichte offenlegen. Sie könnten diese Daten zweckgebunden an bestimmte Einrichtungen für eine festgelegte Dauer lizenzieren. Denkbar wäre, dass Sie einen bestimmen Datensatz an Ihren Augenarzt senden und einen anderen an den Hedgefonds, in den Sie gerne investieren wollen. Ihr Avatar könnte einfache Fragen wie „Sind Sie 21 oder älter? Haben Sie in den letzten drei Jahren mehr als 100.000 US-Dollar jährlich verdient? Sind Sie laut Body-Mass-Index normalgewichtig? mit „Ja oder „Nein" beantworten, ohne dabei Ihre Identität preiszugeben. ²⁵

    In der physischen Welt ist Ihre Reputation lokaler Natur. Der Ladenbesitzer in Ihrem Wohnort, Ihr Arbeitgeber, Ihre Freunde auf der Party haben eine bestimme Meinung über Sie. In der digitalen Wirtschaft lässt sich die Reputation der unterschiedlichen Persönlichkeiten Ihres Avatars übertragen. Dadurch können Menschen quasi überall in der digitalen Wirtschaft sein. So ist vorstellbar, dass man sich mit einer digitalen Brieftasche und einem Avatar in Afrika den Ruf aufbauen könnte, der nötig wäre um zum Beispiel einen Kredit für die Gründung eines Unternehmens aufzunehmen. „Schauen Sie mal, all diese Menschen kennen mich und bürgen für mich. Ich bin in finanzieller Hinsicht vertrauenswürdig. Ich bin ein freier Bürger der globalen digitalen Volkswirtschaft."

    Identität ist nur ein winziger Teil davon. Der Rest ist eine Cloud – eine Identitäts-Cloud – mit bestimmten Eigenschaften, die lose oder eng mit Ihrer Identität verknüpft sind. Versuchen wir, all das in der Blockchain zu speichern, also in einem unabänderlichen Hauptbuch, geht damit aber nicht nur die Nuance einer sozialen Interaktion verloren, sondern auch das Geschenk des Vergessens. Wir sollten niemals anhand unseres miesesten Tages definiert werden.

    Ein Wohlstandsplan

    In diesem Buch werden Sie von zahlreichen Initiativen lesen, die dieses Protokoll des Vertrauens ermöglicht hat und die neue Chancen für eine wohlhabendere Welt eröffnen. Doch was ist Wohlstand eigentlich? Nun, zunächst geht es dabei um den Lebensstandard, für den bestimmte Mittel, Werkzeuge und Chancen nötig sind. Nur damit lässt sich materieller Wohlstand und wirtschaftlicher Erfolg schaffen. Doch für uns gehört noch mehr dazu: die persönliche Unversehrtheit, Sicherheit, Gesundheit, Bildung, ökologische Nachhaltigkeit, die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe an einer Wirtschaft und an einer Gesellschaft. Wohlstand bedeutet auch, dass jemand zumindest Zugang zu bestimmten, grundlegenden Finanzdienstleistungen hat, damit er Wert zuverlässig speichern und transferieren kann, damit er kommunizieren kann und über Transaktionswerkzeuge verfügt, um Anschluss an die Weltwirtschaft zu erhalten, und Sicherheit und Schutz zu genießen und um Rechte an Grundbesitz und anderen Vermögenswerten durchzusetzen, die ihm rechtmäßig zustehen. ²⁶

    Das und noch viel mehr verspricht die Blockchain. Die in diesem Buch erzählten Geschichten vermitteln Ihnen einen ersten Eindruck davon, wie eine Zukunft aussehen könnte, in der Wohlstand für alle möglich ist – nicht nur noch mehr Wohlstand und Macht für die ohnehin Wohlhabenden und Mächtigen. Vielleicht leben wir einmal in einer Welt, in der wir Herr über unsere eigenen Daten sind, unsere Privatsphäre, unsere Daten, schützen können und persönliche Sicherheit genießen. Vielleicht kann in einer solchen offenen Welt jedermann seinen Beitrag zur technologischen Infrastruktur leisten. Vielleicht hat die Welt der „Walled Gardens" dann ausgedient, in der Großkonzerne eigentumsrechtlich geschützte Apps anbieten. Vielleicht leben wir dann in einer Welt, in der Milliarden bisher ausgeschlossener Menschen Teil der Weltwirtschaft werden und von der neuen Großzügigkeit profitieren. Einen Ausblick darauf erhalten Sie hier.

    Die Entwicklung einer echten Peer-to-Peer-Sharing-Economy

    Experten bezeichnen Airbnb, Uber, Lyft, TaskRabbit und andere als Plattformen für die sogenannte „Sharing Economy". Das ist eine nette Idee – dass Gleichberechtigte Wert schaffen und miteinander teilen. Doch die genannten Unternehmen haben mit Teilen nicht viel am Hut. Ihr Erfolg beruht größtenteils darauf, dass sie eben nicht teilen, sondern aggregieren. Es ist also eine Aggregationswirtschaft. Uber ist ein 65 Milliarden US-Dollar schweres Unternehmen, das Fahrdienste aggregiert.

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