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Franz Joseph und seine Familie: Ein Kaiser blickt zurück
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Franz Joseph und seine Familie: Ein Kaiser blickt zurück

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Die Habsburgexpertin Dr. Sigrid-Maria Größing charakterisiert Franz Joseph I. und seine Ära nicht aus historischer Distanz, sondern lässt den Kaiser selbst zu Wort kommen. Durch diesen unmittelbaren Zugang gelingt ihr ein sehr menschliches Porträt des zum Mythos gewordenen Herrschers - ein faszinierendes, ungewöhnliches Buch.
10. September 1916: Am Todestag von Kaiserin Elisabeth betritt der alte Kaiser Franz Joseph I. die Kapuzinergruft, um seiner vor 18 Jahren ermordeten Gemahlin zu gedenken. Seit zwei Jahren tobt ein entsetzlicher Krieg, der Fortbestand des Habsburgerreiches steht auf dem Spiel. An den Särgen seiner Vorfahren legt er Rechenschaft ab über knapp 70 Regierungsjahre. Die Bilanz fällt ernüchternd aus und steckt voller Zweifel: Auch die Schicksalsschläge in seiner Familie lasten schwer. Knapp zwei Monate später stirbt der Kaiser. Eine Epoche geht zu Ende, unwiderruflich.
LanguageDeutsch
Release dateOct 28, 2016
ISBN9783800079469
Franz Joseph und seine Familie: Ein Kaiser blickt zurück

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    Franz Joseph und seine Familie - Sigrid-Maria Größing

    Die letzte Entscheidung

    des alten Kaisers

    »A jeder Ruß – an Schuß, jeder Franzos – an Stoß, jeder Britt – an Tritt! Gott strafe England! Serbien muß sterbien!«

    Der Jubel in Wien kannte keine Grenzen, als man von der Unterzeichnung des Ultimatums an Serbien am 28. Juli 1914 erfuhr. Endlich hatte er gehandelt, endlich hatte sich der alte Kaiser aufgerafft und wenn schon nicht selbst zum Schwert, so doch zur Feder gegriffen, um dem Treiben gegen die Habsburger und die Monarchie auf dem Balkan ein Ende zu bereiten. Viel zu lang hatte er zugeschaut und war nicht bereit gewesen, seinen Generälen, die zum Angriff drängten, nachzugeben, obwohl Franz Joseph von Jugend auf Militarist gewesen war und sich wahrscheinlich nicht nur als ersten Beamten der Monarchie sah, sondern vor allem als ersten Soldaten.

    Nur einmal hatte er sich in seinem langen Leben auf dem Schlachtfeld bewähren können, als er in Italien an der Seite Radetzkys gegen die revoltierenden Oberitaliener ins Feld gezogen war. Aber seine Karriere als Krieger war nur kurz gewesen. Denn als unmittelbar neben dem Kaiser eine Granate einschlug, legte man Franz Joseph nahe, sich nicht weiter in Gefahr zu begeben, weil ein toter Kaiser wäre keinesfalls von Nutzen gewesen.

    Auch im Krieg gegen Preußen im Jahre 1866 hatte er sich keine Sporen verdienen können, zu übermächtig war der deutsche Gegner, vor allem aber zu gut gerüstet. Der junge Kaiser musste bitter erkennen, dass er trotz der ständig abgehaltenen Manöver, wo alles wie am Schnürchen klappen musste, es verabsäumt hatte, Militärexperten zu kontaktieren, die ihn auf die Zündnadelgewehre aufmerksam gemacht hätten, durch die das preußische Heer dem österreichischen deutlich überlegen war. Die Situation nach Königgrätz war für die österreichischen Truppen, doch auch für den Kaiser und seine Familie sowie für die gesamte Monarchie mehr als prekär. Franz Joseph musste froh sein, dass die Preußen nicht in Wien einmarschierten. Für ihn wäre dies aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende gewesen.

    Aber ein Bismarck suchte keine Demütigung des Habsburgers, er hatte weiter reichende Pläne. Dazu benötigte er im Südosten eine gewisse Beruhigung, um sein Ziel zu erreichen, die Franzosen in die Schranken zu weisen und den deutschen König Wilhelm I. zum Kaiser zu krönen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, an dessen Spitze jahrhundertelang der Habsburger Kaiser gestanden hatte, war ohnehin längst zu Grabe getragen worden.

    Durch das Ultimatum an Serbien, das der Ermordung des Thronfolgers folgte, kam eine neue brandgefährliche Situation in Europa zustande. Denn selbst Kaiser Franz Joseph hätte sich mit seinen 84 Jahren noch ausrechnen können, welche Bündnissysteme durch diesen Schritt ins Rollen kommen würden. Er hatte sich zwar von seinen militärischen Beratern eingehend, aber auch einseitig informieren lassen, inwieweit Serbien hinter dem Attentat von Sarajevo steckte. Und das, was er erfuhr, war dazu angetan, den indirekten Aggressor in die Schranken zu weisen. Dass Serbien, das mit Russland verbündet war, das Ultimatum rundweg ablehnen würde, darüber mussten sich die damaligen Politiker im Klaren gewesen sein. Das europäische Bündnissystem setzte sich wie eine Maschine in Gang, denn das Zarenreich war wiederum mit England und Frankreich verbündet gegen Österreich und Deutschland.

    »An Meine Völker!« wandte sich Franz Joseph in seinem Ultimatum an Serbien, in dem er erklärte:

    Es war Mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die Mir durch Gottes Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und Meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren. Im Rate der Vorsehung ward es anders beschlossen.

    Die Umtriebe eines haßerfüllten Gegners zwingen Mich, zur Wahrung der Ehre Meiner Monarchie, zum Schutze ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwerte zu greifen.

    Mit rasch vergessendem Undank hat das Königreich Serbien, das von den ersten Anfängen seiner staatlichen Selbständigkeit bis in die neueste Zeit von Meinen Vorfahren und Mir gestützt und gefördert worden war, schon vor Jahren den Weg offener Feindseligkeit gegen Österreich-Ungarn betreten.

    Als Ich nach drei Jahrzehnten segensvoller Friedensarbeit in Bosnien und der Hercegovina Meine Herrscherrechte auf diese Länder erstreckte, hat diese Meine Verfügung im Königreiche Serbien, dessen Rechte in keiner Weise verletzt wurden, Ausbrüche zügelloser Leidenschaft und erbittertsten Hasses hervorgerufen. Meine Regierung hat damals von dem schönen Vorrechte des Stärkeren Gebrauch gemacht und in äußerster Nachsicht und Milde von Serbien nur die Herabsetzung seines Heeres auf den Friedenstand und das Versprechen verlangt, in Hinkunft die Bahn des Friedens und der Freundschaft zu gehen.

    Von demselben Geiste der Mäßigung geleitet, hat sich Meine Regierung, als Serbien vor zwei Jahren im Kampfe mit dem türkischen Reiche begriffen war, auf die Wahrung der wichtigsten Lebensbedingungen der Monarchie beschränkt. Dieser Haltung hatte Serbien in erster Linie die Erreichung des Kriegszweckes zu verdanken.

    Die Hoffnung, daß das serbische Königreich die Langmut und Friedensliebe Meiner Regierung würdigen und sein Wort einlösen werde, hat sich nicht erfüllt.

    Immer höher lodert der Haß gegen Mich und Mein Haus empor, immer unverhüllter tritt das Streben zutage, untrennbare Gebiete Österreich-Ungarns gewaltsam loszureißen.

    Ein verbrecherisches Treiben greift über die Grenze, um im Südosten der Monarchie die Grundlagen staatlicher Ordnung zu untergraben, das Volk, dem Ich in landesväterlicher Liebe Meine volle Fürsorge zuwende, in seiner Treue zum Herrscherhaus und zum Vaterlande wankend zu machen, die heranwachsende Jugend irrezuleiten und zu frevelhaften Taten des Wahnwitzes und des Hochverrates aufzureizen. Eine Reihe von Mordanschlägen, eine planmäßig vorbereitete und durchgeführte Verschwörung, deren furchtbares Gelingen Mich und Meine treuen Völker ins Herz getroffen hat, bildet die weithin sichtbare blutige Spur jener geheimen Machenschaften, die von Serbien aus ins Werk gesetzt und geleitet wurden.

    Diesem unerträglichen Treiben muß Einhalt geboten, den unaufhörlichen Herausforderungen Serbiens ein Ende bereitet werden, soll die Ehre und Würde Meiner Monarchie unverletzt erhalten und ihre staatliche, wirtschaftliche und militärische Entwicklung vor beständigen Erschütterungen bewahrt bleiben.

    Vergebens hat Meine Regierung noch einen letzten Versuch unternommen, dieses Ziel mit friedlichen Mitteln zu erreichen, Serbien durch eine ernste Mahnung zur Umkehr zu bewegen.

    Serbien hat die maßvollen und gerechten Forderungen Meiner Regierung zurückgewiesen und es abgelehnt, jenen Pflichten nachzukommen, deren Erfüllung im Leben der Völker und Staaten die natürliche und notwendige Grundlage des Friedens bildet.

    So muß Ich denn daran schreiten, mit Waffengewalt die unerläßlichen Bürgschaften zu schaffen, die Meinen Staaten die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen sichern sollen.

    In dieser ernsten Stunde bin ich Mir der ganzen Tragweite Meines Entschlusses und Meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen voll bewußt.

    Ich habe alles geprüft und erwogen.

    Mit ruhigem Gewissen betrete Ich den Weg, den die Pflicht Mir weist.

    Ich vertraue auf Meine Völker, die sich in allen Stürmen stets in Einigkeit und Treue um Meinen Thron geschart haben und für die Ehre, Größe und Macht des Vaterlandes zu schwersten Opfern immer bereit waren.

    Ich vertraue auf Österreich-Ungarns tapfere und von hingebungsvoller Begeisterung erfüllte Wehrmacht.

    Und Ich vertraue auf den Allmächtigen, daß Er Meinen Waffen den Sieg verleihen werde.

    Franz Joseph m. p.

    Stürgkh m. p.

    Durch das von ihm, Kaiser Franz Joseph, unterzeichnete Ultimatum an Serbien war der Erste Weltkrieg in Gang gesetzt worden, der, was er nicht ahnen konnte, Millionen von Toten kosten würde.

    War er daran schuld?

    Niemand kennt wirklich die Gedanken, die dem alten Kaiser durch den Kopf gingen, wenn er wie üblich in der Kapuzinergruft weilte, um seine Toten zu besuchen. Es zog ihn mit Macht an diesen Ort, wo umgeben von Särgen die habsburgische Geschichte zum Leben erwachte und wo sich gleichzeitig das Ende einer langen Ära ankündigte. Wahrscheinlich fühlte Franz Joseph bei jedem neuerlichen Besuch in der Gruft seiner Ahnen, dass auch die letzten Körner der Sanduhr seines Lebens bald durchgelaufen sein würden. Vielleicht sehnte er den Tod herbei, wenn er an die Konsequenzen dachte, an die schlechten Nachrichten, die von den Kriegsschauplätzen kamen, an die Niederlagen, die die kaiserlichen Heere an den einzelnen Fronten hatten hinnehmen müssen. Allein, gebeugt vom Alter und der Last der Verantwortung suchte er diese Stätte auf, die ihm wie ein Ruhepol erschien. Hier, wo er nicht nur seiner ermordeten Gemahlin, seiner »Engels-Sisi« nahe war, sondern auch die Nähe der übrigen Familienmitglieder spürte, die ihm vorausgegangen waren, konnte er über sein langes Leben nachdenken.

    In der Düsternis der nur schwach von flackernden Kerzen erleuchteten Gruft schien die Zeit keine Rolle mehr zu spielen. An diesem Ort, wo jahrhundertelang seine Vorfahren zur letzten Ruhe gebettet worden waren, gab es keine Zukunft. In ihrer körperlichen Vergänglichkeit ruhten die Ahnen in Särgen, die im Laufe der Zeit immer pompöser ausgestattet wurden, wobei Kaiser Franz Joseph, der in seinem Privatleben ein höchst anspruchsloser Mann war, immer wieder die Prunkbegräbnisstätte seiner Ururgroßmutter Maria Theresia betrachtete. In der Monumentalität des Sarkophages spiegelten sich Macht und Bedeutung der allumfassenden Mutter Europas wider. Sie war gleichsam eine Ikone des Reiches, der selbst ihr Erzfeind Friedrich II. von Preußen Hochachtung gezollt und sie als »Frau mit dem Herzen eines Königs« bezeichnet hatte.

    Auch am 10. September 1916 hatte der alte Kaiser Order gegeben, ihn auf dem Weg zur Kapuzinergruft zu begleiten, in die es ihn an diesem Trauertag mit Macht zog. 18 Jahre waren ins Land gezogen, seit ihm die schreckliche Nachricht vom Tod seiner geliebten Frau überbracht worden war, und 18 Jahre trauerte er um sie. Aber bald, sehr bald, das fühlte er bei jedem Hustenanfall, der ihn schüttelte, würde er ihr in der Kapuzinergruft ganz nahe sein. Sein Sarg würde auf einem Podest neben ihrem und dem seines einzigen Sohnes Rudolf stehen.

    Der alte Kaiser blickte sich langsam um. Es war fast die ganze Familie, die er hier fand. Nur seine beiden Töchter Gisela und Marie Valerie sowie deren Nachkommen waren noch am Leben. Und natürlich Katharina Schratt, die »Gnädige Frau« oder »Freundin«, die in späteren Zeiten einmal – wie es sich für Bürgerliche geziemte – auf einem Friedhof beigesetzt werden würde. Sie hatte zwar in sein Leben viel Licht gebracht, aber in der Gruft war kein Platz für sie.

    Es war einsam um ihn geworden, das Alter hatte seinen Tribut gefordert. Aber immer noch stand er wie ein eherner Turm mitten in Europa, denn er hatte beinah alle seine Kontrahenten überlebt, den dubiosen Napoleon III., Reichskanzler Bismarck und drei deutsche Kaiser, zwei russische Zaren, die englische Königin und Kaiserin von Indien Victoria und Andrássy, auf den er ein Leben lang eifersüchtig gewesen war. Die Welt, in der er lebte, hatte sich grundlegend ver- und geändert, er aber – ein Relikt aus alten Zeiten – war für das österreichische Volk zu einem Monument geworden.

    Der Kaiser suchte keine Gesellschaft. Dies hatte er ein Leben lang nicht getan, denn Arbeit prägte ihn von Jugend auf. So hatte ihn die »liebe Mama« erzogen, stets pflichtbewusst und korrekt zu handeln. Dazu benötigte er weder Gesellschaft noch irgendwelche Anregungen. Er war in allem ein sehr fügsames Kind gewesen, das die Anordnungen der Mutter bis ins kleinste Detail erfüllte, das sich weder sträubte noch sich gegen die mütterliche Dominanz auflehnte. »Der Franzi ist ein zu braves Kind …« Durch sein frühes Arbeitspensum, das ihm auferlegt worden war, war ihm keine unbeschwerte Kindheit vergönnt gewesen. Denn seine Mutter hatte schon früh zu erkennen gegeben, dass sie in ihm den zukünftigen Kaiser sah, da sein Onkel Ferdinand nicht lange in der Lage sein würde, die schwere Kaiserkrone zu tragen.

    Ferdinand war ein durch und durch bemitleidenswerter Mann, der schwer an der Bürde trug, die er seinen Ahnen zu verdanken hatte. Von Kindheit an litt er an Epilepsie, sodass kein Tag verging, an dem er nicht von schweren Anfällen geplagt wurde. Seine Schwägerin Sophie bezeichnete den neuen Kaiser als eine bedauernswerte Persönlichkeit. Dies war noch gelinde ausgedrückt, denn die russische Zarin Charlotte wurde in ihrer Charakterisierung des Herrschers über die Donaumonarchie drastischer: »Großer Gott, ich hörte schon viel von ihm, von seiner kleinen, hässlichen, vermickerten Gestalt und seinem großen Kopf ohne Ausdruck als den der Dämlichkeit, aber die Wirklichkeit übersteigt doch alle Beschreibung.«

    Die Hofberichterstattung, die vom alles beherrschenden Fürsten Metternich geprägt war und von den Problemen abzulenken versuchte, die ein regierungsunfähiger Kaiser mit sich brachte, sah allerdings ganz anders aus. Am Geburtstag von Kaiser Ferdinand 1843 konnten die erstaunten Untertanen lesen: »der Allerhöchste Geburtstag Sr. Majestät unsers allergnädigsten Kaisers wurde … auch in diesem Jahre auf eine Weise gefeiert, welche die allgemeinen Gefühle der Liebe und Dankbarkeit für den Allerhöchsten Herrscher und das durchlauchtigste Erzhaus beurkunden.«

    Was hätte Metternich Besseres passieren können als ein aus gesundheitlichen Gründen regierungsunfähiger Kaiser? Jetzt hatte er die Spitze seiner Macht erreicht, denn der Vorgänger von Kaiser Ferdinand, sein Vater Franz, hatte sich zwar auch kaum in die Regierungsgeschäfte eingemischt, aber ab und zu doch seine Meinung kundgetan. Dies war bei Ferdinand dem Gütigen, den schon bald die Wiener als »Gütinand den Fertigen« verspotteten, nicht zu befürchten.

    Außerdem sonnte sich der Fürst in der Bewunderung der jungen Erzherzogin Sophie, die in ihm nicht nur den schönen, sondern auch den geistreichen Mann bewunderte. Sie konnte Metternich mit seinen reaktionären Ideen begeistern. Und obwohl Sophie als junges Mädchen die eher liberalen Ansichten ihres Vaters, König Maximilian I. Joseph von Bayern, kennengelernt hatte, lauschte sie hingerissen den politischen Ausführungen des »beau Clement«. Sie war seine gelehrige Schülerin, von der er wusste, dass sie ihren ältesten Sohn Franz, auf dem alle Hoffnungen ruhten, genau in diesem Sinne erziehen würde. Denn alle Welt wusste, dass der junge Mann eine große Zukunft vor sich haben würde, da sein Vater Franz Karl an den Regierungsgeschäften in keiner Weise interessiert war.

    Der alte Kaiser, dem das Gehen schon schwerfiel, versuchte in der dämmrigen Gruft den Sarkophag von Kaiser Ferdinand zu erkennen. Noch heute verspürte er Mitleid mit dem kranken Mann, dem er, Franz Joseph, viel zu verdanken hatte. Denn in seiner bescheidenen Art hatte Ferdinand ihm die Krone überlassen. Ohne großen Abschied von der Macht zog er sich auf den Hradschin in Prag zurück, zusammen mit seiner Gemahlin, die ihn liebevoll betreute, ohne jemals wirkliches Eheglück verspürt zu haben. Der Familie erschien die Tante Maria Anna wie ein Engel, der das Opfer aufgezwungen worden war, dem schwerkranken Mann die Hand fürs Leben zu reichen.

    Aber Ferdinand hatte dem Neffen nicht nur die Kaiserkrone übergeben, sondern ihm noch ein Vermögen vermacht. So musste sich Franz Joseph nicht mit Geldsorgen herumschlagen. Ab und zu floss von irgendwoher doch etwas Geld in die habsburgischen Kassen.

    Franz Ferdinand – ein düsteres Kapitel für den alten Kaiser! Er hatte ihn nie leiden können, gottlob fand er seine letzte Ruhestätte nicht hier in der Kapuzinergruft, sondern in Artstetten, wo er an der Seite seiner unstandesgemäßen Gemahlin ruht. Franz Joseph erinnerte sich genau an den Tag, an dem der Skandal öffentlich wurde, als Erzherzogin Therese in der Taschenuhr von Erzherzog Franz Ferdinand nicht das Bild ihrer Tochter, sondern das ihrer Hausdame Sophie Chotek erblickte. Der Kaiser konnte damals die Aufregung verstehen, die diese Entdeckung verursachte. Vor allem als Franz Ferdinand aller Welt verkündete, dass er lieber auf den Thron, für den er vorgesehen war, verzichten würde, aber nicht auf diese Frau. Franz Joseph kannte den Neffen und dessen Sturheit, er wusste, dass er dies wahrmachen würde, und ernannte die Gräfin wenigstens zur Fürstin. Zu ihren Gunsten verzichtete Franz Ferdinand auf Erbansprüche für seine zukünftigen Kinder und natürlich auf den Namen Habsburg für seine Gemahlin.

    Franz Joseph dachte lange nach: Er war mit dem rebellischen Neffen nie so richtig warm geworden. Und als er von dessen Lungenkrankheit erfuhr, wäre es ihm recht gewesen, dessen Bruder Otto als Thronfolger zu bestellen, hätte nicht der Lebenswandel des Erzherzogs Anlass zu häufigen Klagen gegeben. Denn die Affären mit teils dubiosen Damen waren in ganz Wien bekannt, sodass er, Franz Joseph, nicht nur einmal den Neffen zu sich zitierte, um ihm die Leviten zu lesen. Als ihm zu Ohren gekommen war, dass Otto seine Saufkumpanen in das Schlafzimmer seiner eigenen Gemahlin führen wollte, um ihnen eine fromme Nonne zu zeigen, verlor er die Contenance und es rutschte ihm, dem Kaiser, die Hand aus.

    Nun war Otto längst tot. Er war nicht alt geworden, denn sein lockeres Leben hatte ihn vorzeitig umgebracht. Sein Sarkophag steht neben dem seiner verächtlich gemachten Frau. Hoffentlich gab es um Mitternacht keinen Totentanz!

    Eine Kindheit zwischen

    Pflicht und Tradition

    Mühselig wandte sich Franz Joseph den Sarkophagen seiner Gemahlin und seines Sohnes Rudolf zu. Ein Hustenanfall raubte ihm den Atem, der Tod streckte allmählich die Hand nach ihm aus.

    Seine Gedanken glitten zurück in längst vergangene Zeiten, als er voller Energie danach trachtete, der »lieben Mama« ein folgsamer Sohn

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