Mami 1845 – Familienroman: Kleines Herz weiß nicht wohin
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Gitti Becker, Studentin und nebenberuflich Putzhilfe beim Strohwitwer Schröder und seiner Tochter Bianca, warf einen letzten prüfenden Blick ins Wohnzimmer der Schröders. Natürlich putzte sie nicht wie ein Weltmeister, aber oberflächlich betrachtet sah alles ganz prima aus. Jetzt mußte sie nur noch die Spuren ihrer Zigarette in der Küche vernichten.
Manfred Schröder konnte Tabakrauch nicht leiden. Und da er heute seine Frau nach zwei Jahren Krankheit aus der Kurklinik zurückholte, hatte Gitti dafür auch großes Verständnis.
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Mami 1845 – Familienroman - Isabell Rohde
Mami –1845–
Kleines Herz weiß nicht wohin
Roman von Isabell Rohde
Gitti Becker, Studentin und nebenberuflich Putzhilfe beim Strohwitwer Schröder und seiner Tochter Bianca, warf einen letzten prüfenden Blick ins Wohnzimmer der Schröders. Natürlich putzte sie nicht wie ein Weltmeister, aber oberflächlich betrachtet sah alles ganz prima aus. Jetzt mußte sie nur noch die Spuren ihrer Zigarette in der Küche vernichten.
Manfred Schröder konnte Tabakrauch nicht leiden. Und da er heute seine Frau nach zwei Jahren Krankheit aus der Kurklinik zurückholte, hatte Gitti dafür auch großes Verständnis.
Ob sie noch wartete, bis die Limousine mit dem endlich wieder vereinten Ehepaar vor’s Haus rollte? Da sie Frauke Schröder nur von Fotos und aus Erzählungen kannte, sah sie der Rückkehr der Hausfrau und Mutter gespannt entgegen. Aber nein, es war schon nach drei. In einer Stunde begann ihr Seminar. Vorher mußte sie noch zu den Nachbarn, den Lochners, weil die kleine Bianca es vor Ungeduld nicht mehr zu Hause ausgehalten hatte und mal wieder zu denen hinübergehuscht war.
Gitti schloß die Haustür sorgfältig, warf noch einen Blick in den Garten und bedauerte, daß ihre Zeit nie ausreichte, um dort mal Ordnung zu schaffen. Seit zwei Jahren fehlte hier Frauke Schröders liebevoll pflegende Hand. Jetzt im Frühling, da alles wuchs und wucherte, sprang einem das Grün wie Wildwuchs ins Auge. Eigentlich sah es ganz hübsch aus. Aber ob Biancas Mutter der Anblick auch gefiel?
Während Gitti ihr Fahrrad vom Grundstück zu den Nachbarn in der Villa ›Vera‹ schob, überlegte sie, wie Frauke Schröder sich nach drei Operationen und langwierigen Therapien wohl fühlen mochte? Ob sie sich, wie ihr Mann behauptete, daheim schnell erholen und schon bald alle Hausarbeiten allein erledigen konnte wie früher? Und ob Bianca mit ihren gerade sieben Jahren ahnte, wie schwach ihre Mutter zunächst noch sein würde? Hatte Manfred Schröder seine Tochter eigentlich darauf vorbereitete?
Sie stellte ihr Fahrrad nebenan am Zaun vor der Villa ›Vera‹ ab. Hier wohnten die Lochners seit fünf Jahren zur Miete. Gitti kannte Trixi Lochner, die wie ihr Mann den Lehrberuf ausübte und mit ihm zwei entzückende Kinder hatte, seit anderthalb Jahren, weil sie als Studentin für den Lehrberuf mehrmals an ihrem Unterricht teilhaben mußte. Aus der Begegnung war eine Bekanntschaft und dann sogar Freundschaft geworden.
So hatte Gitti auch von dem Schicksal der Schröders erfahren, deren Lebensumstände sich durch die Krankheit der jungen Mutter so dramatisch verändert hatten. Und weil sie sich gern etwas dazuverdiente, fuhr sie nun zweimal wöchentlich in den stillen Vorort und sorgte dafür, daß das Chaos im Heim der Schröders nicht vollends überhand nahm.
»Huhuu, Gitti!«
Gitti hob den Kopf. Aus einem Fenster im ersten Stock der Villa winkte ihr Bianca zu. Da sie sich täglich bei den Lochners aufhielt und mit der neunjährigen Sophie dick befreundet war, hockte sie in deren Zimmer.
»Kommst du rein, Gitti?«
»Ja, du Naseweis. Natürlich!«
Die vordere Tür der Villa war nur angelehnt. Als Gitti eintrat und vor den aufgetürmten Umzugskartons im Flur stand, wurde ihr jäh bewußt, daß die Lochners ja morgen in ihr gerade fertiggestelltes Eigenheim weit südlich hinter den Grenzen der Stadt zogen. Wie hatte sie es nur vergessen können!
Kisten, Kartons, Gemälde, Lampen, Kleinmöbel und Körbe voller Gardinenbahnen und anderen Gegenständen stapelten sich hier schon.
»Wo seid ihr denn?« rief sie suchend nach den Freunden.
»Hier unten in der Küche, Gitti!« antwortete ihr die Stimme des Hausherrn.
Also huschte Gitti die Stufen ins Souterrain herab und mußte sich dabei wieder an unzähligen Gegenständen vorbeidrücken.
In der Küche sah es nicht viel besser aus.
Die Schränke waren ausgeräumt, überall türmten sich Töpfe, Pfannen und Geschirr.
Aber am großen Tisch mittendrin machte sich die gesamte Familie Lochner über drei Platten mit belegten Schnittchen her. Aber nicht etwa, um sie zu verschmausen, sondern um sie zu verzieren.
»Hm! Sieht das lecker aus!« lobte Gitti.
Ulf, der Fünfjährige, legte Petersilienzweige um die Schnittchen. Sophie garnierte die Eibrötchen mit Radieschenscheiben, und das Elternpaar wechselte sich beim Belegen von Lachsschnittchen mit Schnittlauchröllchen und Sahnetupfern ab.
Gitti wurde herzlich und laut begrüßt, staunte aber nur. »Ist das eure letzte Mahlzeit? Mit so einem Aufwand?« fragte sie verdutzt.
»Aber nein!« entgegnete Trixi lachend. »Das bereiten wir für den Umtrunk zu Ehren von Frauke Schröders Heimkehr vor. Sie soll doch merken, wie glücklich wir sind, daß wir noch ein letztes Mal zusammensitzen und feiern können.«
»Aber Trixi!« ermahnte Gitti die Lehrerin. »Frauke Schröder ist noch sehr schwach. Ihr Mann wird für solche Mätzchen kein Verständnis haben! Er bringt sich nahezu um vor Sorge um seine Frau.«
»Siehste!« Ralf Lochner sah seine Frau triumphierend an. »Hab’ ich dich nicht gewarnt? Das war deine Schnapsidee. Frauke wird noch lange nicht nach Feiern zumute sein. Und Manfred…«
»Ach, Manfred macht sich immer so wichtig!« wischte seine Frau die Bedenken vom Tisch. »Denk doch an die Kinder. Die müssen morgen endgültig von der Villa Vera und von Bianca Abschied nehmen.«
Ralf nickte, dann bat er Sophie und den fünfjährigen Ulf, mal nach oben zu rasen und Bianca herunterzuholen. Gitti begriff sofort, daß er mit ihr und seiner Frau allein sein wollte.
Und kaum waren die Rangen hinausgestürmt, begann er schon.
»Also, ich will ja nicht tratschen. Aber Gitti hat recht. Vor anderthalb Jahren, als Frauke zum zweiten Mal operiert werden mußte und Manfred verzweifelt um ihr Leben bangte, hat er einen Schwur geleistet.«
»Na klar, wenn sie mit dem Leben davonkommt, will er sie verwöhnen. Hättest du das nicht auch geschworen?« fragte seine Frau.
»Klar. Nur bei ihm wiegt der Schwur viel schwerer. Er hat Frauke doch immer vernachlässigt, weil er sein kleines Unternehmen aufbauen mußte.«
»Darunter hat sie nie gelitten. Frauke ist bescheiden und immer mit wenig zufrieden. Ihr Kind, das Haus, der Garten – das war ihre Welt. Und so wird es auch wieder sein.«
»Ja, ja. Aber sie war auch immer recht blauäugig. Sie hat nie geahnt, daß Manfred nicht alle Abende im Büro verbrachte.«
»Wo denn?« wollte Gitti sofort wissen.
»Nun ja, er hat, wie man so schön sagt, nichts anbrennen lassen. Zu seinen Geschäftspartnerinnen und Kundinnen gehören offensichtlich einige attraktive Frauen. Da hat er eben zugegriffen, wenn sich ihm ein Abenteuer bot.«
»Das glaub’ ich nicht!« erwiderte Trixi heftig, blies den Atem aus, so daß ihre rötlichen Ponysträhnen hochflogen und ihre blauen Augen noch staunender in die Welt guckten als sonst.
»Er ist ja ein toller Mann«, mußte Gitti zugeben. »Auch, wenn er ziemlich streng und schroff sein kann. Aber für Bianca ist er ein prima Papi. Alle Achtung.«
»Ja, ja. Aber der tolle Manfred Schröder wird sich in Zukunft nur noch um seine Frau kümmern, Gitti«, glaubte Ralf zu wissen. »Ich hoffe nur, Bianca kann es verstehen. Und darum ist es vielleicht doch angebracht, wenn wir heute noch mal mit den Kindern feiern. Ich fürchte nämlich, daß ihr noch gar nicht bewußt ist, wie einsam sie ohne Sophie und Ulf sein wird. Sie hat fast jeden Tag bei uns verbracht. Von den zahllosen Nächten, in denen sie oben bei Sophie auf der Luftmatratze schlief, mal ganz zu schweigen.«
Trixi nickte. »Nun, sie sitzt seit einer Stunde oben am Fenster und hält nach dem Auto ihrer Eltern Ausschau. Sie kann es kaum erwarten, endlich in den Armen ihrer Mami zu liegen. Ich nehme an, Fraukes Heimkehr wird sie über den Abschied hinwegtrösten.«
»Mir hat sie gesagt, sie wollte bei euch im Garten nach Maiglöckchen suchen«, meinte Gitti und sah wieder zur Uhr. »Ihre Mami hat sie so gern, aber drüben im Garten wachsen keine mehr.«
»Bei uns auch noch nicht. Wir haben uns in letzter Zeit nicht mehr um den Garten gekümmert«, erklärte Ralf. »Denn ab morgen haben wir ja unseren eigenen.«
Zum Abschied strich Gitti beiden flüchtig über die Schulter. »Ich muß los. Sowie