Die wunderlichen Erzählungen des Jupp Kiepenlad
By Klaus Kayser
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Als seine Kiepe ausgelesen ist, kehrt er in sein Elternhaus zurück und richtet sich dort ein neues Leben ein.
Seine Berichte schildern unter anderem die Bemühungen eines vierbeinigen Fremdenführers, der ihn in die Welt der hellenistischen Antike einführt, die Auferstehung des Christopher Columbus in den südamerikanischen Anden, das Schicksal eines Kokosnussdiebes auf einer Südseeinsel, Gespräche mit einem kolumbianischen Philosophen in Heidelberg, die gefährlichen Seefahrten des Geheimagenten Joe Sindbad, den Tod der Gartenzwerge nach der deutschen Wiedervereinigung, oder auch die sexuellen Auswirkungen der Abraham Omega Theorie in der unendlichen Unsterblichkeit.
Die eigenständigen Erzählungen sind durch kurze Übergangskapitel mit einander verbunden. Reales Erleben, allgemeine Lebenserfahrungen, neue Technologien sowie Märchen und Religion führen zu überraschenden, wundersamen Ereignissen.
Ein Roman mit unwirklich realen Geschichten oder eine romanhafte, tiefreichende Sammlung eigenständiger lebensfroher Erzählungen.
Klaus Kayser
Dr. rer. nat. Dr. med. Dr. h.c. mult. Klaus Kayser, geb. 1940, Professor für Pathologie und Epidemiologie an der Universität Heidelberg und an der Universität Berlin, Campus Charite. Studium der Physik und Medizin an den Universitäten Göttingen und Heidelberg, Direktor des Telepathologie Konsultationszentrum der Union International contre le Cancre (UICC TPCC), zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Physik, Medizin und Pathologie.
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Die wunderlichen Erzählungen des Jupp Kiepenlad - Klaus Kayser
Die wunderlichen Erzählungen
des Jupp Kiepenlad
Klaus Kayser
Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.
© 2016 Lehmanns Media Verlag
Helmholtzstraße 2-9 • 10587 Berlin
www.lehmanns.de
Korrektorat: Marianne Günther
Umschlagbild: PD Dr. Gian Kayser
ISBN 978-3-86541-894-4
Für Charlotte, Christina, Johannes, Julia, Theresa,
sowie Corinna, Gian, Claudia, Maria-Consuelo und Martin
Der Autor
Klaus Kayser, Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult.
Professor für Pathologie und Epidemiologie an den Universitäten Heidelberg und Berlin. 1940 in Berlin geboren, Studium der Physik und Medizin in Göttingen und Heidelberg, lebt seit 1970 in Heidelberg
Neben mehreren Fachbüchern schrieb der Autor humorvolle und kritische Bücher:
Zeitgedanken und Spiegeldenken, Rendezvous, Baden-Baden, 2000;
Der Tod eines Körperspenders, Lehmanns Media, Berlin, 2005;
Terror im T-Team, Lehmanns Media, Berlin, 2012, Rheindorf Literaturpreis;
Restrisiko oder die heiligen Kühe der Nation, Lehmanns Media, Berlin, 2013;
Erlebtes Erleben, Ein Gedichtporträt, Lehmanns Media, Berlin, 2016;
link(s) zum paradies - recht(s) nah der hölle, Lehmanns Media, Berlin, 2016
Zu der ersten Erzählung
Ja, wir treffen uns hier zum ersten Mal. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Wenn Sie mit mir zusammen an einem Bier-tisch sitzen und auf anregende Gespräche hoffen, dann sollten Sie auch wissen, mit wem Sie es zu tun haben. So wird später alles leichter. Vielleicht entwickelt sich zwischen uns auch so etwas wie Freundschaft oder zumindest ein vergnügliches Mit-einander und Auskommen.
Also, wissen Sie, ich bin Jupp Kiepenlad. Wirklich, ich heiße Jupp Kiepenlad. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört. Nein? Sie kennen mich nicht? Nun, da kann ich Ihnen gern nachhelfen:
Ich komme aus Norderpfuhlbad, einem zugegebenermaßen kleinen Fischer- und Kuhnest, da oben an der Nordseeküste. Es ist ein Zweihundert–Seelen-Nest, strohbedeckte Häuser, Kopfsteinpflaster, ein Tante-Emma-Laden, eine Fischräuche-rei, ein kleiner Hafen. Ach, was sage ich da, der Hafen ist nur eine kurze Mole in einer winzigen Meeresbucht.
In diesem Nest wurde ich geboren, bin im Nachbarort, Süder-pfuhlbad, ungefähr vier Kilometer von Norderpfuhlbad ent-fernt, zur Schule gegangen. Bin schon als Sechsjähriger immer mit dem Fahrrad gefahren, zur Schule und zurück, jeden Tag, auch Samstags, denn wir hatten auch am Sonnabend Schule, bei jedem Wetter.
In dieser Gegend, da, wo der gelbe Ginster blüht, die Hecken-rosen die Sanddünen bedecken und kleine Mulden für Lieben-de beschützen, dort bin ich – wie man so sagt – aufgewachsen. Mit vierzehn Jahren beendete ich meine Volksschule, auf der ich so mit Ach und Krach als kräftiger, forscher Junge meinen Abschluss schaffte.
Danach schickte mich mein Vater in die Zimmermannslehre.
Das Arbeiten fiel mir schwer. Ich wollte frei sein, so frei wie das Meer, wenn es versucht, an den Dünen hochzuklettern, und gar nicht bemerkt, dass es nur ein Sklave des Sturms ist, der es wütend vor sich her peitscht.
Freiheit war mein Lebensziel. Ein Zimmermeister, der sich stets nach den Plänen des Architekten und, schlimmer noch, nach denen des Bauherrn, der immer in letzter Sekunde noch kaum zu verwirklichende Änderungen am Bauwerk oder am Dachsims verlangt, richtet, so ein geknechteter Zimmermeister wollte ich nicht werden. Da stand mir schon mein Bart, den ich mir im Alter von sechzehn Jahren, kurz vor dem Ende meiner Gesellenzeit, anlegte, im Wege.
Die Gesellenzeit hielt ich noch durch. Auch mein Meister-stück, ein frei erfundener Stuhl mit ausziehbarer Schublade an der Lehne, fand die allgemeine Anerkennung meiner fachmän-nisch prüfenden Lehrmeister.
Nebenbei aber, im Geheimen, unbemerkt von meinem Meis-ter, in den Freizeitstunden und manchmal auch in der Mittags-pause, wenn es sich so ergab, fertigte ich mir meine Kiepe, ei-ne große, meinem kräftigen Rücken angepasste Kiepe, mit Geheimfach und Abdeckplane, mit kräftigen Lederriemen und dicht geflochtenen Weidenrinden.
Diese Kiepe wurde mir mein ständiger Begleiter auf meinen Reisen und Erlebnissen, von denen ich Ihnen – ich muss noch Sie sagen, wir kennen uns ja noch nicht so lange und Duzbrü-derschaft haben wir auch noch nicht getrunken, dazu wäre es nach diesen wenigen Minuten, in denen Sie mir zuhören und mich mustern, auch viel zu früh, also, von denen ich Ihnen in Kürze berichten werde.
Meine Kiepe hat mindestens ebenso viel gesehen, wie meine Augen geschaut, meine Ohren vernommen und meine Haut in fremder Luft gespürt haben. Sie war mein ständiger Begleiter.
Neben der täglich notwendigen Wäsche, einem Handtuch, ei-nem außen aufgebundenen Schlafsack, Brot für den Notfall, notwendigem Werkzeug zur Ausübung meines Handwerks, ei-nem Kompass und einer Wasserflasche waren in ihr auch ein Tagebuch sowie Schreibzeug sicher in einem kleinen Seiten-fach verstaut.
Sie meinen, so ein rauer und freiheitssüchtiger Geselle, der sich mühsam seinen Unterhalt auf seinen Freiheitswegen verdienen müsse, könne gar nicht schreiben und schon gar nicht ein Ta-gebuch führen? Wie sollte er denn das tun, wenn er müde und völlig erschöpft sich ein Strohnachtlager bei einem armseligen Ökobauern ausbittet und sofort in einen tiefen Schlaf nahe der Ohnmacht fällt?
Nun, da müssen Sie noch viel lernen! Denn ich bin der Kie-penlad, der Jupp Kiepenlad! Und der kann lesen und schrei-ben!
Schon als kleines Kind, kaum dem Begreifen der Schrift und des Lesens entwachsen, griff ich zum Bleistift und schrieb mir meine Freiheit von der Seele. Meine Freiheit, die mir das Meer an rotwarmen Sonnenuntergängen romantisch vorgaukelte, obwohl – und hier liegt der bemerkenswerte Widerspruch – obwohl das Meer ja nur ein Sklave des immer unruhigen, im-mer auf seine Opfer lauernden Windes und seiner Artgenos-sen, des Sturmes und der Orkane, ist.
Aber das ist gar kein Widerspruch: Es ist nur die Sehnsucht des getriebenen, manchmal in Ruhe gelassenen, manchmal sich Erfolg versprechend versteckenden Sklaven. Es sind seine Träume, seine Sehnsucht, sein Verlangen und seine Gier nach Freiheit, die das Meer erschöpft und traurig mir zuflüsterte. Leise und sanft, so wie die Wellen zart den flach ansteigenden Strand anlaufen, um sich am Ende ihrer Reise erschöpft, aber zufrieden in sich selbst zurückzuziehen. So gibt sich die Nord-see dem, der sie versteht und der sie liebt.
Ich habe sie scharf beobachtet, ihr genau zugehört. Ich habe mich nicht – wie es die fremden Besucher, die Touristen tun – von den farbenfrohen Verlockungen des Sonnenunterganges und den dem Meer aufgezwungenen Spiegelungen ablenken lassen.
Nein, hören Sie mir genau zu: Diese Dinge sind Ablenkungs-manöver der Beherrscher des Meeres, Ankündigungen ihrer kommenden Strafe für die See, wenn sie ihren treuen Jüngern von den Wünschen erzählt, die seit Menschheitsgedenken alle Sklaven verspüren.
So bin ich zu Jupp Kiepenlad geworden.
Ich erinnere mich noch genau, als meine Gesellenzeit mit dem Abschlusszeugnis vergangen, mein letztes Gehalt mir ausge-zahlt, meine weitbeinigen Hosen angelegt, meine Kiepe wohl verschnürt waren und ich mich auf meine Wanderschaft in die – wie ich damals noch meinte – grenzenlose Freiheit begab. Ich habe vergessen, dass ich auch eine kleine Mundharmonika einsteckte, die mir mein Vater mit den Worten „Na Jupp, nu mal los, moi, moi und alzeits goode Fahrt beim Abschied schenkte und mir zurief: „Machs good, Jupp, speel auf der Mundsaag! Den Speel, das werde wir immer hören und dann werden wir an dich denken!
Sehen Sie, so war das damals bei meinem Abschied aus dem Elternhaus. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mir meine Kiepe auf den Rücken schwang, meine Mutter mich noch einmal fest umarmte und auf die rechte Wange küsste, wie ich ruhig und voller Zuversicht das Elternhaus verließ, mein Vater langsam die Haustür hinter mir zudrückte und ich, ohne mich noch einmal umzusehen, die Kopfsteinpflasterstra-ße in Richtung Süderpfuhlbad entlangschritt.
Die Sonne schien. Es war ein schon recht warmer Frühlings-tag. Die Sonne zog mich nach Süden, immer nach Süden. Die Traurigkeit, die ich in meinem Elternhaus zurückließ und die mich in den ersten Tagen meines neuen Weges an die wär-menden Sonnenuntergänge an der Mole von Norderpfuhlbad denken ließ, verschwand langsam in den aufregenden Tagen meiner Wanderung. Ich war mit mir und meiner Freiheit allein.
Da war kein Haus, das mir den freien blauen Himmel verdeck-te. Da war kein drängelnder Wecker, der mir den Sonnenauf-gang raubte. Da war kein oberflächliches Geschwätz mit den Arbeitskollegen, keine Aufregung über unnötig vergossene Zeit. Ruhig und fest schritt ich meine Wege entlang, deren grobe Richtung mich nach Süden wies, deren Einzelheiten ich aber nach Zufall oder meinem Gefühl wählte.
Sie meinen, dass ich friedlich meines Weges ging? Ich glaube, hier irren Sie!
Ich war frei in meinen kleinen aber langfristig so wichtigen Entscheidungen, ja genau, ich war frei.
Aber friedlich war ich nicht. Kam mir ein Käfer unter meine Wanderschuhe, dann zerdrückte ich ihn mit einer Freude, die aus meinem Wissen um meine Freiheit und meiner einmaligen Existenz als freier Mensch sowie der hieraus abzuleitenden Überlegenheit über alles Krabbelgetier entsprang.
Hörte ich eine Amsel im nahen Gebüsch, die mich freudig mit ihrem Gesang begrüßte, dann warf ich einen Stein nach ihr. Ich freute mich, wenn er direkt neben ihr einschlug und sie über alle Maßen erschreckte. Mein Mundharmonikaspiel war zwar in der Perfektion der Durchführung ihrem Gesang unter-legen, aber ich spielte auf einem Musikinstrument, während sie nur ihren Schnabel bemühte. Ich war der freie Mensch, der sich allen Geschöpfen überlegen fühlte.
Sie bemerken sicherlich, dass ich in der Vergangenheit spreche. Habe ich noch heute, nachdem ich so viele Wanderstiefel durchgelaufen und, wie Sie noch hören werden, so viele Län-der erkundigt, fremde Menschen und Tiere getroffen habe, dieselben Vorstellungen von meiner Überlegenheit?
Ich bin mir nicht sicher, vielleicht ja, vielleicht nur nicht unbe-dingt, vielleicht auch nur noch ein wenig.
Wissen Sie, da war ein Erlebnis in Griechenland, das mir zu denken gab.
Ja, ich erreichte unter einigen Mühen und nach vielen Monaten der Wanderschaft Griechenland. In diesen Monaten musste ich bei meiner Entwicklung zu einem freien Mann mehrere Unterbrechungen zum Geldverdienen einlegen. Denn auch ich kann nicht nur von freier Luft und Lebenslust leben.
Es war oben in Griechenlands Norden bei Meteora auf dem Weg nach Joannina. Auf meinem steinigen Weg entlang der asphaltierten Straße sprangen drei wildernde Hunde vor meine Füße und bellten mich, wie ich meinte, durchaus böse an.
Da brannte meine Friedlosigkeit so richtig mit mir durch. Ich ergriff den nächsten kräftigen Stock und drosch mit aller Kraft auf die kläffenden Köter ein. Die waren offensichtlich über-rascht und liefen heulend davon.
Während die zwei größeren Hunde jaulend verschwanden, blieb der kleinere der drei in einem achtbaren, aber doch recht nahen Abstand vor mir sitzen und schaute mich mit traurigen Augen an, so als wollte er sagen: „Wir wollten doch nur mit dir spielen, dich freudig begrüßen. Du bist doch ein Fremder und Fremde sind in unserem Griechenland gern gesehen!
Bist du als gebietender Mensch so dumm, dass du nicht einmal unsere Gebärden deuten, geschweige denn unsere Sprache verstehen kannst? Schränkt deine Freiheit die dir gegebene Klugheit so ein, dass du dich nicht einmal mit uns einfachen, ungelernten und verwilderten Hunden verständigen kannst?
Vielleicht suchst du dir einen klugen Gedanken, wie du deine Freiheit mit deiner Klugheit in Einklang bringen wirst?"
Damit sprang er unter leisem Gejaule davon und eilte seinen Gefährten nach.
Mir blieb seine Hundemiene noch lange im Gedächtnis und damit aber auch die verteufelte Hundefrage: Wie viel soll ich denn von meiner Freiheit abgeben, damit ich nicht vollständig verblöde und vielleicht einmal den Verstand eines Hundes er-reiche?
Das frage ich Sie. Bitte warten Sie mit Ihrer Antwort. Denn zuvor ich möchte Ihnen erzählen, wie klug Hunde sind. Wie viel an Hunde- und Menschenverstand sie besitzen. Wie sie ihn zum Nutzen von uns Menschen einsetzen können, ja, seit vielen tausend Jahren einsetzen. Diese kleine Geschichte hat mir ein älteres Ehepaar bei Wein an einem warmen Sommer-abend berichtet. Ich erzähle wortgetreu.
Der vierbeinige Fremdenführer
In Europa, in unserem Europa, zeigen manche Länder Eigen-schaften, die nicht von dieser Welt sind. Diese Länder schei-nen dem Himmel nah, von Geistern besetzt und von Teufeln getrieben zu sein.
Nein, ich spreche nicht von den Elfen und Trollen, die in hel-len Sommernächten verspätete Wanderer in regennassen nor-dischen Wäldern erschrecken.
Nein, ich spreche nicht von Alberich, der immer noch entlang des Rheins nach seinem von ihm sorgsam versteckten und dann im Rahmen seiner Alzheimer-Krankheit nicht wiederzu-findenden Nibelungenschatz sucht.
Nein, auch nicht von den Tolkienschen Elben, die aus altengli-schen Schlössern in die Londoner Innenstadt fliegen und dort in biertrunkenen Pubs ihren Zauber ausüben; nein, von all die-sen wohl bekannten und genau untersuchten Mittlern zwi-schen Geist und Geistern, Träumen und Gedanken spreche ich nicht.
Auch nicht von Italien, das mit seiner bezaubernden, zitro-nenblühenden Landschaft, dem immer reinlichen und allen Umweltbedingungen genügenden, weil sorgsam erhöhten und genau angepassten, sonnigen Meer, seinen feinen, täglich von Plastikresten gesäuberten Sandstränden, seinen unendlichen Zeugnissen aus der ruhmreichen Vergangenheit und seinen liebestollen Paparazzi bei jedem Wetter eine unübertreffliche Touristenattraktion darstellt. Auch Italien ist in diesem Zu-sammenhang zwar bedeutungsvoll, aber nicht federführend.
Bleiben noch Frankreich und Spanien, die beiden kulturbela-denen Länder mit den uralten kunstvollen Darstellungen grau-samer Quälereien in gebetsreichen Kirchen, die als ehemalige Erntedankfestlichkeiten noch in Stierkämpfen überlebt haben.
Auch diese beiden sonnenbeladenen, gastfreundlichen Länder sind mir in diesem Zusammenhang zwar denkwürdig, aber durchaus nur am Rand erwähnenswert.
Was bleibt? Österreich oder die Schweiz? Mein Gott, in sol-chen Höhen kommt der Geist nicht zum Tragen, er fliegt da-von in das allzu nahe Himmelsgewölbe.
Dann also der Balkan, Kroatien, Serbien, Rumänien, oder gar Ungarn? Leider reden wir hier nicht von Paprika, Knoblauch, Geigengewirr oder Zigeunern, die uns jetzt mit staatlicher Hil-fe unsere alt gedienten deutschen Eigenschaften wie Arbeits-wut, Pünktlichkeit und treu gestaltete Leidensfähigkeit abbet-teln wollen. Nein, auch von diesen Ländern kann hier nur un-ter „ferner liefen" die Rede sein.
Was bleibt? Griechenland! Natürlich, unser Griechenland!
Griechenland mit all seinem Licht, seinem von antiken Helden verunstalteten Land, seiner kaum tragfähigen und bis heute noch nicht vollendeten Demokratiegeburt, seinem überschäu-menden Gesang und Tanz, ja, hier ist von Griechenland zu er-zählen! Von Griechenland und seinen so gebildeten, weil Ho-mer zitierenden Touristen!
Als Touristen waren in dem hier zu berichtenden Ereignis auch meine Frau und ich unterwegs.
Wir beide sind schon eines älteren Jahrgangs und befanden uns auf Entdeckungsreise in der grünen, waldbewachsenen, götter- und heldenträchtigen und einst vom Englischen Kö-nigreich verwalteten Insel Korfu.
Nach einem ausgiebigen Frühstück und eindringlicher Bewun-derung des – leider bei mir nie vorhanden gewesenen und jetzt altersgeschrumpften – so eindrucksvollen und das weibliche Geschlecht so anziehenden, muskulös durchtrainierten Kör-pers des trojanischen Helden Achill begaben wir uns auf die Suche nach dem Heiligtum des donnernden und immer gewalttätig bösen Meergottes Neptun, der, da bereits von den al-ten Griechen errichtet, auch Poseidon genannt wird.
Wie in den alten Quellen überliefert, hatte Poseidon so seine Schwierigkeiten, seine Gläubigen zufrieden zu stellen oder gar zu verstehen. Er war immer enttäuscht. Hieraus wuchs sein Zorn auf seine Priester, die wiederum ihrer seefahrenden Ge-meinde zwar Schutz und sichere Heimkehr versprachen, diese Zusagen aber fast nie einhalten konnten. So mussten viele der gläubigen Seefahrer ertrinken. Das bewirkte unter anderem ei-ne im Laufe der Jahrhunderte sinkende Anzahl der Poseidon dienenden, an ihn glaubenden Priester und Jünger. Folgerichtig sind sie heute ausgestorben.
Nur träumend wandernde Touristen, fest auf dem Land ver-ankert und somit Poseidons Zorn nicht mehr oder nur bedingt ausgeliefert, pilgern noch zu seinem ehemals häufig besuchten und damals von Geld triefenden Heiligtum, das vor vielen hundert Jahren in einem lichten Kieferhain errichtet worden war.
So pilgerten auch wir beide, meine Frau und ich, auf dem leicht ansteigenden, auch heute noch durch einen lichten Kie-fernwald sich schlängelnden, sandigen Weg.
Wir hatten einen sorgsam in Plastik verpackten, vor einigen Tagen in einem winzigen Lebensmittelladen gekauften und noch nicht ausgepackten, in Scheiben geschnittenen Schinken in unserer Wandertasche, mit dem wir uns unter Poseidons sorgsamem Schutz oder, falls notwendig, auch unter seinen zornigen Blicken bei Erreichen und nach Bewunderung des al-ten Heiligtums stärken wollten.
Kaum hatten wir den Waldweg betreten und auf einer ausge-breiteten Wanderkarte die wahrscheinlichste Wegrichtung er-kundet, da gesellte sich aus dem rechtsseitig einmündenden
Nebenweg ein, wie es sich später herausstellen wird, ortskun-diger vierbeiniger Fremdenführer zu uns.
Es war ein mittelhoch gewachsener, gepflegter, schwarz-brauner, am ehesten einem Schäferhund zuzurechnender, aber durchaus mit zusätzlichen Merkmalen einer anderen Hunde-rasse wie Collie, Manchester Terrier oder Schipperke ausge-statteter und äußerlich sehr ansprechender Hund mit einer ausgesprochen intelligenten Maske.
Er kam in einem freudigen Trab auf uns zugelaufen, musterte uns eingehend, umkreiste uns in einem achtungsgebietenden, ungefähr zwei Meter breiten Abstand und trabte unter leisen auffordernden Lauten vor uns her. Offensichtlich war er mit allen örtlichen Gegebenheiten wie Wegkreuzungen oder auch unserem Zielort, dem Poseidon Tempel, vertraut. Wir hatten es ihm zwar nicht mitgeteilt, aber er wusste genau, wohin wir gehen wollten.
Immer wieder schaute er sich nach uns um, besonders dann, wenn der Weg sich aufgabelte und wir zögerten, ob wir nun die rechte oder die linke Abzweigung nehmen sollten.
Zu Beginn unserer Führung begrüßten wir ihn freundlich, spä-ter unterhielten wir uns mit ihm wie mit einem alt vertrauten Freund: „Nun, lieber Freund, jetzt sind wir bereits eine knappe Viertelstunde zusammen. Bisher hast du uns gut geführt. Wie aber heißt du eigentlich? Wie sollen wir dich nennen?"
Er schaute uns an, wedelte freudig mit dem Schwanz, blieb aber still und lautlos.
„Nun, dann nennen wir dich einfach Hermes, Hermes den Götterboten. Du wirst uns doch sicherlich zu einem deiner Herrn und Götter, Poseidon, führen?"
Er wedelte wieder, diesmal aufgeregt mit seinem ganzen Hin-terteil. Es schien mir auch, als nickte er mehrmals mit seinem Kopf.
An einer Kreuzung bogen wir nach rechts ab, er aber lief gera-deaus. Als er bemerkte, dass wir ihm nicht folgten, machte er kehrt, bellte kurz und eindringlich. Dann nickte er mit dem Kopf, als wir unseren Fehler bemerkten, zur Kreuzung zu-rückkehrten, ihm freundlich zuwinkten und uns weiterhin sei-ner Führung anvertrauten.
So erreichten wir sicher und auf direktem, also kürzestem Weg Poseidons Heiligtum. Viel war von der ehemaligen Pracht des einst wichtigen und oft besuchten Tempels nicht mehr vor-handen. Die Zeit hatte das Dach verschlungen und die Mauern abgetragen. Nur das Fundament war von überwuchernden Pflanzen gesäubert. Die Außenmauern waren gegen den Zeit-verfall halbhoch neu aufgerichtet worden.
Unser vierbeiniger Führer zeigte Zufriedenheit und Freude, dass wir uns ihm anvertraut hatten, und wollte sich schon un-ter hellem Gebell verabschieden, als wir darüber nachdachten, wie wir uns bei ihm bedanken sollten. Streicheln kam nicht in-frage, er wich jeder diesbezüglich angedeuteten Berührung aus. Freundliches Zureden erschien uns nicht ausreichend.
Da dachten wir an die eingepackten Schinkenscheiben. Meine Frau ergriff die Plastikpackung, ließ sie aber schreckensbleich sofort fallen: Der an sich leblose Schinken bewegte sich unter einem Gewimmel von Schaben, die sich, völlig ahnungslos des nahenden Schicksals, an dem Fleisch gütlich taten.
Ich muss zugeben, auch ich war nicht vollständig über den Ekel erhaben, ergriff aber mutig die Packung, riss sie an einer Stelle auf und bot sie unserem vierbeinigen Führer als Ver-dienst für seine so erfreuende