111 Orte in Darmstadt, die man gesehen haben muss: Reiseführer
By Sonja Morawietz and Hartmut Heinemann
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111 Orte in Darmstadt, die man gesehen haben muss - Sonja Morawietz
111 Orte in Darmstadt, die man gesehen haben muss
Sonja Morawietz und Hartmut Heinemann
emons: Verlag
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Emons Verlag GmbH // 2016
Alle Rechte vorbehalten
© der Fotografien: Hartmut Heinemann, außer:
GSI-Helmholtzzentrum (GSI);
Jagdhofkeller: MuK (Marianne und Klaus/Bessunger Jagdhofkeller);
Porzellansammlung: Staatliche Schlösser und Gärten Hessen;
Schirner: Schirner Verlag GmbH
Gestaltung: Emons Verlag
Kartenbasisinformationen aus Openstreetmap, © OpenStreetMap-Mitwirkende, ODbL
ISBN 978-3-96041-169-7
E-Book der gleichnamigen Originalausgabe erschienen im Emons Verlag
Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons:
Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de
Inhalt
Vorwort
1_Das Alte Pädagog |
Woyzeck, Kraftwürze und der Furchtableiter
2_Das Altstadtmodell im Turm |
Eine kleine Zeitreise in die 30er Jahre
3_Die Arbeiterhäuser |
Wandernde Wohn-Art für ärmere Leute
4_Das Arheilger Mühlchen |
Pack die Badehose ein …
5_Die Arkade der Grundrechte |
Menschenrechte sind Lebenswerte
6_Das Arresthaus |
Schauriges aus dem Verlies
7_Das August-Euler-Flugfeld |
Bewegte Geschichte auf dem Griesheimer Sand
8_Das BaumHaus |
Beton-Biotop!
9_Das Behrens-Haus |
Mit dem Erstling zum Vater der modernen Architektur
10_Das Bioversum |
Anfassen und Mitmachen ausdrücklich erlaubt
11_Die Bockshaut |
Eine geschichtsträchtige Gaststätte
12_Die Bodenplatte |
Verbrannte Bücher – infernalische Säuberungsaktionen
13_Das Braustübl |
Mit dem Plopp zum Erfolg
14_Der Buchheimer Käseladen |
Alles Käse …
15_Büchners »Woyzeck« |
Darmstadts Beitrag zur Literaturgeschichte
16_Das Café Chaos |
Mit einer außergewöhnlichen Automatensammlung
17_Das Café Gretchen |
Wo Gretchen auf Faust traf
18_Das Cembalo in der Kirche |
Klang-Malerei in flämischer Tradition
19_Die Centralstation |
Ein E-Werk wird zum Kulturzentrum
20_Comic Cosmos |
Ein Leben für die Comics
21_Die Dampfwäscherei |
Ein Familienbetrieb im Wandel
22_Die Darmstädter Elle |
Das Maß aller Dinge
23_Die Darmstadtia |
Die Irrfahrten einer Schutzpatronin
24_Der Datterich am Dreibrunnen |
Ein Anarchist im Biedermeierkostüm
25_Die »Deckel« im Pflaster |
Partnerstädte mit Füßen getreten?
26_Die Dianaburg |
Ein Jagdpavillon für die feine Gesellschaft
27_Das Dorfmuseum |
Lebendige Geschichte
28_Die »Dornheimer Brücke« |
Über 23 Gleise musst du gehen
29_Die Eberstädter »Toskana« |
Hinaus in die grünen Dünen
30_Das Eisenbahnmuseum |
Feuerspeiende Dinos aus der Vergangenheit
31_Die »Elizabeth-Duncan-Schule« |
Filmreifes Schicksal der Frau mit dem roten Halstuch
32_Der »Erinnerungsort Liberale Synagoge« |
»Mein Schlüssel hat das Haus verloren« (R. Ausländer)
33_Die EUMETSAT |
Beim Empfang wehen 31 Flaggen
34_Der FAIRteiler |
Der öffentliche Kühlschrank oder Teilen ist cool
35_Der Faselstall |
Kostengünstige Nachwuchsproduktion
36_Die Fassadenmalerei |
Intime Einblicke à la Fenstertheater
37_Die Flohkapsel |
Schöner Schein und kurioses Sein beim Adel
38_Das »Forest-Haus« |
Naturmetamorphosen
39_Das Forsthaus Kalkofen |
Vom Ziegelbrennen zum Biertrinken
40_Das Frankensteiner Eselslehen |
Schandreiten auf dem Strafesel
41_Die frivolen Reliefs |
»Orgiastische« Tänze unter Satyrn und Zentauren
42_Der Fürstenbahnhof |
Exklusive »Absteige«
43_Die Fürstengruft |
Memento mori in der Kirchenunterwelt
44_Der Galgenberg |
Eine Hinrichtungsstätte im Park
45_Der Gedenkstein der Prinzessin |
… und die sieben Zwerge trauern
46_Die Gichtmauer |
Von der Kraft des »Aussitzens«
47_Die Goldene Krone |
»Tradition ist Zukunft«
48_Das Grab der Charlotte Heidenreich |
Vorreiterin in der Geburtshilfe
49_Das Grab von Luise Büchner |
Verkannte Wegbereiterin der Frauenemanzipation
50_Der Große Woog |
Karpfenteichanlagen im Freibad
51_Das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung |
Wir holen uns das Universum ins Labor
52_Die Gute Stube |
Wenig Aufwand, geringe Kosten, viel Spaß
53_Das Haus am Forellenteich |
Jugendstil mal nicht an der Mathildenhöhe
54_Das Heckentheater |
Spiele hinter historischen Hecken
55_Die Heiner-Statue |
Love for the Common People
56_Das »Henkershäuschen« |
Hängen – eine lukrative Einnahmequelle?
57_Der Herrgottsberg |
Goethes nächtliche Aktivitäten im Walde
58_Das Holzpflaster an der TU |
Flüster-Pflaster
59_Das Hundertwasserhaus |
Die recycelte Waldspirale aus 1001 Nacht
60_Der Jagdhofkeller |
Saumäßige Vergnügungen
61_Das Jagdschloss Kranichstein |
Der Hang des Adels zum Abnormen und Wundersamen
62_Kanaan |
Das Land der Verheißung in Eberstadt
63_Der Kiosk am Kantplatz |
Das Wasserhäuschen ohne Gesicht
64_Die Kirche in Wixhausen |
Time will tell – die Zeit wird es weisen
65_Der Kohlenmeiler |
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
66_Der Kreuzweg |
Compassio im Darmstädter Pantheon
67_Das Kühlhaus |
Was vom Bierbrauen übrig blieb
68_Die Lappinge in Bessungen |
Wie aus einer Landplage ein Maskottchen wurde
69_Little Walter |
Kleiner Mann – ganz groß
70_Die Ludwigshöhe |
Einstiger Luftkurort in Bessungen
71_Die Magdalenenstraße |
Ein Hauch von Renaissance in Darmstadt
72_Die Mammutbäume |
Baumriesen als Hüter der Vergangenheit
73_Maruhn – Welt der Getränke |
Getränke der Welt
74_Die Matthäuskirche |
Moderne Malereien im Kirchenraum
75_Die Maulbeerallee |
Weißes Gold auch in Darmstadt?
76_Der Melitabrunnen |
Großherzogliche Schadensbegrenzung eines Skandals
77_Die Menhire in den Wiesen |
Operation Hinkelstein in Darmstadt
78_Merck – die Gedenktafel |
Und ein »Wunderhorn« voller Talente und Erfolge
79_Die Mettegangsiedlung |
»Alarm! Alarm!« in der Waldkolonie
80_Die Mosaikpflasterungen |
Teppiche aus Stein
81_Das Oberfeld |
Gemüse – self grown
82_Die Oetinger Villa |
Nabel der Gegenkultur
83_Das Papiertheatermuseum |
Théâtre en miniature
84_Der Pflanzturm |
Vom Umtopfen kostbarer Pflanzen
85_Die Portalskulpturen |
Money, money, money must be funny
86_Die Porzellansammlung |
Von exquisiten Service und Pisspötten
87_Das Prettlack’sche Haus |
Öffentlicher Leseschrank im historischen Gewand
88_Die Radrennbahn |
Hessens Zukunft im Radsport liegt hier
89_Der Riegerplatz |
Eindrucksvolle Dynamik der Toleranz
90_Die Russische Kapelle |
Zarengold mal anders
91_Schirner |
Das A und O des inneren Wegs
92_Schmitthut |
Wo Sahnehäubchen, Lukas der Lokomotivführer und Trude auf der Stange hängen
93_Die Sonnenuhren |
Auf der Suche nach der neuen Zeit
94_Der Spielplatz am Saubach |
Spielen mit allen Sinnen
95_Die Stelen |
Mahnmal für Trennendes und Gemeinsames
96_Das Studentenwohnheim |
Studenten lernen Mystik
97_Die Tanzschule Bäulke |
Eine große Familie mit bewegter Geschichte
98_Das Theaterlokal der Comedy Hall |
Auch Lachen geht durch den Magen
99_Der Tierbrunnen |
Eine Tränke für Mensch und Tier
100_Ubuntu |
Ein Ort der Phantasie und der Kreativität
101_Vinocentral |
La dolce vita direkt am Hauptbahnhof
102_Das Vivarium |
Kurioses aus dem Tierreich
103_Der Vortexgarten |
Ein Visionär im Wirbel der »aufsteigenden Energie«
104_Das Wallhaus im Schloss |
Von Geistern, Schätzen und viel Alchemie
105_Der Wasserturm |
Kunst und Kultur unterm Wassertank
106_Der Watzebuckel |
Was lange währt, wird endlich gut
107_Die Wella-Exponate |
Für jede Mähne die passende Pflege
108_Die Weststadtbar |
Trainspotting mal anders
109_Der Yuccahügel |
Der mobilste Garten Darmstadts
110_Die Ziegelhütte |
Erst Ton, dann Kunst
111_Zum Scheinheil’gen |
Ein Stück Bayern in Darmstadt
Bildteil
Übersichtskarten
Vorwort
Darmstadt ist: europäische Jugendstilmetropole auf dem besten Wege zum Weltkulturerbe, weltweit anerkannte Wissenschafts- und Forscherstadt mit Antennen ins Weltall und Fühlern ins subatomare Universum, eine Stadt, die es sogar ins Periodensystem der Elemente geschafft hat! Sie erschreckt mit klotziger betonesker Urbanität, glänzt aber auch mit gläsernen architektonischen Wunderwerken. Sie ist die ruhige, leicht verschlafene, idyllische Stadt im Walde mit ausgedehnten Park- und Gartenanlagen nebst Badeseen und Gewässern, sie ist aber auch eine moderne Stadt mit einer sehr aktiven und kreativen, manchmal auch subversiv-rotzigen Kunst- und Kulturszene, vor allem die Musikszene verleiht ihr ein internationales Renommee.
Lernen Sie »Heinertown« aus 111 neuen und verblüffenden Perspektiven kennen. Vermeintlich bekannte Orte bergen unbekannte Geschichten und Anekdoten und halten Fragen bereit, wie zum Beispiel: Warum gingen Häuser auf Wanderschaft? Was hat ein Darmstädter Mordfall mit dem Kanon der Weltliteratur zu tun? Welches Museum hat, gemessen an der Quadratmeterzahl, mehr Besucher als das Deutsche Museum in München? Oder wussten Sie, wessen tragischer Tod es als Filmzitat von Darmstadt bis nach Hollywood geschafft hat? Wo wachsen Pflanzen dschungelhaft aus Beton?
Lassen Sie sich überraschen von neuen und zuweilen auch skurrilen Aspekten. Auf geht’s, der Weg ist das Ziel! Darmstadt ist nicht nur Wissenschaftsstadt, sondern auch Abenteuerland!
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1_Das Alte Pädagog
Woyzeck, Kraftwürze und der Furchtableiter
Was machen drei Köpfe an der Fassade des Alten Pädagogs? Nun, das Alte Pädagog ist immerhin die älteste (Latein-)Schule in Darmstadt, die als höhere Schule im 17. Jahrhundert Schülern ermöglichte, eine Universität zu besuchen. In einer Zeit, in der der Dreißigjährige Krieg wütete, Hunger und Pest fast schon an der Tagesordnung waren und Bildung im wahrsten Sinne des Wortes ein hohes Gut darstellte, war das Pädagog eine wichtige Institution. Die Konterfeis auf Gedenktafeln am Gebäude repräsentieren drei wegweisende Männer, die hier einst die Schulbank drückten.
Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) war nicht nur ein hervorragender Mathematiker und der erste deutsche Professor für Experimentalphysik, sondern vor allem auch der Begründer der deutschen Aphorismen. Er verstand es wie kein anderer zuvor, seinen Studenten die zuweilen trockene Theorie mittels lebendiger Präsentationen zu versüßen, so waren mit Gas gefüllte Schweinsblasen nur einige seiner Anschauungsobjekte. Als einer der Ersten führte er den »Furchtableiter«, wie er Franklins Blitzableiter nannte, in Deutschland ein.
Info
Adresse Pädagogstraße 5, 64283 Darmstadt-Mitte | ÖPNV Straßenbahnen 2, 3, 9, Haltestelle Schloss | Tipp Im Keller des Alten Pädagogs befindet sich heute das TIP (Theater im Pädagog), das Theateraufführungen, Kleinkunst und Konzertveranstaltungen anbietet.
Justus Liebig (1803–1873) zeigte während seiner Darmstädter Schulzeit mehr Interesse am Knallquecksilber als am Unterricht und musste seine Schullaufbahn vorzeitig beenden. Zum Glück, muss man schon fast sagen, denn ohne die Erfindungen des zu Lebzeiten schon weltweit bekannten Chemikers hätten es viele Hausfrauen, Babys und Landwirte schwer: Die heutige Maggi- und Knorrwürze, Babynahrung und Düngemittel gehen auf Liebigs Erfindungen zurück.
Und auch Georg Büchner (1813–1837), der »Revolutionär mit Feder und Skalpell«, hat seine Schulzeit hier verbracht. Ihm haben wir den »Woyzeck« zu verdanken, eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur, über das jeder Oberstufenschüler stöhnt. Drei heutige Darmstädter Gymnasien honorieren diese Erfinder und tragen deren Namen.
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2_Das Altstadtmodell im Turm
Eine kleine Zeitreise in die 30er Jahre
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Das kleine verwitterte Bronzemodell der Altstadt vor dem Hinkelsturm ist nur als Einladung gedacht, sich das phantastische Modell im Turm selbst anzuschauen. Jeder hat schon einige Stadtmodelle gesehen, aber das hier übertrifft sie alle! Es zeigt die Darmstädter Altstadt im Maßstab 1:160, wie sie sich den Einwohnern um 1930 präsentierte, bevor sie dann in der verhängnisvollen Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 durch Bomben dem Boden gleichgemacht wurde.
Fast zwei Jahre hat der Künstler Christian Häussler in diese mühevolle Kleinstarbeit gesteckt und unzählige Dias, Fotos, Abbildungen und Zeichnungen ausgewertet – das Ergebnis kann sich sehen lassen: Straßen und circa 500 Häuser sind bis ins Detail herausgearbeitet, jedes einzelne Fenster, jeder Fachwerkbalken, Fassadenschmuck (man vergleiche nur einmal die Uhren) minutiös ausgeschnitten, gefaltet und geklebt, selbst an die Patina der Häuserfassaden wurde gedacht. Das Ganze kann im gläsernen Obergeschoss des Hinkelsturms bestaunt und bewundert werden, der das 1997 gegründete Altstadtmuseum beherbergt. In einem 3-D-Betrachter werden selbst kleinste Details der ursprünglichen Altstadt lebendig! Das kleine Museum im Turm weist übrigens, gemessen an Quadratmetern, einen größeren Publikumsverkehr auf als das Deutsche Museum in München.
Info
Adresse Altstadtmuseum Hinkelsturm, Lindenhofstraße, 64283 Darmstadt-Mitte, www.frk-stadtmuseum-darmstadt.de | ÖPNV fast alle Straßenbahnen, Haltestelle Schloss | Öffnungszeiten April–Okt. Sa, So 14–16 Uhr und nach Vereinbarung, Tel. 06151/48135 oder 0641/3092810 | Tipp Das »Caféhaus Bormuth«, das größte Kaffeehaus in der Stadt, direkt am Marktplatz, dokumentiert mit alten Fotografien die über hundertjährige Geschichte des Hauses, Marktplatz 5.
Der Hinkelsturm, der seinen Namen nach einem großen Hinkel- beziehungsweise Findlingsstein (der sich übrigens immer noch vor der Mauer befindet) bekam, bildet mitsamt der Bruchsteinmauer und dem Weißen Turm die einzigen und ältesten Überreste der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Darmstadt erhielt im Jahr 1330 das Stadtrecht, das die Bewohner ermächtigte, eine Mauer zu bauen und Markt abzuhalten, beides wichtige Etappen auf dem Weg, eine Stadt zu werden. Im Zwingerbereich veranschaulichen Schautafeln und Karten sehr verständlich die Entwicklung der Stadt in den Jahren 900 bis 1450.
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3_Die Arbeiterhäuser
Wandernde Wohn-Art für ärmere Leute
zurück
»Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst«, so weitsichtig sprach Ernst Ludwig, der letzte Großherzog von Hessen, und rief 1899 die Künstlerkolonie Mathildenhöhe ins Leben. Die kennt fast jeder! Weniger bekannt aber ist, dass anlässlich der zweiten Ausstellung 1904 bereits Kritik laut wurde an der intensiven Bebauung der Höhe mit pompösen großbürgerlichen Künstlervillen. In einer Art Selbstbeweihräucherungsrausch hatte man offensichtlich die etwas bescheideneren Menschen vergessen. Zur dritten Ausstellung vier Jahre später plagte die Veranstalter wohl das »schlechte Gewissen« – ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben für eine Mustersiedlung von sechs Häusern als Beitrag zur Wohnkultur für weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten, insbesondere für Arbeiter.
Die vorgegebenen Rahmenbedingungen besagten: Die Häuser mussten mindestens drei Wohnräume haben, einheimische Baumaterialien mussten verwendet werden, das Einfamilienhaus durfte nicht mehr als 4.000 Mark, das Zweifamilienhaus nicht mehr als 7.200 Mark kosten. Finanziert wurde das Ganze durch hessische Großindustrielle. Entworfen und gebaut wurden die Häuser von namhaften Architekten, und sie konnten zur Ausstellung 1908 komplett eingerichtet auf der äußersten Ostseite der Mathildenhöhe gezeigt werden. So weit, so gut – für Fabrikarbeiter, für die die Häuser ja ursprünglich gedacht waren, waren diese