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Gelassenheit und Lebensfreude: Was wir vom Barock lernen können
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Gelassenheit und Lebensfreude: Was wir vom Barock lernen können
Ebook224 pages4 hours

Gelassenheit und Lebensfreude: Was wir vom Barock lernen können

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Peter Herrsche führt uns in eine außergewöhnliche Epoche ein und zeigt, was wir heute vom Barock, seiner Kultur und seiner Lebenshaltung für Gegenwart und Zukunft lernen können. Hersche beschreibt anschaulich einen Wirtschafts- und Lebensstil, der sich in vielerlei Hinsicht als Alternative zu der häufig beklagten und empfundenen heutigen Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche erweist.
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Herder
Release dateMar 10, 2011
ISBN9783451336614
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    Gelassenheit und Lebensfreude - Peter Hersche

    The Cover Image

    Peter Hersche

    Gelassenheit und Lebensfreude

    Was wir vom Barock lernen können

    © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

    Alle Rechte vorbehalten

    www.herder.de

    Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

    ISBN (E-Book) 978-3-451-33661-4

    ISBN (Buch) 978-3-451-30661-4

    Dieses Buch ist vielen mir persönlich unbekannten Personen gewidmet, nämlich einerseits all jenen Kunsthistorikern, Denkmalpflegern, Museumskuratoren, Restauratoren, welche sich unter oft wenig günstigen Umständen um die Erhaltung des Restbestands unserer schon ziemlich dezimierten barocken Kunstlandschaft bemühen, andererseits allen Musikwissenschaftlern, Notenverlegern, Instrumentenherstellern und praktisch ausübenden Musikern, welche mir – abgeschirmt von der totalitären Beschallung unseres Alltagsraums – ungezählte genussvolle Stunden mit barocker Musik verschafft haben.

    Vielleicht fällt umgekehrt dem einen oder anderen dieses Buch in die Hände.

    1. Barock:

    Eine Epoche verschwindet

    Kriege haben nicht nur materielle, sondern auch geistige Folgen jenseits der eigentlich politischen Fragen. Das Barockzeitalter hatte jeweils Konjunktur nach den beiden Weltkriegen, auch wenn von den Kunsthistorikern der besondere Stil des Barock schon im ausgehenden 19. Jahrhundert wiederentdeckt und nach mehr als einem Jahrhundert der Verkennung, ja Verachtung positiv gewürdigt wurde. Heinrich Wölfflin grenzte nach vielen Vorarbeiten in seinen „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen (1921) den Barock in allgemeinen Kategorien endgültig von der Renaissance ab. Oswald Redlich wandte den Begriff auf das Politische an, indem er in einem gleichzeitig erschienenen Buch Österreich unter Kaiser Leopold I. als „Weltmacht des Barock vorstellte. Im selben Jahr stellte Werner Weisbach seine viel diskutierte und lange nachwirkende These auf, der Barock sei die Kunst der Gegenreformation gewesen. Im Umfeld dieser Forschungen, aber ebenso in dem der zeitgenössischen Kunst, nämlich des Expressionismus, dem man wohl nicht zu Unrecht eine Verwandtschaft zum Barock unterstellt, stehen dann die Bemühungen Wilhelm Hausensteins, den „Geist des Barock" – so der Titel seines erstmals 1920 erschienenen Werkes –, begrifflich zu fassen und eine umfassende Deutung als Epoche zu geben. Das Buch weist sich schon durch seinen sinnen- und rauschhaften, eben geradezu barock/expressionistischen Stil als Zeitdokument aus. Es enthält eine Fülle von Geistesblitzen und anregenden Gedanken und skizziert zwischen den Zeilen ein frühes Forschungsprogramm. Mit diesen Werken avancierte der Barock vom Stil- zum Epochenbegriff, vom bloß kunstgeschichtlichen zum kulturgeschichtlichen Terminus.

    Basierend auf diesen vornehmlich von der Kunstgeschichte ausgehenden Darstellungen wurde der Barockbegriff dann auf alle möglichen Ebenen der Kulturgeschichte (Literatur, Musik usw.) ausgeweitet, zeitlich gedehnt (der „Barock" der Spätantike und Spätgotik) und der Stil vor allem mit einer Fülle von definierenden Begriffen in seiner Eigenheit zu fassen gesucht: Unendlichkeit, Entgrenzung, Verwischung der Realität, Illusionismus, Durchdringung, Naturalismus, Komplexität, Regelverletzung, Asymmetrie, Exzess, Expressivität, Pathos, Heroismus, Sinnlichkeit, Erotismus, Pantheismus, Irrationalität, Polarität, Antithetik, Paradoxie usw. Diese Versuche, den Barock begrifflich zu fassen, sind wohl erstens als geistiger Reflex auf die durch den Krieg eingetretene Verunsicherung und den Zusammenbruch einer scheinbar so wohlgeordneten Welt zu begreifen. Zweitens erschien der Barock attraktiv als eine Zeit der relativen Ruhe zwischen den bewegten Jahrzehnten der Reformation und der Konfessionskriege einerseits, der Aufklärung und Revolution andererseits. Beförderte dies nach dem Krieg die Annäherung an die Epoche? Ahnte man vielleicht sogar, dass der Barock auch als Versuch der Krisenbewältigung interpretiert werden konnte?

    Das Wunschbild einer heilen Welt schien jedenfalls für Theodor W. Adorno in seinen kritischen Ausführungen zum „missbrauchten Barock ein Grund für die Konjunktur des Barock auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu sein. Die Jahre nach 1945 sahen in der Tat noch einmal ein entsprechendes Interesse aufkommen, diesmal mehr auf das Praktische als das Begriffliche gerichtet, neben einer intellektuellen Elite aber nun auch breitere Kreise erfassend. Materiell könnte das Interesse durch die furchtbaren Sachschäden des Krieges gefördert worden sein. In den größeren katholischen Städten, insbesondere den ehemaligen fürstbischöflichen Residenzen, war die sehr stark vom Barock geprägte bauliche Substanz durch die sinnlosen und barbarischen Bombardements noch gegen Ende des Krieges weitgehend zerstört worden. Konnte man die reine Architekturhülle wiederherstellen, so war dies für den reichen plastischen und malerischen Schmuck nur sehr begrenzt möglich – er war verbrannt und zusammengestürzt. Deswegen muten die rekonstruierten Gebäude heute so leer an. Doch gab es in den kleineren Städten und Dörfern auf dem Lande noch genug erhalten gebliebene Denkmäler, die nun neu entdeckt und gewürdigt wurden. Man besuchte sie gerne, wobei bald das Auto als bequemes Reisevehikel eine wichtige Rolle spielte. In diesen Zusammenhang gehört etwa die damals als erste Themenstraße überhaupt geschaffene „Oberschwäbische Barockstraße, die durch eine ausgesprochene Sakrallandschaft führte. Hier konnte die Sehnsucht nach einer vergleichsweise heil gebliebenen Welt befriedigt werden. In musikalischer Hinsicht war das Jahr 1950, die zweihundertste Wiederkehr des Todes von Johann Sebastian Bach, ein Grund, sich erneut diesem damals unbestritten den ersten Rang einnehmenden Meister zuzuwenden und in seinen Werken Trost für die erlittenen Verwundungen zu suchen. In seinem Kielwasser interessierte man sich auch etwa für Händel und Telemann; darüber hinaus begann die Entdeckung anderer vergessener barocker Komponisten. Wie schon in der Zwischenkriegszeit erschienen verschiedene allgemeine Darstellungen des Barockzeitalters, die sich an ein historisch interessiertes Publikum wandten. Neue und bessere Techniken der grafischen Reproduktion, nun auch farbig, trugen weiter dazu bei, den Barock populär zu machen. Doch auch diese zweite Konjunktur des Barock war nicht von Dauer.

    Barock als Epoche: Von der Wissenschaft abgeschrieben

    Es gibt Historiker, die Epochenbegriffe grundsätzlich ablehnen; in den romanischen Ländern ist auch eine ziemlich schematische Gliederung der Geschichte nach Jahrhunderten geläufig. Will man trotzdem nicht darauf verzichten, so trifft man für das Zeitalter, in welchem Kunst-, Literatur- und Musikhistoriker den Barock festmachen, am häufigsten auf den Epochenbegriff „Absolutismus. Er stammt aus der protestantischen, insbesondere borussischen Geschichtsschreibung und lässt sich, abgesehen von der Spätphase des „Aufgeklärten Absolutismus, auch am besten am Beispiel protestantischer Territorien und am „nichtbarocken Frankreich, darstellen. Ob man für das Zeitalter zwischen dem späten 16. und der Mitte des 18. Jahrhunderts „Barock oder „Absolutismus" als übergreifende begriffliche Klammer bevorzugen solle, wurde in Deutschland und Frankreich noch in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts lebhaft debattiert – und letztlich zugunsten des Absolutismus entschieden. Erst einige Jahrzehnte danach wurde auch dieser, im Wesentlichen in der politischen Sphäre beheimatete Begriff grundsätzlich kritisiert. Der Barock aber verschwand schon damals, abgesehen von einer späten (1975) und auf sein Heimatland beschränkten Gesamtdeutung des Spaniers José Antonio Maravall, völlig aus der theoretischen Diskussion und kommt heute auch in historischen Handbüchern und Gesamtdarstellungen gar nicht mehr vor. Allenfalls bleibt ihm ein spärliches und meist wenig aussagekräftig ausgefülltes Plätzchen in einigen Lexika. Dieses Verschwinden hat sicher auch damit zu tun, dass seit den Sechzigerjahren die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu leitenden Paradigmen aufstiegen. Barock schien dazu wenig passfähig, vor allem nicht für die zwar mit neuen Methoden arbeitenden, aber sonst auf den alten protestantisch-borussischen Geleisen weiterfahrenden Historiker.

    Auch andere methodische Neuansätze, etwa die Alltagsgeschichte, Geschlechtergeschichte oder die Historische Anthropologie konnten mit dem Barockbegriff nichts anfangen. Ebenso ließen sich einige neue, zeitweise die wissenschaftliche Diskussion ganz beherrschenden Leitthesen, wie diejenige der Sozialdisziplinierung oder der Konfessionalisierung (Wolfgang Reinhard), nicht mit dem Barock zusammenbringen, sie hatten aber die Wirkung, diesen Begriff in den Abstellraum zu deponieren. Auch der stark vom angelsächsischen, mithin ebenfalls dominant protestantischen Raum bestimmte „cultural turn der Neunzigerjahre holte ihn daraus nicht mehr hervor, denn er knüpfte in der Regel nicht an die ältere Kulturgeschichte an, sondern suchte vor allem in der „Volkskultur seine Aufgaben. Dem Barock ist es auch nie gelungen, dauerhafte Forschungsinstitutionen anzustoßen, wie dies etwa für die Reformation oder die Aufklärung der Fall war und ist. Die gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufgekommene Kritik am lange kanonisch geltenden Absolutismusbegriff führte nur selten dazu, Barock als möglichen Ersatz wieder in Erwägung zu ziehen. Negativ wirkt sich auch die immer größere Spezialisierung aus. Die frühere Forschung hatte zu Recht den Barock als „Gesamtkunstwerk" aufgefasst, was heißt, dass der damit befasste Wissenschaftler in vielen Feldern Bescheid wissen oder aber die Zusammenarbeit suchen muss. Der seit ein oder zwei Jahrzehnten überall bemerkbare Trend, die Geschichtswissenschaft wiederum, wie schon im 19. Jahrhundert, auf die politische Geschichte zu zentrieren, tut ein Übriges, um Barock als obsolete Begriffskategorie einzuordnen. Außerhalb der fachhistorischen Publikationen, im allgemeinen Schrifttum, werden bis zum Überdruss alte Klischeevorstellungen vom Barock weitergetragen.

    Einigermaßen unangefochten von Barock spricht, mit guten Gründen, nur noch die Musikwissenschaft – darauf wird noch einzugehen sein. Die spezielle Kunstgeschichte, von der die Barockforschung einst ausging, umgeht den Begriff heute nicht ungern, diskutiert ihn kaum mehr generell und beschränkt sich praktisch auf eine Geschichte der Künstlernamen und der Objekte. Nur in Bildbänden, die sich an ein allgemeines Publikum wenden, kommt Barock noch im Titel vor. Auch in der Literaturgeschichte hat es der Barock schwer. Vor allem aber wird, wie bei der Geschichte überhaupt, im gymnasialen Unterricht rigoros ein Schwerpunkt im 20., allenfalls noch späten 19. Jahrhundert gesetzt. Wenn selbst Goethe und Schiller zur reinen Pflicht werden – wie soll sich dann der Barock noch behaupten können? Dasselbe lässt sich vom Theater sagen, in dessen Spielplänen die Klassiker nur noch ganz ausgewählt vorkommen; umgekehrt allerdings die Oper, wo Barock „in" ist.

    Eine gewisse Rolle für die Barockforschung spielte früher die Volkskunde; sie behandelte die etwas unglücklich als „Volksfrömmigkeit bezeichnete Religiosität früherer Zeiten vornehmlich am Beispiel des Barock. Auch das ist ein Auslaufmodell. Mit der Hinwendung zur Gegenwart, mit der Verlagerung vom bäuerlichen auf den städtischen Raum und mit den neuen methodischen Ansätzen der Anthropologie, Europäischen Ethnologie und Allgemeinen Kulturwissenschaft verschwand der ganze Teilbereich „Religiöse Volkskunde aus dem Forschungskanon. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren eine ganze Zahl volkskundlicher Lehrstühle kassiert wurde, weist daneben auf ein weiteres ganz allgemeines Problem hin: Die Geisteswissenschaften sind überall in der Defensive, und die historischen noch mehr. Die allgemeine Vernachlässigung der historischen Dimension in vielen Wissenschaften, deutlich zum Beispiel im Recht oder in der Ökonomie (in den Naturwissenschaften und der Medizin ohnehin) wirkt sich da fatal aus.

    Die Verbindung zum Katholizismus

    „Ein höchst katholisches Phänomen" sei der Barock, schrieb Hausenstein schon 1920 und erfasste damit etwas Wesentliches. Ähnlich äußerte sich gleichzeitig der bedeutende Kulturhistoriker Karl Lamprecht. Der kultur- und sozialhistorisch interessierte Germanist Richard Alewyn baute diese Überlegung weiter aus und stellte abschließend fest, dass der Barock konfessionell im protestantischen Raum seine Grenzen finde, also wesentlich ein katholisches Phänomen sei. Diese grundlegende Feststellung lässt sich, ausgehend von der Kunstgeschichte, in vielen Bereichen empirisch absichern. Der Sachverhalt hat eine gewichtige Konsequenz, nämlich dass Barock nicht als Epochenbegriff für ganz Europa brauchbar ist. Für die protestantischen Länder müsste ein anderer gesucht werden.

    Konsequenzen gibt es aber, und das ist hier wichtiger, auch für die Forschungsgeschichte. Spätestens seit Max Webers soziologischen Untersuchungen wissen wir, dass in Deutschland (und der Schweiz) nicht allein die Unternehmer, sondern auch die Universitätsprofessoren zum allergrößten Teil, und weit über ihren proportionalen Anteil an der Gesamtbevölkerung hinaus, Protestanten oder Juden waren. Darin liegt der wesentliche Grund, dass die Erforschung des Barock, im Gegensatz etwa zur Reformation oder Aufklärung, stets nur Sache einer randständigen Minderheit war. Dieses spezifisch katholische Phänomen interessierte im wissenschaftlichen Mainstream nicht, es war fremd und oft schwer verständlich, und vor allem: Der Barock war mit einer Reihe von negativen Stereotypen belastet. Das zeigt sich weniger in der deutschen als in der internationalen Forschung über und in den katholischen Ländern Europas.

    Eine nähere Befassung mit der Kunst- und Kulturgeschichte Frankreichs unter Ludwig XIV. zeigt, dass der Hof von Versailles zwar gewisser barocker Züge nicht entbehrte, dass aber der König und vor allem sein führender Minister Colbert dem mediterranen Barock durchaus ablehnend gegenüberstanden. Der Barock im Vollsinn konnte sich in Frankreich nie richtig entwickeln und durchsetzen. Infolgedessen war der Barock auch nur für ganz vereinzelte französische Forscher ein zentrales Thema. Und ihre am französischen Beispiel gewonnenen Erkenntnisse lassen sich nur beschränkt über das Land hinaus generalisieren. Insbesondere lässt sich die spezifisch französische Frömmigkeit nicht als barock bezeichnen.

    In der italienischen Geschichtsschreibung galt das 17. Jahrhundert, das eigentliche Zeitalter des Barock, bis vor Kurzem als absoluter Tiefpunkt: Es war das „secolo scuro, das dunkle Jahrhundert, das „secolo di decadenza und „di stagnazione". Diese Urteile gehen auf die Aufklärung und das Risorgimento zurück, welche die eigenen Leistungen heller zu machen versuchten, indem sie die vorangehende Epoche möglichst verdunkelten. Sie versperren die adäquate Erkenntnis dieser Zeit bis heute.

    Die spanische Kunst des Barock wurde zwar schon früh gewürdigt, insbesondere von Carl Justi, dem Deuter des Velázquez und seiner Zeit (1888). El Greco war der bewunderte Ahnvater des Expressionismus. Sonst allerdings wurde Spanien (Portugal war fast außerhalb des Gesichtskreises) unter Philipp II. und danach eher in Horrorgemälden gezeichnet. Es war das Land der grausamen Inquisition und der überall marodierenden Soldateska, der Unterdrücker der niederländischen Freiheit und der schonungslosen Ausbeuter der Indianer. Diese vor allem von Friedrich Schiller einem breiten Publikum nahegebrachten Urteile entstammten zwar im Wesentlichen der von der protestantischen Gegenpropaganda im 16. und 17. Jahrhundert erfundenen „leyenda negra", wirkten aber in der Geschichtsschreibung noch bis ins 20. Jahrhundert nach, im populären Verständnis bis heute. Die so gepflegten Antipathien mussten sich zwangsläufig auf die Wertung des Barock überhaupt auswirken. Die spanische Geschichtsschreibung wusste dem kaum Wirksames entgegenzusetzen.

    Im deutschen Raum hatte die konfessionelle Durchmischung negative Auswirkungen für die Deutung des Barock. Seit der Aufklärung und verstärkt noch im 19. Jahrhundert galten dort die katholischen Territorien verglichen mit den protestantischen als die rückständigen Teile des Landes. Schon der aufgeklärte (katholische) Absolutismus suchte hier aufzuholen, was eine regelrechte Kriegserklärung an alles Barocke bedeutete; das gipfelte im österreichischen Josephinismus, in der Säkularisation von 1803, in der liberalen Verfassung der Eidgenossenschaft (1848).

    Im 19. Jahrhundert wurde die Reformation als Durchbruch zum Fortschritt, als eigentlicher Beginn der Moderne gefeiert. Die Gegenreformation, die ja Weisbach in Zusammenhang mit dem Barock gebracht hatte, wurde vor allem als gewaltsamer reaktionärer Vorgang gesehen, vor deren dunkler Folie die Heldengestalten des Protestantismus, insbesondere der (zwar nicht weniger brutale) Schwedenkönig Gustav Adolf, umso heller aufleuchteten. Toleranzidee, Menschenrechte, Demokratie usw. wurden selbstverständlich dem Protestantismus zugeschlagen. Die Gleichung Barock = katholisch = rückständig = nicht erforschenswert war in der intellektuellen Schicht bis nach dem Zweiten Weltkrieg üblich, das schwächte sich dann

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