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Letzte Bibliotheken: Reflexe eines schwindenden Zeitalters
Letzte Bibliotheken: Reflexe eines schwindenden Zeitalters
Letzte Bibliotheken: Reflexe eines schwindenden Zeitalters
Ebook141 pages1 hour

Letzte Bibliotheken: Reflexe eines schwindenden Zeitalters

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Plötzlich ist klar: Ein Goldenes Zeitalter der Bibliotheken, wie es ehrgeizigen Bibliothekaren und optimistischen Bildungs- und Kulturpolitikern manchmal vor Augen stand, wird nicht kommen. Der bescheidene Fortschritt der Bibliotheksentwicklung ist schier unbemerkt in Rückschritt übergegangen. Gelegentliche Berichte über neu eröffnete Bibliotheken täuschen darüber hinweg; sie beschreiben euphorisch die herausragende Architektur und berauschen sich an Bildschirmarbeitsplätzen, Selbstverbuchungsanlagen, Mediensortiergeräten und elektronischen Leitsystemen, von Büchern ist keine Rede. Unter Bibliothekaren verbreitet sich eine Ablehnung des Buchs. Sie wollen Bibliotheken in Treffpunkte, Veranstaltungszentren und Erlebnisorte verwandeln. Die Tendenz, dass Bibliothekare nichts mehr mit Büchern und Bibliotheken zu tun haben wollen, wird immer offensichtlicher. Das dürftige Zeitalter der Bibliotheken läuft aus. Gerade im Niedergang entdeckt Konrad Heyde Aspekte, die bisher kaum beachtet wurden, aber deutlich machen, dass Bibliotheken, auch wenn sie dem Ende entgegengehen, immer noch interessante Einrichtungen sind.
LanguageDeutsch
Release dateJan 31, 2017
ISBN9783743146099
Letzte Bibliotheken: Reflexe eines schwindenden Zeitalters
Author

Konrad Heyde

Konrad Heyde, geboren 1940, Diplom-Bibliothekar, 1982-2003 Leiter der Staatlichen Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen Freiburg

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    Book preview

    Letzte Bibliotheken - Konrad Heyde

    Inhalt

    Publikationsbündel

    Vorwort

    Bibliotheksende

    Groteske

    Handhabbarkeit der Bibliotheksmedien

    Restbibliotheken und Bibliotheksreste

    Prognose

    Bibliothekare, Die Introvertiertheit der

    Versatzstücke zum bibliothekarischen Befinden

    Bibliotheksentropie

    Rocaille

    Anmerkungen

    Publikationsbündel

    Vorwort

    Anlass, dieses kleine Buch zu produzieren, war die Unmöglichkeit, den Aufsatz »Bibliotheksende« in einer Zeitschrift unterzubringen. Schon beim Schreiben wurde mir klar, dass es mit einer Veröffentlichung im bibliothekarischen Umfeld schwierig werden würde. Denn es handelt sich weder um einen bibliothekswissenschaftlichen Beitrag noch um einen Bericht aus der Bibliothekspraxis; beide wären von Nüchternheit geprägt und mit Fußnoten garniert. Aber der Vorgang, der den Text initiierte, hat etwas mit Gefühlen zu tun, die gezeigt werden sollten. Gefühle sind jedoch weder in der Wissenschaft noch in die Praxis befördernden Berichten angebracht. Da eine Veröffentlichung allein in digitaler Form nicht in Betracht kam, blieb nur die Möglichkeit, den Text mit weiteren Texten zu bündeln und so zu veröffentlichen.

    Die weiteren Texte gab es nicht, sie waren erst noch zu schreiben. Dafür konnte ich auf Notizen, die ich mir vor einiger Zeit – analog zu: Georg Steiner, Meine ungeschriebenen Bücher, Hanser 2007 – unter dem Titel »Worüber ich gerne geschrieben hätte« gemacht hatte, zurückgreifen, im Wesentlichen eine annotierte Liste bibliotheksrelevanter Themen, angereichert mit Gründen, warum ich darüber niemals schreiben können würde (zu faul, zu apathisch, keine Zeit, nicht kompetent, als Thema zu läppisch, zu lange aus der beruflichen Praxis, interessiert eh nur mich und sonst niemanden, unfähig, interessant zu schreiben und Probleme und Sachverhalte richtig zu durchdenken usw.).

    Als ich mir die Liste vornahm, begriff ich, dass darunter Themen sind, die zwar alle aus dem bibliothekarischen Umfeld stammen und in diesem virulent sind, aber weder in der bibliothekarischen Fachliteratur vorkommen, noch in informellen Situationen angesprochen werden. Es handelt sich um Themen, die unter der Decke gehalten werden, als seien sie peinlich. Umso lustvoller ist es, beim einen oder anderen dieser Themen die Decke anzulupfen und noch eine Reihe weiterer in petto zu wissen, über die bei anderen Gelegenheiten geschrieben werden kann.

    Ihrer Machart nach passen die Texte zusammen. Die größte Gemeinsamkeit liegt jedoch in ihrer Stimmung. Durch diese unterscheiden sie sich von Texten in gewohnt fachlichem Duktus, die noch im Glauben an die Zukunft der Bibliotheken verfasst und optimistisch sind, z. B. Vorschläge für die Bibliotheksentwicklung transportieren. Die hier vorliegenden Texte sind hingegen nach dem Ereignis entstanden, das Anlass für den Aufsatz »Bibliotheksende« war, und sind im Zweifel verfasst. Zweifel beendet jede Gewissheit: hier den Glauben an eine Zukunft der Bibliotheken, der, wie sich jetzt herausstellt, ein naiver Glaube war, also ein paradiesischer. Die Texte sind absurd, mit ihnen werden keine Ziele mehr verfolgt, es sind Reflexe des verlorenen Paradieses.

    Bibliotheksende

    Groteske

    Bradbury irrte. Jetzt wissen wir, nicht Brandspezialisten, also Feuerwehrmänner, sondern Spezialisten für Buch und Bibliothek, also Bibliothekare, sind zuständig für die Vernichtung von Büchern und Bibliotheken. Das ist Fortschritt. Und wie jeder Fortschritt hat auch dieser zum Ziel, Tradition zu werden, zu bibliothekarischer Tradition. Der Anfang ist gemacht.

    Bislang fanden Überlegungen zum Bibliotheksende stets auf der festen Basis real existierender Bibliotheken statt. Von daher gesehen schien ein Ende – wenn auch von deutlich sichtbaren Zeichen ausgehend – eher hypothetisch; denn es bestand die Hoffnung, dazu werde es schon nicht kommen, vielmehr werde das Ende in einem Wandel der Bibliotheken aufgefangen, und Betrachtungen darüber liefen auf Spekulationen über diesen rettenden Wandel hinaus. Symptomatisch hierfür ist das Fragezeichen im Titel des 2011 von Uwe Jochum und Armin Schlechter herausgegebenen Tagungsbandes Das Ende der Bibliothek?, das dazu dient, das Ende als unwahrscheinlich hinzustellen. Aber hier berichte, erinnere, räsoniere und spekuliere ich über eine wirkliche Bibliotheksvernichtung, die noch dadurch akzentuiert wird, als sie von Bibliothekaren gewollt und vollzogen wurde und es sich um deren eigene bibliothekarische Fachbibliothek handelte. Es geht also um einen Präzedenzfall sondergleichen.

    Liquidation der Bibliothek

    Am 10. März 2014 beschlossen die Bibliothekarinnen und der Bibliothekar der Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen Freiburg, die Fachbibliothek der Fachstelle aufzulösen. Der Beschluss fiel im Rahmen der wöchentlichen Dienstbesprechung. Ihm ging keine weitere Diskussion voraus; denn diese war in der Fachstelle – teils formal, vor allem informell, stets nach dem Motto des steten Tropfens, der den Stein höhlt, bereits seit über zehn Jahren gelaufen, so lange, bis klar war, dass nun so beschlossen werden würde. Der Beschluss wurde ein ganz klein wenig modifiziert, zum einen, weil eine Bibliothekarin sich anbot, eine ihr bekannte Lehrerin eines nahen Gymnasiums zu fragen, ob die Schule Interesse habe, die literaturwissenschaftliche Literatur aus der Fachbibliothek zu übernehmen, zum anderen, ganz aktuelle bibliothekarische Fachliteratur sowie Literatur, die die Fachstelle selbst beträfe, noch zu behalten.

    Wenige Tage später kamen drei Gymnasiastinnen auf Fahrrädern mit einem Kinderanhänger vorbei, beluden diesen mit Büchern und füllten zwei Rucksäcke. Als sie gerade losziehen wollten, überreichte ihnen eine freundliche, etwas verlegen lächelnde Fachstellenbibliothekarin einen Karton mit dem Hinweis, der enthielte Literatur über Comics und Filme, wofür sie gewiss Abnehmer finden würden …

    Vier Wochen nach dem Beschluss, am 8. April, wurden über 5000 Bücher und andere Materialien als Müll entsorgt. In gemeinsamer Aktion der Fachstellenmitarbeiter wurden die Medien in Kartons und Plastikkisten gepackt, eine Treppe heruntergetragen, auf Wägelchen verladen, mit dem Aufzug nach unten transportiert und in die bereitgestellte Müllmulde geworfen. Nachmittags wurde die Mulde abgeholt und zur Müllverbrennungsanlage in Eschbach, 25 Kilometer südlich von Freiburg, gefahren, wo die Bibliothek noch am selben Tag verbrannt wurde. Ob das auch so ein gemeinschaftsförderndes und identitätsstiftendes Ereignis war wie andere gemeinsame Aktionen, etwa wie ein Betriebsausflug oder das Drucken und Legen der Seiten einer Fachstellenveröffentlichung oder die sich aus der Routine der täglichen Arbeit abhebenden Arbeiten zur Vorbereitung und Durchführung der Fachkonferenz der Staatlichen Fachstellen (in Freiburg 1992) oder das Fußballspiel auf einem nahegelegenen Bolzplatz mit anschließendem Verzehr von Schmalzbroten?

    Sich aufdrängende Fragen

    Die Aktion wirft Fragen auf, vor allem drei, die auf Existenz und Arbeitsmöglichkeiten der Fachstelle zielen. Zum einen: Wie hat die Liquidation ihrer Fachbibliothek das Ansehen der Fachstelle innerhalb des Regierungspräsidiums verändert? Die Frage muss gestellt werden; denn seit 2005 ist die Fachstelle ins Regierungspräsidium integriert (Abteilung 2 – Wirtschaft, Raumordnung, Bau-, Denkmal- und Gesundheitswesen / Referat 23 – Kulturelle und soziale Infrastruktur, Krankenhausfinanzierung, Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen), damit Teil dieser Behörde und von ihr abhängig. Ansehen und Akzeptanz der Fachstelle im Regierungspräsidium sind für ihre Ausstattung und Arbeit wichtig (z. B. für die finanziellen Möglichkeiten, etwa für das Abonnement von Fachzeitschriften, für Dienstfahrten, für die Gewinnung und Weitergabe von Fachinformationen, für die Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen, für die Wiederbesetzung freiwerdender Stellen), letztlich hängt die Existenz der Fachstelle davon ab. Weil die Aktion mit ihrem Treppauf-Treppab, Liftauf-Liftab, dem Gerolle, Geschiebe und Gewuchte unüberseh- und -hörbar war, haben Bedienstete des Präsidiums darauf reagiert: erstaunt, erfreut, verwundert? War ihnen verständlich, was da geschah? War es einsichtig, dass Bibliothekare ihre eigene Bibliothek wegwerfen? Konnten die Fachstellenmenschen ihnen das erklären? Wie waren die Erklärungen? Kurz

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