Tiergestützte Pädagogik: Das Pferd als pädagogisches Medium in der stationären Jugendhilfe: Modeerscheinung oder Methode mit vielversprechenden Möglichkeiten?
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Um diese Frage zu beantworten und möglichst präzise Aussagen über die Bedeutung und Möglichkeiten des Einflusses von Tieren treffen zu können, richtet sich der Fokus der Studie auf das Klientel der stationären Jugendhilfe und der sich hieraus ergebenden Relevanz tiergestützter Interventionen.
In einem weiteren Eingrenzungsprozess findet eine Fokussierung auf Jugendliche statt, welche von der gesellschaftlichen Norm abweichende Bindungsmuster zeigen und damit verbunden den etwaigen Einflussmöglichkeiten, die sich im pädagogisch angeleiteten Umgang mit Pferden bieten. Aufgrund der Komplexität der Thematik bezieht sich die Autorin in diesem Zusammenhang ausschließlich auf die bindungstheoretische Tradition und deren Weiterentwicklung nach John Bowlby.
Dabei bezieht sie kritisch Stellung zu den Begriffen der Verhaltens- beziehungsweise der Bindungsstörung und der damit verbundenen Stigmatisierung junger Menschen durch unsere Gesellschaft.
Die vorliegende Studie gliedert sich in zwei Teile:
Der erste Teil widmet sich den rechtlichen und pädagogischen Grundlagen stationärer Jugendhilfe und den daraus resultierenden Anforderungen an die Pädagogik.
Gegenstand der Betrachtung des zweiten Teiles ist die Tiergestützte Pädagogik als Kernstück des Buches. Hierbei finden unter anderem Überlegungen hinsichtlich der Begriffsklärung Tiergestützter Pädagogik, den grundlegenden Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung sowie der spezifischen Charakteristika der Mensch-Tier Interaktion statt. Darüber hinaus werden die Erfahrungsmöglichkeiten Jugendlicher die sich im Umgang mit Pferden bieten, dezidiert und mit Bezug auf den sozio-emotionalen Bereich dargestellt.
Weiterhin werden mögliche Einwände und kritische Aspekte tiergestützter Pädagogik, in Bezug auf das Klientel der Jugendhilfe sowie auf die Instrumentalisierung der Tiere selbst näher beleuchtet.
Schließlich werden ergänzende Überlegungen der gesammelten Erkenntnisse und Zusammenhänge in der Schlussbetrachtung behandelt.
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Book preview
Tiergestützte Pädagogik - Daniela Schmidt
bieten.
Teil 1
Aspekte der stationären Jugendhilfe
1. Grundlagen stationärer Jugendhilfe
1.1. Gesetzliche Verankerung und Aufgaben
Das Sozialgesetzbuch VIII beschreibt die grundsätzlichen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe und setzt die möglichen Maßnahmen der Jugendhilfe, welche nach ambulanten, teilstationären und vollstationären Jugendhilfemaßnahmen unterteilt sind.
Diese sind wiederum in den Hilfen zur Erziehung nach §§27 ff. SGB VIII aufgelistet und verfolgen das generelle Ziel, die Eltern in ihrem Erziehungsauftrag zu unterstützen, „wenn eine dem Wohl des Kindes und Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist".
Die Personensorgeberechtigten haben einen gesetzlichen Anspruch auf Hilfen zur Erziehung wenn sie diese Kriterien erfüllen. Die Hilfen werden insbesondere nach Maßgabe der §§27-35 SGBVIII gewährt, wobei sich Art und Umfang der Hilfe nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall richten (Stascheit 2007, 1078, §27 Abs.1).
Der Paragraph 34 SGB VIII regelt die Erziehung im Heim und in sonstigen betreuten Wohnformen.
Diese Unterbringung kann neben der klassischen Heimeinrichtung, die Erziehung und Betreuung in Außenwohngruppen, Selbstständigen Wohngruppen, das betreute Wohnen oder eine Unterbringung in Erziehungsstellen umfassen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die „Kinder und Jugendlichen durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung zu fördern. Sie soll, abhängig von dem Entwicklungsstand und Alter des Kindes/Jugendlichen sowie der Möglichkeit der Verbesserung der Erziehungsbedingungen, in der Herkunftsfamilie „eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen
, „die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten" (ebd. 1078, 1079, §34 SGBVIII).
2. Die Adressaten stationärer Jugendhilfe:
2.1. Exkurs Jugendalter
Auf die Frage „Was ist Jugend?" gibt es auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts seitens der interdisziplinären Jugendforschung keine eindeutige, unumstrittene Antwort.
So besteht eine Vielzahl von Richtungen des Nachdenkens und Forschens über diese Lebensphase, welche unter anderem nach soziologischer, entwicklungspsychologischer, psychoanalytischer, pädagogischer und gesundheitlicher/biologischer Ebene ausdifferenziert sind (vgl. Fend 2005, 22, 23).
Nach dem §7 SGBVIII des Kinder- und Jugendhilfegesetz ist Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist und Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Junge Volljährige sind diejenigen, die 18 Jahre, jedoch noch keine 27 Jahre alt sind (vgl. Stascheit 2007, 1071, §7 Abs.1).
Die Jugendzeit wird durch die Wissenschaft längst nicht mehr über das Lebensalter definiert. So hat sich in der sozialwissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt, die Jugend als eine zeitlich ausgedehnte Lebensphase zwischen Kindheit und jüngerem Erwachsensein zu begreifen, deren Beginn und Ende nicht eindeutig festzulegen ist. Sie wird somit als Übergangsphase bezeichnet, wobei laut Schulze-Krüdener (vgl. Schulze-Krüdener, in: Schulze-Krüdener 2009,7) Altersgruppenunterschiede konstitutiv sind und wie folgt unterschieden werden können:
Die Jugendlichen im engeren Sinne: pubertäre beziehungsweise frühe Jugendphase (circa 12-17 Jahre)
Die Heranwachsenden: nachpubertäre beziehungsweise mittlere Jugendphase (circa 18-21 Jahre)
Die jungen Erwachsenen: späte Jugendphase (circa 22 Jahre bis Ende des zweiten Lebensjahrzehnts)
Was Jugendalter bedeutet wird jedoch weniger von dem Lebensalter als wesentlich bedeutender durch die Vergesellschaftung der Jugendphase bestimmt.
„Die Jugend gibt es nicht. Jugend hat viele Gesichter, sie entspricht einer Vielfalt von Entwicklungswegen sowie einer Vielfalt von Alltagsgeschehen und entspricht keineswegs einem homogenen Gebilde (vgl. Fend 2005, 20). Insofern entsprechen Normalitätswünsche seitens der Gesellschaft und Jugendforschung nicht der Realität „des sich immer rascher wandelnden sozialen Lebens Jugendlicher und der Lebensphase Jugend, die heterogen und kontingent ist
(Schulze-Krüdener, in: Schulze-Krüdener 2008, 8, 9). Differenzaspekte von Jugend sind unter anderem der Blick auf die geschlechtsspezifische Jugend, Jugend in unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen, Jugendliche mit/ohne Migrationshintergrund, Jugend der Unter-/Mittel-/Oberschicht oder auch die Familienjugend und die Jugend in sozialpädagogischen Institutionen (Göppel, in: Schulze-Krüdener 2008, 45).
Weiterhin bestehen unterschiedliche wissenschaftliche Deutungsperspektiven und methodische Zugangsweisen, die den Kern des „Jugendphänomens herauszuarbeiten versuchen. Beispielhaft können hier die Jugend „als Sturm und Drang
, „Kampf um die Herrschaft zwischen Es und Ich, „Suche nach narzistischer Bestätigung
, „gesellschaftliches Konstrukt oder die Jugend als „Verdichtung von Entwicklungsaufgaben
genannt werden (vgl. Göppel, in: Schulze-Krüdener 2008, 48).
Hierzu kann angemerkt werden, dass die Konzentration auf nur ein Paradigma, Differenzaspekt beziehungsweise auf eine Deutungsperspektive das Risiko einer verkürzten ideologischen Betrachtung birgt (vgl. Fend 2005, 8).
Die Jugendphase ist keine Spielwiese, sie bedeutet ein Aufwachsen mit zahlreichen Anforderungen und Erwartungen der Gesellschaft, die es zu bewältigen gilt. Misslingende Bewältigungsversuche werden „bestraft", indem die Jugendlichen an die Ränder der Gesellschaft gedrängt werden (vgl. Münchmeier, in: Schulze-Krüdener 2008, 1).
Die Jugendlichen heute gehören einer Generation an, die in den Begriffen der Postmoderne lebt und einem deutlichen Modernisierungs- und Individualisierungsprozess unterworfen ist. Das herkömmliche Jugendmodell hat sich „pluralisiert, vielfach zeitlich verschoben und es gibt keinen einheitlich strukturierten Lebensabschnitt im Sinne einer weiblichen oder männlichen Normalbiographie" (Schulze-Krüdener, in: Schulze-Krüdener 2008, 3).
So sind Heranwachsende gesellschaftlicher Unübersichtlichkeit, Enttraditionalisierung und Widersprüchlichkeit konfrontiert, die fehlende soziale Sicherheiten und somit Folgen für die Identitätsarbeit nach sich ziehen (vgl. ebd. 3). Identitätsentwicklung in diesem Sinne schlägt in eine zeitlich befristete Identifikation um (vgl. ebd. 3).
Fraglich ist in diesem Zusammenhang, inwieweit Identität, die Fähigkeit zu Bindung und Beziehung, angesichts unserer Multioptionsgesellschaft - in der ein funktionales Menschenbild dominiert - überhaupt noch von Relevanz sind. So wachsen Jugendliche
in eine individualisierte Welt hinein, in der biographisch improvisiert werden muss (und kann) wie nie zuvor. Sie sind die „Kinder der Freiheit", eine selbstbestimmte Politik der Lebensführung ist damit unabdingbar. Die Pluralisierung von Lebensformen und Milieus führt zu einer schier unendlichen Fülle von Alternativen (vgl. Keupp, in: Finger-Trescher / Krebs 2003, 22ff.).
Wie die benötigten Qualifikationen und Kompetenzen erworben werden, wird dem Einzelnen überlassen. Sollte er daran scheitern, so ist er dafür auch selbst verantwortlich (vgl. Schulze-Krüdener 2008, 3).
In dieser Grunderfahrung wird die Ambivalenz der aktuellen Lebensverhältnisse spürbar und die „Chance und „Freiheit
, sich selbstbewusst zu inszenieren, als wichtige Bedingung der Gesunderhaltung wird - ohne den Zugang zu den erforderlichen materiellen, sozialen und psychischen Ressourcen - schnell zu einer bedrohlichen Aufgabe, der sich viele Jugendliche zu entziehen versuchen (vgl. Keupp, in: Finger-Trescher / Krebs 2003, 22ff.).
Jugend zu Beginn des 21.Jahrhundert ist von Arbeitslosigkeit, Ausbildungsplatznot, Konkurrenzdruck und somit von vielen sozialen Problemen massiv betroffen. So hat es die 12. Shell-Studie (1997) mit dem Satz ‘Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht‘
auf den Punkt gebracht (Schulze-Krüdener, in: Schulze-Krüdener 2008, 35).
Auch ist die Tendenz zu verzeichnen, dass sich der Blick auf die Jugend immer stärker auf die Risiko- und Gefährdungszonen der Jugend fokussiert.
Werden Kinder eher als Opfer ihres sozialen und gesellschaftlichen Umfeldes gesehen, so können sie mit steigendem Alter mit einer Verurteilung ihres Verhaltens von Seiten der Gesellschaft rechnen, indem sie von dieser zu Tätern gemacht werden (vgl. ebd. 36).
2.1.1. Entwicklungsaufgaben des Jugendalters
Die psychische Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen erscheint nach Schleiffer (2001, 65) als „normal" und gesund, wenn es ihnen gelingt, anstehende Entwicklungsziele zu erreichen.
Das allgemeine Konzept, mit dem das Aufeinandertreffen von innerer Entwicklung und äußeren Anforderungen bezeichnet wird, ist das der altersspezifischen Entwicklungsaufgaben, welches erstmals von Havighurst (1972) formuliert wurde. Dieses Konzept stellte kein neues Entwicklungsmodell, sondern eine Akzentuierung bereits vorhandener Entwicklungsmodelle dar.
Entwicklung lässt sich hiernach als Abfolge von Entwicklungsaufgaben verstehen, die sich sowohl „aus den biologischen Veränderungen und den kognitiven Entwicklungsfortschritten, vor allem aus den Anforderungen und Erwartungen seitens der Kultur und Gesellschaft ergeben". Die Entwicklungspsychologin Heide Keller spricht in diesem Zusammenhang auch von psychobiologischen Anpassungsprozessen (vgl. Schleiffer 2001, 65/66).
Für die Adoleszenz sind nach Fend (2005, 221/ 222) in Anlehnung an das Konzept der Entwicklungsaufgaben nach Havighurst vor allem die folgenden Aufgaben charakteristisch:
die Verarbeitung der biologischen Entwicklung/den Körper bewohnen lernen
/Umgang mit Sexualität
die Reorganisation der sozialen Beziehungen zu Eltern, Gleichaltrigen, Liebespartnern sowie der Aufbau neuer Beziehungsformen.
Man spricht im Jugendalter von einer Transformation der Beziehungen. Zwar erscheint in dieser Phase das Andere und Fremdartige besonders reizvoll, gleichzeitig bleibt jedoch ein Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit bestehen (vgl. Hartmann 2010, 30).
So geht es auch in dieser Entwicklungsphase darum, die wichtige Balance zwischen Exploration und Bindung zu bewahren. Diese Balance aufrechtzuerhalten scheint ein besonderes Problem des Jugendalters zu sein, da die Autonomiebedürfnisse eher über Aktivitäten des Explorationssystems als über solche des Bindungssystems zu erreichen sind (vgl. Schleiffer 2001, 60/61).
Kein Zweifel besteht daran, dass Autonomie am ehesten von Jugendlichen erreicht wird, die eine sichere Bindung zu den relevanten Bezugspersonen aufweisen können. Es ist davon auszugehen, dass das Bindungssystem in dieser Zeit chronisch aktiviert ist, da die Jugendlichen ausprobieren und lernen, inwieweit sie dazu fähig sind, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten (vgl. Schleiffer 2001, 62).
Gemäß den Phasen der psychosozialen Entwicklung