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Cantals Tränen: Neun Erzählungen aus dem Argona-Universum
Cantals Tränen: Neun Erzählungen aus dem Argona-Universum
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Cantals Tränen: Neun Erzählungen aus dem Argona-Universum

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„Angriff.“
Luz Andrade hörte den Schrei, schloss die Augen und öffnete seinen Geist.
Tatsächlich. Er fühlte die tödliche Welle des unverständlichen Hasses heranrasen, sah die Spur, die sie hinter sich herzog, den sich rasch ausbreitenden Korridor, in dem sich die Schwärze des Weltraums von einem Moment auf den anderen blutrot verfärbte. Die Flammen des Verderbens näherten sich unaufhaltsam. Grell leuchtend bahnten sie sich ihren Weg.
(aus „Barrieren“)

Geschichten aus einer fernen Zukunft und von fernen Welten, weit draußen, in den Tiefen des Weltraums: exotische Außerirdische, mächtige Raumschiffe, Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten und Wurmlöcher, die viele tausend Lichtjahre voneinander entfernte Planeten verbinden – das sind die Zutaten von Armin Rößlers „Argona-Universum“. Nach den Romanen „Entheete“, „Andrade“ und „Argona“ liegt mit „Cantals Tränen“ der erste Band mit neun Erzählungen aus diesem Universum vor. Sie spannen den Bogen über die unterschiedlichsten Epochen und Schauplätze dieser groß angelegten Space Opera.
LanguageDeutsch
Release dateOct 17, 2016
ISBN9783955561017
Cantals Tränen: Neun Erzählungen aus dem Argona-Universum

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    Cantals Tränen - Armin Rößler

    Heimkehr

    Vorwort

    Schuld ist – natürlich – der Verleger. Nicht nur an diesem einen Buch, sondern an einer ganzen Reihe von Büchern. Letztlich sogar an einem kompletten Universum.

    Blicken wir zehn Jahre zurück, auf Anfang 2006. Der Roman »Entheete« lag in den letzten Zügen seines Entstehens, und Ernst Wurdack, in diesem Fall Verleger und Lektor in Personalunion, hatte das Ende noch nicht gelesen, weil es auch noch nicht geschrieben war, da kam schon die unmissverständliche Forderung: »Eine Fortsetzung muss her.« Dagegen wehrt sich selbstverständlich kein Autor der Welt. Und so wurde aus einem eigentlich abgeschlossenen Science-Fiction-Roman mit den beiden folgenden Büchern »Andrade« (2007) und »Argona« (2008) eine Trilogie und aus einer bereits ein Jahr zuvor veröffentlichten Kurzgeschichte (»Barrieren«) die Keimzelle des Argona-Universums.

    Der Wunsch nach einer Fortsetzung zu »Entheete« kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Hätte die Geschichte völlig abgeschlossen sein müssen, wäre das Finale vermutlich ganz anders gestaltet worden, eine entsprechende Idee hat es auch tatsächlich gegeben. So musste es aber weitergehen, und da kam für den Autor der zündende Einfall, »Entheete« und den zweiten Roman »Andrade« durch die Story »Barrieren« (schon 2005 in der Anthologie »Überschuss« veröffentlicht) zu verknüpfen, gerade recht. Das Ende von »Entheete« bereitet den Boden für die Welt, in der »Barrieren« spielt, und »Barrieren« erzählt die Vorgeschichte von »Andrade«. Angesichts dieser Fügung ist es fast schon logisch, dass im Lauf der Jahre neben den drei Romanen und einem vierten, der fast abgeschlossen ist (»Die Nadir-Variante«), zahlreiche weitere Kurzgeschichten entstanden sind. Sie ergänzen die Bücher, greifen vertraute Figuren oder Schauplätze wieder auf oder fügen dem Argona-Universum völlig neue Facetten hinzu. In »Cantals Tränen« liegen die meisten von ihnen, darunter drei Originalveröffentlichungen, nun erstmals gesammelt vor. Und auch was die weiteren bereits erschienenen, hier aber fehlenden Geschichten angeht, gibt es bereits konkrete Pläne.

    Den Auftakt in diesem Buch macht eine neue Geschichte, »Schwärzer als die Nacht, dunkler als der Tod«. Sie entführt den Leser in die Frühzeit des Argona-Universums, als der Flug durch Wurmlöcher für Menschen noch keine Selbstverständlichkeit darstellt, wie das später der Fall ist. Im Mittelpunkt steht ein Wissenschaftler, der die Abhängigkeit von den seltsamen Außerirdischen beenden will, den Lotsen, die die Raumschiffe durch die Wurmlöcher steuern, während die menschliche Besatzung sich im künstlichen Tiefschlaf befindet. Es folgt »Der Große See«, gleich die zweite Originalveröffentlichung. Hauptfigur dieser Geschichte ist Magellan Crefeldt, der Senso-Tech, der auch in »Entheete« mitwirkt, hier aber noch ein paar Jahre jünger ist und am Anfang seiner beruflichen Laufbahn steht. Auch der Roboter Vickers ist in »Der Große See« schon mit dabei.

    Dann gibt es eine ganze Reihe von Geschichten, die zwischen »Entheete« und »Andrade« angesiedelt sind, der große Zeitsprung zwischen den beiden Romanen eignet sich dafür natürlich perfekt. Zunächst einmal ist da »Das Gespinst« (ursprünglich veröffentlicht in der Anthologie »Lotus-Effekt«, 2008), in dem der Guer Barbieri zum ersten Mal in Erscheinung tritt. Wer ihn nur aus dem Roman »Argona« kennt, erfährt hier, was es mit seinem Symbionten, dem titelgebenden »Gespinst«, auf sich hat. In »Das Versprechen« (2011 in »Emotio« erschienen) werden dann erstmals im vorliegenden Buch die Kotmun erwähnt, die die Galaxis mit einem furchtbaren Krieg überziehen, wie man aus »Andrade« und »Argona« weiß. Kleiner Gimmick am Rande: Der Raumstation Penquareel wird der Leser in »Die Nadir-Variante« wieder begegnen.

    »Barrieren« schließt sich an, die Geschichte um den Ment Luz Andrade und seine ebenso faszinierenden wie unheimlichen geistigen Eigenschaften – die Kotmun werden dieses Mal nicht nur erwähnt, sondern haben auch ihren ersten richtigen Auftritt. In »Cantals Tränen« (aus S.F.X, 2007) steht dann ein eher exotisches Fremdwesen im Mittelpunkt, von denen es im Argona-Universum ja so einige gibt. Auch in dieser Story gibt es zwei Bestandteile, die einen Bezug zu »Andrade« herstellen. Zum einen die Welt Abito mit dem Volk der Auian, die uns hier zu einer Zeit begegnen, als sie noch nicht von den Kotmun angegriffen worden sind, wie das in »Andrade« der Fall ist; zum anderen ist da der namenlose Coparr, der, das kann an dieser Stelle ruhig verraten werden, mit Moseyl, dem »Suchenden« aus »Andrade«, identisch ist.

    Den Ments, den Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, widmen sich die beiden nächsten Erzählungen. »Martys Weg« (erstmals 2008 im Corona Magazine Nummer 200 veröffentlicht) erzählt die Vorgeschichte der Titelheldin, der wir ebenfalls in »Andrade« begegnen. Und »Fremd« (2014 im Corona Magazine Nummer 300 erschienen) stellt mit Skiff Berger einen Ment in den Mittelpunkt, der in »Barrieren« zwar nicht namentlich erwähnt wird, aber sinnbildlich für die im Schatten von Luz Andrade stehenden Beschützer des Planeten agiert, die nach dem Kampf gegen die Macht vom Todesmond nach einer neuen Orientierung im Leben suchen.

    Den Abschluss dieses Buches macht dann ein weiterer neuer Text, »Heimkehr«, angesiedelt nach dem Finale von »Argona«, nach dem Ende des Kriegs mit den Kotmun. Ein Soldat kehrt nach Hause zurück – und erlebt eine brutale Enttäuschung, wie sie schlimmer nicht sein könnte. Auch hier gibt es kurzes Wiederlesen mit einer Figur aus »Argona« … Und obwohl »Heimkehr« sicher kein schlechtes Ende wäre, sind damit natürlich noch längst nicht alle Geschichten aus dem Argona-Universum erzählt.

    Ganz wichtig ist an dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die mitgeholfen haben, dass es diese Geschichten überhaupt gibt: an Heidrun Jänchen, Dieter Schmitt und Ernst Wurdack für Lektorat, Fehlersuche, Verbesserungsvorschläge, Lob, notwendige Kritik und viel Geduld über die Jahre hinweg; an meine Frau Silke und meine Kinder Meline und Finnegan für die Zeit, in der ich diese Geschichten schreiben konnte; und natürlich allen Lesern, die sich für das interessieren, was ich mir ausgedacht habe und auch noch weiter ausdenken werde.

    Schwärzer als die Nacht, dunkler als der Tod

    Es ist schwärzer als die Nacht, durchfuhr es Holm Petersen, während er fasziniert auf den riesigen Monitor starrte. Das Wurmloch war nicht einfach nur die vollkommene Schwärze, es schien auch das Licht aus seiner Umgebung regelrecht abzusaugen. Die Sterne in seiner unmittelbaren Nachbarschaft verschwanden nicht, sie erloschen. Und es ist dunkler als der Tod, dachte Petersen in einem Anflug unlogischer Furcht. Ihn fröstelte, und er zitterte am ganzen Körper, so stark war die plötzliche Angst. Als wolle sie ihn von dem Gebilde fernhalten, ihn vertreiben. Doch gleichzeitig wurde er wie magisch von dem Wurmloch angezogen. Ihm galt sein Streben, seine Sehnsucht. Petersen wünschte sich nichts mehr, als bei vollem Bewusstsein durch das wundersame Gebilde reisen zu können.

    Es war nur ein kleiner Schritt, zumindest sah es so aus. Er wollte ihn gehen, aber bislang war er immer zurückgeschreckt. Warum eigentlich? Der Gefahr wegen? Was war sie schon gegen seinen großen Traum?

    Mach es, dachte Holm Petersen. Niemand kann dich aufhalten. Und dann überschritt er tatsächlich die unsichtbare Linie, den Ereignishorizont. Nun hätten ihn die ungeheuren Gezeitenkräfte zerreißen müssen. Doch nichts geschah, auf eine ihm unerklärliche Art und Weise war er davor geschützt. Stattdessen verdrängte das Licht mit einem Schlag die absolute Dunkelheit.

    Direkt vor Petersen öffnete sich ein Tunnel, wie er noch nie zuvor einen gesehen hatte: Alles leuchtete, flackerte, strahlte – seine Augen schmerzten, und er musste sie für einige Momente schließen, um die Eindrücke zu sortieren und seine hektisch durcheinander purzelnden Gedanken zu beruhigen. Als dann endlich auch sein Herz nicht mehr wild pochte und sein Puls wieder normal schlug, wagte Petersen es. Er gestattete seinen Augen, sich zu schmalen Schlitzen zu öffnen und die fremde Umgebung vorsichtig zu betrachten.

    Die Wände des Tunnels mussten aus reiner Energie bestehen. Überall rund um Holm Petersen herum leuchtete es irisierend auf. Er selbst schien im Tunnel zu schweben, sich langsam und behäbig vom einen zum anderen Ende zu bewegen. Da war ein schwacher Widerstand, doch nichts, das ihn aufhalten konnte. Ich werde mein Ziel erreichen, dachte Petersen. Eigentlich hatte er das bereits, denn er war jetzt mitten im Wurmloch, wie er sich das immer gewünscht hatte, und zwar nicht etwa als ein bewusstloses Stück Fracht an Bord eines Schiffes, sondern bei klarem Verstand. Er sah das Innere des Wurmlochs, er sog die Bilder auf, sie nahmen ihn gefangen. Er fühlte eine Gänsehaut, hätte aber nicht sagen können, an welcher Stelle seines Körpers.

    Am Ende des Tunnels, gar nicht so weit entfernt, entdeckte Petersen eine kreisförmige Öffnung. Er wusste, dass das Wurmloch eine Abkürzung darstellte, die einen Punkt des Universums mit einem anderen verband, ohne dass die tatsächliche Distanz eine Rolle spielte. Einige wenige Schritte ersetzten eine quälend lange Reise. Der Zielpunkt war zu erkennen: eine Sonne, um die mehrere Planeten kreisten. Bald schon würde er dort sein.

    Das Licht tobte um ihn herum. Er fühlte Kopfweh, das stärker wurde. Trotzdem hielt Petersen seine Augen stur weiter geöffnet. Er wollte sich nichts entgehen lassen.

    Hin und wieder war es ihm möglich, durch die Tunnelwände hindurch zu sehen. Stellen, die eben noch undurchdringlich wirkten oder wie helle Flammen aufloderten, wurden unvermittelt durchsichtig. Dann erspähte Petersen, was hinter dem Tunnel lag. Doch er hatte es bereits zuvor geahnt. Das Wurmloch, durch das er gemächlich schwebte, war natürlich nicht die einzige Verbindung zwischen den Sternen. Petersen entdeckte eine Vielzahl weiterer Tunnel, dich sich kreuz und quer ihren Weg bahnten. Manche waren leer, in anderen konnte er Objekte erkennen, bei denen es sich um Raumschiffe handeln musste. Es waren nur kurze Schlaglichter, die er aufschnappte; um Details wahrzunehmen, ging alles deutlich zu schnell. Petersen sah ein Schiff, dann war es schon wieder weg. Natürlich war er neugierig. Fremde Völker, die durchs All reisten, und das praktisch direkt vor seinen Augen. Doch es blieb ihm unmöglich, auch nur zu erahnen, wie ihre Transportmittel aussehen mochten. Die Stellen, an denen sich die Tunnelwand für ihn öffnete, verschwanden dafür viel zu rasch. So blieben seine Eindrücke vage.

    Das Ziel vor ihm wurde größer, die Reise ging zu Ende.

    Holm Petersen fühlte tief in sich große Zufriedenheit.

    Dann wurde es dunkel.

    Mit dem Erwachen kam die Enttäuschung. Es hat so real gewirkt, dachte Petersen. Und: Jetzt erst recht. Ich werde es schaffen.

    Es klopfte. Holm Petersen wurde aus seinen Gedanken gerissen.

    Natürlich hatte er kein echtes Klopfen gehört. Das Schott, das sein Labor vom Rest Wheelers abgrenzte, leitete den Schall ebenso wenig wie die Wände. Die KI hatte das Geräusch erzeugt, um ihn auf einen Besucher aufmerksam zu machen.

    »Verdammt«, fluchte Petersen. »Ich hatte doch ausdrücklich angeordnet, dass ich nicht gestört werden möchte.«

    »Es ist Caity Liu«, sagte die KI mit ihrer sanften, geschlechtsneutralen Stimme.

    »Verdammt«, wiederholte Petersen. Liu war die neue wissenschaftliche Leiterin der Station. Rossetti, ihr Vorgänger, hatte ihn weitgehend in Ruhe gelassen. Doch mit seinem Abschied brachen offensichtlich andere Zeiten an.

    Petersen schaute sich rasch um. Er war glücklicherweise ein ordentlicher Mensch. Nirgends lag etwas herum, das Liu Aufschluss über seine Forschungsergebnisse hätte geben können. Auf seinem Computerbildschirm wechselte er rasch die Ansicht, weg von seinen aktuellen kniffligen Berechnungen, hin zu unverfänglichen Daten, allgemeinem Wissen über die Wurmlöcher, das er längst in- und auswendig kannte. Liu würde das jedoch vermutlich nicht wissen. Für sie war er nur einer von vielen.

    Natürlich musste Petersen seiner neuen Chefin berichten. Trotzdem wollte er vermeiden, dass sie durch allzu genaue Kenntnisse seiner Arbeit am Ende seine Lorbeeren einheimste. Er kannte die Frau nicht, er wusste nicht, wie sie tickte.

    »Lass sie herein«, sagte er.

    Lius Anblick überraschte ihn. Er hatte sie bisher noch nicht gesehen und eine ganz andere Vorstellung von ihr gehabt. Petersen hatte nämlich Rossettis Abschied genauso geschwänzt wie Caity Lius Antrittsrede vor der versammelten Forscherrunde. Er stand kurz vor dem Durchbruch und wollte keine Minute seiner kostbaren Zeit verschwenden.

    »Guten Tag, Dr. Petersen«, sagte Liu. Die Asiatin war eine zierliche Person, höchstens einen Meter sechzig groß. Ihr halblanges, schwarzes Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Unter dem weißen Laborkittel trug sie ein weinrotes Kostüm, das ihr gut stand. Ihre Schuhe hatten nur dezente Absätze, Liu widerstand also der Versuchung, sich größer zu machen, als sie war. Sie schien nicht unter Minderwertigkeitskomplexen zu leiden. Und sie war noch jung für ihre Position, definitiv keine vierzig. Ihr Gesichtsausdruck ließ sich nur schwer deuten. Was ihm wie eine höfliche Maske erschien, mochte auch Missfallen sein. Schließlich hatte er sie seit ihrer Ankunft auf der Station gemieden – zwar nicht bewusst, sondern rein aus Zeitgründen, aber es mochte ihr womöglich so erschienen sein.

    »Dr. Liu.« Petersen nickte ihr zu und versuchte ein freundliches Lächeln. Es gelang ihm nicht sonderlich gut.

    »Leider waren Sie nicht anwesend, als ich mich Ihren Kollegen vorgestellt habe«, sagte Caity Liu. Es klang nicht vorwurfsvoll und sollte es vielleicht auch nicht sein. Dennoch nahm es Petersen als Tadel wahr. Er spürte, dass er errötete.

    »Ich …«

    Sie ließ ihn nicht ausreden. »Die Arbeit geht immer vor, dafür habe ich vollstes Verständnis.« Ihre Worte kamen nüchtern, ohne große Leidenschaft, aber Petersen merkte sofort, dass er diese Frau nicht unterschätzen durfte.

    »Sie haben allerdings meine Ankündigung verpasst, dass ich plane, einmal wöchentlich jedem Labor einen Besuch abzustatten. Ich weiß, dass mein Vorgänger das anders gehandhabt hat. Mir steht nicht zu, über Dr. Rossetti zu urteilen, und ich gönne ihm seinen sicher wohlverdienten Ruhestand. Aber eine derart, verzeihen Sie, laxe Führung, liegt nicht in meinem Interesse. Ich bin die wissenschaftliche Leiterin dieser Station, ich möchte wissen, was an Bord passiert, und ich möchte vor allem auch Ergebnisse sehen.«

    Petersen beherrschte sich, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Liu ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich auf der Karriereleiter im Eiltempo auf dem Weg nach oben befand. Sie würde nicht ihr Leben lang auf Wheeler bleiben, zumindest hatte sie das nicht vor. Er musste noch vorsichtiger sein, als er ohnehin schon befürchtet hatte.

    Aber vielleicht …

    Vielleicht fand er in Caity Liu auch genau die Unterstützerin, die er benötigte. Dafür musste es ihm gelingen, einen gesunden Mittelweg zu finden. Er durfte ihr nicht zu viele Informationen geben. Und gleichzeitig musste er sie so weit anfüttern, dass sie ihm nicht nur keine Steine in den Weg legte, sondern ihm auch aktiv unter die Arme griff.

    »Dr. Liu«, sagte er, und jetzt gelang ihm das Lächeln. »Ich freue mich wirklich, Sie zu sehen. Und es tut mir aufrichtig leid, dass ich bisher noch nicht die Gelegenheit gefunden habe, mich Ihnen vorzustellen. Aber meine Forschungen …«

    Er musste die Kunstpause nicht länger als notwendig ausdehnen.

    »Woran arbeiten Sie?«, fragte Liu.

    Petersen deutete auf die Wand. Obwohl sein Labor tief im Inneren von Wheeler lag, war darauf ein Blick in den Weltraum zu sehen. Genauer: auf Wurmloch Nummer sieben, so die nüchterne Bezeichnung im Sternenkatalog für das Objekt seiner Begierde.

    »Das ist nicht sonderlich originell. Fast alle Forschungen auf dieser Station haben in irgendeiner Form mit den Wurmlöchern zu tun. Deshalb sind wir ja hier.«

    Er nickte und überlegte für einen kurzen Moment, wie viel er verraten durfte. »Asche auf mein Haupt«, sagte Petersen dann. Er lächelte nicht mehr. Unwillkürlich gab er seiner Stimme einen feierlichen Klang. »Ich will wissen, was beim Flug durch das Wurmloch passiert.«

    »Die Lotsen …«

    Jetzt unterbrach er Caity Liu. »Die Lotsen steuern das Schiff, und die Mannschaft liegt derweil im künstlichen Tiefschlaf. Das ist so, seit uns das Geschenk des interstellaren Raumflugs gemacht worden ist und die sanfte Passage durch die Wurmlöcher den alten Aufriss-Antrieb mit seinen schmerzhaften Nebenwirkungen abgelöst hat. Wir nehmen es hin. Oder haben es bislang hingenommen. Aber wäre es nicht interessant, wenn wir endlich erfahren würden, was in der Zeit geschieht, in der das Schiff durch das Wurmloch fliegt? Wenn wir am Ende vielleicht sogar ganz auf die Lotsen verzichten könnten? Wenn wir unsere eigenen Herren wären und nicht mehr auf andere angewiesen? Auf Fremdwesen, die wir nicht einmal ansatzweise verstehen? Auf diese seltsamen, unheimlichen Möchtegern-Vögel?«

    »Das wäre …«

    »Das wäre fantastisch«, sagte er. »Das wäre ein Durchbruch, eine Revolution. Es würde uns ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.«

    Caity Liu war sichtlich überrascht. Damit hatte sie offenkundig nicht gerechnet. Holm Petersen freute sich über den kleinen Erfolg. Gleichzeitig fragte er sich, ob er nicht ohne Not schon viel zu viel ausgeplaudert hatte. Er musste sich in seiner eigenen Begeisterung bremsen, durfte sich nicht vom Überschwang mitreißen lassen.

    »Was haben Sie vor?«, fragte sie. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich während des gesamten Gesprächs kein bisschen verändert. Erst jetzt schien sie ein wenig ernster dreinzublicken, falls das überhaupt möglich war.

    »Der Mensch ist nicht für den Flug durch ein Wurmloch geschaffen«, stellte Petersen fest und rang noch immer mit sich, wie viel von seinem Wissen und seinen Plänen er

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