Der neue Landdoktor 32 – Arztroman: Aus blinder Rachsucht
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Eine heftige Windböe riss der Frau den Fensterladen aus der Hand und ließ ihn krachend gegen die Hauswand schlagen.
"Du meine Güte!" Traudel, die gute Seele des Doktorhauses, trat erschrocken einen Schritt zurück. "Das Unwetter ist zwar für heute angekündigt, aber dass es schon so früh losgeht, hätte ich nicht gedacht." Die hübsche, rundliche Frau im lavendelfarbenen Dirndl trat energisch auf die Terrasse vor der gemütlichen Landhausküche hinaus und hakte die grünen Schlagläden sorgsam fest. Dabei rief sie über ihre Schulter: "Emilia, wenn du trocken mit Nolan die kleine Morgenrunde gehen willst, dann musst du jetzt sofort los. Da braut sich ordentlich was zusammen."
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Der neue Landdoktor 32 – Arztroman - Tessa Hofreiter
Der neue Landdoktor –32–
Aus blinder Rachsucht
Roman von Tessa Hofreiter
Eine heftige Windböe riss der Frau den Fensterladen aus der Hand und ließ ihn krachend gegen die Hauswand schlagen.
»Du meine Güte!« Traudel, die gute Seele des Doktorhauses, trat erschrocken einen Schritt zurück. »Das Unwetter ist zwar für heute angekündigt, aber dass es schon so früh losgeht, hätte ich nicht gedacht.« Die hübsche, rundliche Frau im lavendelfarbenen Dirndl trat energisch auf die Terrasse vor der gemütlichen Landhausküche hinaus und hakte die grünen Schlagläden sorgsam fest. Dabei rief sie über ihre Schulter: »Emilia, wenn du trocken mit Nolan die kleine Morgenrunde gehen willst, dann musst du jetzt sofort los. Da braut sich ordentlich was zusammen.«
»Alles klar, Traudel, wir sind schon weg!«, antwortete Emilia, die vierzehnjährige Tochter Doktor Sebastian Seefelds. Mit einer Hand drehte sie ihre langen dunklen Haare zu einem glänzenden Knoten, mit der anderen griff sich nach der Hundeleine. »Nolan, komm!«
Der junge Berner Sennenhund hatte nur auf das Kommando gewartet und schoss begeistert hinter seiner jungen Herrin hinaus in den stürmischen Morgen. Das muntere Duo verschwand durch den Garten, und Traudel legte letzte Hand an den Frühstückstisch.
Während sie die frischen Semmeln aus dem Ofen holte, schnippelte Sebastian Seefeld Obst für das Müsli, und sein Vater Benedikt, Landdoktor im Ruhestand, kümmerte sich um Kaffee und frischen Orangensaft.
Der ältere Mann mit dem dichten, silbernen Haarschopf musterte die schwarzen Wolken, die über den Himmel jagten, und sagte: »Ihre Sportlichkeit in allen Ehren, aber heute sollte Emilia nicht mit dem Rad zur Schule fahren. Ich bringe sie mit dem Auto hin, und ich werde auch einen Schlenker über den Mittner Hof machen, um ihren Markus abzuholen. Ich denke, bei der vielen Arbeit, die es dort gibt, sind die Eltern froh, wenn sie ihren Sohn nicht zur Schule bringen müssen, heute ist wirklich nicht das rechte Wetter fürs Fahrrad.«
»Danke, Vater«, antwortete Sebastian, »darüber werden sich die Mittners freuen.«
»Welche Hausbesuche hast du heute vor?«, erkundigte sich sein Vater. Bei Bedarf vertrat Benedikt Seefeld seinen Sohn in der Praxis, trotz des Ruhestands bildeten die beiden Ärzte ein Team. »Ich hoffe, du musst nicht auf abgelegene Höfe, zu denen die Zufahrt bei diesem Wetter besonders schwierig ist.«
»Das hoffe ich auch«, antwortete Sebastian. »Aber wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, liegen nur der normale Praxisalltag und einige Hausbesuche in Bergmoosbach an.«
»Ha!«, machte Traudel und schob ihrem ›Bub‹, den sie aufgezogen hatte, die hausgemachte Erdbeermarmelade hinüber. »Wann hat es bei deinem Vater oder dir jemals nur den normalen Praxisalltag gegeben!«
Sebastian Seefeld lachte. »Oh, da könnte ich dir schon den einen oder anderen Tag nennen.«
Traudel schaute gedankenverloren in das aufziehende Wetter hinaus. »Ich hab so das Gefühl, dass heute keiner dieser Tage sein wird!«, murmelte sie halblaut vor sich hin.
Ehe jemand darauf antworten konnte, wurde schwungvoll die Hintertür aufgerissen, und Emilia und Nolan wehten ins Haus. Schnell drehte sich das Gespräch um die Organisation des Schulwegs, das Warten auf einen Handwerker und andere häusliche Dinge, und Traudels Bemerkung geriet in Vergessenheit.
*
Der Praxisalltag mit den mehr oder minder schweren körperlichen Beeinträchtigungen der Patienten nahm seinen Lauf, und erst als ein Anruf der jungen Hebamme Anna Bergmann kam, fielen Doktor Seefeld Traudels ahnungsvolle Worte wieder ein. Anna bat ihn, zu einer Hausgeburt zu kommen, die gar nicht hätte stattfinden sollen.
»Vorzeitiger Blasensprung und Wehen bei Julia Oberhauser?«, fragte der junge Landdoktor besorgt. »Kann sie noch rechtzeitig wie verabredet in die Klinik gebracht werden?«
»Ich fürchte nein! Und ich glaube, ein Dammschnitt wird nötig sein; du musst kommen, Sebastian«, antwortete Anna ruhig, aber so, dass die Dringlichkeit deutlich wurde. »Der Krankentransport aus der Kreisstadt ist organisiert, aber wer weiß, wann er bei diesem Wetter hier draußen sein kann.«
»Ich breche sofort auf!«
Der junge Landdoktor rief seinen Vater als Ablösung in die Praxis und saß Minuten später im Auto, um zum abgelegenen Hof der Familie Oberhauser zu fahren.
Heftige Böen peitschten den strömenden Regen gegen die Fensterscheiben des Wagens, und der Scheibenwischer hatte Mühe, gegen die Wassermassen anzukommen. Sebastians sorgenvolle Blicke galten den Bäumen, welche die Landstraße säumten. Wenn nur keiner entwurzelt worden war und nicht nur ihm, sondern auch dem gerufenen Rettungswagen den Weg versperrte! Die junge Mutter und ihr Kind mussten so schnell wie möglich in die Klinik in der Kreisstadt, in der sie zur Geburt angemeldet waren.
Sebastians Gedanken waren während der ganzen Fahrt bei der jungen Familie, die erst vor kurzem nach Bergmoosbach gezogen war und einen kleinen Hof übernommen hatte, auf dem sie Bio-Nahrungsmittel anbauen wollten. Das Kind, das erwartet wurde, war ein kleines Mädchen und sollte Luna heißen.
Die Mutter, Julia Oberhauser, war gesund, und eigentlich hätte einer Hausgeburt nichts im Weg gestanden, aber die junge Frau hatte eine Blutgruppe mit negativem Rhesusfaktor, ihr Mann dagegen war positiv. Da das Neugeborene ebenfalls Rhesus positiv war, würden sich bei der Mutter Antikörper bilden. Für diese erste Schwangerschaft stellte das keine Gefahr dar, aber für die folgenden schon. Ehe diese Blutgruppenunverträglichkeit erforscht worden war, hatten viele Frauen ihre Babys verloren oder tot zur Welt gebracht, und niemand kannte den Grund. Jetzt waren diese Zusammenhänge bekannt, und es gab eine wirksame Gegenmaßnahme. War eine Frau Rhesus negativ und brachte ein Rhesus positives Kind zur Welt, dann musste die Mutter innerhalb von vierundzwanzig Stunden eine Injektion bekommen, die diese Blutgruppenunverträglichkeit bei einer nächsten Schwangerschaft ausgleichen würde.
Das war der Grund, weshalb sowohl die Hebamme als auch der Landdoktor eine Hausgeburt abgelehnt und auf einer Klinikentbindung bestanden hatten. Zunächst waren die jungen Eltern damit gar nicht einverstanden gewesen, hatten sich dann aber der Notwendigkeit gebeugt. Jetzt allerdings sah es so aus, als würde ihr Baby seine eigene Entscheidung treffen, es kam zwei Wochen zu früh und auf dem elterlichen Hof zur Welt.
Sebastian parkte so dicht wie möglich am Haus und rannte durch den prasselnden Regen. Eine heftige Sturmböe wehte ihn in die Diele, wo ihn der völlig aufgelöste junge Vater erwartete.
»Was für ein Glück, dass wenigstens Sie es noch geschafft haben!«, rief Michael Oberhauser erleichtert. »Wir haben den Verkehrsfunk eingestellt und wissen, dass es vor fünf Minuten einen Erdrutsch auf der Zufahrtstraße gegeben hat! Sie sind noch durchgekommen, aber der Rettungswagen aus der Kreisstadt nicht mehr. Wie sollen Julia und das Baby dann von hier wegkommen?«
»Das kriegen wir hin! Die Kollegen haben bereits die Besatzung vom Rettungshubschrauber informiert«, beruhigte Sebastian den aufgeregten jungen Mann. »Der erfahrene Pilot wird auch bei diesem Sturm eine Möglichkeit finden, selbst wenn es etwas dauern sollte, bis er hier landen kann.«
Lautes, qualvolles Stöhnen drang aus einem Zimmer unter dem Dach; ein Laut, den der Landdoktor gut kannte, und der dem werdenden Vater sichtlich unter die Haut ging. »Ganz ruhig, Herr Oberhauser! Wir sind hier, um Ihrer Frau zu helfen, und es wird gut gehen. Sie ist ein bisschen fix, Ihre kleine Luna, aber damit können wir umgehen.«
Sebastian lächelte dem Mann aufmunternd zu und wandte sich zur Treppe.
»Ja, aber was ist mit dieser Spritze, die so wichtig ist?«, rief der junge Vater angstvoll.
»Ihre Frau wird rechtzeitig in der Klinik sein, damit sie die Injektion bekommt!«, antwortete Sebastian bestimmt, ehe er mit großen Schritten über die Stiege nach oben lief.
Die Hebamme und er tauschten einen vielsagenden Blick, als er in das Schlafzimmer trat. Der Arzt sah sofort, dass es zu spät für