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Der kleine Fürst: Das Buch 1
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Der kleine Fürst: Das Buch 1

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About this ebook

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten.

Spannung garantiert!

Himmel und Meer waren blau an diesem Tag, postkartenblau. Das Wasser reflektierte die Sonne, es sah aus, als wäre es mit Millionen kleiner Diamanten übersät. Weit und breit gab es nichts zu sehen außer diesem glitzernden, sich nur ganz wenig bewegendem Wasser mit dem weiten Himmel darüber: keine Inseln, kein Festland, keine anderen Schiffe. Eine leere Welt, gefüllt allein mit magischem Blau.


Wunderschön, dachte Alexander.


Er hätte stundenlang so stehen und aufs Wasser blicken mögen, durch das sich das Schiff majestätisch seinen Weg bahnte. Die Sun­rise war ein Kreuzfahrtschiff, eins von den eher kleinen, intimen. Dafür war es besonders luxuriös, ein sogenanntes Traumschiff der Extra-Klasse, für die, die es sich leisten konnten. Zu denen gehörte er ohne Zweifel, trotzdem war er nicht zu seinem Vergnügen an Bord.


Mit einem leisen Seufzer riss er sich vom Anblick des blauen Wassers los. Es war schwer, sich in einer solchen Umgebung auf die Arbeit zu konzentrieren.


»Na ja«, hatte sein Freund Mark Möhlmann gesagt, »du bist dieser Aufgabe wenigstens gewachsen. Mit deinen geschliffenen Manieren und deinem Grafentitel fällst du in einer solchen Umgebung gar nicht auf, und so soll es ja sein. Stell dir mal vor, ich würde an Bord gehen. Wahrscheinlich fielen die Herrschaften, die sich dort aufhalten, sofort in Ohnmacht und würden sich mit Grausen abwenden.«


Mark hatte breit gegrinst bei diesen Worten und ihm freundschaftlich auf die Schultern geklopft. So locker war ihr Umgang nicht immer gewesen. Zu Beginn, als sie sich gerade erst kennengelernt hatten, waren sie nicht gerade gut miteinander ausgekommen. Für Mark
LanguageDeutsch
PublisherKelter Media
Release dateFeb 9, 2017
ISBN9783740914592
Der kleine Fürst: Das Buch 1

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    Der kleine Fürst - Viola Maybach

    Das Buch 1 – Der kleine Fürst

    Das Buch –1–

    Der kleine Fürst

    Mann ohne Gedächtnis

    Roman von Viola Maybach

    Himmel und Meer waren blau an diesem Tag, postkartenblau. Das Wasser reflektierte die Sonne, es sah aus, als wäre es mit Millionen kleiner Diamanten übersät. Weit und breit gab es nichts zu sehen außer diesem glitzernden, sich nur ganz wenig bewegendem Wasser mit dem weiten Himmel darüber: keine Inseln, kein Festland, keine anderen Schiffe. Eine leere Welt, gefüllt allein mit magischem Blau.

    Wunderschön, dachte Alexander.

    Er hätte stundenlang so stehen und aufs Wasser blicken mögen, durch das sich das Schiff majestätisch seinen Weg bahnte. Die Sun­rise war ein Kreuzfahrtschiff, eins von den eher kleinen, intimen. Dafür war es besonders luxuriös, ein sogenanntes Traumschiff der Extra-Klasse, für die, die es sich leisten konnten. Zu denen gehörte er ohne Zweifel, trotzdem war er nicht zu seinem Vergnügen an Bord.

    Mit einem leisen Seufzer riss er sich vom Anblick des blauen Wassers los. Es war schwer, sich in einer solchen Umgebung auf die Arbeit zu konzentrieren.

    »Na ja«, hatte sein Freund Mark Möhlmann gesagt, »du bist dieser Aufgabe wenigstens gewachsen. Mit deinen geschliffenen Manieren und deinem Grafentitel fällst du in einer solchen Umgebung gar nicht auf, und so soll es ja sein. Stell dir mal vor, ich würde an Bord gehen. Wahrscheinlich fielen die Herrschaften, die sich dort aufhalten, sofort in Ohnmacht und würden sich mit Grausen abwenden.«

    Mark hatte breit gegrinst bei diesen Worten und ihm freundschaftlich auf die Schultern geklopft. So locker war ihr Umgang nicht immer gewesen. Zu Beginn, als sie sich gerade erst kennengelernt hatten, waren sie nicht gerade gut miteinander ausgekommen. Für Mark war Alexander ›der feine Pinkel‹ gewesen, Alexander hatte Mark als roh und unzivilisiert empfunden. Seitdem waren mehr als zwei Jahre vergangen, ein gefährlicher gemeinsamer Einsatz und ein paar lange Nächte mit viel Alkohol und noch mehr Gesprächen hatten aus ihnen Freunde gemacht.

    Was den Einsatz auf diesem Schiff anging, lag Mark, dachte Alexander jetzt, vermutlich noch nicht einmal falsch. Er versuchte, sich den Freund hier vorzustellen, mit seiner großen Klappe, den gelben Nikotinfingern – Mark versuchte seit Jahren vergeblich, sich das Rauchen wieder abzugewöhnen – und den irgendwie nie richtig sitzenden Klamotten. Nur in alten Jeans und verwaschenen T-Shirts sah Mark aus wie Mark, alles andere wirkte an ihm wie Verkleidung. Einsätze in Banken oder Versicherungskonzernen waren daher für ihn blanke Gräuel.

    Dabei sah er gut aus, auf die ihm eigene, etwas verwilderte Art: Er war sehr groß, mit breiten Schultern, denen man das regelmäßige Fitness-Training ansah, hatte blonde Haare, die nach Ansicht seiner Vorgesetzten immer zu lang waren, und war häufig unrasiert. Sein hervorstechendstes Merkmal waren aber wohl die blauen Augen. Stahlblau waren sie, und oft genug schienen sie Menschen in den Kopf sehen zu können. Mark war geradezu genial darin, sich vorzustellen, was jemand dachte. Vor allem bei Verhören war das eine unschlagbare Fähigkeit, die schon manchen Ganoven in ein zitterndes Bündel voller Angst verwandelt hatte.

    »Worüber amüsieren Sie sich denn gerade so, Graf von Dahlen?«, fragte eine Stimme neben ihm.

    »Über einen Freund, an den ich denken musste«, antwortete Alexander der eleganten älteren Dame, die unversehens neben ihm aufgetaucht war.

    Er hatte sich schon öfter mit ihr unterhalten, sie reiste allein und war daher jederzeit für ein Gespräch zu haben. Ihr Name war Elisabeth von Cronstetten. Offenbar reiste sie mit Bergen von Gepäck, denn sie trug jeden Tag etwas anderes. Sie war zierlich, schlank und machte einen äußerst beweglichen Eindruck. Manchmal trafen sie sich morgens in einem der Pools, wo sie beeindruckend schnell ihre Bahnen zog. Sie trug einen Pagenschnitt, ihre Haare waren dunkelblond. Gefärbt natürlich, aber es sah gut aus, natürlich.

    »Er scheint ein lustiger Kerl zu sein, Ihr Freund.«

    »Ja, das ist er wirklich. Er bringt mich oft zum Lachen.«

    Sie holte eine Zigarette aus einem silbernen Etui und schob sie beiläufig in eine Zigarettenspitze. Sie würde also niemals, wie Mark, gelbe Finger bekommen, dabei rauchte sie ziemlich viel, wie er beobachtet hatte. Er gab ihr höflich Feuer, sie inhalierte tief und schloss dabei kurz die Augen.

    Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie alt sie sein mochte. Er schätzte sie auf ungefähr sechzig, obwohl sie selbstverständlich jünger aussah. Wenn sie etwas hatte machen lassen, war es erstklassig gemacht worden, sie sah einfach ein wenig frischer aus als die meisten Frauen ihres Alters, glatter, faltenloser. Falls er sich, was ihr Alter betraf, nicht irrte. Vielleicht war sie ja auch tatsächlich so jung, wie sie aussah, also fünfzig vielleicht.

    Ihre Lippen kräuselten sich, sie hatte ihn beobachtet. »Ich bin fünfundsechzig«, sagte sie.

    Er spürte, wie er errötete, wollte aber nicht zugeben, dass sie ihn ertappt hatte. »Wieso sagen Sie das?«

    »Weil Sie sich gerade gefragt haben, wie alt ich wohl bin. Und ob ich etwas habe machen lassen – und wenn ja, was. Natürlich habe ich etwas machen lassen, aber nicht so viel wie andere. Ich habe gute Gene, obwohl ich manchmal rauche.«

    »Sie rauchen nicht nur manchmal, sondern ziemlich oft.«

    Ihre fein geschwungenen Augenbrauen hoben sich, zwei perfekte Halbbögen in zartem Dunkelblond. »Beobachten Sie mich etwa?«, fragte sie, wieder mit diesem amüsierten Unterton.

    »Natürlich nicht. Es ist mir nur aufgefallen. Immerhin sehen wir uns ziemlich häufig. Und wenn wir uns sehen, rauchen Sie fast immer. Nur am Pool nicht.«

    »Ich verrate Ihnen etwas: Ich rauche auf dem Schiff mehr als sonst. Warum, weiß ich nicht. Irgendwie habe ich hier das Gefühl, dass es nicht so schädlich ist wie zu Hause. Verrückt, oder?«

    »Ja, verrückt. Und falsch. Nur weil man sich hier viel an der frischen Luft aufhält, wird Rauchen leider nicht gesünder.«

    Sie hatten sich wieder dem Wasser zugewandt. »Diese Reise ist ein Traum«, sagte Elisabeth von Cron­stetten. »Ich war ja skeptisch, muss ich sagen, aber jetzt bin ich sehr froh, hier zu sein.«

    »Warum waren Sie skeptisch?«

    Sie lächelte, ihre Augen glitzerten. »Nur alte Leute, das war meine Befürchtung. Und dann sehe ich Sie, mein Lieber. Was glauben Sie, wie erleichtert ich war! Und es sind ja noch ein paar andere junge Leute an Bord, also habe ich mich entspannt und mir gesagt: Genieß es, Lizzy! Und genau das tue ich jetzt.«

    Sie drückte die Zigarette aus, verstaute den Stummel sorgfältig in einer zweiten silbernen Dose und diese zusammen mit der Spitze in ihrer winzigen Handtasche. »Wir sehen uns, mein Lieber«, sagte sie, wobei sie Alexander leicht am Arm berührte.

    Er sah ihr nach, wie sie leichtfüßig davonging. Fünfundsechzig also. Wirklich erstaunlich.

    Er verließ seinen Platz, um einen Rundgang durchs Schiff zu machen, kam jedoch nicht weit. Immer wieder wurde er angesprochen, musste hier stehen bleiben und dort, um ein paar Worte zu wechseln. Tatsächlich waren die meisten Passagiere – achtzig Prozent, schätzte er – vermutlich hier, weil sie Anschluss suchten. Fast alle waren wohlhabende Leute, die schon fast alles gesehen hatten, denen die Frau oder der Mann gestorben oder weggelaufen war und die nun versuchten, ihrem mehr oder weniger leeren Alltag zu entfliehen, den sie mit niemandem mehr teilen konnten. Die wenigsten waren wohl hier, weil sie an den Orten interessiert waren, die das Schiff ansteuerte: Es war eine Reise von Venedig nach Genua, einmal um den italienischen Stiefel herum. Am Vortag hatten sie Bari angelaufen.

    »Setzen Sie sich zu mir und lassen Sie uns eine Partie Schach spielen«, schlug der alte Richter Sven Johannsen vor, ein zierlicher, weißhaariger Mann mit wasserblauen Augen und einer überraschend tiefen Stimme. Vor fünf Jahren, hatte er Alexander erzählt, war er Witwer geworden und seitdem ständig unterwegs, weil er es in dem Haus, das seine Frau so liebevoll für sie beide eingerichtet hatte, nicht mehr aushielt. Verkaufen konnte und wollte er es aber auch nicht. Was also blieb ihm anderes übrig, als zu reisen?

    »Heute nicht, Herr Johannsen, ich bin verabredet«, log Alexander, der genau wusste, wie lange eine Schachpartie mit dem alten Herrn dauerte.

    Der zwinkerte ihm zu. »Mit der schönen Blonden?«, fragte er. »Wie heißt sie noch gleich? Ich kann mir einfach keine Namen mehr merken.«

    »Meinen Sie Frau von Sollndorff?«, fragte Alexander.

    »Victoria!«, rief Sven Johannsen. »Sie heißt Victoria.«

    »Da wissen Sie mehr als ich.« Das war die zweite Lüge. »So gut, dass sie mir ihren Vornamen verraten hat, kenne ich sie noch nicht.«

    Der alte Herr kicherte. »Aber bald. Sie beide wären ein perfektes Paar, da sind wir uns alle einig.«

    »Alle?«, fragte Alexander, unwillkürlich alarmiert. »Soll das heißen, Sie reden über uns?«

    »Aber natürlich tun wir das, was dachten Sie denn? Als Sie neulich mit ihr getanzt haben, war für uns klar, dass Sie sich gesucht und gefunden haben. Wir warten gespannt auf die Fortsetzung. Aber Sie lassen sich ja leider sehr viel Zeit. Oder Sie sind beide schüchtern. Ich meine, die Hälfte der Reise ist schon bald vorüber, Sie müssen sich ein bisschen ranhalten, wenn das noch etwas werden soll.«

    Alexander zwang sich, ruhig zu bleiben. Das Wichtigste bei einem Einsatz wie diesem war es, kein Aufsehen zu erregen, und nun erfuhr er, dass das halbe Schiff über Victoria von Sollndorff und ihn redete? Dabei gab es tatsächlich nichts zu reden, sie hatten getanzt, sich hinterher noch ein bisschen unterhalten, und das war’s auch schon gewesen.

    Sven Johannsen hatte ihn beobachtet. »Keine Panik«, sagte er, nun in verändertem Tonfall. »Was denken Sie denn, womit sich einsame alte Leute auf einem Kreuzfahrtschiff die Zeit vertreiben? Man kann nicht immer lesen, Schach spielen oder am Swimmingpool liegen. Oder Einkaufen, zum Friseur, zur Kosmetikerin gehen. Oder was weiß ich. Es müssen jeden Tag viele Stunden gefüllt werden. Also redet man, am liebsten über andere. Und am allerliebsten über Liebespaare.«

    »Aber wir sind kein Liebespaar, ich kenne Frau von Sollndorff kaum!«

    »Ich weiß«, erklärte Sven Johannsen ganz sachlich. »Aber das spielt keine Rolle. Es wäre einfach schön, Sie wären eins, für uns alle, verstehen Sie? Und deshalb versuchen wir das, wovon wir träumen, herbeizureden. Ist doch nicht so schwer zu verstehen. Sie sind unsere Ersatzliebesgeschichte, denn natürlich träumen die meisten hier an Bord davon, sich selbst noch einmal so richtig zu verlieben, mit allem, was dazugehört, mit diesem ganzen wilden Taumel der Gefühle.«

    »Sie auch?«, fragte Alexander.

    »Nein, ich nicht. Vielleicht bin ich der Einzige, der solche Träume nicht hat«, antwortete der alte Richter nachdenklich. »Ich werde keine große Liebe mehr erleben. Aber anderen dabei zuzusehen, wie sie in den Taumel hineingeraten, wärmt mir noch immer das Herz.«

    »Vielleicht erleben Sie es doch noch einmal«, sagte Alexander, der sich jetzt selbst ein wenig lächerlich vorkam, weil er sich so aufgeregt hatte. Aber natürlich wusste er, warum: Victoria von Sollndorff war leider eine von seinen Verdächtigen und darüber hinaus unglücklicherweise tatsächlich eine Frau, in die er sich hätte verlieben können. Wenn also hier an Bord ausgerechnet über sie und ihn getuschelt wurde, war das schlecht, denn dann war er aufgefallen. Andererseits, wenn die Leute, die sie beobachteten, dachten, sie könnten ein Liebespaar werden, dachte sie selbst das ja vielleicht auch, und das konnte ihm bei seinen Ermittlungen eigentlich nur helfen.

    »Ich erlebe es sicher nicht noch einmal«, stellte der alte Herr Johannsen fest, und Alexander hatte Mühe, sich zu erinnern, worauf sich diese Aussage bezog. »Ira war meine große Liebe, so etwas wiederholt sich nicht.«

    »Sie denken also, es kann nur eine geben?«, fragte Alexander.

    »Für andere vielleicht nicht, das kann ich nicht beurteilen, aber für mich gibt es nur diese eine, und ich bin sehr glücklich darüber, dass ich sie erleben durfte, glauben Sie mir. Mehr verlange ich gar nicht.«

    »Wieso wissen Sie eigentlich so gut, wie das auf Kreuzfahrtschiffen funktioniert? Haben Sie schon viele solcher Reisen gemacht?«

    »Aber ja, dauernd! Ich liebe sie. Man ist ständig woanders, sieht etwas von der Welt.«

    »Wo wollen Sie denn als nächstes hin?«

    Ein strahlendes Lächeln erhellte das Gesicht des alten Mannes. »Ägäis und Schwarzes Meer«, sagte er. »Man glaubt es kaum, aber da war ich tatsächlich noch nie.«

    »Sie sind zu beneiden«, stellte Alexander fest. »Sie haben die Zeit und das Geld für solche Reisen, und Sie sind so fit, dass Sie sie auch genießen können. Besser geht es wirklich nicht.« Er hatte sich zwischenzeitlich doch gesetzt, nun stand er wieder auf. »Ich muss los«, sagte er.

    »Zu ihrer Verabredung.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, dennoch meinte Alexander einen Unterton von Unglauben zu hören. Er ging darüber hinweg.

    »Ja, wir sehen uns später, Herr Johannsen.«

    Es gab noch ein paar andere, die versuchten, den attraktiven jungen Grafen in ein Gespräch zu verwickeln, doch mit dem immer wieder von Neuem vorgetragenen Argument, er sei verabredet, gelang es ihm, wenn auch mit einiger Verzögerung, nach dem Rundgang seine Kabine zu erreichen. Dort ließ er sich aufs Bett fallen, um in aller Ruhe nachzudenken über das, was er bisher erreicht hatte. Viel war es nicht.

    Die Polizei versuchte seit einem knappen Jahr, einer offenbar in Deutschland ansässigen Bande von Dieben und Hochstaplern auf die Spur zu kommen, die international agierte, immer wieder auch auf Kreuzfahrtschiffen wie der Sunrise. Die Frauen und Männer nahmen mit beachtlichem Erfolg reiche ältere Leute aus, nachdem sie sich deren Vertrauen erschlichen hatten. Eine Zeit lang waren die deutschen Ermittlungsbehörden davon ausgegangen, dass es sich um Einzeltäter handelte, aber der Hinweis eines Zeugen hatte die Ermittler dazu gebracht, diese Theorie fallen zu lassen. Jetzt gingen sie davon aus, dass es ein ganzer Ring war, der seine Aktionen aufeinander abstimmte.

    Leider wussten sie über die Identität der Beteiligten bisher so gut wie nichts, nur so viel: Es waren Jüngere und Ältere dabei. Sie wussten nicht einmal, wie viele Leute zu diesem Ring gehörten.

    Alexander hatte eigentlich mit den Ermittlungen nichts zu tun. Er war bei der Münchener Kriminalpolizei gewesen, hatte diese jedoch vor einem halben Jahr verlassen, um sich mit einem eigenen Ermittlungsbüro selbstständig zu machen. Seine Familie wusste davon noch nichts. Er ahnte, wie seine Eltern reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass er eine Lebensstellung mit guten Aufstiegsmöglichkeiten aufgegeben hatte, und so schob er das fällige Gespräch noch immer vor sich her.

    Mark arbeitete weiter bei der Kripo, er war noch immer sein Freund, und da sie schon zu Alexanders Zeiten bei der Polizei mit den Ermittlungen zu diesem angeblichen Ring von Hochstaplern und Dieben zu tun gehabt hatten, sprachen sie auch nach Alexanders Ausscheiden aus dem Staatsdienst immer wieder darüber. Sie fanden beide, dass nur verdeckte Ermittlungen auf den in Frage kommenden Schiffen zu einem Erfolg führen würden, doch Marks Vorgesetzte scheuten die Kosten.

    Eines Tages hatte Mark einen Tipp von einem Informanten bekommen, der sich auf die Sunrise bezog, und seinem Freund davon erzählt. Daraufhin hatte Alexander kurzerhand beschlossen, er werde an Bord des Schiffes eine Kreuzfahrt mitmachen. Mark hatte versucht, ihm das auszureden, aber eher halbherzig.

    Nun war Alexander an Bord, und niemand außer Mark wusste, wo er sich derzeit aufhielt.

    Er schrieb eilig auf, was er bisher beobachtet hatte und betrachtete das Geschriebene dann mit unglücklicher Miene. Er war doch schon recht lange auf dem Schiff, und das war alles, was er bisher gehört und gesehen hatte! Ein jämmerliches Ergebnis, für das er sich schämte. Was würde Mark sagen, wenn er bis zum Ende der Reise nicht mehr zustande brachte?

    Er spürte den Druck, der auf ihm lastete, dabei war er niemandem Rechenschaft schuldig – im Grunde nicht einmal Mark. Er war ja freiwillig hier. Selbst wenn er Erfolg hatte, würden sich andere damit schmücken. Aber er fühlte sich trotzdem unter Druck, weil er natürlich wollte, dass diese Bande gefasst wurde. Leider arbeitete er ohne Druck besser, anders als Mark. Den musste man nur richtig unter Stress setzen, dann lief er sofort zu Höchstform auf. Deshalb waren sie auch ein gutes Team gewesen, sie ergänzten sich. Was der eine nicht konnte, beherrschte der andere und umgekehrt.

    Er ließ noch einmal alle, die er in diesen Tagen verschärft beobachtet hatte, an sich vorüberziehen und landete schließlich bei Victoria von Sollndorff.

    Warum eigentlich nicht, dachte er. Wenn sie schon alle meinen, wir wären das perfekte Paar, dann kann man ihrer Fantasie ja auch ein bisschen Nahrung geben. Ich flirte mit ihr und sehe mal, was dabei herauskommt. Wenn sie eine Hochstaplerin ist, verrät sie sich vielleicht.

    Aber noch während er das dachte, schämte er sich. Er machte sich etwas vor. Er würde an diesem Abend einzig und allein mit der schönen Blondine flirten, weil er es gerne wollte; weil sie ihm gefiel; weil er glaubte, dass er auch ihr gefiel.

    Aber er würde immerhin versuchen herauszufinden, ob er sie von der Liste der Verdächtigen streichen konnte.

    Nach einer Stunde verließ er seine Kabine wieder, in Shorts und T-Shirt und mit einem großen Handtuch unter dem Arm. So machte er sich auf den Weg zum Oberdeck, um vor dem nächsten üppigen Abendessen noch ein paar Runden zu schwimmen.

    Sein Kabinennachbar Olaf Daumann winkte ihm zu, und er tat ihm den Gefallen, sich auf der Liege neben ihm niederzulassen. Olaf Daumann war Steuerberater gewesen, bevor er sich vor zwei Jahren, mit knapp sechzig, zur Ruhe gesetzt hatte. »Genug Geld verdient«, hatte er Alexander in der für ihn typischen Art zu reden gesagt, »Lust auf Leben. Lust auf Reisen.« Breites Grinsen. »Lust auf Frauen.«

    »Nickerchen gemacht?«, fragte er jetzt. Er war recht beleibt, aber trotzdem noch gut in Form. Seine Haare waren braun getönt, und offenbar suchte er regelmäßig ein Solarium auf – oder er war ständig in warmen Ländern unterwegs. Jedenfalls war er am ganzen Körper einheitlich braun.

    »Nein, nein, ich habe mich einfach verquatscht«, erklärte Alexander. »Sie wissen ja, wie das ist, man trifft hier ständig jemanden, bleibt stehen, redet, geht weiter, trifft den nächsten – und ganz schnell sind zwei Stunden vergangen. Und Sie?«

    »Fauler Tag heute«, antwortete Olaf Daumann. »Keine Energie, Erholung setzt ein.«

    Jetzt erst bemerkte Alexander, dass Elisabeth von Cronstetten genau auf der anderen Seite des Schwimmbeckens lag, sie winkte ihm zu, während sie aufstand.

    Er winkte zurück. Im nächsten Moment verschwand sie mit einem perfekten Kopfsprung im Becken und tauchte erst auf seiner Seite wieder auf.

    »Grandios, gnädige Frau!«, sagte Olaf Daumann bewundernd.

    Alexander fragte sich unwillkürlich, ob er wohl schon jemals zuvor eine Frau so angesprochen oder ob er sich das erst hier an Bord angewöhnt hatte, weil er glaubte, dass es dazu gehörte. An einem Abend mit deutlich zu viel Whisky hatte er Alexander nämlich verraten, dass er ›aus ganz kleinen Verhältnissen‹ stammte, aus denen er sich aus eigener Kraft emporgearbeitet habe. Der Stolz in seiner Stimme war unverkennbar gewesen.

    »Kommen Sie rein!«, sagte Elisabeth von Cronstetten, an beide Männer gewandt. »Das Wasser ist herrlich und das Becken, wie Sie sehen, fast leer, wie üblich.«

    Alexander erhob sich sofort, schließlich war er zum Schwimmen hergekommen, doch Olaf Daumann zögerte. »Heute nicht. Fauler Tag.«

    Auch Alexander sprang mit einem Kopfsprung ins Wasser, und dann lieferte er sich einen kleinen Wettkampf mit Elisabeth von Cronstetten, den er gewann, allerdings äußerst knapp.

    »Sie sind verdammt schnell«, keuchte er.

    »Sie nicht«, antwortete sie lachend. »Dafür, dass Sie ein Mann sind und nicht einmal halb so alt wie ich, hätten Sie mich locker schlagen müssen.«

    »Ich bekenne mich schuldig!«

    Danach ließ er es ruhiger angehen, er überließ sich seinem eigenen Rhythmus, schwamm schnell, aber nicht zu schnell, und vergaß alles andere. Als er beschloss aufzuhören, stellte er fest, dass er mittlerweile allein im Becken war. Elisabeth von Cronstetten war nirgends mehr zu sehen, Olaf Daumann raffte gerade seine Sachen zusammen, winkte ihm zu und entschwand. Auch die meisten anderen Liegen waren mittlerweile leer. Er wusste, was das bedeutete: Zeit, sich fürs Abendessen umzuziehen, das einen der Höhepunkte des Tages bildete, besonders, wenn darauf noch eine Tanzveranstaltung folgte, wie heute.

    Er stemmte sich aus dem Becken hoch, trocknete sich flüchtig ab, zog T-Shirts und Shorts an und machte sich auf den Weg zu seiner Kabine. Mal sehen, was der Abend brachte. Außer dem Flirt mit Victoria von Sollndorff, den er den alten Herrschaften zu bieten gedachte, die sie offenbar seit Tagen beobachteten, war er fest entschlossen, zu weiteren Erkenntnissen über die Hochstapler zu gelangen

    *

    »Es ist sehr freundlich von Ihnen, Frau von Kant, dass Sie mich eingeladen haben, die Nacht im Schloss zu verbringen«, sagte Nathalie von Zehentheim zu Baronin Sofia von Kant. »Um heute noch zurück nach München zu kommen, hätte ich mich ja noch einmal ein paar Stunden ins Auto setzen müssen – eine grässliche Vorstellung.«

    »Eben, da bleiben Sie doch besser bei uns«, erwiderte die Baronin, »und fahren morgen nach dem Frühstück entspannt nach Hause.«

    »Das tue ich bestimmt. Es ist so schön hier. Das Schloss, der Park, Ihr Garten – einfach alles.«

    Sie schlenderten langsam durch den Privatgarten der Baronin, der hinter der Terrasse auf der Rückseite von Schloss Sternberg lag. Dort hatten die Gärtner nur ausnahmsweise Zutritt, bei schweren Arbeiten, die Sofia allein nicht bewältigen konnte. Sie hatte sich auf seltene Pflanzen spezialisiert, und selbst

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