Aufhören! Vom Ende in der Musik: Österreichische Musikzeitschrift 04/2015
()
About this ebook
Related to Aufhören! Vom Ende in der Musik
Related ebooks
Mobilität und Musik: Österreichische Musikzeitschrift 02/2017 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchnitzler, Horváth, Haas: Österreichische Musikzeitschrift 04/2016 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsfrauen macht musik. Maria Theresia zum 300. Geburtstag: Österreichische Musikzeitschrift 01/2017 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDynamik und Dominanz - Musik in neuen Bildwelten: Österreichische Musikzeitschrift 04/2017 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsOperette - hipp oder miefig?: Österreichische Musikzeitschrift 03/2016 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWie (a-)sozial ist die Musik?: Österreichische Musikzeitschrift 02/2015 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Dirigentin. Geschlechterkampf im Orchestergraben?: Österreichische Musikzeitschrift 03/2015 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBernhard, Jandl, Jelinek: Österreichische Musikzeitschrift 05/2015 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTonkunst-Polemiken: Österreichische Musikzeitschrift 01/2016 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHinter Frack und Fliege: Intime Geschichten um die Wiener Symphoniker 1977 bis 1988 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAchtung Satire!: Österreichische Musikzeitschrift 03/2017 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsOffenbach in Wien: Österreichische Musikzeitschrift 5/2017 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Orchester, das niemals schläft: Die Wiener Philharmoniker Rating: 0 out of 5 stars0 ratings50 einfache Dinge, die Sie über Musik wissen sollten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFritz Wunderlich: Eine Biografie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsO Fortuna - Musikalische Glücksverheißungen: Österreichische Musikzeitschrift 06/2016 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchwarze Milch und bunte Steine: Der Komponist Erkki-Sven Tüür Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜber Musik: Mozart und die Werkzeuge des Affen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZykan - Staat - Kunst. Band I: Libretti Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMein Song (eBook): Texte zum Soundtrack des Lebens Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMein Blick auf Ligeti / Partch & Compagnons Rating: 4 out of 5 stars4/5Wie kommt Wien ins Blut?: Ein Neuseeländer studiert Musik in Österreich Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchön ist die Welt: Schauplätze der Musik Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHier klingt Wien: Die musikalische Seite der Donau-Metropole Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBilder einer Ausstellung Rating: 0 out of 5 stars0 ratings1815 - Musik zum Siegen und Tanzen: Österreichische Musikzeitschrift 01/2015 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGreat again? Musik in Zeiten des Populismus: Österreichische Musikzeitschrift 06/2017 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsOper - Spiel ohne Regel Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKommunikation im Musikleben: Harmonien und Dissonanzen im 20. Jahrhundert Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsCHANGES: Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Music For You
Harmonielehre im Selbststudium Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsABC Musik: Allgemeine Musiklehre Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFormelbuch der Harmonielehre Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMusiktheorie praxisnah: Ein Handbuch für Schule und Studium Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Jazz-Gitarristen Buch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPartiturlesen: Ein Schlüssel zum Erlebnis Musik Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Songwriting - Workshop 1 + 6 Songs: Schritt für Schritt erleben wie Songs entstehen - mit allen Hörbeispielen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKinder-Liederbuch: Noten und Texte der bekanntesten deutschen Kinderlieder Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBachs Passionen: Ein musikalischer Werkführer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJohann Sebastian Bach. Messe in h-Moll BWV 232: Bärenreiter Werkeinführungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMorgen kommt der Weihnachtsmann: 33 beliebte Weihnachtslieder für Klavier, leicht bis mittelschwer Rating: 5 out of 5 stars5/5Lehrbuch der harmonischen Analyse Rating: 5 out of 5 stars5/5Diseusen in der Weimarer Republik: Imagekonstruktionen im Kabarett am Beispiel von Margo Lion und Blandine Ebinger Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer kleine Hey: Die Kunst des Sprechens Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEinfach üben: 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Kunst des Musizierens: Von den physiologischen und psychologischen Grundlagen zur Praxis Rating: 4 out of 5 stars4/5Getting Pro - kompakt: Methoden, Tricks und Hintergründe für professionelle Audioproduktionen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMusikalische Praxis als Lebensform: Sinnfindung und Wirklichkeitserfahrung beim Musizieren Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNeue Allgemeine Musiklehre: Mit Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle Rating: 4 out of 5 stars4/5Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht: Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis Rating: 4 out of 5 stars4/5Alles Kopfsache?: Wie Psyche und Motorik den Blasmusiker beeinflussen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBach. Das Wohltemperierte Rätsel: Eine ausufernde Annäherung an die Fuge in E-Dur aus dem Wohltemperierten Klavier Teil II (BWV 878) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPlease Kill Me: Die unzensierte Geschichte des Punk Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRelative Solmisation: Grundlagen, Materialien, Unterrichtsverfahren Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsModernes Klavierspiel: Mit Ergänzung: Rhythmik, Dynamik, Pedal Rating: 3 out of 5 stars3/5Interpretation: Vom Text zum Klang Rating: 5 out of 5 stars5/5Chorleitung konkret: Dirigieren - Probenmethodik - Stimmbildung. Tipps für die Praxis Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsStimme von Fuß bis Kopf: Ein Lehr- und Übungsbuch für Atmung und Stimme nach der Methode Atem-Tonus-Ton Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Reviews for Aufhören! Vom Ende in der Musik
0 ratings0 reviews
Book preview
Aufhören! Vom Ende in der Musik - Hollitzer Wissenschaftsverlag
IMPRESSUM
Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 70/04 | 2015
ISBN 978-3-99012-213-6
Gegründet 1946 von Peter Lafite und bis Ende des 65. Jahrgangs herausgegeben von Marion Diederichs-Lafite
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Einzelheft: € 9,50
Jahresabo: € 44 zzgl. Versand | Bestellungen: vertrieb@hollitzer.at
Förderabo: ab € 100 | Bestellungen: redaktion@oemz.at | emv@emv.or.at
Medieninhaberin: Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV)
ZVR-Zahl 983517709 | www.emv.or.at | UID: ATU66086558
BIC: GIBAATWWXXX | IBAN: AT492011129463816600
Herausgeber: Daniel Brandenburg | dbrandenburg@oemz.at
Frieder Reininghaus (verantwortlich) | f.reininghaus@oemz.at
Redaktion: Lena Dražić (Leitung) | l.drazic@oemz.at
Johannes Prominczel | j.prominczel@oemz.at
Julia Jaklin (Assistenz) | j.jaklin@oemz.at
Adresse für alle: Hanuschgasse 3 | A-1010 Wien | Tel. +43-664-186 38 68
redaktion@oemz.at | inserate@oemz.at | www.oemz.at
Werden Sie FreundIn der ÖMZ: Unterstützen Sie die Europäische Musikforschungsvereinigung Wien (EMV) oder ihren deutschen Partner Verein zur Unterstützung von Musikpublizistik und Musik im Donauraum e. V. (VUMD) | info@emv.or.at
BIC: COLSDE33 | IBAN: DE07370501981930076995
Verlag: Hollitzer Verlag | Trautsongasse 6/6 | A-1080 Wien
Tel. +43-1-236 560 54 | office@hollitzer.at | www.hollitzer.at
Coverbild: Max Ernst: Heilige Cäcilie – das unsichtbare Klavier (1923) | © Staatsgalerie Stuttgart/VG Bild-Kunst
Layout & Satz: Gabriel Fischer | A-1150 Wien
© 2015 Hollitzer Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Die Redaktion hat sich bemüht, alle Inhaber von Text- und Bildrechten ausfindig zu machen. Zur Abgeltung allfälliger Ansprüche ersuchen wir um Kontaktaufnahme.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von
Liebe Leserinnen und Leser,
Irgendwann muss Schluss sein. Dies gilt unerbittlich für sämtliche Gattungen und Genres der Musik – jener Kunstform, die in besonderer Weise an die Zeit und ihre Verläufe gebundenen ist. Es trifft für alle Varianten der Präsentation und Wahrnehmung von formstabilen Tonkünsten und flüchtig erklingenden Events zu. Auch wenn musikalische Ereignisse eine kleine Ewigkeit dauern mögen – sie gelangen zwangsläufig zum Schlussakkord, verklingen oder brechen abrupt ab. Sie werden verlassen, abgeschaltet oder vom schläfrig werdenden Kopf ausgeblendet. Selbst wenn Radio oder Fernseher vor den geschlossenen Augen noch unverdrossen weiterdudeln.
Sogar diejenigen musikalischen Arbeiten, die den Werkcharakter »aufbrechen« oder ihn gänzlich negieren – wie performative, installatorische, aktionistische oder elektronisch-audiovisuelle Produktionen – bedürfen mehr oder minder markanter Anfänge und Schlüsse. Früher oder später erreicht der Saphir die letzte Rille, ist die CD oder DVD durchgelaufen, die Performance definitiv erschöpft, geht im Theater der Eiserne Vorhang herunter. Dies gilt im Übrigen auch für Tonkünstler-Karrieren – obwohl gerade bei den Stars wie beim Gros der musikalischen »Leistungsträger« derzeit Durchhaltevermögen und Dauerhaftigkeit höchste Tugenden scheinen wie ansonsten nur bei Kirchenvätern, SchriftstellerInnen und britischen Monarchinnen.
Mancher längst zum Altmeister gewordene junge Mann der Nachkriegszeit, der gerne obsolet gewordene Traditionen »sprengte« (im Extremfall hinsichtlich der feurigen Entsorgung der in seinen Ohren falsch befüllten Musiktheaterpaläste gar kess die Kostenfrage stellte), denkt nicht daran, Jüngeren Platz zu machen. Man mag dies als eine der periodischen Verkalkungserscheinungen des Kulturlebens ansehen. Aber warum ruft niemand nach dem Klempner?
Das Nicht-enden-Wollen oder -Können erweist sich in diesem Heft als »Nebenlinie«. Zuvorderst geht es ihm um die Schlüsse unterschiedlichster Werke aus mehreren Jahrhunderten, um konstante Herausforderungen von Schlussbildungen und jeweils spezifische Konstellationen. Das tendenziell uferlose Thema von Abschiednehmen und Aufhören in und mit Musik bildet den Cantus firmus in den Reflexionen zu Orchester- und Kammermusik (die Opern blieben fürs Erste weitgehend ausgeblendet).
Während der Vorbereitung dieses Heftes wurde eine Textsammlung angekündigt, die wesentliche Aspekte des ins Auge gefassten Themenfeldes behandelt: Peter Gülkes Buch Musik und Abschied. Hartmut Krones kommentiert das druckfrische Werk – und der Siemens-Musikpreisträger des Jahres 2014, angetan von »merkwürdiger Koinzidenz«, schrieb für die ÖMZ einen Essay zu den Schlüssen von Beethovens Pastorale.
Das »Abschaffen« wurde fürs Komponieren im 20. Jahrhundert mitunter ebenso wichtig wie die Idee fortgesetzten Schöpfertums. Starke Erschöpfungserscheinungen haben das »Fortpflanzen« heimgesucht. Das Aufräumen ist intern fürs Komponieren von Belang, aber auch Bestandteil musikalischer »Sozialarbeit«. Es schafft notwendigen Platz für das Neue. ›Das Team der ÖMZ
Inhalt
Aufhören!
Vom Ende in der Musik
Gerhard R. Koch: Aller Anfang ist schwer, erst recht das Ende
Hartmut Krones: Persönliche Todeserfahrung und Tod der Utopie
Peter Gülke: Chiffre des erlösenden Aufatmens Beethovens sechste Symphonie und ihre Schlüsse
Wolfgang Schreiber: Nicht aufhören Enden und Anfangen – mit Hörsplittern aus dem Repertoire
Arne Stollberg: Pflaumenweiche Enden? Leise Schlüsse in Symphonien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
Frieder Reininghaus: E la nave va – Ein Kalenderblatt zum 5. Juli 1965
Daniel Brandenburg: Über das Ende hinaus. Komponistenwitwen zwischen Gattenverehrung und kulturellem Gedächtnis
Andreas Dorschel: Der Welt abhanden kommen Über musikalischen Eskapismus
Johannes Prominczel: »You can kill people with sound« Zum 80. Geburtstag von Arvo Pärt
Extra
Song-Kontext
Melanie Wald-Fuhrmann: Der beste Song oder der kleinste gemeinsame Nenner? Das kollektive Werten beim ESC
Ivan Raykoff: Ein Lied kann eine Brücke sein. Verbindungen von Ton und Bild beim diesjährigen Eurovision Song Contest
Johannes Prominczel: Österreich beim Song Contest
Neue Musik im Diskurs
Stefan Drees: »… absolute freedom, complete autonomy for my art …«: Olga Neuwirth
Berichte
Oper in Europa
Alban Bergs Lulu in Amsterdam, Oscar Strasnoys Fälle in Zürich, Julian Andersons Thebans in Bonn, Salvatore Sciarrinos Luci mie traditrici und Bela Bartóks Blaubart in Wien (Frieder Reininghaus)
Premieren in Wien (Walter Weidringer)
Così fan tutte an der Wiener Volksoper (Johannes Prominczel)
War alles nur Wahn? Berliner Premieren (Magdalena Pichler)
Hèctor Parras Wilde in Schwetzingen, Lucia Ronchettis Esame di mezzanotte in Mannheim (Frieder Reininghaus)
Lior Navoks An unserem Fluss in Frankfurt (Jörn Florian Fuchs)
Beat Furrers La bianca notte in Hamburg (Verena Fischer-Zernin)
George Benjamins Written on Skin in St. Gallen (Anna Mika)
René Clemencics Gilgamesch in Wien (Robert Lillinger)
Festivals & Konzerte
Musikprogramm der Wiener Festwochen (Juri Giannini & Fritz Trümpi)
Musikbiennale Zagreb, Unsafe & Sounds Festival (Philip Röggla)
»Urbo kune« (Juri Giannini)
»… im Banne der Anderen« (Heinz Rögl)
Revolution, Flucht und Exil (Sabine Seuss)
Zum Achtziger von Kurt Schwertsik (Christian Heindl)
Porträt Tamara Friebel (Sabine Seuss)
Neues mit Traditionsbezug (Lena Dražić)
Symposien
Im weißen Rößl (Jan-Felix Wall)
Fünfzig Jahre Neue Schubert-Ausgabe (Anna Mika)
Wiener Symposien-Juni (Johannes Prominczel)
Rezensionen
Bücher
CDs und DVDs
Das andere Lexikon
Spätwerk (Wolfgang Fuhrmann)
News
System und Kritik
Zu guter Letzt
Autoren dieser Ausgabe, Vorschau
THEMA
Aller Anfang ist schwer, erst recht das Ende
Die Geschichte der Kunst ist auch die der großen Torsi: Der Fragment-Virus schleicht sich ins Werk ein
Gerhard R. Koch
Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß, Und daß du nie beginnst, das ist dein Los.
Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe, Anfang und Ende immerfort dasselbe.
Goethes Gedicht aus dem West-östlichen Divan ist auch ein Hymnus auf das endlos in sich verschlungene Arabesken-Wesen islamischer Kunst. Den Dresdner »Pegida«-Schreihälsen dürfte dies schwerlich bekannt sein, wollen sie doch ein ›Abendland‹ verteidigen, von dem sie keinerlei Ahnung haben. Goethes Verse liefen allerdings noch auf etwas anderes hinaus: auf einen grundlegenden Zweifel am linear-teleologischen Verlauf jeglicher Art, an der Vorstellung, dass alles (s)einen Anfang habe, und von diesem bis zum Schluß fortschreite, ja sich zu diesem hin steigere. Denn was man gemeinhin Abendland nennt, basiert auf der jüdisch-christlichen Idee von Schöpfung, Sündenfall, geschichtlichem Prozess – bis hin zum Erscheinen des Messias, dem Jüngstem Tag, der Erlösung, dem wiedergewonnenem Paradies: Alles wird gut, möglicherweise. Oder auch gerade nicht.
Analog verweisen die gängigen Vorstellungen von Kunst, zumindest in eurozentrischem Sinn, auf Schöpfung en miniature: auf das Werk. Ebendieses wird, ob als Text, Theater, Musik oder Film, als Verlaufs-Form nach dem obligaten Schrift-Modell gedacht, die im »Westen« von links nach rechts führt. Dieser Blickrichtung folgen auch Aufzüge, Paraden, Totentänze und noch die Bildfolgen Achim Freyers oder Robert Wilsons. Der Weg führt von A bis Z, zum Ziel: finis coronat opus. Die »Final«-Symphonie geleitet per aspera ad astra. Und selbst in der Malerei spricht man von »écriture«. Das vollkommen gelungene Werk ist demnach nicht nur Artefakt, sondern Abbild eines sinnvollen Weltganzen. Aber wenn Adorno Hegel vom Kopf auf die Füße stellte (»Das Ganze ist das Unwahre«), dann war dies nicht nur Ideologiekritik am Heile-Welt-Getue, sondern auch Einspruch wider den allzu obligaten Kult ums ›Meisterwerk‹, Zweifel am beschworenen Schein des »Wahren, Schönen, Guten«. Solches Misstrauen gegenüber dem integral autonomen ästhetischen Produkt findet sich schon in der frühen Romantik (F. Schlegel, Novalis): das Fragment als auch utopisches Wundmal misslingender Totalität. Ebendiese fußte nicht zuletzt auf der Dur-Moll-Tonalität, die die europäische Kunstmusik vom frühen siebzehnten bis ins zwanzigste Jahrhundert bestimmte – einschließlich der Regel, dass selbst ein mehrsätziges Werk in der exponierten Grundtonart schließen solle. Noch in nicht wenigen großen Opern folgt darin das Finale der Ouvertüre. Erst der Symphoniker Mahler widersetzt sich diesem Schema. Aber schon Schubert, Chopin und Brahms haben mit Moll-Schlüssen für Dur-Stücke der Regel opponiert. Gleichwohl gab es eine Grundformel klassischer Harmonik: den Nukleus der Kadenz, der noch in der gigantischsten Ausformung Modell eines zielstrebigen Verlaufs ist. Die musikästhetischen Irritationen seit dem 19. Jahrhundert haben mit der nachlassenden Kraft dieser Norm zu tun: Das gelingende Ganze ist nicht mehr selbstverständlich, das Fragmentarische greift um sich.
Goethe, West-östlicher Divan, Erstausgabe, Titelblatt und Frontispiz mit dem arabischen Schriftzug: »Der östliche Divan des westlichen Verfassers«. Bilder: wikimedia.org/H.-P. Haack.
Nicht in wenigen Fällen ist das »Unvollendete« der Werke keineswegs dem Tod des Verfassers geschuldet, sondern subjektive Sperre und generelle Situation greifen ineinander. So oder so ist das Abbrechen nicht zufällig, mag man über die Gründe noch so sehr spekulieren können. Natürlich konnte Mozart Fugen komponieren. Dass es trotzdem diverse Fragmente gibt, lässt darauf schließen, dass er sie als Beweis-Vehikel in Angriff nahm, dann die Lust am Archaischen verlor. Sogar im Fall des Torsos der c-Moll-Messe, immerhin acht Jahre vor seinem Tod entstanden, lässt sich zumindest mutmaßen, dass die geringe Aussicht auf eine Wiener Aufführung und sein größeres Interesse an neuartigen Opern, Klavierkonzerten, Symphonien und Kammermusik-Kombinationen ihn davon abhielten, sich der starren Form der lateinischen Liturgie, einschließlich des »gelahrten Styls«, weiter zu widmen. Man sollte jedenfalls das Abbrechen nicht mythologisieren: Ein »Spätwerk« jedenfalls war die Messe nicht. Nicht Mozart, die Gattung war erschöpft.
Auch Schuberts »unvollendete« Werke (das Oratorium Lazarus, die h-Moll-Symphonie, der c-Moll-Quartett-Satz, eine C-Dur-Klaviersonate) stammen nicht aus den letzten Lebensjahren, ganz zu schweigen von den frühen Sonaten-Fragmenten. Die Abbrüche lassen sich vielmehr als Krise diagnostizieren: Den eigenen Ansatz authentisch fortzuführen, sah er sich außerstande – und der Konvention wollte er nicht folgen. Da ist auch Alfred Brendel zu widersprechen, der einmal meinte: Die frühe fis-Moll-Sonate (1817) sei noch zu ungestaltet, verglichen mit den späteren. Man kann es nämlich genau umgekehrt sehen: Im Kopfsatz hat er sogar radikaler als später primär auf Klang und Bewegung gesetzt. Die »reifen« Werke sind bei aller Expansivität bündiger in der Anlage.
Das Fragmentarische greift um sich: Auguste Rodin, La pensée, um 1895. Bild: wikimedia.org
Nun wäre es sicher übertrieben, entdeckte man im neunzehnten Jahrhundert in erster Linie Symptome des Scheiterns großer Entwürfe. Gleichwohl: Lieto fine, Apotheose und Verklärung sind problematisch geworden, die Schlüsse heikel. Der Höhenflug ist dem Abgrund gewichen, selbst wenn er bei Schumann noch als seliges Versinken erscheint: Die Frühlingsnacht schwingt sich gerade nicht in jauchzende Höhe. Und wenn Alban Berg seine Sonate op. 1 in eine Reminiszenz an den vorletzten Davidsbündler-Tanz münden lässt, hat dies eher lugubren Charakter (ist wohl also ein Verweis auf Tristesse). Vollends gibt es zwei Extremfälle des Umschlags von Gloriole in Depression: Der Kopfsatz von Bruckners Achter wie Liszts h-Moll-Sonate führen in der Erstfassung in die pompöse Aufwallung, in der zweiten ins karge Stocken. Aller Triumphalismus ist dahin. Und sosehr Wagner über Aureolen gebot, so evident ist der Widerspruch zur Gier nach dem Apokalypse-Ende – ob bei Holländer, Tristan, Wotan oder Amfortas. Demgegenüber klingt Erdas »Alles was ist, endet« geradezu tröstlich.
Beunruhigender als die realen Torsi sind fast die latenten Ratlosigkeiten, wie sinnvoll zu schließen sei. Ausgerechnet der Triumphator Liszt verunsichert immer wieder mit oft erheblich divergierenden ossia-Varianten, als wisse er nicht, wie er die finalen Weichenstellungen zu bewerkstelligen habe. Nicht zufällig gibt es gerade bei seinen Liedern sehr unterschiedliche Versionen, die zu interpretatorisch heiklen Entscheidungen nötigen. Vollends vor Rätsel stellen einige späte Klavierstücke (Bagatelle ohne Tonart, Sospiri, Nuages gris, Unstern, Schlaflos, Frage und Antwort), die entweder einfach »aufhören«, einstimmig versickern oder auf verminderten Septakkorden, wenn nicht Dissonanzen quasi steckenbleiben oder in der Luft verharren: Der Fragment-Charakter ist schon integriert.
Nun gibt es nicht zufällig »bürgerliche« Künstler, bei denen sich keine Fragmente finden: Brahms, Strauss, Strawinsky, Thomas Mann tendierten offenkundig weder zur Bohème noch zum utopischen Surplus, haben dementsprechend ihr Lebenswerk, gewiss imponierend, als abgeschlossenes hinterlassen. Ihre Anfechtungen, Zweifel, Depressionen konnten sie zumindest verbergen. Dagegen Mussorgski: Bei keiner seiner Opern kann man sich auf eine eindeutig »authentische« Fassung verlassen. Und die unaufgelösten, »unerlösten« Enden seiner Ohne-Sonne-Lieder bleiben verstörend offen. Während in der deutschen Musikauffassung der Glaube ans »integrale« Werk im Sinne einer geschlossenen Tradition vorherrscht, die in die historische Tiefe, bis zu Urvater Bach, vertikal gestaffelt ist, spielen Folklore, Volksmusik, Exotismus, Jazz, außereuropäische Kulturen da kaum eine Rolle. Im Gegensatz zur slawischen, französischen, erst recht amerikanischen Musik. Allerdings hat das Fragmentarische noch eine andere Seite: Zum Abbrechen gehört gleichermaßen das Nicht-Aufhören-Können im Doppel-Sinn von Nietzsches »Denn alle Lust will Ewigkeit« wie »Ewige Wiederkehr des Gleichen«: die Unersättlichkeit des Eros oder die Dauer-Qual des Sisyphus.
Bei keiner seiner Opern kann man sich auf eine »authentische« Fassung verlassen: Modest Mussorgski (1870). Bild: wikimedia.org
Zielen, zumal deutsche, »Final«-Symphonie und Oper teleologisch auf den alles entscheidenden Höhepunkt