Der Bergpfarrer 120 – Heimatroman: Er fühlt sich schuldig
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"Hallo, ich bin's."
Friedrich Sander saß in dem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer, als seine Nichte die Wohnung betrat.
"Hier hinten", rief er und klappte das Album zu.
Petra kam herein. Sie lächelte, als sie sah, womit sich ihr Onkel beschäftigt hatte.
"Wieder mal die Briefmarken", schmunzelte sie und gab ihm einen Kuß auf die Wange.
"Na ja, ist doch mein einziges Hobby", erwiderte der pensionierte Postbeamte und stand auf. "Wir können gleich essen. Ich muß nur schnell das Fleisch warm machen."
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Der Bergpfarrer 120 – Heimatroman - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer –120–
Er fühlt sich schuldig
Roman von Toni Waidacher
»Hallo, ich bin’s.«
Friedrich Sander saß in dem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer, als seine Nichte die Wohnung betrat.
»Hier hinten«, rief er und klappte das Album zu.
Petra kam herein. Sie lächelte, als sie sah, womit sich ihr Onkel beschäftigt hatte.
»Wieder mal die Briefmarken«, schmunzelte sie und gab ihm einen Kuß auf die Wange.
»Na ja, ist doch mein einziges Hobby«, erwiderte der pensionierte Postbeamte und stand auf. »Wir können gleich essen. Ich muß nur schnell das Fleisch warm machen.«
»Ach, Mensch, Onkel Friedrich«, schüttelte Petra den Kopf, »du sollst dir doch net immer so viel Mühe machen!«
Sie folgte ihm in die Küche. Dort war schon der Tisch für zwei Personen gedeckt. Friedrich Sander ging zum Herd und schaltete eine Platte ein. Auf der anderen siedeten Kartoffelknödel in einem Topf vor sich hin.
»Kann ich noch was helfen?« fragte die zweiundzwanzigjährige Studentin.
»Ach, wenn du noch mal den Gurkensalat abschmecken willst. Ich bekomme ihn nie so hin, wie Tante Lore.«
»Aber ich«, lachte Petra. »Sie hat mir nämlich mal ihr Geheimnis verraten – ein Spritzer Zitronensaft gehört daran.«
Ihr Onkel nahm zwei Schüsseln aus dem Küchenschrank und füllte die Knödel in eine davon. In die andere kam das Gulasch. Petra holte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und brachte sie an den Tisch.
»Guten Appetit«, wünschte Friedrich. »Ich hoffe, es schmeckt dir.«
»Da kannst du sicher sein«, entgegnete die Nichte. »Bis jetzt hat mir alles geschmeckt, was du gekocht hast.«
»Wie war dein Tag?« erkundigte sich ihr Onkel.
Die Studentin winkte ab.
»Jetzt, vor den Semesterferien, tut sich net mehr viel. In zwei Tagen ist Wochenende, und am Montag schlaf’ ich mich erstmal aus.«
Petra Sander studierte an der Uni Pharmazie. Ein gutes Jahr noch, dann würde sie fertig sein.
»Das wird wohl net geh’n«, meinte Friedrich Sander mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Seine Nichte sah ihn erstaunt an.
»Und warum net?«
»Später«, erwiderte er. »Sozusagen als Dessert…«
»Später will ich noch mal zum Friedhof.«
»Wenn du nix dagegen hast, begleite ich dich.«
»Natürlich net. Im Gegenteil. Außerdem wird es dir mal ganz gut tun, wenn du ein bissel an die frische Luft kommst.«
»Frische Luft hab’ ich im Garten genug«, winkte er ab.
»Aber net genug Bewegung«, widersprach sie. »Du weißt genau, was Dr. Werlemeier gesagt hat.«
»Ach, der alte Stümper«, entgegnete Friedrich. »Der sieht doch bloß zu, daß er an mir verdienen kann.«
»Das laß deinen Doppelkopffreund mal ja nicht hören!«
Zusammen mit noch zwei anderen Nachbarn gehörte der Arzt zu der Doppelkopfrunde, die Friedrich Sander schon vor Jahren ins Leben gerufen hatte. Man traf sich jeden Freitagabend im Wirtshaus, und nach einer ordentlichen Mahlzeit wurden die Karten herausgeholt.
»Er weiß schon, was ich von ihm halte, der alte Zausel«, grinste der Onkel und legte das Besteck auf den leeren Teller. »Der Gurkensalat war wirklich so, wie deine Tante ihn immer gemacht hat.«
»Freut mich. Aber, was ist denn nun mit dem ›Dessert‹?«
»Drüben, beim Kaffee.«
Wohl oder übel mußte sich die Studentin, mit den langen dunklen Haaren und dem aparten Gesicht, mit Geduld wappnen. Erst als sie im Wohnzimmer saßen, jeder eine Tasse Kaffee vor sich, rückte Friedrich Sander mit der Sprache heraus.
»Also«, begann er und wedelte dabei mit einem Umschlag, den er aus dem Schrank geholt hatte, »ich habe mir überlegt, daß du dir eine Belohnung verdient hast.«
Petra sah ihn mit großen Augen an.
»Eine Belohnung? Wofür denn?«
»Na ja, weil du so fleißig studierst und dann auch noch die Wohnung hier sauber hältst.«
»Das stimmt doch gar net. Das meiste davon machst du ja, wenn ich zur Uni bin.«
»Trotzdem. Du tust mehr, als du müßtest«, überging er ihren Einwand. »Außerdem hab’ ich mir überlegt, daß dir eine kleine Reise mal ganz guttun würde, um ein bissel Abstand zu finden und du wieder zur Ruhe kommst. Deshalb habe ich ein wenig nachgedacht, bin in ein Reisebüro gegangen, und das hier, das sind die Unterlagen. Bis auf eine Fahrkarte, weil ich net wußte, ob du net lieber mit dem Auto fährst. Dann bekommst’ natürlich noch das Benzingeld dazu.«
Er reichte ihr den Umschlag mit strahlenden Augen.
»Onkel, du mußt verrückt geworden sein!« entfuhr es Petra. »Wie kannst du mir so ein Geschenk machen?«
»Weil du meine Nichte bist, weil ich dich gern’ hab, und weil unser Zusammenleben hier so wunderbar klappt.«
Die Studentin öffnete den Umschlag und zog ein Blatt heraus.
»Bestätigung der Buchung eines Einzelzimmers, mit Frühstück, für vierzehn Tage. Pension Stubler, St. Johann«, las sie.
Petra unterdrückte einen Aufschrei und fiel ihrem Onkel um den Hals.
»Das ist ja der Wahnsinn!« sagte sie glücklich. »Mensch, Onkel Friedrich, du weißt ja gar net, was für eine Freude du mir damit machst!«
»Das habe ich gehofft. Aber schau’ doch mal nach; da müssen noch ein paar Prospekte über den Ort im Umschlag sein.«
Sie nahm die Unterlagen heraus.
»St. Johann in den bayerischen Alpen«, las Petra vor. »Ein Ort, an dem Sie auch heute noch, in einer lauten und stressigen Zeit, Ruhe und Beschaulichkeit finden.«
Es gab einen Ortsplan, eine kleine Wanderkarte und einige Fotos von St. Johann und der näheren Umgebung.
»Ich weiß immer noch net, was ich sagen soll«, schüttelte sie den Kopf.
»Sagen mußt’ auch nix. Aber überlegen, was du alles mitnehmen mußt. Vor allem Wanderkleidung wirst’ da brauchen.«
»Berge, Wandern, Almhütten«, schwärmte sie. »Weißt du, wie lang’ das her ist? Damals hat Mutter noch gelebt.«
»Ich weiß«, nickte Friedrich Sander. »Und Tante Lore auch.«
*
Am Nachmittag gingen sie zum Friedhof. Dort ruhte Petras Mutter schon seit sechs Jahren. Eine unheilbare Krankheit hatte sie aus der Mitte des Lebens gerissen. Lore Sander, Petras Tante, war auch viel zu früh verstorben; vor zwei Jahren hatte man sie zu Grabe tragen müssen.
Und vor zwei Monaten erst war Manfred Sander seinen letzten Weg gegangen. Petras Vater ruhte nun an der Seite seiner Frau im Familiengrab.
Noch immer war die Trauer da. Die hübsche Studentin meinte, es wäre erst gestern gewesen, daß sie, unter großer Anteilnahme von Verwandten, Freunden und Bekannten, hatte Abschied nehmen müssen. Ein großer Trost war Onkel Friedrich gewesen. Der Bruder ihres Vaters bot Petra an, zu ihm zu ziehen. Das Haus war für ihn alleine viel zu groß. Zuerst hatte sie gezögert, doch dann ließ sie sich überzeugen. Das Elternhaus sollte vermietet werden. Einen Teil der Einnahmen brauchte sie zur Finanzierung ihres Studiums, der Rest wurde bei einer Bank angelegt. Auch wenn Friedrich es ablehnte, von seiner Nichte Miete zu verlangen, so war es für Petra doch selbstverständlich, daß sie soviel wie möglich mithalf, das Haus in Schuß zu halten. Allerdings blieb der Löwenanteil doch an ihrem Onkel hängen, denn das Studium nahm viel von ihrer Zeit in Anspruch. Indes machte es Friedrich Sander nichts aus.
Seit seiner Pensionierung hatte er sich zu einem richtigen Hausmann entwickelt, und daß Petra nicht soviel Zeit hatte, dafür hatte er Verständnis.
Nacheinander besuchten sie die beiden Gräber und legten Blumensträuße ab.
»Komm, laß uns noch ein kleines Stück laufen«, schlug die Studentin vor, als sie den Friedhof wieder verließen.
Sie schlugen nicht den Weg zum Haus ein, sondern gingen in entgegengesetzter Richtung und kamen nach einer knappen halben Stunde in der Nürnberger Innenstadt an. In einem Straßencafé gönnten sie sich ein Stück Torte. Dazu trank Petra einen Cappuccino,