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U5: Roman
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Ebook136 pages2 hours

U5: Roman

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About this ebook

Paul und Barbara bringt der Zufall zusammen: In der Lebensmittelabteilung eines Warenhauses fällt sie ihm auf, weil ihr Lachen ihn an seine große Liebe Tina erinnert, die tödlich verunglückt ist. Zwei Stunden später sitzen die beiden in einem Restaurant und erzählen ihre Geschichten – allerdings nicht vollständig: Paul spart Tina aus, und Barbara, dass sie auf den Strich geht. Und dann tritt der verwirrte Heinrich, mehr auf U-Bahnhöfen und in Parkanlagen zu Hause, in die junge Beziehung: Barbaras zweite Zufallsbekanntschaft kennt Paul bereits aus der Studentenzeit; damals allerdings ist er noch ein außergewöhnlich begabter Künstler gewesen …
Entlang der Berliner U-Bahnlinie U5 zwischen Alexanderplatz und Hönow erleben diese drei vom Schicksal Zusammengeführten ihre gemeinsame Geschichte – und erzählen aus ihren ganz unterschiedlichen Perspektiven vom Leben und von der Liebe.
LanguageDeutsch
Release dateNov 19, 2016
ISBN9783941184725
U5: Roman

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    Book preview

    U5 - Pol Sax

    Inhaltsverzeichnis

    Titelseite

    Impressum

    Widmung und Motti

    Text

    Pol Sax

    U5

    Roman

    Elfenbein

    © 2008 Elfenbein Verlag, Berlin

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN 978-3-941184-72-5 (E-Book)

    ISBN 978-3-932245-94-7 (Leinen)

    ISBN 978-3-941184-08-4 (Broschur)

    für Christine Matthes

    Versiegelt wie in einem Beutel wäre meine Missetat,

    und meine Schuld würdest du zudecken.

    Hiob 14, 17

    Alles ist Verkettung, und wir sind Urheber von Handlungen, ohne mitschuldig zu sein. Alles, was uns in der Welt an wirklich Bedeutendem zustößt, ist deshalb nichts anderes als Schicksal.

    Casanova: Geschichte meines Lebens

    Heinrich

    Ich wünsche mir, ich könnte fliegen. Hoch über der Stadt meine Runden drehen, unter mir all die vielen Menschen, ganz klein. Die Wolken mit der Hand berühren, mich im hellen Blau langsam auflösen, ganz langsam durchsichtig werden, und leicht, so leicht.

    Statt dessen fahre ich U-Bahn. Auch gut. Ich mag es, wenn die gelben Züge durch die langen, dunklen Tunnel rasen. Vor allem in Kurven, oder wenn sich die Trasse senkt, hat man das Gefühl zu schweben und ist so sicher dabei. So behütet. Allerdings, ich habe kein Geld. Deswegen muss ich mich vor den Kontrolleuren in Acht nehmen. Ich bekomme natürlich Geld vom Amt, aber irgendetwas ist da schiefgelaufen. Der Mann vom Amt war auch ganz komisch letztes Mal. Der war sauer auf mich! Hat mich zweimal rausgeschickt, ich solle »mich sammeln«. Jörg, der im­mer mit zum Amt kommt, hat auf mich eingeredet, aber ich weiß nicht, Jörg ist auch manchmal etwas merkwürdig. Aber mein Freund ist er natürlich trotzdem. Auch wenn ich ihn nicht oft sehe, weil er doch nie Zeit hat, wegen seiner Frau und den Kindern. Ich bin jedenfalls schwer auf Zack. Kontrolleure erkenne ich sofort.

    Weil ich mir nämlich alle Menschen im Zug ganz genau anschaue. Am liebsten mag ich Kinder, die sind lus­tig, und ganz alte Leute. Und schöne Frauen. Am liebs­ten die Kinder. Und die Frauen, wenn sie sehr, sehr schön sind. Wunderbare Engel. Ob sie wirklich fliegen können?

    Barbara

    Ich kam von einem Freier in der Warschauer Straße. Einem freundlichen älteren Herrn, dessen Frau vor ein paar Jahren gestorben war und der mich hauptsächlich fürs Zu­hören bezahlte. Ein lieber, witziger Kerl; vielleicht verbarg er hinter seinen Späßen aber auch nur seine Verzweiflung. Er hatte lustige Augen, die ganz traurig werden konnten. Irgendwie mochte ich ihn. Aber heute war einer dieser Tage, ich fühlte mich schmutzig. Die Wohntürme am Frankfurter Tor krallten sich im grauen Himmel fest, und ich lief eilig die Treppe zur U-Bahn hinunter. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause.

    Anfang Mai, ein Montagnachmittag, Regenwetter, auf dem Bahngleis kaum Betrieb. Nur am Zeitungskiosk stand eine ältere Dame, am anderen Ende konnte man ein paar Jugendliche hören. Ich lief um den Treppenaufgang herum und setzte mich auf die Bank, um endlich meine hochhackigen Pumps gegen bequemere Turnschuhe zu tauschen. Tote Ecke. Kein Mensch an diesem Ende des Bahnsteigs.

    Ich kramte in meiner Tasche, nestelte meine Turnschuhe heraus und suchte nach meinem Terminkalender. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich den Mann. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören. Er war groß und schlaksig und bewegte sich fahrig, flatterhaft. Er ging an der Bahnsteigkante auf und ab, den Kopf tief gesenkt, so dass seine schulterlangen Haare sein Gesicht verbargen. Jedes Mal bevor er wendete, legte er den Kopf in den Nacken, warf unentschlossen die Arme kurz hoch und drehte dann auf der Ferse um. Lautlos. Vor der gelben Notrufsäule blieb er schließ­lich stehen, beide Fußspitzen genau an der Bahnsteigkante, und ruckelte langsam hin und her. Als wollte er seine Schuhe an dem schwarzweißen Karomuster der Bodenfliesen ausrichten. Kindisch. Plötzlich warf er den Oberkörper nach hinten, lehnte sich weit zurück, bogenförmig, ruderte kurz mit den Armen, dann stand er wieder kerzengerade. Sekundenlang. Schließlich hob er das linke Bein, streckte es weit vom Körper ab, seitlich, wie ein Hampelmann. Zurück. Rechtes Bein. Ein Verrückter. Wieder weit nach hinten, die Füße immer noch beide genau an der Kante. Armrudern. Linkes Bein, rechtes Bein. Gegen alle Gesetze der Schwerkraft. Ein leichter Luftzug strich durch den Bahnhof, wurde stärker. Staub wirbelte auf. Der Fremde stand wieder auf einem Bein, den Blick zur Decke, mit abgespreizten Armen. Eine weiße Plastiktüte flog hoch, schwebte in der Luft, zitterte kurz und sackte wieder zu Boden. Reglos, nur die Arme wippten ganz leicht. Ein leises, helles Sirren der Schienen. Bogenförmig nach hinten, mit rudernden Armen. Noch immer auf einem Bein. Den Blick unverändert zur Decke.

    Ganz Gelb und Glas und Stahl und Licht rauschte der Zug in den Bahnhof. Ich hatte schreien wollen, aber ich war zu spät, längst füllte der Lärm des Zuges den ganzen Bahnhof aus.

    Der Verrückte stand immer noch am Gleisrand, unbewegt, kerzengerade, keine zehn Zentimeter trennten ihn vom einfahrenden Zug, der unendlich langsam zum Stehen kam. Dann drehte er sich zur Tür, und mit weit ausholenden Schritten stieg er ein.

    Paul

    Es war das gleiche Lachen. Das gleiche Lachen und die hellblauen Augen, die mich anstrahlten. Vier Jahre lang hatte ich das vermisst. Täglich, stündlich, jede Sekunde, immerzu. Tina! Seit sie nicht mehr da war, war alles anders. Und nun saß mir plötzlich diese fremde Frau gegenüber und lächelte mich an. Ich war so verwirrt, dass ich nicht einmal zurücklächeln konnte. Ich starrte sie einfach nur an. Nach all den Jahren!

    Tina: Vor fünf Jahren waren wir zusammen nach Berlin gezogen. Weil es hier billige Ateliers gab, einen Haufen Galerien und Tina eine Stelle an der Charité bekommen hatte. Nach einer Ausstellung in Brüssel war ein kleiner Geldsegen über uns gekommen, und nun wollte ich mich endgültig im deutschen Kunstbetrieb etablieren. Und Tina wünschte sich ein Kind von mir. Nach acht Monaten wurde sie schwanger, neun Wochen später erfuhr sie von ihrem Frauenarzt, dass es ein Junge werden würde. Felix sollte er heißen, das war längst unter uns ausgemacht, sein Name sollte ihm Glück bringen. Was kann man seinen Kindern Besseres wünschen?

    Es war die schönste Zeit meines Lebens. Wenn Tina morgens in die Klinik ging, verschwand ich in meinem Friedrichshainer Atelier. Ich hatte mir eine ganze Wagenladung Baumstämme liefern lassen: rotkernige Kiefer, helle Eiche, einen riesigen Block Balsaholz. Kirsche, Buche und Pappel. In der »Kunstzeitung« war ein großer Artikel über meine Figuren erschienen, im Atelier tauchten die ersten Interessenten auf. Ich sägte, bohrte und hobelte, was das Zeug hielt. Ich meißelte und schnitzte wie ein Be­klopp­ter. Kurz vor drei schmiss ich Beitel und Klüpfel in die Ecke und fuhr wieder zurück nach Mitte, um Tina von der Klinik abzuholen und mit ihr in der Stadt spazieren zu gehen.

    Wir liefen Arm in Arm an der Spree entlang und bummelten händchenhaltend durch die Alte Schönhauser Straße. Zusammen warfen wir sehnsüchtige Blicke durch die Schaufenster von Spielzeugläden. Nichts konnte uns trennen. Wir fütterten Tauben am Alexanderplatz. Wir tranken Kaffee im Stehen. Wir kauften Obst beim Thai und Gemüse vom Türken. Manchmal legte sie meine Hand auf ihren Bauch und sagte: »Die Liebe wächst.« Wir verdarben uns den Magen mit Schokoladeneis und tranken Rotwein beim Italiener. Ich rannte den Enten im Volkspark hinterher, und Tina redete mit den Spatzen. Wir liebten uns in heimlichen Hauseingängen. Und abends lagen wir im Gras und zählten die Sterne.

    Barbara

    Als ich am Alexanderplatz die Treppe von der U-Bahn hinauflief, fiel mir ein, dass ich zu Hause keine Milch mehr hatte, und ich beschloss kurzerhand, noch schnell in die Markthalle zu laufen.

    Zwei Stunden später saß ich lachend im »Kaufhof«-Restaurant und hörte immer noch diesem fremden Mann zu, der mich an der Kühlvitrine gefragt hatte, ob er mich zu einem Kaffee einladen dürfe.

    Keine Ahnung, wieso ich überhaupt mitgegangen war. Ich hatte wirklich niemanden mehr sehen wollen, aber ir­gend­etwas an ihm zog mich magisch an. Vielleicht waren es seine grünen Augen, aus denen er mich unentwegt ansah, vielleicht die kleinen Fältchen um seinen Mund, wenn er lachte. Wie sollte ich da nein sagen. Ich weiß es nicht.

    Er erzählte mir, dass er Bildhauer sei, und machte sich über seine eigenen Skulpturen lustig. Er nannte sich einen Epigonen. Das weiß ich noch, denn ich hatte nachfragen müssen, was das denn eigentlich sei, ein Epigone. Ich interessiere mich nicht für moderne Kunst. Er erzählte, dass er jahrelang Holzfiguren gemacht habe, und ich stellte mir dabei große Marionetten vor.

    Es passiert mir nicht oft, dass ein Mann erotisch auf mich wirkt. Paul tat es. Mir gefiel, wie er rauchte. Als wir uns mit unseren Kaffeetassen an einen freien Tisch am Fens­ter gesetzt hatten, zog er eine Packung Tabak aus seiner hinteren Hosentasche und legte sie vor sich auf den Tisch. Er öffnete sie vorsichtig und hob sie langsam an seine Nase, um daran zu riechen. Dann kramte er ein Päckchen Zigarettenpapier hervor und riss ein Blättchen heraus. Zwischen seinen groben Bildhauerhänden sah das durchsichtige Papier so zart und empfindlich aus. Er legte es neben seine Tasse und strich es mit dem Zeigefinger vorsichtig glatt. Dann nahm er etwas Tabak und verteilte ihn langsam und bedächtig auf dem Papier. Zum Drehen stützte er beide Handballen an der Tischkante ab und führte die fast fertige Zigarette plötzlich mit einer schnellen Bewegung zum Mund, beleckte sie mit der Zungenspitze und zupfte an beiden Enden den Tabak sauber ab, warf die Brösel in den Aschenbecher und legte die fertige Zigarette vor sich auf den Tisch. Dann kramte er in seiner Jackentasche, entnahm ihr eine Schachtel Streichhölzer und legte sie neben seine Zigarette. Es war ein Ritual. Ich war mir sicher, dass er nicht einfach so rauchen konnte wie andere Menschen. Er musste jede einzelne Kippe zelebrieren. Er nippte erst kurz an seiner Espressotasse, bevor er sich die Zigarette zwischen die Lippen klemmte. Da wusste ich, dass ich gerne mit ihm schlafen würde.

    Als er mich endlich fragte, ob er mich mal zum Essen einladen dürfe, sagte ich sofort ja. Er schlug das folgende Wochenende vor, ich vertröstete ihn auf Dienstag und gab ihm meine Handynummer.

    Paul

    Ich bin ihr einfach gefolgt. Die Rolltreppen hoch, durch das Bahnhofsgebäude, über den Platz am Taxistand vorbei zu »Kaufhof«, der eher einer Baustelle glich als einem Wa­renhaus. Zwischen Salattheke und Biogemüse nahm ich all meinen Mut zusammen und sprach sie an. Ich ließ irgendeinen dämlichen Spruch los, von dem ich

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