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Einzige Liebe: Frankfurter Fußball-Krimi: Kommissar Rauscher 8
Einzige Liebe: Frankfurter Fußball-Krimi: Kommissar Rauscher 8
Einzige Liebe: Frankfurter Fußball-Krimi: Kommissar Rauscher 8
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Einzige Liebe: Frankfurter Fußball-Krimi: Kommissar Rauscher 8

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About this ebook

Die Eintracht, ihre Fans, Siege und Niederlagen, Triumphe und Skandale. Euphorie und Verzweiflung liegen oft dicht beieinander. Doch als Björn Schlicht, Eintracht-Fan mit Leib und Seele, tot aufgefunden wird – ausgerechnet auf dem Stadiongelände – ist das Entsetzen riesengroß. Die Frankfurter Kripo ermittelt.
Und dann kommt auch noch die Liebe ins Spiel. Kommissar Rauscher hat neben seiner Liebe zum Apfelwein eine neue gefunden: Kommissarin Jana Kern, Eintracht-Fan von Kindesbeinen an. Ihr macht der Fall besonders zu schaffen und sie beginnt daher, auf eigene Faust zu ermitteln ... Schießt sie damit ein Eigentor?
Während der Ermittlungen kristallisiert sich zunehmend eine Frage heraus: Kann die Liebe zum Verein zu diesem Verbrechen geführt haben? Und dann kommt auch noch Lajos Detari ins Spiel ...

Frankfurter Krimi-Serie um Kommissar Andreas Rauscher. Bisher erschienen: "Mord auf Bali" 2006 (Neuauflage 2011), "Lauf in den Tod" 2010, "Der Mann mit den zarten Händen" 2010, "Robin Tod" 2011, "Paukersterben" 2012, "Fliegeralarm" 2013, "Abgerippt" 2014, "Bockenheim schreibt ein Buch" (Hrsg.) 2015, "Einzige Liebe – Eintracht-Frankfurt-Krimi" Februar 2017, "Ebbelwoijunkie" Dezember 2017, "Frau Rauschers Erbe" 2018 und "Der Apfelwein-Botschafter" 2021. Zudem der Thriller "Rotlicht Frankfurt" 2019.
LanguageDeutsch
Release dateJan 9, 2017
ISBN9783946413387
Einzige Liebe: Frankfurter Fußball-Krimi: Kommissar Rauscher 8

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    Book preview

    Einzige Liebe - Gerd Fischer

    Abpfiff

    Vorbemerkung

    Es gibt nur wenige Vereine, um die sich so viele Legenden ranken wie um die Frankfurter Eintracht, die „Diva vom Main". Eine Geschichte, die wahrscheinlich niemals aufgeklärt wird, ist der Verbleib der Detari-Millionen. Nachdem die Eintracht 1988 durch einen Freistoßtreffer von Lajos Detari den Pokalsieg in Berlin mit 1:0 gegen Bochum geholt hatte, wurde der ungarische Mittelfeld-Star in einer Nacht- und Nebel-Aktion nach Griechenland verkauft; für die bis dahin unvorstellbar hohe Summe von über siebzehn Millionen Mark. Bis heute weiß niemand genau, wohin diese Millionen geflossen sind, wer sie sich eingesteckt hat oder wofür sie verwendet wurden.

    Diese Episode der Eintracht-Historie war Inspirationsquelle und Ausgangspunkt für den vorliegenden Frankfurter Fußball-Krimi, der sich im Laufe des Schreibens in eine ganz andere Richtung entwickelt hat. Ich möchte betonen: Die Geschichte ist frei erfunden, enthält jedoch einen wahren Kern …

    „… un ab demit"

    Wir singen Yebo - ha - ha und schwören Stein und Bein, Wir tanzen Oko - cha - cha - cha, und die Diva macht ihn rein. Eintracht hin und Zwietracht her, FFM bleibt stets am Ball, Und wirst du hier nicht angespielt, dann ist Frankfurt nicht dein Fall.

    (Auszug aus einem unveröffentlichten Song von 1994 zur 1200-Jahr-Feier Frankfurts, Text Jeffe Mangold)

    Benjamin Kuhlhoff in ‚11Freunde‘ vom 25.9.2013:

    „… des wohl langweiligsten DFB-Finales der jüngeren Vergangenheit. Die monotonen Gesänge von der Tribüne, die einschläfernde Kommentierung von Heribert Faßbender. Auf dem Feld wogt das verschwitzte Maulfwurfhaar von Wlodzimierz Smolarek hin und her, tapst Uwe Leifeld hauchzart ins Abseits und glänzen die bunten Schuhe von Lajos Detari, mit denen der Ungar in der 81. Minute den entscheidenden Zauberfreistoß in den Giebel schmeichelt. Wunderbare Erinnerungen an stumpfen Arbeiterfußball, an eine unbeschwerte Fußballzeit fernab der Superlativierung heutiger Tage."

    Lajos Detari im Interview: „Sie waren Held in Frankfurt – sind es heute noch. Warum verließen Sie die Eintracht nach nur einer Saison?"

    „Ich wollte eigentlich nicht weg. Die Zeit bei der Eintracht war sehr schön. Natürlich habe ich gehört, dass einige Vereine Interesse gezeigt haben, aber da war auch viel Politik im Spiel. Ich war ja nicht einmal definitiv verkauft an Frankfurt, sondern nur vom Verband ausgeliehen. Eintracht hatte in dieser Zeit auch viele Schulden, gerade beim Eishockey. Und das war für den Verein ganz einfach auch eine gute Möglichkeit, mich zu verkaufen, um an frisches Geld zu gelangen. Am Ende waren es siebzehn Millionen Mark … Das war ein super Geschäft für den ungarischen Verband und den Sportminister, die sagten: „Wir möchten, dass du nach Griechenland gehst." (11Freunde vom 25.3.2013, das Interview führte Maximilian Hendel)

    Warmlaufen

    Obwohl sich der junge Mann schon tagelang wie ein Kleinkind auf die Begegnung gegen die Hertha aus Berlin gefreut hatte und den Anpfiff kaum erwarten konnte, bekam er fünf Minuten vor Spielbeginn Panik. Er stand im Waldstadion, Block 36. Seine Blicke huschten nach rechts und links. Zwischen all den fahnenschwenkenden Fans trat bei ihm ein plötzliches Unwohlsein auf.

    Langsam sog er die Luft ein, die ihm so vertraut war. Sie roch nach seiner Eintracht, nach Zweikämpfen und Zuckerpässen, nach Grasnarbe und Übersteiger. Aber auch der vertraute Geruch konnte sein unruhiges Gemüt nicht beruhigen, zumal im Stehblock, unterhalb seines Standortes, ein paar Pyros brannten. Rauchschwaden vernebelten die Sicht und der beißende Geruch ließ die Lungen pfeifen.

    Im weiten Rund erklang der altbekannte G-Block-Klassiker, und alle sangen mit: „Schwarz-weiß wie Schnee, das ist die SGE-E-E-E-E. Auch er summte leise vor sich hin und hörte, dass wie immer einige Fans „schwarz-weiß – wie schee sangen, die Strophe auf Frankfodderisch.

    Als das Lied beendet war, murmelte er vor sich hin: „Eintracht vom Main … nur du sollst heute siegen … Eintracht vom Main …" Seine Augen zuckten dabei und die Lippen flatterten. Hinter ihm im Block schubste ihn jemand, sodass er die Balance verlor und erst zwei Stufen abwärts wieder zum Stehen kam. Wenige Minuten vorm Spiel waren bereits knapp 50.000 Leute auf ihren Plätzen und fieberten dem ersten Kopfball von Russ, dem ersten Flankenlauf von Aigner und dem ersten Torschuss von Meier entgegen.

    Nur er nicht. Nicht mehr.

    Der Freistoß ins Glück führte ins Verderben, sieh zu, dass es dir nicht ebenso geht!, schoss ihm die Botschaft durch den Kopf.

    Er zog die Basecap mit dem Eintracht-Adler etwas tiefer ins Gesicht, als wolle er sich darunter verstecken. Seinen Eintracht-Schal lockerte er, weil es ihm vorkam, als bekäme er kaum noch Luft. Er war eindeutig zu dick angezogen. Über dem Eintracht-Shirt trug er eine Jeansjacke mit etlichen Eintracht-Stickern. Schwarz-weiß und schwarz-rot, wohin das Auge fiel.

    Die Lautstärke auf den Rängen erreichte ein Level, dass einem Hören und Sehen vergehen konnte. Die Spannung stieg, und die Stimmung kletterte parallel zum Alkoholpegel nach oben.

    Irrsinnigerweise war er vollkommen nüchtern, was ihn jetzt ärgerte. Hätte er zu Hause noch einen Joint geraucht, wäre er jetzt sicher ruhiger. Stattdessen galoppierte sein Puls weiter und sein Herz fühlte sich an, als würde es gleich in die Magengrube rutschen. Jetzt bekam er auch noch einen Schweißausbruch.

    Die Hertha kocht auch nur mit Wasser, aber anschließend geht‘s ans Eingemachte!

    Als ihm die Worte des letzten Briefs wieder in den Sinn kamen, stiegen ihm noch mehr Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe. Mit einem Male hielt er es nicht mehr auf seinem Platz aus.

    Nur weg hier, dachte er.

    Er wischte sich so gut es ging den Schweiß ab, drehte sich entschlossen um und drängte sich durch die Menge auf der Stehplatztribüne Richtung Ausgang. Treppen hoch, durch den Einlass, Treppen runter. Bei jedem Schritt ärgerte er sich, aber er musste raus aus der Enge. Hektisch blickte er sich nach allen Seiten um. Am Block-Eingang sah er die Kartenkontrolleure. Einer von ihnen war Moritz Voigt. Nanu! Was machte der denn hier? Hatte er etwa einen neuen Job? Eigentlich hätte er dringend mit ihm reden müssen, aber dazu hatte er jetzt keinen Nerv.

    Er stürmte an ihm vorbei und wandte dabei sein Gesicht ab, damit Voigt ihn nicht erkennen konnte. Noch eine Treppe. Da, die Stadionarkaden. Vier Stufen, freier Himmel, endlich. Er atmete kurz durch, sprintete aber weiter, hatte jetzt fast freie Bahn. Nur wenige Leute hetzten ihm entgegen, zu spät Gekommene, die den Anpfiff nicht verpassen wollten. Schließlich war er allein und schnaufte noch einmal tief durch. Er nahm den Weg Richtung Haupteingang. Vor ihm lag das kleine Wäldchen. Plötzlich spürte er etwas in seinem Nacken. Nur der Wind? Oder war es etwas anderes? Zum Teufel, da war doch jemand! Wurde er etwa verfolgt? Er blickte sich um, doch der Weg hinter ihm war leer. Keine Menschenseele war zu sehen. Als er die ersten Bäume des Wäldchens erreichte, klopfte sein Herz bis zu Hals.

    Fuck! Was war bloß los mit ihm? Bildete er sich das alles nur ein? Das konnte doch nicht sein. Im Stadion. Beim Heimspiel. Nein. Niemals!

    Noch einmal blickte er sich um. Als er erneut niemanden hinter sich entdecken konnte, atmete er erleichtert aus, lief jetzt noch schneller. Doch kaum war er fünf, sechs Schritte weiter, stolperte er über etwas … und fiel der Länge nach hin. Was war das? Eine Wurzel? Ein Fuß? Hatte ihm jemand ein Bein gestellt? Offensichtlich, denn kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, fühlte er einen beißenden Schmerz in seinem Rücken, als würde ein brennendes Schwert in weiche Haut fahren. Er ging auf die Knie, aber der Schmerz war so stark, dass er sich kaum mehr rühren konnte. Auch den Angreifer konnte er nicht ausmachen, nicht mal aus den Augenwinkeln.

    In diesem Moment rammte ihm jemand erneut etwas Scharfes in den Rücken.

    Er kippte nach vorne, schrie, obwohl er kaum noch konnte. Schwang seine Arme in der Luft, griff ins Leere, spürte Blätter unter sich und nahm den Geruch nassen Waldbodens wahr. Er versuchte sich umzudrehen und dem Angreifer in die Augen zu blicken, doch dann war da wieder dieser teuflische Schmerz, der ihm die Kraft raubte, ihn lähmte und unfähig machte, sich zu wehren.

    Jemand zerrte ihn zwischen die Bäume. Er schrie nur noch einmal und dann … kam das Nichts.

    Anpfiff 1. Halbzeit

    1

    „Wie der Meier den wieder reingemacht hat – irre!", rief Jana Kern voller Freude. Sie war wie aufgelöst, warf ihren Eintracht-Schal um Andreas Rauschers Hals, zog ihn an sich heran und gab ihm einen Schmatzer auf den Mund. Sie wirkte dabei, als wolle sie die ganze Welt mit ihrer Liebe zur Eintracht überschütten.

    „Der hat ihn doch fast versemmelt", erwiderte der Kommissar und strich über ihre raspelkurzen, blondgefärbten Haare. An den Anblick ihres neuen Schnitts musste er sich erst gewöhnen.

    „Quatsch, das war klasse. Meier – Fußballgott!", schrie Jana.

    In Frankfurt-Sachsenhausen, im überdachten Hof des Gemalten Hauses, einer der traditionellen Apfelweinwirtschaften der Stadt, brodelte die Stimmung. Auf der Großbildleinwand wurde das Eintracht-Spiel übertragen. Soeben war gegen Mitte der ersten Halbzeit das 1:0 für die SGE gefallen. Ringsherum an den Tischen sprangen ein paar ältere Semester euphorisch auf, was man ihnen gar nicht mehr zugetraut hätte. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und schrien ihre Siegesgewissheit heraus. Selbst Susanne, die Kellnerin, stellte den Schoppenträger mit den goldgelb glänzenden Gerippten für eine Weile ab und blickte gebannt auf die Wiederholung der Torszene, um mitjubeln zu können. Im Hintergrund lief Axel vorbei, Kellner seit einer Ewigkeit, Eintracht-Fan und der gute Geist des Hauses. Auch er stoppte kurz, warf einen Blick auf die Leinwand und freute sich diebisch.

    Die Stimme des Reporters überschlug sich. „Toooooor für die Eiiiiiiiiintracht. Und wieder mal der Meier!"

    Immer mehr Gäste sprangen auf und ließen ihrem Jubel freien Lauf. Andere freuten sich nur innerlich oder stießen mit ihren Schoppen an. Die Stimmung an diesem vorgerückten Samstagnachmittag hätte kaum besser sein können. Ein Mann hatte sein Geripptes beim Jubelschrei umgeworfen, das goldfarbene Stöffche tropfte vom Tisch.

    „Champions League", rief einer vom Nachbartisch.

    „Meister!", kam prompt die Antwort aus den hinteren Reihen.

    Rauscher grinste. Typisch! Der Eintracht-Fan, wie er leibt und lebt. Kaum waren drei Spiele am Stück erfolgreich verlaufen, schwebten schon einige auf der Fußballwolke gen Meisterschaft. Wer wollte es ihnen verdenken? Die Sehnsucht war groß. Immerhin wartete man in der Stadt seit 1959 auf einen Deutschen Meistertitel. Und an den letzten Pokaltriumph konnte sich auch nur die drittletzte Generation erinnern. Wann war das noch mal, überlegte Rauscher einen Moment lang. Klar! Die Saison 1987/88. In Berlin. Gegen Bochum. Freistoß. 1:0 Detari. Das waren noch Zeiten!

    An den Nachbartischen bestellten die Gäste die nächsten Runden bei Susanne.

    Als Stendera etwa zehn Minuten vor Abpfiff einen Traumpass auf Meier spielte, der den Ball im Sechzehner sanft annahm, ihn fast streichelte, um erneut in eine gute Schussposition zu gelangen, vibrierte Rauschers Handy. Er ließ sich davon ablenken, wie er bedauernd feststellte, griff in seine Hosentasche und erkannte Kollege Krauses Nummer. Meiers Schuss schrammte haarscharf rechts am Torpfosten vorbei, was Rauscher aber nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte. Ärgerlich sprang er auf und lief rasch vor die Tür auf den Bürgersteig, denn bei der Lautstärke im Innenhof hätte er kein Wort verstanden.

    „Passt gerade gar nicht!", nahm er den Anruf entgegen.

    „Wie immer bei dir … Wo seid ihr denn?"

    „Wir sind Schoppen."

    „Was? Du und Einkaufbummel?"

    „Quatsch. Wir trinken Ebbelwoi im Gemalten Haus und ich schaue mit meiner neuen meine alte Liebe an, die Eintracht."

    „Na, das passt ja. Du musst sofort zum Stadion kommen."

    „Wieso? Das Spiel ist doch gleich vorbei."

    „Wir haben einen Toten. Im Wäldchen hinterm Haupteingang."

    „Nee!"

    „Doch."

    Drinnen erschallten in diesem Moment laute Rufe, Pfiffe und Unmutsäußerungen. Etwa der Ausgleich? Rauschers Herz setzte fast aus.

    „Das glaub ich jetzt nicht, rief er ins Telefon. „Warum hast du mich angerufen? Ich hab keinen Bereitschaftsdienst heute. Ingo ist dran!

    „Pass auf, Andreas! Wenn du herkommst und es dir ansiehst, weißt du, warum. Reicht dir das als Erklärung?"

    „Nö … ich will …"

    „Komm einfach!", unterbrach ihn Krause und klickte das Gespräch weg.

    „In Ordnu …", wollte Rauscher gerade antworten, realisierte jedoch, dass Krause ihn schon nicht mehr hören konnte. Nanu? Was war so wichtig, dass Krause ihn in seiner Freizeit kontaktiert hatte? Er rätselte einen Moment darüber, kam aber zu keinem Ergebnis und ging wieder zurück in die Wirtschaft. Er würde es ohnehin bald erfahren.

    Rauscher kehrte an Janas Tisch zurück. Es waren nur noch wenige Minuten zu spielen. Alle fieberten mit. Als kurz darauf das Spiel abgepfiffen wurde, setzte ein Murren unter den Zuschauern im Hof ein. Endstand 1:1.

    „Übles Gekicke in der zweiten Halbzeit", vernahm Rauscher vom Nachbartisch.

    „Die tauche aafach nix", war die niederschmetternde Antwort.

    „Schick den Seferovic zurück in die Schweiz, da gehört er hin!"

    „Dass die so en Schrott spiele, da dran is nur de Veh schuld."

    „Ach, geh fort, grölte ein alter Frankfurter aus einer der hinteren Reihen. „Schuld is die Redaktion von de Rundschau, die hawwe de Schaaf weggemobbt. Sonst wär unsern Vorstand doch gar ned uff die Idee komme, en neue Drainer zu suche.

    Rauscher musste lächeln. Ja, ja, die Eintracht-Fans. Wussten immer alles besser als der amtierende Trainer.

    „Drainer hin oder her. Unser Abwehr is de dilettandischsde Haufe seit Tasmania in de Bundeslischa gewese is!", kam es wutschnaubend aus einer Ecke ganz hinten links. Rauscher überschlug kurz im Kopf. Das war anno dazumal im Jahre 1965/66 gewesen, als der längst in Vergessenheit geratene Berliner Verein die schlechteste Runde aller Zeiten gespielt hatte.

    „Das 1:1 fiel knapp zehn Minuten vorm Abpfiff, sagte Jana. „Danach ging nichts mehr. So ein Mist! Sie schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel.

    Doch so schnell ließen sich die Frankfurter nicht unterkriegen. Das Spiel war bei den meisten Zuschauern bereits abgehakt. Sie widmeten sich wieder ihren Schoppen oder ihrem Handkäs mit Musik, um dem Tag wenigstens noch etwas Pepp zu verleihen.

    „Wer hat angerufen?", wollte Jana wissen, als Rauscher der Kellnerin winkte, um die Rechnung zu ordern.

    „Kollege Krause. Ich muss zum Stadion. Kommst du mit?"

    „Zum Stadion? Wieso?"

    „Kapitalverbrechen."

    „Ausgerechnet heute!"

    „Ja", seufzte Rauscher und ließ seine Augen über die Tische im Hof wandern. Der Abend würde sicher in einem gemütlichen Ebbelwoischwoof ausklingen. Allerdings ohne sie.

    2

    Es wehte ein frischer Abendwind, als Rauscher und Jana am Stadionwäldchen ankamen. Den konnte Rauscher gut gebrauchen. Irgendwie musste er den Hebel umlegen, um den Kopf frei zu kriegen. Ein Tatort war etwas anderes als das Gemalte Haus, obwohl auch in der traditionellen Wirtschaft schon so manche Tat vollbracht worden war.

    Während er gemeinsam mit Jana zu der von Krause beschriebenen Stelle im Wäldchen ging, musste er an die vergangenen Wochen mit ihr denken, die er sehr genossen hatte. Er hatte Jana bei einem Fall zum Thema Mietwucher im Sommer kennengelernt. Sie lebte in Eschborn, war Kommissarin in Königstein und hatte es fertiggebracht, seine Gedanken von dem wohl schmerzlichsten Tag seines Lebens abzulenken: dem Tag seiner vermeintlichen Hochzeit. Elke Erb, Rauschers Fast-Angetraute, hatte es an jenem Tag im Mai vorgezogen, mit seinem Sohn Max in ihre Heimatstadt Hamburg zurückzukehren, nachdem Rauscher sie vorm Traualtar hatte stehen lassen, um sich um eine potenzielle Selbstmörderin zu kümmern. Das hatte ihm Elke bis zum heutigen Tag nicht verziehen, und er zweifelte mehr denn je daran, ob sie es jemals tun würde. Darunter litt er sehr, zumal er durch Elkes Umzug seinen Sohn Max kaum noch sehen konnte.

    Rauscher verzog das Gesicht, wurde jedoch von Krauses Worten unsanft in die Tatortrealität zurückgeholt. „Tötungsdelikt … Es ist ein Eintracht-Fan."

    Die Worte pfiffen ihm um die Ohren, bis ihr Klang vom seichten Wind übers Stadiondach hinweggetragen wurde.

    Jana schlug sichtlich geschockt die Hand vor den Mund. Rauscher blickte Krause starr an, als hätte er es geahnt. Der hagere, gertenschlanke Krause, der sich vor nicht allzu langer Zeit eine Glatze rasiert hatte, weil er keine Lust mehr auf seinen Haarkranz hatte, kratzte sich an der Schläfe.

    „Guck nicht so. Genau deshalb habe ich dich angerufen. Damit kennst du dich besser aus als ich altes Fischbrötchen."

    Rauscher brachte immer noch kein Wort heraus, verstand aber Krauses Anspielung auf dessen Hamburger Herkunft.

    Nachdem sich Rauscher nachdenklich der Leiche zugewandt hatte, setzte Krause erneut an. „Okay, also … männliches Opfer, 27 Jahre alt. Name Björn Schlicht, wohnhaft in der Jordanstraße in Bockenheim. Bislang konnten wir drei Einstiche ausmachen, die wahrscheinlich von einem Messer stammen und mutmaßlich die Todesursache darstellen. Übrigens: Es ist kein Raubmord. Portemonnaie mit Geld und Perso sind vorhanden. Außerdem hat er eine Uhr an, die scheint mir ein paar Euro gekostet zu haben."

    Rauscher spürte, wie sich Widerwillen in ihm regte. Frischer Leichenfund an einem Samstagnachmittag während eines Spieltags. Und dann auch noch ein Eintracht-Fan. Konnte es schlimmer kommen? Hinzu kam, dass es sich offensichtlich um eine Tat handelte, die noch nicht allzu lange her sein konnte. Vor dem Spiel mussten durch diesen Wald Tausende von Zuschauern Richtung Stadion marschiert sein. Jemand hätte die Leiche sehen müssen. Der direkte Weg zum Stadion durchs Wäldchen lag nur vier bis fünf Meter entfernt.

    „Irgendwelche Zeugen?"

    „Niemand. Sind ja alle im Stadion gewesen."

    „Hast du Markowsky verständigt?"

    „Der Chef weilt dieses Wochenende nicht in Frankfurt, aber er wird seinen Kurztrip abbrechen und morgen hier erscheinen, antwortete Krause. „Staatsanwalt Konetzke habe ich auch informiert. Er zieht es vor, hier nicht aufzuschlagen. Die Sache sei eindeutig, meint er, und hat die Leiche bereits zur Obduktion freigegeben. Er verlässt sich voll und ganz auf uns.

    „Schöner Zug von ihm."

    Die Kollegen der Schutzpolizei hatten den Bereich weiträumig abgesperrt. Sie bemühten sich, die zahlreichen Schaulustigen – viele mit Schals um den Hals und Eintracht-Mützen auf dem Kopf – hinter den rot-weißen Absperrbändern zurückzuhalten.

    Wolfgang Andres, Leiter der Spurensicherung, trat auf Rauscher zu, während seine Leute akribisch ihrem Job nachgingen. Er war ein kleiner, gedrungener Mann, der auch als Ringer keine schlechte Figur abgegeben hätte. Ein Berti Vogts-Typ, ein Arbeiter, der sich in einen Tatort und eine Spurensuche hineinbeißen konnte. „Von der Tatwaffe fehlt bislang jede Spur." Rauscher nickte.

    Andres fuhr fort: „Die Stiche sind wahrscheinlich vorne auf dem Weg erfolgt. Dann wurde er an den Beinen geschnappt, hier zwischen die Bäume gezerrt und liegengelassen." Vom Kopf der Leiche bis zum Weg war im Laub eine deutliche Schneise zu erkennen.

    „Also wollte der Täter die Leiche nicht verstecken, folgerte Krause, „sondern hat zugesehen, dass er Land gewinnt, ne!

    „Oder er ist beim Ablegen von jemandem überrascht worden", schaltete sich Jana ein. Sie schien zu überlegen. Ihre Nasenflügel bewegten sich, während sie atmete.

    „Dagegen spricht, dass der Täter die Kleidung durchsucht hat", konterte Andres.

    „Wie kommt ihr darauf?

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