Orientierungsplan: für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen
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* Ein bewährter Bildungskompass
Im Orientierungsplan wird der Bildungsauftrag konkretisiert. Die sechs Bildungs- und Entwicklungsfelder Körper, Sinne, Sprache, Denken, Gefühl und Mitgefühl, Sinn, Werte und Religion sind eng miteinander verzahnt. In der Bildungs- und Erziehungsmatrix, ein baden-württembergisches Alleinstellungsmerkmal, ist die Konzeption des Orientierungsplans verdichtet dargestellt. Der mehrperspektivische Bildungsansatz und die Stärkung der Kinderperspektive sind Markenzeichen des baden-württembergischen Orientierungsplans.
Der Orientierungsplan versteht sich als Bildungskompass für Erzieherinnen und Erzieher, für Träger, Eltern und Lehrkräfte. Verbindlich in den Zielen gibt er Orientierung und Impulse für die pädagogische Arbeit und Hilfestellungen für einen achtsamen und förderlichen Umgang mit den Kindern.
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Book preview
Orientierungsplan - Verlag Herder
Baden-Württemberg
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport
Orientierungsplan
für Bildung und Erziehung
in baden-württembergischen Kindergärten
und weiteren Kindertageseinrichtungen
Fassung vom 15. März 2011
Impressum
Herausgeber:
images/Logo_KJS.jpgMinisterium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg
Texte, Redaktion und Organisation:
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Christa Engemann (Ministerialrätin, Referatsleiterin „Grundschulen, Kindergärten, Kleinkindbetreuung und Kleinkindbildung"); Norbert Meyer-Elmenhorst (Regierungsschuldirektor); Petra Simmat (Rektorin, Stuttgart)
Titelabbildung und Illustrationen:
Mario Urlaß, Heidelberg
Grafiken:
Petra Evanschitzky, Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen, Ulm (Erfassen und Einschätzen der individuellen Bildungs- und Entwicklungsprozesse, S. 71)
Stephan Ferdinand, Hochschule der Medien, Stuttgart (filmische Umsetzung der Bildungs- und Erziehungsmatrix aus dem Film „Magische Momente – Der Orientierungsplan in der Praxis", S. 108/109)
Fotonachweis:
Dirk Altenkirch, Karlsruhe; Christoph Bauer, Stuttgart; Martin Conz, Stuttgart; Helen Engemann, Paris; Stephan Ferdinand, Stuttgart; Ulrike Fischer, Elzach; Christian Kandzia, Stuttgart; Rainer Kwiotek, Weinstadt; Chiara Pastorini Lacroix, Paris; Leszek Mulas, Stuttgart; Harald Neumann, Freiburg; Michael Rofka, Konstanz; Uwe Stohrer, Freiburg; Robert Thiele, Stuttgart
Bildnachweis:
Buket Aslan, Reutlingen; Simon Dittrich, Stuttgart; Elzbieta Mulas, Stuttgart; Michael Rofka, Konstanz; Tomi Ungerer, Straßburg; Mario Urlaß, Heidelberg
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Uwe Stohrer, Freiburg
Umschlagmotiv:© Professor Mario Urlaß, Heidelberg
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (Buch) 978-3-451-32982-1
ISBN (E-Book) 978-3-451-80285-0
Dank:
Das Kultusministerium dankt
allen, die am Orientierungsplan mitgewirkt, während und nach der Pilotphase Rückmeldungen gegeben haben,
der wissenschaftlichen Begleitung und den Pilotkindergärten.
Für Fotomaterial und Unterstützung bei Fotoaufnahmen:
Behnisch Architekten, Stuttgart
dem Haus der kleinen Forscher, Berlin,
der IHK Südlicher Oberrhein, Susanne Stuckmann, Referentin Schule und Wirtschaft, Netzwerkkoordination Haus der kleinen Forscher
der Stiftung Kinderland
der edition k, Verlag für Kunst und Lebenskultur
dem städtischen Kinderhaus Kunterbunt, Schwäbisch Gmünd,
dem Stadtteil- und Familienzentrum Oststadt, Offenburg,
dem evangelischen Kindergarten Christophstraße, Stuttgart,
dem städtischen Kindergarten Spatzennest, Elzach
dem katholischen Kindergarten St. Martin, Hambrücken,
der städtischen Tageseinrichtung für Kinder, Stuttgart-Weilimdorf
den Kindergartenleitungen, allen Erzieherinnen und Erziehern, Eltern und Kindern für ihre Zustimmung zur Herstellung und Veröffentlichung der Fotos
Worte vorweg
Worte vorwegLiebe Erzieherinnen und Erzieher,
liebe Lehrerinnen und Lehrer,
liebe Eltern,
alle Kinder – unabhängig von ihrer Herkunft und Muttersprache, unabhängig von ihrem Elternhaus und ihrem Umfeld – stecken voller Ideen und sind neugierig auf alles, was um sie herum passiert. Sie brauchen Raum, um ihre Talente zu entfalten, sich selbst und die Welt zu entdecken. Sie haben ein Recht auf lebenslanges Lernen, von Anfang an. Es ist wichtig, dass allen Kindern von Anfang an beste Chancen eröffnet werden. Sie brauchen dabei kompetente Begleitung, Ermunterung und Förderung durch qualifizierte und kompetente pädagogische Fachkräfte, ihrem Alter, ihrer persönlichen Entwicklung und ihren Talenten gemäß. Dies ist der Kerngedanke des Orientierungsplans, der die Kindergärten, Kindertageseinrichtungen, Krippen und die Kindertagespflege als Orte der frühkindlichen Bildung stärkt und sie bei ihren vielfältigen Aufgaben unterstützt.
Eltern vertrauen auf eine qualitätsvolle Bildung, Erziehung und Betreuung ihrer Kinder. Das Kultusministerium hat ein ganzes Maßnahmenbündel dazu auf den Weg gebracht, weil wir davon überzeugt sind, dass jeder Platz ein guter Platz sein muss. Eltern bauen auch auf eine vertrauensvolle Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit ihrer Kita.
Kinder als eigenständige Persönlichkeiten ernst nehmen und sie sensibel und achtsam begleiten und fördern: Das machen sich Erzieherinnen und Erzieher täglich zur Aufgabe. Das ist ihr Verdienst. Damit befördern sie den Bildungsprozess und die Persönlichkeitsentwicklung und legen das Fundament für schulisches Lernen.
Der Orientierungsplan stärkt die Kinderperspektive: Unter diesem Motto haben zahlreiche Experten und Institutionen an der Weiterentwicklung des Orientierungsplans mit hoher Motivation und großem Engagement mitgewirkt: darunter etwa Kindertageseinrichtungen, Träger, gemischte Expertengruppen aus der Fachpraxis und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, Fachberaterinnen und Fachberater, Eltern, Experten mit Migrationshintergrund, Vertreter von Verbänden oder Kooperationsbeauftragte Kindergarten-Grundschule. Zahlreiche Anregungen und Rückmeldungen wurden aufgenommen und beispielsweise die Inhalte für die Altersgruppe der unter Dreijährigen weiter präzisiert.
Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung, Ergebnisse von Expertenrunden, von Klausuren, einem Hearing und sonstigen Rückmeldeformen, die in einer Orientierungsplangruppe bewertet worden sind, 23 Redaktionssitzungen und eine sechswöchige Anhörung: All das ist in die Fassung vom 11. März 2011 eingeflossen, die im Amtsblatt Kultus und Unterricht im Mai 2011 veröffentlicht wurde.
Der breite Partizipationsprozess hat dazu geführt, dass es der Orientierungsplan aller ist. Er ist in den Zielen verbindlich. Die Umsetzung des Plans und die Erreichung der Ziele im pädagogischen Alltag bleiben in der Verantwortung des Trägers.
Ich bin überzeugt, dass der Orientierungsplan auf den sich Kultusministerium, kommunale Landesverbände, Kirchen, kirchliche und sonstige freie Trägerverbände und der Kommunalverband für Jugend und Soziales, Landeselternrat, Landeselternbeirat und der Landesschulbeirat, der Landesbeauftragte für Datenschutz und die Verbände verständigt haben, in seiner neuen Form eine gute und motivierende Grundlage für die tägliche Arbeit bietet.
Ich danke allen Mitwirkenden und den Kitas und Trägern für ihre tägliche Arbeit im Miteinander mit den Kindern und Eltern.
118.tifMarion v. Wartenberg
Staatssekretärin des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
009.JPG„Die Welt lässt sich auch spielerisch und kreativ, unabhängig von verschiedenen Disziplinen verstehen. Gerade hier liegt die Chance zu einem vertieften Verständnis von Zusammenhängen zu gelangen." Michael Rofka, Den Dingen auf den Grund gehen, 2010 (Teichfolie, Wasser, Ölfarbe)
Inhalt
003.aiWorte vorweg
Einführung
Teil A: Die Grundlagen des Orientierungsplans
1Grundlagen und Ziele
Das Kind im Mittelpunkt von Bildung und Erziehung
1.1 Mehrperspektivisches Verständnis von Bildung und Erziehung
1.2 Der Bildungs- und Erziehungsprozess
1.3 Wie Kinder lernen
1.4 Spielen und Lernen
1.5 Motivation und Anstrengung
1.6 Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Gemeinsamkeit
2Pädagogische Herausforderungen
2.1 Haltung und Professionalität
2.2 Räume
2.3 Beobachtung und Dokumentation, Auswertung und Schlussfolgerungen
2.4 Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern
2.5 Kooperation zwischen pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften
2.6 Zusammenarbeit mit Partnern
3Merkmale eines „guten" Kindergartens
Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung
3.1 Pädagogische und strukturelle Qualität
3.2 Qualität im Kindergarten: Was sind die Herausforderungen in der Praxis?
3.3 Qualifizierung der Leitungs- und Fachkräfte
004.jpgTeil B: Der Orientierungsplan als Bildungskompass
1Das Wesen des Orientierungsplans
1.1 Festlegungen und Freiräume
1.2 Die Bildungs- und Erziehungsmatrix
1.3 Weiterführung in der Schule
2Motivationen des Kindes
2.1 Anerkennung und Wohlbefinden erfahren 42955.jpg
2.2 Die Welt entdecken und verstehen 42925.jpg
2.3 Sich ausdrücken und verständigen 42896.jpg
2.4 Mit anderen leben 42867.jpg
3Bildungs- und Entwicklungsfelder
Worauf nimmt der Kindergarten Einfluss?
3.1 Bildungs- und Entwicklungsfeld: Körper
3.2 Bildungs- und Entwicklungsfeld: Sinne
3.3 Bildungs- und Entwicklungsfeld: Sprache
3.4 Bildungs- und Entwicklungsfeld: Denken
3.5 Bildungs- und Entwicklungsfeld: Gefühl und Mitgefühl
3.6 Bildungs- und Entwicklungsfeld: Sinn, Werte und Religion
Anhang
Gemeinsam gestalten – das Titelbild des Orientierungsplans
Grafische Gestaltung des Orientierungsplans
005.aiEinführung
„Do dorosłego czytelnika
Powiadacie: – Nuży nas obcowanie z dziećmi.
Macie słuszność.
Mówicie:
– Bo musimy się zniżać do ich pojęć.
Zniżać, pochylać, naginać, kurczyć.
Mylicie się. Nie to nas męczy.
Ale to – że musimy się wspinać do ich uczuć. Wspinać, wyciągać, na palcach stawać, sięgać.
Żeby nie urazić."
„An den erwachsenen Leser: Ihr sagt: ‚Der Umgang mit Kindern ermüdet uns.’ Ihr habt recht. Ihr sagt: ‚Denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinuntersteigen. Hinuntersteigen, uns herabneigen, kleiner machen.‘ Ihr irrt euch. Nicht das ermüdet uns. Sondern dass wir zu ihren Gefühlen emporklimmen müssen. Emporklimmen, uns ausstrecken, auf die Zehenspitzen stellen, hinlangen, um nicht zu verletzen."
Janusz Korczak (1878–1942), polnischer Arzt, Kinderbuchautor und Pädagoge
Der vorliegende Orientierungsplan lädt ein, die Welt mit den Augen der Kinder zu sehen. Wie ein roter Faden zieht sich diese Perspektive durch die Texte und die Fragen, auf die es im Kindergarten ankommt: Was kann das Kind? Was will das Kind? Was braucht das Kind? Wie erfährt das Kind die Welt? Wie wird es ein Mitglied der Gemeinschaft? Wie entwickelt es sich zu einem unverwechselbaren Menschen, der aktiv am Leben teil hat? Wie wird man in Bildungs- und Erziehungsprozessen der unaufgebbaren Würde des Kindes gerecht? Die UN-Kinderrechtskonvention über die Rechte der Kinder gibt hierzu Orientierung. In ihrer Präambel sind die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen berücksichtigt. Die praktische Umsetzung der Kinderrechte in der frühkindlichen Bildung und Erziehung geschieht, indem sie im Alltag gelebt werden.
116.jpgDer A-Teil widmet sich dem Grundverständnis von Bildung und Erziehung, den sich daraus ableitenden Zielen und den Kooperationsfeldern der Kindertageseinrichtung.
Kinder machen Erfahrungen und diese Erfahrungen hinterlassen Spuren in ihnen. Viele Erfahrungen werden beim Spielen gemacht, weswegen das Spielen für kindliche Bildungsprozesse so wichtig ist. Ein anderes Wort für „Erfahrungen machen ist „lernen
. Die Entwicklung des Kindes ist ein individueller Prozess, und jedes Kind hat einen Anspruch darauf, in seiner Individualität und Einzigartigkeit wahrgenommen und verstanden zu werden. Daraus folgt die Ganzheitlichkeit: Die Entwicklung des Kindes wird aus möglichst vielen Betrachtungswinkeln angeschaut. Nur dann hat man die Chance, nichts Wesentliches zu übersehen. Zudem hilft die Förderung mit möglichst vielen Elementen, all das aufzuspüren, was dem Kind zugutekommt. Dabei ist stets zu sehen, dass Kinder wesentlich auch voneinander lernen und daher der sozialen Interaktion unter Kindern besondere Bedeutung zukommt.
Der A-Teil trifft darüber hinaus Aussagen zur Einbettung der Institution Kindergarten in das Bildungssystem. Hier seien die Stichworte Kooperation, Vernetzung und Qualitätssicherung genannt.
Der B-Teil bietet aufbauend auf dem A-Teil in den sechs eng miteinander verknüpften Bildungs- und Entwicklungsfeldern konkrete Anhaltspunkte für die pädagogische Arbeit. Dabei wird sowohl bei der direkten sinn- und wertorientierten Interaktion mit dem Kind als auch hinsichtlich der Raumgestaltung und der Anregung durch Materialangebote die Kinderperspektive deutlich. Das Kind will sich entfalten und sich die Welt aneignen. Dazu braucht es Unterstützung und Förderung. Die Bildungs- und Entwicklungsfelder sind bewusst nicht an schulische Lernfelder angelehnt. Sie spiegeln die Entwicklung und Bildung des Kindes wider und sind eng mit den Motivationen des Kindes verwoben.
Ausführungen zur Rolle der Eltern und zur Rolle der Kindertageseinrichtung bzw. der pädagogischen Fachkräfte finden sich jeweils unter der besonderen Perspektive in beiden Teilen des Orientierungsplans. Damit wird betont: In der Verantwortung um die Entwicklung der Kinder tragen beide, Eltern und pädagogische Fachkräfte, gemeinsam dafür Sorge, dass alle Kinder optimale Bedingungen für ihre Entwicklung bekommen. Unbeschadet des Erziehungsprimats der Eltern ist eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Eltern und pädagogischen Fachkräften anzustreben.
Weiterentwickelter Orientierungsplan
Der nach der Pilotphase weiterentwickelte Orientierungsplan wurde insbesondere im Kapitel „Festlegungen und Freiräume" angepasst, und es wurden Passagen aufgenommen, die von fachlicher Seite eingebracht wurden:
Weitere Ausführungen zum Bereich „Kinder unter drei Jahren"
Geschlechtersensible Erziehung und Bildung (Stärkung des Gender-Aspekts)
Ergänzungen zur Sprachentwicklung
Ausführungen zum Datenschutz
In der vorliegenden Fassung des Orientierungsplans vom 15. März 2011, bei der u.a. die kommunalen Landesverbände, die Kirchen und sonstigen freien Trägerverbände sowie der Kommunalverband für Jugend und Soziales beteiligt waren, ist unter „Festlegungen und Freiräume" Folgendes ausgeführt:
„Die Zielformulierungen aller Bildungs- und Entwicklungsfelder sowie die übergreifenden Ziele haben für die Einrichtungen und die Träger verbindlichen Charakter. Entsprechend den Prinzipien von Pluralität, Trägerautonomie und Konzeptionsvielfalt steht es in der