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Wer gesund stirbt, hat mehr vom Leben
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Wer gesund stirbt, hat mehr vom Leben

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About this ebook

Wir bekommen alle nur Papier und Bleistift in die Hand, aber die Geschichte unseres Lebens schreiben wir schon selber. Ob Sie mit 80 wohlbehütet als Pflegefall in einem Altersheim Ihre letzten Tage zählen, sich gerade zu Ihrem ersten Marathon anmelden oder eine Weltreise planen, entscheiden nämlich zu einem sehr beachtlichen Teil Sie selbst. Sie glauben, wir übertreiben? Noch nie war sich die Wissenschaft über eine Sache so einig. Sie können bis ins hohe Alter gesund und fit leben – wenn Sie selber es wollen. Denn nur bescheidene 10–20% der gewonnenen Lebenserwartung sind auf die Kunst der Medizin zurückzuführen. Aber wie kann man nicht nur dem Leben mehr Jahre, sondern auch den Jahren mehr Leben geben? Nein, Sie müssen dafür nicht extra Ihren Job aufgeben, um die viel zu komplexen Ratschläge und Vorschriften der diversen Ernährungsberater und Gesundheitspäpste alle befolgen zu können, und Sie werden dafür auch nicht Ihr Sparschwein schlachten müssen. Und ja, es wird Sie manch Umgewöhnung, einige Anstrengungen und Disziplin kosten. Mit großem Fachwissen, den neuesten internationalen Studien und viel Vergnügen führen Sie Prof. Siegfried Meryn, Christian Skalnik und ihr Team durch den inzwischen völlig unübersichtlich und teilweise undurchsichtig gewordenen Gesundheits-Dschungel und zeigen Ihnen leicht verständlich, wie's geht. Entdecken Sie dabei wieder Ihren gesunden Hausverstand, glauben Sie nicht jedem neuesten Trend und lassen Sie sich sagen, dass es nie zu spät ist.
LanguageDeutsch
PublisherecoWing
Release dateJan 21, 2009
ISBN9783711050571
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    Wer gesund stirbt, hat mehr vom Leben - Siegfried Meryn

    wollen.

    Wer gesund stirbt, hat mehr vom Leben

    Das Bett war ordentlich gemacht, die paar Habseligkeiten lagen alle sorgfältig auf ihrem Platz. Davon abgesehen war das Zimmer aber leer.

    Das Schlimmste befürchtend, machte sich der Mann, selbst schon an die 60, auf den Weg zur Verwaltung des kleinen Pflegeheims. Zwar hatte er erst vor wenigen Tagen dort angerufen und erfahren, dass es seiner Großmutter gut ging. Aber immerhin war sie inzwischen 105 Jahre alt und jeder wusste, dass ihre Tage gezählt waren.

    Gefunden hat er sie schließlich auf der Krankenstation. Freilich nicht im Bett, sondern hinter einem Rollstuhl, in dem sie eine Mitbewohnerin mit wackeligen, aber entschlossenen Schritten vor sich herschob.

    Edna Parker sollte noch weitere zehn Jahre leben, ehe sie im November 2008 – kurz vor Drucklegung dieses Buches – eines Morgens nicht mehr aufwachte. 115 Jahre und 220 Tage war die US-Amerikanerin alt geworden. Die letzten 14 Monate ihres Lebens hielt sie den Titel „älteste Frau der Welt" im Guiness-Buch der Rekorde.

    Berühmt geworden war sie aber schon davor. Weil sie im Pflegeheim, in das sie erst mit 100 übersiedelte, das Zimmer mit der 2 Meter 32 großen „größten Frau der Welt" geteilt hatte, war sie in etlichen Illustrierten aufgetaucht. Es sollte nicht lange dauern, bis auch Altersforscher aller Fachrichtungen ins kleine Pflegeheim bei Shelbyville pilgerten. Dabei wusste die zierliche Dame mit dem schlohweißen Haar stets allerlei Interessantes aus drei Jahrhunderten zu erzählen. 1893 geboren, war sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs 21 Jahre alt, sie erlebte den Zusammenbruch der amerikanischen Börse 1929 und die große Weltwirtschaftskrise. Nie vergaß sie stolz zu erwähnen, dass sie und ihr Mann dennoch zu den Ersten im Bundesstaat gehörten, die ein Auto besaßen. Sie war 46, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, und 82, als der Vietnamkrieg zu Ende ging. Sie überlebte ihre beiden Söhne, die ihr fünf Enkel, 13 Urenkel und 13 Ururenkel schenkten.

    Was sie ihren Besuchern nie verraten konnte, war ein spektakuläres Wundermittel oder Patentrezept für ein langes Leben. Weise Ratschläge zu geben, sagte sie, stünde ihr nicht zu. Nur einmal, als der Gouverneur von Indiana zu ihrem 114. Geburtstagsfest erschien, meinte sie, wenn er seinen Wählern Gesundheit und ein langes Leben schenken wolle, solle er für mehr Bildung und Wohlstand sorgen (siehe „Bildung und Wohlstand verlängern das Leben; S. 29). Fest steht: Edna Parker hatte nie geraucht, war immer schlank und körperlich aktiv gewesen. Als ihr Mann 1939 starb, betrieb die Witwe den Bauernhof allein. Auch mit beinahe 100 sorgte sie noch für Ordnung und Sauberkeit im Haus und bis zuletzt gehörten lange Spaziergänge zu ihren liebsten Beschäftigungen. Am wichtigsten aber, meinte einer ihrer Enkel, sei vielleicht gewesen, dass sie auch Schicksalsschläge stets mit Optimismus und Vertrauen in die Zukunft genommen hätte (siehe „Glück hält gesund; S. 153).

    Das Jahrhundert der Hundertjährigen

    Als Edna Parker starb, hatte sie 220 Tage lang zu einer noch kleinen Elite gehört. Weltweit gibt es derzeit nur 21 Menschen, die verbürgterweise das 115. Lebensjahr überschritten haben. Doch bald schon werden solche Biografien den Reiz des Besonderen verloren haben. In allen Industrienationen sind die über 85-Jährigen inzwischen die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe. 55.000 Amerikaner, das ist einer unter 10.000, haben ihren 100. Geburtstag bereits hinter sich. Jeder von ihnen hat zu diesem Anlass, einem alten Brauch folgend, ein vom Präsidenten persönlich unterfertigtes Schreiben bekommen. In Zukunft wird das wohl auf Serienbrief mit Computer-Signatur umgestellt werden müssen. Denn allen Prognosen zufolge wird das Heer der Hundertjährigen schon im Jahr 2050 bereits auf 800.000 angewachsen sein.

    Wer die Lebenserwartungs-Statistiken seit Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgt, muss den Eindruck bekommen, dass sich der jahrhundertealte Menschheitstraum vom ewigen Leben Schritt für Schritt zu erfüllen beginnt. Im Schnitt gewinnen die Einwohner in den Industrieländern Jahrzehnt für Jahrzehnt 2,5 Lebensjahre dazu. Eine 2006 geborene Österreicherin wird statistisch gesehen fast 83 Jahre alt werden, ein im gleichen Jahr geborener Mann immer noch 77. Das ist aber keine Gnade der späten Geburt, sondern ein Trend, der sich quer durch alle Altersgruppen zieht. So hatte eine 65-jährige Frau im Jahr 1991 im Durchschnitt noch 18 Jahre vor sich, 2006 haben die Statistiker für diese Altersgruppe bereits eine „restliche Lebenserwartung" von mehr als 20 Jahren errechnet. 65-jährige Männer, die 1991 noch weitere 14,4 Jahre zu leben hatten, durften 15 Jahre später bereits auf zusätzliche 17,2 Jahre hoffen.

    Und das Schönste daran: Allen düsteren Prophezeiungen über die bald schon unfinanzierbare „Last der Alten (siehe S. 193) zum Trotz, stellt sich heraus, dass die Alten heute nicht nur immer älter werden, sondern die zusätzlichen Jahre auch deutlich öfter gesund und aktiv wie nie zuvor verbringen. Wie dramatisch sich die Begriffe „Jung und „Alt" gewandelt haben, lässt sich an Biografien wie der von Elli Bauer am besten nachvollziehen.

    1908, als die Wienerin zur Welt kam, feierte Kaiser Franz Joseph I. gerade das 60. Jahr seiner Regentschaft. Damals war die Welt noch eine andere. Frauen durften nicht zur Wahl gehen und das Rückenschwimmen war ihnen aus sittlichen Gründen verboten. Als alt galt damals schon, wer über 40 war. Nur etwa ein Drittel der Bevölkerung erreichte das 60. Lebensjahr.

    Zwei Weltkriege hat Elli Bauer überstanden. Als junge Lehrerin wurde sie von den Nazis aus der Schule gejagt, weil sich die Strenggläubige weigerte, ein Hitlerbild anstelle des Kreuzes ins Klassenzimmer zu hängen. Doch die Unbeugsame schlug sich durch, feierte das Ende des Naziterrors und zehn Jahre später den Abzug der Alliierten. 1955 war sie 47 – und durfte zu diesem Zeitpunkt nicht nur auf bessere Jahre hoffen, sondern auch auf deutlich mehr, als ihr die Statistik bei der Geburt prophezeit hatte. Inzwischen wurden bereits 75 Prozent der Österreicher älter als 60.

    Heute trifft das auf mehr als 90 Prozent zu. Und als Elli Bauer 2008 ihren 100. Geburtstag feierte, mussten die Gratulanten nicht ins Altersheim, sondern an ihren Arbeitsplatz kommen. Vor 40 Jahren hatte „Tante Elli, wie sie von ihrer Kundschaft liebevoll genannt wird, begonnen, eine Bibliothek in der Katholischen Sozialakademie aufzubauen. Und die leitet sie bis heute, streng über ihre mittlerweile 18.000 Bücher wachend. Vier Mal die Woche geht die Hundertjährige zur Arbeit, nur dienstags kommt sie nie, weil „der Mensch auch ein bisschen Zeit für sich braucht. Ein liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen war immer einer ihrer markantesten Wesenszüge; aber wenn ein Buch zu lange ausgeliehen bleibt, kann sie auch „ordentlich böse" werden. An die Vergangenheit denkt sie gerne – aber noch lieber an die Zukunft. Als sie 90 war, hat sie die verstaubten Karteikästen entsorgt und stattdessen einen Computer besorgt und zu bedienen gelernt.

    Das Geheimnis des langen Lebens

    Was Hundertjährige selten zu fürchten brauchen, ist Einsamkeit. Selbst wer keine Verwandten (mehr) hat, wird regelmäßig von Reportern und in der Folge auch Politikern besucht, die gerne etwas vom medialen Glanz abbekommen wollen. Mindestens so häufig aber tauchen Wissenschafter auf, die in der Lebensgeschichte – und zunehmend auch in den Genen – der Alten nach dem Geheimnis des langen Lebens suchen.

    Kaum ein anderer Wissenschaftszweig erlebte in den letzten Jahrzehnten einen solchen Boom wie die Altersforschung. Was dabei an Erkenntnissen zustande kam, scheint auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckend. 35.400.000 Treffer wirft die Internet-Suchmaschine Google heute auf den Suchbegriff „AntiAging aus. Dahinter verbergen sich freilich oft Inhalte, Behauptungen und Thesen, die einer näheren Überprüfung selten standhalten. Von der Bierhefe bis zum Granatapfel, vom Knoblauch über das ganze Vitamin-Alphabet bis hin zu roten Rüben wurde allen möglichen Stoffen eine lebensverlängernde Wirkung nachgesagt. Keine dieser Mythen hat sich in wissenschaftlichen Studien – isoliert betrachtet – tatsächlich als wirksames Anti-Aging-Mittel identifizieren lassen. Parallel zu den wachsenden Erkenntnissen über die Mechanismen, die zur körperlichen Alterung beitragen, wuchsen auch die Versprechungen, diese hinauszögern oder gar abschaffen zu können. Die Beigabe von Melatonin oder sogenannten Antioxidantien, die bei Stoffwechselvorgängen anfallende freie Sauerstoffradikale bekämpfen sollten (siehe „Tödliche Radikale; S. 234), bescherten Pharma- und Nahrungsmittelherstellern Milliardeneinnahmen. Und Hormonkuren, die den Abbau körpereigener Botenstoffe hintanhalten sollen, bieten Ärzten heute eine nicht weniger lukrative Einnahmequelle (siehe „Jungbrunnen Hormone?"; S. 238).

    Im verständlichen, wenn auch unrealistischen Wunsch, ein einfaches Patentrezept im Kampf gegen das Altern präsentieren zu können, wird eine Ernährungslehre nach der anderen, ein noch gezielteres Bewegungsprogramm ums nächste erfunden. Die Botschaft, dass Bewegung, ganz allgemeingültig, immer schon der beste Jungbrunnen war (siehe S. 113), scheint Buchautoren und Illustrierten-Machern erkennbar nicht verkaufskräftig genug. Lieber wird einmal nach der „Strunz-Methode gelaufen, dann wieder werden die Nordic-Walking-Stöcke zum Stein der Weisen erklärt. Wer erklären will, dass allein ein abwechslungsreicher, mit Lust, aber maßvoll gestalteter Speiseplan viele der heutigen Zivilisationskrankheiten aus der Welt schaffen könnte, geht im medialen Hype aller möglichen Wunderkuren und -diäten fast unter (siehe „Der Weg zum Wunschgewicht; S. 66).

    Dabei ist in keiner einzigen Biografie über Menschen, die 100 und älter wurden, auch nur ein Hinweis zu finden, dass sie ihr langes Leben einer „Wunderwaffe", einem bestimmten Lebensmittel oder einer speziellen Ernährungslehre verdankten. Was an Gemeinsamkeiten in diesen Lebensgeschichten zu finden ist, klingt wenig spektakulär: Sie waren schlank, ihr ganzes Leben lang in Bewegung, pflegten ein reges Sozialleben und blickten meist optimistisch und an die eigenen Fähigkeiten glaubend in die Zukunft.

    Das Alten-Dorf

    Wie wenig es für ein langes Leben braucht, konnten Altersforscher im italienischen Ort Campodimele feststellen. Schon insgesamt haben die Italiener die höchste Lebenserwartung in Europa. Aber in dem kleinen, 617 Meter hoch gelegenen Bergdorf südlich von Rom werden die Menschen noch älter. Im Durchschnitt leben die Männer dort bis 90 – und damit sogar vier Jahre länger als Frauen (siehe „Warum Frauen länger leben"; S. 32). 150 der 850 Einwohner sind über 75 Jahre alt, nicht weniger als zehn sogar älter als 100 Jahre.

    Zwar haben Fernsehen und Internet auch Campodimele mit dem Rest der Welt verbunden, dennoch haben sich die Einwohner die meisten ihrer traditionellen Lebensgewohnheiten bewahrt. Auf den Feldern arbeiten fünf Generationen, vom Ururgroßvater bis zum Enkel, gemeinsam. Geheizt wird mit Holz. Der Speiseplan ist einfach und karg wie die Umgebung: kaum Fleisch, dafür viel Fisch (siehe „Wunderwaffe Omega-3; S. 87), dazu selbst gemachtes Brot und Vollkornnudeln (siehe „Ballaststoffe sind kein Ballast; S. 97). Obst und Gemüse, allen voran Tomaten und selbst gezogene Bohnen, kommen reichlich auf den Tisch, stets großzügig mit Olivenöl übergossen (siehe „Leben wie am Mittelmeer"; S. 83).

    Ein Auto besitzt fast niemand im Dorf. Als einer der Dorfältesten mit 95 seinen ersten Unfall mit der Vespa hatte, stieg er aufs Fahrrad um. Die meisten Wege in der steilen Berglandschaft werden aber immer noch zu Fuß zurückgelegt. Ob bei der Jagd, beim Holzsammeln, der Feldarbeit oder am Weg zur nächstgelegenen Busstation, legen die Einwohner mehrere Kilometer am Tag zurück.

    Polizeistation gibt es in Campodimele traditionell keine. Konflikte unter den Dorfbewohnern sind selten. Alle wirken gelassen, mit sich und der Zeit im Reinen. Abends sitzen Jung und Alt gemeinsam in den Straßen und jede Gelegenheit wird für ein Fest genutzt. Dabei sind die Einwohner alles andere als Gesundheitsapostel: Viele, auch die Alten, rauchen und eine Flasche leichten Weins pro Tag ist eher die Regel als die Ausnahme (siehe „Alkohol, tödlicher Lebensretter; S. 179). Die Familie gilt immer noch als „heilig und Beziehungen werden tatsächlich bis ins hohe Alter gelebt. Selbst die ganz Alten wussten erstaunlich oft von einem aktiven Sexualleben zu berichten (siehe „Lebenselixier Sex"; S. 171).

    Warum wir immer älter werden

    In Campodimele wurde die letzte Arztpraxis vor mehr als 20 Jahren geschlossen. Es gab schlicht und einfach zu wenig Bedarf. Auch in den Lebensgeschichten der meisten anderen Hundertjährigen fällt auf, dass sie Ärzte, wenn überhaupt, bei nur wenigen akuten Anlässen konsultiert hatten.

    Dennoch antworten neun von zehn Menschen auf die Frage „Warum werden wir immer älter? reflexartig mit der Antwort: „Weil die Medizin solche Fortschritte macht.

    Doch Experten, die sich eingehend mit den verschiedenen Ursachen für die wachsende Lebenserwartung befasst haben, bewerten den Anteil deutlich nüchterner: Bloß 10 bis 20 Prozent der gewonnenen Lebensjahre gehen nach den diversen Hochrechnungen auf die Kunst der Ärzte und ihrer chromblitzenden Diagnose- und Therapiegeräte zurück. Nach einer Untersuchung der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) hat sich die Lebenserwartung in den USA seit dem Jahr 1900 um fast 30 Jahre verlängert. Ganze fünf davon schreiben die Experten den Fortschritten der kurativen Medizin zu, die restlichen 25 Jahre führen sie auf die verbesserte Hygiene, die medizinische Grundversorgung und Vorsorgemaßnahmen zurück.

    Unbestritten sind die medizinischen Erfolge, wenn es Akutes zu heilen gilt. Heute haben auch Opfer schwerster Unfälle dank Chirurgie und Intensivmedizin eine realistische Überlebenschance, und wo das Fehlen einzelner Substanzen zu Gesundheitsproblemen führt, kann die Pharmazie in vielen Fällen tauglichen Ersatz bieten. Allein Antibiotika haben unzählige Leben gerettet und dank biotechnischer Methoden lassen sich heute diverse Drüsenabnormitäten wie etwa Störungen der Nebennierenrinde oder der Hypophyse der Schilddrüse beheben. Selbst der Austausch ganzer Organe gehört heute zur Routinearbeit in den Kliniken.

    Bei den großen Volkskrankheiten Herz-Kreislauf oder Krebs lassen die großen Durchbrüche aber schon lange auf sich warten. Gleichzeitig müssen die Mediziner der raschen Zunahme von Allergien, Demenzen, Depressionen oder Stoffwechselerkrankungen rat- und in vielen Fällen tatenlos zusehen.

    Sicher gibt es an einzelnen Fronten Erfolge. So sind früh erkannte und gut behandelte Fälle von Brust- oder Darmkrebs heute kein zwangsläufiges Todesurteil mehr. Und da, wo Krebsfälle tödlich enden, tun sie es tendenziell in späteren Lebensjahren. In den altersbereinigten Sterbestatistiken lässt sich ablesen, dass in Österreich heute um 42 Prozent weniger oft eine Herz-Kreislauf-Erkrankung als Todesursache angegeben werden muss als vor 20 Jahren. Die krebsverursachte Sterblichkeit sank im gleichen Zeitraum um immerhin 17 Prozent. Dennoch geht immer noch etwa die Hälfte aller Todesfälle in Österreich auf Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems und ein Viertel auf bösartige Krebsformen zurück.

    Selbst in der – in Summe sicher segensreichen – Vorsorgemedizin relativiert sich aus der Vogelperspektive betrachtet vieles. So hat etwa eine aufsehenerregende Studie der Harvard University vor einigen Jahren gezeigt, dass regelmäßige Brustkrebs-Früherkennungsuntersuchungen das Leben einer Frau statistisch um ganze 24 Tage verlängern helfen. Zum Vergleich: Auf das Rauchen zu verzichten, verlängert das Leben nachweislich um mehrere Jahre. Auch regelmäßige körperliche Aktivität ist dem milliardenteuren Brustkrebs-Vorsorgeprogramm überlegen, damit lässt sich immerhin ein halbes Lebensjahr zusätzlich herausschlagen.

    Die längste Zeit haben Mediziner und Gesundheitspolitiker auf diese ernüchternden Befunde mit stets denselben Reflexen reagiert. Statt die Ursachen der epidemieartig um sich greifenden Zivilisationskrankheiten zu bekämpfen, wurde ein Krankenhaus nach dem anderen gebaut und mit noch mehr Akutbetten und Diagnosegeräten vollgestellt. Obwohl unübersehbar war, dass sich immer mehr Patienten Alternativen bei Naturmedizinern und nicht selten obskuren Wunderheilern suchten, wurde am klassischen Lehrbild festgehalten: Krankheit ist demnach nichts anderes als die Folge einer Betriebsstörung im Organismus. In ihrem Streben, einzelne Laborparameter, menschliche Moleküle und Genfunktionen beeinflussen zu können, haben die Mediziner rasch den Überblick über das Ganze verloren. Die enorme Vertiefung des Wissens über die Abläufe im menschlichen Organismus wurde weniger zum Verständnis der Prozesse genutzt, die zu einer Krankheit führen, als vielmehr dazu, möglichst breit einsetzbare Substanzen oder Operationsverfahren zu finden, mit denen die Schäden zumindest halbwegs beseitigt werden können.

    Inzwischen aber denken auch die Mediziner um: Fast 60 Prozent bieten laut verschiedenen Umfragen neben der schulmedizinischen Behandlung auch komplementäre Alternativen an. Von der Homöopathie bis zur Akupunktur, vom Familiencoaching bis zur Hypnose haben ergänzende Verfahren Einzug in die Arztpraxen gehalten. Auch wenn die willkommenen Zusatzeinnahmen sicher nicht ungern gesehen werden, zeigt sich hinter dem Trend doch auch ein geändertes Verständnis von Gesundheit und dem Umgang mit Krankheiten.

    Blick zurück in die Medizin-Zukunft

    Er galt seit Langem schon als Star-Mediziner. Seine Vorträge waren gut besucht, seine Schriften fanden überall auf der Welt Absatz und nicht selten kamen Politiker, selbst Könige, aus dem Ausland, um sich von ihm beraten und behandeln zu lassen. Doch wenn es um die Reparatur körperlicher Leiden ging, überwies er Hilfesuchende meist weiter an die Spezialisten. „Ich werde nicht schneiden, selbst Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk verstehen", schrieb Hippokrates in seinem Manifest zur medizinischen Ethik.

    Akute Krankheitsfälle waren für den griechischen Arzt, der seine Karriere im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung begann, so etwas wie eine Niederlage seiner Zunft. Krankheit war für ihn nicht etwas, was ein Arzt zu beseitigen, sondern vielmehr schon im Vorfeld zu verhindern hatte. Er gilt bis heute als Begründer der Diätetik, was übersetzt so viel bedeutet wie: Die Kunst der angemessenen Lebensweise. Das meinte weit mehr, als heutige Diätologen praktizieren. Neben der Ernährung bezog Hippokrates auch die Bewegung, den Schlaf und selbst das Sexualleben seiner Klienten mit ein. Mit der Sorge um die körperliche Gesundheit war stets auch die um die seelische verbunden – im Idealfall verhieß die Diätetik nicht nur körperliche Unversehrtheit, sondern „Glück".

    Dieser Logik folgend ging es dem Gelehrten nicht um reproduzierbare Diagnosen und die Klassifikation von Krankheiten. Im Zentrum seiner Überlegungen stand stets der individuelle Patient. Nach heutiger Diktion war er Arzt, Lebensberater, Psychologe, Gesundheitscoach und Umweltmediziner in einem. So zog er auch klimatische Einflüsse, die Beschaffenheit der Städte, die Jahreszeiten oder die Qualität des Trinkwassers in seine Überlegungen mit ein.

    Legendär ist seine Behandlung des makedonischen Königs Perdikkas II. Seine Leibärzte hatten ihn mit den üblichen Aderlässen und Klistieren traktiert, doch letztendlich war ihnen kein Erfolg beschieden. Schließlich ließ Perdikkas Hippokrates höchstpersönlich nach Makedonien kommen. Statt Heilkräuter oder chirurgische Instrumente auszupacken, vertieft sich der in ein langes Gespräch mit dem Patienten und befragt ihn nach seinen Träumen. Schlussendlich eröffnet er dem König: Seine Krankheit habe ihre Ursache in der verdrängten Liebe zur schönen Phila, der Konkubine seines Vaters. Perdikkas, zunächst außer sich vor Zorn, sah letztendlich ein, dass es an der Zeit war, seiner Leidenschaft nachzugeben. Als der Makedonierkönig wieder gesund war, wurde Hippokrates reich beschenkt. Das Angebot, des Königs Leibarzt zu werden, schlug er jedoch aus.

    Gesunde Geschichte

    Es ist paradox: Je länger wir heute in der Medizingeschichte zurücksehen, desto Zukunftsweisenderes ist dort zu finden. Was heute in diversen Reformzirkeln des Medizinbetriebs an Rettungsmodellen

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