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ATLAN X: Fluchtpunkt Schemmenstern
ATLAN X: Fluchtpunkt Schemmenstern
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ATLAN X: Fluchtpunkt Schemmenstern

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Rund 5800 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Durch eine unbeabsichtigte Zeitreise hat es den Arkoniden Atlan in die Vergangenheit des Arkon-Imperiums verschlagen. Nachdem er den Bewohnern des Planeten Traversan geholfen hat, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, begibt er sich in einen Tiefschlaf – er möchte kein Zeitparadoxon auslösen.
Doch dann wird er geweckt: Seine ehemalige Geliebte Tamarena steckt in großer Not. Auf der Suche nach ihr gelangt Atlan in das System der Sonne Schemmenstern; dort verliert sich die Spur in den orbitalen Städten. Während er im bunten Völkergemisch der Stationen nach Hinweisen forscht, beginnt ein interstellarer Konflikt. Soll Atlan eingreifen, oder löst er damit doch ein Zeitparadoxon aus?
 
Den ATLAN-Roman "Fluchtpunkt Schemmenstern" verfasste Frank Borsch im Jahr 2001 für die kurzlebige Buchreihe "Moewig fantastic"; er ist eigenständig und führt die Geschehnisse aus der Miniserie ATLAN-Traversan weiter. Mit der E-Book-Edition dieses Romans liegen nun alle "Traversan"-Romane in digitaler Form vor.
LanguageDeutsch
Release dateApr 30, 2017
ISBN9783845353128
ATLAN X: Fluchtpunkt Schemmenstern

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    Book preview

    ATLAN X - Frank Borsch

    cover.jpgimg1.png

    Fluchtpunkt

    Schemmenstern

    von Frank Borsch

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Cover

    Rückentext

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kleines Arkon-Glossar

    Impressum

    Rund 5800 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Durch eine unbeabsichtigte Zeitreise hat es den Arkoniden Atlan in die Vergangenheit des Arkon-Imperiums verschlagen. Nachdem er den Bewohnern des Planeten Traversan geholfen hat, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, begibt er sich in einen Tiefschlaf – er möchte kein Zeitparadoxon auslösen.

    Doch dann wird er geweckt: Seine ehemalige Geliebte Tamarena steckt in großer Not. Auf der Suche nach ihr gelangt Atlan in das System der Sonne Schemmenstern; dort verliert sich die Spur in den orbitalen Städten. Während er im bunten Völkergemisch der Stationen nach Hinweisen forscht, beginnt ein interstellarer Konflikt. Soll Atlan eingreifen, oder löst er damit doch ein Zeitparadoxon aus?

    Den ATLAN-Roman »Fluchtpunkt Schemmenstern« verfasste Frank Borsch im Jahr 2001 für die kurzlebige Buchreihe »Moewig fantastic«; er ist eigenständig und führt die Geschehnisse aus der Miniserie ATLAN-Traversan weiter. Mit der E-Book-Edition dieses Romans liegen nun alle »Traversan«-Romane in digitaler Form vor.

    Kapitel 1

    Es begann mit einem leisen, allgegenwärtigen Brummen, vertraut und fremd zugleich.

    Ich versuchte die Augen aufzuschlagen, aber meine Lider gehorchten nicht. Ich versuchte den Arm zu heben, um die störrischen Hautlappen mit den Fingern hochzuziehen, aber der Arm wollte meinen Befehlen nicht folgen. Nein, das war falsch, erkannte ich: Ich spürte den Arm nicht, genauso wenig wie meinen restlichen Körper. Was war mit mir geschehen? War ich ...

    Bleib ruhig, Arkonide!

    Die Stimme ertönte übergangslos in meinen Gedanken. Die Panik, die gedroht hatte, mich wie eine Welle zu überrollen und davonzutragen, ebbte ebenso schnell ab wie sie gekommen war. Ich kannte diese Stimme. Sie schien mir vertraut wie die eines Bruders. Es war die eines manchmal hämischen und launischen, aber unbedingt verlässlichen Freundes. Ich konnte der Stimme vertrauen.

    Das Brummen wurde lauter. Meine nicht vorhandenen Augen mühten sich, die absolute Dunkelheit zu durchdringen. Wo war ich? Und: Wie kam ich hierher? Als hätten sie nur auf ihr Stichwort gewartet, stiegen Bilder aus der Tiefe meines Gedächtnisses hervor. Die absolute Dunkelheit verblasste. Plötzlich umringten mich unzählige Sterne und Galaxien, manche nur winzige stecknadelkopfgroße Lichter, andere drängten sich in gleißenden Haufen und Nebeln. Dann sah ich die Scheibe eines Planeten. Eine dichte Wolkendecke verdeckte einen Teil der südlichen Hemisphäre, doch überall sonst schimmerte das lockende Blau lebensspendender Ozeane. Die Nordhalbkugel bedeckte ein mächtiger, unförmiger Kontinent. Funkelnde Lichter markierten seine Küsten. Der Planet war bewohnt – was ich sah, waren die Lichtansammlungen von Städten und Industrieanlagen.

    Dann bemerkte ich den Mond. Sein blutrotes Antlitz schien mich mit Blicken zu durchbohren. Der Einschlag mehrerer Meteoriten hatte die Illusion eines gewaltigen Auges erzeugt.

    Travs Nachtauge!

    Die Stimme meines Freundes klang jetzt ungeduldig. Als wollte er sagen: Verstehst du immer noch nicht?

    Nein, ich verstand nicht. Ich ließ den Namen auf meiner nicht vorhandenen Zunge – mein Geist konnte sich offenbar nicht von körperlichen Analogien freimachen – zergehen: Travs Nachtauge. Ich hatte den Namen schon einmal gehört, dessen war ich mir sicher. Aber was hatte er zu bedeuten? Und wieso stiegen diese Bilder in mir auf? Was hatten sie mit mir zu tun?

    Im selben Moment bemerkte ich die Raumschiffe. Es mochten 200, 300 Kugelraumer sein, die aus dem Nichts heraus materialisiert waren und nun dem Planeten und seinem Trabanten entgegenjagten. Ich brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu verstehen, was geschah. Ein Angriff! Andere schienen eine ähnlich schnelle Auffassungsgabe zu besitzen. Überall auf dem Mond öffneten sich verborgene Hangarschleusen. Dutzende von Kugelraumern stiegen auf viele Kilometer langen Feuerschweifen in das Vakuum und warfen sich den Angreifern entgegen.

    Verstehst du jetzt endlich?, erkundigte sich die Stimme meines immateriellen Begleiters ungläubig.

    Das Zittern, das mich geweckt hatte, steigerte sich zu einem durchdringenden Vibrieren.

    Nein!, antwortete ich fast schreiend. Im Laufe der Jahrtausende hatte ich viele Raumschlachten verfolgt, zu viele.

    Na gut, du hast es so gewollt.

    Die ersten Raumer vergingen in lautlosen Explosionen. Irrlichternde Sonnen traten an die Stelle des Sternenmeers, blähten sich auf, blendeten mich. Absolutes Weiß überflutete meine Sinne.

    Als die blendende Helligkeit verblasste, fand ich mich auf einem Planeten wieder. Ein stetiges Donnern lag in der Luft, unterbrochen nur von unregelmäßigen, markerschütternden Explosionen. Dies musste der Planet des Trabanten sein. Trav... Trav... Traversan! Mir schien, als wäre der Name ein Schlüssel. Der Schlüssel zur rettenden Erkenntnis.

    Und ich spürte meinen Körper! Schweiß rann über meine Stirn, stach in meinen Augen. Mein Atem ging keuchend und stoßweise. Meine Arme, deren Finger sich um den Griff eines Dagor-Schwertes verkrampften, waren schwer und schmerzten.

    Mir gegenüber tänzelte ein ganz in schwarzes Leder gekleideter, sehniger Arkonide. Sein Dagor-Schwert schnitt mit spielerischer Leichtigkeit durch den dünnen Rauch, der sich über das Land gelegt hatte. Trokk!, durchfuhr es mich. Der Dagor-Meister, der dich während der Schlacht um Traversan zum Duell gefordert hat! Meine Erinnerung kehrte jetzt in Schüben zurück. Dennoch spürte ich, dass der entscheidende Teil noch fehlte. Ich wusste, dass ich Trokk besiegen würde. Traversan würde den Angriff der Flotte des rachsüchtigen Leuhar da Merrits überstehen, wenn auch nur mit knapper Not. Aber da war noch etwas gewesen. Etwas, das ...

    Dann sah ich sie. Sie war nur ein Schemen am äußerten Rand meines Sichtfelds, aber das genügte. Wie hatte ich sie nur vergessen können? Ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt war unverkennbar. Sie hatte diese besondere Art, Stolz auszustrahlen ohne dabei überheblich zu wirken – eine rare Eigenschaft in der von Standesdünkel bestimmten Gesellschaft des Tai Ark'Tussan, des Großen Imperiums der Arkoniden. Doch jetzt wirkte sie verkrampft, angespannt. Ihre vollen Lippen hatten sich in dünne, blutleere Striche verwandelt. Sie hatte Angst um mich.

    Und ich um sie. Unvermittelt wusste ich, was gleich geschehen würde. Ich versuchte auszubrechen, zur Seite zu springen und sie mit mir zu Boden zu reißen, sie außer Reichweite von Trokks grünlich schimmerndem Dagor-Schwert zu bringen. Meine Beine reagierten nicht. Tamarena! Meine Gedankenstimme überschlug sich. Bitte, tu es nicht!

    Sie hörte mich nicht.

    Dann geschah alles wie in Zeitlupe: Trokks konzentrierte Züge verzerrten sich, wichen einer Maske der Überraschung. Der Dagor-Meister war ein Mann, dem Ehre mehr als nur ein Wort war. Verzweifelt mühte er sich, den Hieb zu stoppen oder zumindest seine Richtung zu ändern. Vergeblich. Die herabsausende Waffe traf den Kopf der zu meiner Hilfe herbeieilenden Tamarena – und nur der Tatsache, dass es Trokk gelungen war, das Desintegratorfeld des Schwertes einen Sekundenbruchteil vor dem Aufprall zu deaktivieren, verdankte sie, dass sie nicht an Ort und Stelle starb.

    »Tamarena!« Wieder schrie ich auf. »Bei allen Sternengöttern, nein! Bitte nicht.«

    »Es tut mir leid, Altao. Sie ist nicht hier.«

    Diese Stimme! Das war nicht das Gedankenflüstern meines Bruders. Nein, es war die Stimme einer Frau. Und ich hatte sie gehört, nicht nur in Gedanken vernommen. Plötzlich nahmen meine Sinne noch mehr wahr: Das Brummen von an ihren Kapazitätsgrenzen arbeitenden Aggregaten, den Stich einer Injektionsnadel in meinem Unterarm, die wohlige Wärme, die mich umgab. In der abgestandenen Luft vermischte sich der stechende Geruch von Urin mit dem verschiedener Desinfektions- und Reinigungsmittel. Und da war noch etwas: ein frisches Blütenaroma, köstlich unaufdringlich und von unentrinnbarer Präsenz zugleich. Ich kannte diesen Duft. Nur, woher?

    Ich schlug die Augen auf.

    Im schwachen Schein indirekter Leuchtkörper saß eine Frau. Sie lächelte. »Altao ... Atlan! Oh, du weißt nicht, wie gut es tut, dich wiederzusehen!«

    Ich starrte die Frau verständnislos an. Sie war eine Arkonidin – ob reinrassig oder von einem Kolonialplaneten konnte ich in dem Dämmerlicht nicht erkennen – und musste um die Achtzig oder Fünfundachtzig sein. Eine alte Frau nach arkonidischen Maßstäben, aber noch längst keine Greisin. Sie trug einen einfachen, mit geometrischen Mustern bedruckten Umhang aus Kunstfaser, der ihre erhebliche Leibesfülle nur unzureichend kaschierte. Ihr langes, sprödes Haar wurde von einigen Haarklammern nur leidlich gebändigt. Dicke Tränensäcke drohten beinahe die unnatürlich geröteten Wangen zu berühren.

    Wahrscheinlich Alkoholmissbrauch, vermeldete mein Gedankenbruder kühl. Jetzt, wieder zu Sinnen gekommen, erkannte ich ihn als meinen Extrasinn, eine durch fünfdimensionale Bestrahlung aktivierte Region meines Gehirns, die zu einem bisweilen unangenehmen Eigenleben neigte.

    »Du ... du erkennst mich nicht?« Das Lächeln der Frau verschwand. »Hast du denn schon vergessen?« Die Frage klang fast wie eine Anklage.

    Streng dich an!, ermahnte ich mich. Wozu hast du ein fotografisches Gedächtnis? Forschend musterte ich die Frau. Ich lächelte höflich. Wer immer sie sein mochte, ich war gut beraten, sie nicht gegen mich aufzubringen. Meine Muskeln schienen geschmolzen zu sein. Was von ihnen übrig war, schmerzte pochend. Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es mir, den Kopf einige Zentimeter anzuheben. Nach wenigen Augenblicken sackte er wieder auf das Kissen. Ich war dieser Frau ausgeliefert.

    »Gib mir einen Augenblick Zeit, ich bin noch etwas verwirrt«, bat ich.

    Ich blickte mich um. Ich lag auf einer Konturliege in einer niedrigen Kammer. Die Wände waren aus stumpfem, unpoliertem Arkonstahl. Neben einem Medorobot, der lautlos auf einem Antigravfeld schwebte, war der einfache Plastikstuhl, auf dem die unbekannte Arkonidin saß, der einzige Einrichtungsgegenstand. Wieder kehrte ein Teil meiner Erinnerung zurück. Zweifellos, dies hier war dieselbe Kammer, in der ich mich in einen künstlichen Tiefschlaf hatte versetzen lassen – ein Akt der bloßen Verzweiflung, um nach der Vernichtung der Zeitstation der Meister der Insel in meine Gegenwart zurückzugelangen. Doch das hier konnte sie nicht sein, das sagte mir mein Instinkt. Aber in welcher Zeit war ich dann gestrandet? War mein Vorhaben gescheitert? Befand ich mich immer noch im Jahr 12.402 da Ark, beinahe 5800 Jahre vor Beginn der terranischen Zeitrechnung?

    Mein Blick heftete sich wieder auf die Frau vor mir. Sie rutschte nervös hin und her und schien den Tränen nahe, ob aus Erregung oder Trauer, darüber wagte ich keine Vermutung.

    Sie hat dich Atlan genannt, schaltete sich der Extrasinn ein. Dieser Name war nur wenigen vertraut; sie kann nicht durch Zufall auf die Station gestoßen sein.

    Eine kluge Beobachtung – und darüber hinaus der Beweis dafür, dass ich nicht lange geschlafen haben konnte, sollte ich die Frau wirklich kennen. Höchstens ein paar Jahrzehnte, ein Nichts für einen Unsterblichen, der sich eigentlich niedergelegt hatte, um mehr als zehn Jahrtausende zu überbrücken.

    »Du warst Mitglied in einem der Sonderkommandos, die Traversan vor Pyrius Bit retteten«, sagte ich in Anspielung auf den Sonnenkur des Großen Imperiums, der sich die Vernichtung Traversans auf die Fahnen geschrieben hatte. Mein Einwurf war ein Schuss ins Blaue, wie es meine terranischen Freunde genannt hätten, ein Bluff. Aber ein erfolgreicher.

    »Ich wusste, du würdest dich erinnern, Atlan!« Die Frau schien sich zu straffen. »Ich Dummkopf hätte damit rechnen sollen; der Tiefschlaf setzt dem Körper hart zu, das weiß jedes Kind. Du musstest erst zu dir kommen. Aber jetzt bist du wieder klar, nicht? Wie könntest du auch deine treue Gefährtin vergessen, die an deiner Seite den Tato der Orbitalen Städte ...«

    Die Orbitalen Städte! Die Erwähnung des Namens zerriss die letzten Schleier der Verwirrung, die sich über mein Bewusstsein gelegt hatten.

    »Riaal! Du bist es!«, rief ich. »Du trägst dasselbe Parfum wie an dem Tag, als wir diese große Schau auf TAI MEREN NOAS veranstalteten, nicht wahr?«

    Riaal nickte so heftig, dass ihre Tränensäcke gegen die Backen klatschten.

    Damals war sie eine üppig gebaute, herbe Schönheit gewesen. Ich war – getarnt als der neureiche Adlige Altao Ta-Camlo – mit allem Pomp auf TAI MEREN NOAS, der Großraumstation Eins und Hauptstadt des Schemmenstern-Systems eingezogen, um den örtlichen Gouverneur, den sogenannten Tato, zu beeindrucken. Wie es meinem vorgeblichen Stand gebührte, hatte sich in meinem umfangreichen Tross auch eine Mätresse befunden. Und diese Rolle hatte die Wirtschaftsexpertin Riaal mit atemberaubender Perfektion gespielt – dieselbe Riaal, von der ich mich, subjektiv gesehen, erst vor Stunden verabschiedet hatte, und die jetzt von den Jahren bis zur Unkenntlichkeit verändert vor mir saß. Wie viele Jahrzehnte mochten vergangen sein? Drei? Oder vielleicht sogar vier?

    »Riaal, bitte verzeih mir, du siehst so ... so ... anders aus«, stotterte ich unbeholfen.

    Der Blick der Arkonidin war stechend. »Du nicht, Atlan. Du scheinst keinen Tag gealtert. Dann ist es also wahr. Ich wollte es nicht glauben, aber du bist tatsächlich unsterblich.« Tränen traten aus ihren Augen.

    Ich nickte vorsichtig. War das der Grund, wieso sie mich geweckt hatte? Aus Neid auf meine Unsterblichkeit, in der verrückten Hoffnung, dass ich auch ihren Alterungsprozess anhalten oder vielleicht sogar wieder rückgängig machen konnte?

    Einige Sekunden lang schwiegen wir bedrückt, dann flüsterte ich: »Riaal, sag mir, wie lange habe ich geschlafen?«

    »21 Arkon-Jahre.«

    »Das ist unmöglich!« Ich bereute meine Worte noch im selben Moment. Riaal, erinnerte ich mich, war damals 46 Jahre alt gewesen, jetzt wirkte sie wie Achtzig oder Neunzig.

    Narr!, zischte der Extrasinn. Gerade du solltest doch wissen, wie hart das Leben einem zusetzen kann.

    »Ich meine«, korrigierte ich mich hastig, »es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Jahrzehnte verstrichen sind. Mir scheint, dass ich mich gerade erst vor Stunden schlafen gelegt habe.«

    »Sieh mich doch an.« Die Arkonidin deutete verächtlich auf ihren aufgedunsenen Körper. »Könntest du dir einen besseren Beweis vorstellen?«

    Ich verzichtete darauf, auf ihre Bemerkung einzugehen. Stattdessen drehte ich mich langsam zur Seite und stützte den Kopf mit dem Ellbogen ab. Die rasenden Schmerzen, mit denen meine Muskeln die Bewegung quittierten, ignorierte ich. Es war Zeit, endlich die entscheidende Frage zu stellen.

    »Riaal«, setzte ich an. Ich sah ihr direkt in die Augen; sie erwiderte meinen Blick. »Riaal, wieso hast du mich geweckt?«

    »Wegen Tamarena.« Nur ein kaum wahrnehmbares Zittern in ihrer Stimme verriet ihre Aufregung.

    »Tamarena?« Meine Gedanken überschlugen sich. Meine geliebte Rena! Die Tochter des Nert Kuriols, des Herrschers von Traversan, die mir hier, in dieser Zeit über zehntausend Jahre vor meiner eigenen Gegenwart, zur Gefährtin geworden war! Die bereit gewesen war, ihr Leben für das meine zu opfern.

    »Was ist mit ihr?«, krächzte ich. »Ist sie ... gestorben?«

    »Nein.« Riaal schüttelte den Kopf. »Sie ist aus dem Koma erwacht.«

    Kapitel 2

    Das schrille Kreischen der Warnsirenen hallte bereits durch den Hangar, als Lathir durch den schmalen Spalt der sich schließenden Schleusentore hetzte. Der junge Unither machte kurz halt und sah sich um – da sein halbkugelförmiger Kopf direkt auf der Schulterpartie aufsetzte, war dies ein Manöver, bei dem er den gesamten Oberkörper drehen musste.

    Da! Dort drüben, halb verdeckt von der wuchtigen Walze eines Springerraumers, reckte sich die schnittige Silhouette der Fähre gegen die von den Steuerdüsen zahlloser Raumschiffe geschwärzte Hangardecke. Lathir ignorierte das Protestgeschrei eines in einen klobigen Raumanzug gehüllten Dockarbeiters – ein ungewöhnlicher Akt für den stets beflissen höflichen Unither – und setzte zu einem letzten Sprint an. Er musste diese Fähre erreichen! Zwar würde zwei Tontas später ein weiteres Shuttle sein Zuhause, TAI MEREN NOAS oder – im Sprachgebrauch der Unither – YARUZAS LETZTE HOFFNUNG verlassen, aber dann würde er zu spät kommen. Und Lathir spürte, hoffte, dass dies nicht sein Hradith war.

    Schwer atmend erreichte Lathir die Fähre. Sein Rüssel fand den Notöffnungsschalter der Luke. Der geschmeidige Muskelstrang, zugleich Greiforgan und Sitz der Luftröhre, war für gewöhnlich der Stolz eines jeden Unithers. Viele Stunden täglich verbrachten die stämmigen Wesen mit seiner Pflege. Doch für Lathir war der Rüssel eine stetige Quelle der Scham. Sein Rüssel war zwar ebenso kräftig wie der seiner Altersgenossen, maß aber nur 50 Zentimeter, gerade einmal die Hälfte der Norm, und machte den jungen Unither zur Zielscheibe des Spotts. Lathir dachte oft daran, dass er es nur der schützenden Hand Khalankas, der Herdenältesten, zu verdanken hatte, dass der Spott gutmütig blieb.

    Mit einem kurzen Tasten der linken Hand gegen seine Jacke versicherte sich der Unither, dass der Schwingquarz noch an Ort und Stelle war. Dann wirbelte er kurz herum, winkte dem immer noch fluchenden Dockarbeiter entschuldigend zu und sprang in die Öffnung, die sich zwischenzeitlich in der Außenseite der Fähre aufgetan hatte.

    Hinter ihm schloss sich die Luke wieder, undurchdringliche Schwärze senkte sich über die Schleusenkammer. Mit pochendem Herzen reckte er den linken Arm in die Höhe; den Arm, in dessen Muskel ein kaum staubkorngroßer Chip implantiert war. Lathir wusste, dass die Geste nüchtern betrachtet sinnlos war. Die Sensoren der Schleusenkammer konnten den Chip selbst durch einen dicken Schutzanzug hindurch auslesen. Aber die Angst, dass sein Vorhaben jetzt, so kurz vor seiner Vollendung, scheitern könnte, trieb den jungen Unither zu irrationaler Vorsicht.

    Ein Spalt blendenden Lichts zeigte an, dass Lathir sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Mit einem zufriedenem Brummen betrat er die Passagierkabine – und starrte in die missmutigen Mienen von etwa vier Dutzend Reisenden. Einen kurzen Augenblick erstarrte Lathir, dann senkte er den Rüssel in einer Bedauern anzeigenden Geste und stapfte unablässig Entschuldigungen murmelnd an seinen Platz.

    Seine Mitpassagiere stellten einen ungefähren Querschnitt der Bevölkerung der Orbitalen Städte dar: In den ersten Reihen drängten sich ein Dutzend Naats, ihrer derben Sprache nach zu urteilen einfache Bergmänner, die in einer der Minen der vielen Monde des Schemmenstern-Systems nach wertvollen fünfdimensionalen Schwingquarzen schürften. Hinter ihnen, in einem sorgfältig gewählten Abstand von zwei Sitzreihen, folgte die Mittelschicht der Orbitalen Städte. Es waren Männer und Frauen wie diese Renoner, Zaliter, Ekhoniden und andere Kolonialarkoniden, die das System der 268 Orbitalen Städte am Laufen hielten. Aus ihren Reihen rekrutierten Verwaltung, Garde und Schürfunternehmen der riesigen Raumstationen die zuverlässigen Arbeitskräfte, denen der Aufstieg des Schemmenstern-Systems zu einer der wohlhabendsten Regionen des Tai Ark'Tussan zu verdanken war. Wiederum zwei Sitzreihen von ihnen getrennt begann die Sektion der Nicht-Humanoiden. Drei oder vier von ihnen wurden von undurchsichtigen Schirmfeldern verborgen, die übrigen – Lathir identifizierte unter anderem mit fachmännischem Blick einen sechsgliedrigen Fantan – saßen, standen oder lagen auf

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