Körper-Bewusstsein: Für eine Philosophie der Somästhetik
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Über dieses E-Book
Die Lebens- und Erfahrungsbedingungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind zunehmend gekennzeichnet von Aufmerksamkeitsproblemen, Überreizung und Stress. Gleichzeitig sind wir überall mit Körperbildern konfrontiert, die von uns die Zurichtung und Anpassung unseres Leibes an die Bedingungen der Hochleitungsgesellschaft verlangen. Der Philosophie werden diese Selbstverhältnisse selten zum Thema, auch wenn der Schnittpunkt aller menschlichen Erfahrung wie auch der Ausgangspunkt allen Handelns der eigene Körper ist.
In der philosophischen Tradition wird der lebendige Körper, wenn überhaupt, so in der Regel nur ex negativo thematisiert: als Gefängnis der Seele, Fessel des Geistes, Ursache von Ablenkung und Zerstreuung oder, wie bei Kant, als Quelle der Melancholie.
Der amerikanische Philosoph und Kulturtheoretiker Richard Shusterman arbeitet demgegenüber seit den neunziger Jahren an einem philosophischen Projekt, das er Somästhetik nennt und das den lebendigen Körper (soma) ins Zentrum der Theoriebildung stellt. In der Tradition des Pragmatismus stehend, besteht Shusterman auf der grundlegenden Bedeutung des Somatischen, der Wahrnehmung durch bzw. mit Hilfe des Körpers sowie seiner sensorischen Erfahrungen für ein im philosophischen Sinne ethisches und gutes Leben.
Jenseits ontologischer Leib-Seele-Debatten plädiert Shusterman für eine Kultivierung des somatischen Bewußtseins und der Achtsamkeit gegenüber dem lebendigen und empfindenden Körper. Dabei ist die Aufmerksamkeit für Körperliches nicht solipsistisch gedacht: Ästhetische Wahrnehmung und Gestaltung entfalten sich stets im Bezug auf den Anderen und die Gesellschaft.
In diesem Buch entwickelt Shusterman seine Theorie in Auseinandersetzung mit sechs PhilosophInnen des 20. Jahrhunderts, in deren Denken der Körper eine Rolle spielt, nämlich M. Foucault, M. Merleau-Ponty, S. de Beauvoir, L. Wittgenstein, W. James und J. Dewey.
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Buchvorschau
Körper-Bewusstsein - Richard Shusterman
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Kapitel 1
Somästhetik und Selbstsorge
Der Fall Foucault
I.
Zu den vielen Gründen, die Foucault zu einem bemerkenswerten Philosophen machen, gehört ein gleich in doppelter Hinsicht kühnes Vorhaben: Foucault will die antike Vorstellung von Philosophie als einer besonderen Lebensweise wiederaufleben lassen, und er besteht zudem darauf, dass diese sich explizit somatisch und ästhetisch äußert. Diese doppelte Dimension in Foucaults Spätwerk (sorgfältig ausgearbeitet nicht nur in den drei Bänden von Sexualität und Wahrheit und seinen letzten Vorlesungen am Collège de France, sondern auch in einer Vielzahl an Interviews und kurzen Artikeln) kommt pointiert in seinen zentralen Ideen einer »Ästhetik der Existenz«, den stilisierenden »Technologien des Selbst« und der Kultivierung des »Körpers und [seiner] Lüste« zum Ausdruck.¹
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Foucault als exemplarischem, aber nicht unproblematischem Pionier auf einem Feld, das ich Somästhetik nenne. Ich verstehe darunter eine Disziplin, die den körperlichen Erfahrungen und ihrer kunstvollen Gestaltung wieder ihren Platz im Herzen der Philosophie als einer Lebenskunst zurückgibt. Die lange dominierende platonische Tradition, die durch den Cartesianismus und den Idealismus der letzten Jahrhunderte noch verstärkt wurde, hat uns für eine entscheidende Tatsache blind gemacht, die für das antike und nichtwestliche Denken zumeist außer Frage stand: Da wir durch und mit unserem Körper leben, denken und handeln, sollten seine Erforschung, die Sorge um ihn und seine Verbesserung (improvement) ein Kernanliegen der Philosophie sein, insbesondere wenn Philosophie (wie es einst war) als unverwechselbare Lebensform aufgefasst wird, als eine kritische, disziplinierte Selbstsorge, die Selbsterkenntnis und Selbstkultivierung umfasst.
Obwohl ein gesteigertes Körperbewusstsein heute gesellschaftlich en vogue ist, folgen die meisten Theoretiker dem französischen Philosophen Pierre Hadot und behandeln das philosophische Leben einseitig als Leben des Geistes.² Hadot, der als erster das gegenwärtig bestehende Interesse (auch das Foucaults) an Philosophie als einer Lebensform revitalisierte, beschreibt sie mit Begriffen, die er der Programmatik therapeutischer Disziplinen entnimmt (z. B. »Meditation«, »Heilung der Leidenschaften«, »Selbstbeherrschung«). Philosophie besteht für ihn aus »geistigen Übungen«, und er grenzt diese scharf von körperlichen Übungen und Bedürfnissen ab. Hadot verfolgt diese Übungen bis zum sokratischen Dialog zurück und konzentriert sich in erster Linie auf die »stoisch-platonische« Tradition – damit fasst er jedoch bezeichnenderweise ihren geistigen Charakter und darüber hinaus den wesentlichen Zweck der Philosophie im Sinne des Phaidon, des körperfeindlichsten Dialogs Platons. Im Phaidon stellt Platon das philosophische Leben als Übung im Sterben dar, durch die Anstrengung, »die Seele so weit wie möglich vom Körper zu trennen, […] bis sie vollständig unabhängig