Beteiligtsein von Menschen mit Demenz: Praxisbeispiele und Impulse
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Zu schwer. Zu ungewohnt. Zu unbekannt. Beteiligtsein, sich einbringen können auch bei Demenz: das hat keine Tradition in unserer Gesellschaft. Klar ist: Nicht alle sind daran interessiert, dass Menschen mit demenziellen Veränderungen überall dort beteiligt sein können, wo sie dies möchten. Dieses Buch wendet sich an alle, die sich gerne auf den Weg machen und neue Pfade beschreiten wollen. Es werden Beispiele gelungener Praxis vorgestellt: Vorgehensweisen, bei denen Betroffene sich auf Augenhöhe mit Profis und Angehörigen auseinandersetzen. Unterstützungsformen, die es ihnen ermöglichen, sich in Wort, Schrift und sogar in Songs zu äußern und einzumischen. Eine Selbsthilfegruppe, die nicht nur sich selbst hilft, sondern den Schritt nach außen wagt. Kognitiv beeinträchtigte Menschen, die Forschung aktiv mitgestalten. Künstler und Menschen mit demenziellen Veränderungen, die voneinander lernen und gemeinsam Projekte entwickeln.
Ergänzt werden die Beispiele durch Anregungen für beteiligungsorientierte Vorgehensweisen in Vereinen, Kulturprojekten, lokalen Planungsprozessen sowie im Rahmen von Workshops und Veranstaltungen.
Ein Praxisbuch im besten Sinne des Wortes.
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Book preview
Beteiligtsein von Menschen mit Demenz - Mabuse-Verlag
AutorInnen
HINFÜHRUNG
Sich nicht entmündigen lassen!
Als Demenzbetroffener seine Selbstständigkeit bewahren
Georg Jungkamp-Streese
Ich lebe mit einer Demenz. Ich bin noch relativ jung (Jahrgang 1955) und habe das Glück, mit einer, wie ich es gerne formuliere, eher eleganten Form der Demenz zu leben. Kaum jemand kennt sie: PCA. Das bedeutet Posteriore Kortikale Atrophie. Auch die wenigsten Mediziner kennen sie, wie ich selbst erfahren musste. PCA bedeutet, dass im hinteren Bereich des Gehirns offensichtlich Zellen verschwinden oder ausgeschaltet sind. Obwohl PCA als eine spezielle Form der so genannten Alzheimerdemenz gilt, unterscheidet sie sich eben wesentlich vom vorherrschenden Demenzbild. Was soll aber an dieser PCA ‚elegant‘ sein?
Was ich alles kann
Wer mich sieht und erlebt, wird vielleicht ein gewisses Verständnis für diese natürlich ironisch gemeinte Bezeichnung entwickeln. Man sieht mir meine Demenz nicht an. Wenn die Situation stimmt, wird man in der Regel ziemlich lange brauchen, um überhaupt den Verdacht zu spüren, bei mir könnte irgendetwas nicht ganz so funktionieren, wie bei den meisten anderen Menschen. Ich bin mobil und kann mich frei bewegen. Ich kann tadellos sprechen und durchaus elegant formulieren. Mein Gegenüber kann mich nach meiner Meinung zur Verkehrssituation an meinem Wohnort befragen oder mit mir über die aktuelle politische Situation diskutieren.
Das alles lässt natürlich die Frage aufkommen, was denn an mir ‚dement‘ sein soll. Deutlich wird, dass PCA sich offensichtlich sehr von dem, was man Alzheimer nennt, unterscheidet. Aber dennoch habe ich es mit kognitiven Beeinträchtigungen zu tun, die tief in mein Leben eingreifen.
Was ich nicht oder nur eingeschränkt kann
An dieser Stelle wird es Zeit, die Dinge zu benennen, die ich aufgrund meiner PCA nicht mehr so gut oder gar nicht mehr kann beziehungsweise die sich verändert haben.
Das betrifft vor allem das Räumliche, so zum Beispiel das räumliche Sehen und die räumliche Vorstellungskraft. Rechnen, auch kleinere Rechenaufgaben lösen, funktioniert nicht mehr. Der Umgang mit zeitlichen Vorstellungen und Terminen ist schwierig. Dazu benötigt man nämlich zeit-räumliches Denken. Wir denken normalerweise ja auf einer Art Zeitstrahl, auf dem wir dann Begriffe wie März oder August einordnen. Mit dem PC kann ich nicht mehr arbeiten, eine räumliche Aufgabe, wie das Finden einer Datei auf dem Rechner, will nicht gelingen. Die Spülmaschine ausräumen und die Dinge an ihren gewohnten Ort stellen, kann ich nur ‚fehlerhaft‘ ausführen. Denn wo ist der gewohnte Ort? Die gleiche Frage stellt sich, wenn ich etwas suche. Der Kaffee steht bei uns zuhause vermutlich dort, wo er immer schon gestanden hat. Aber wo ist das? Dass ich nicht mehr Auto fahren kann, versteht sich von selbst. Da ich aber noch sehr gut zu Fuß und auch zu Rad bin, lässt sich das verschmerzen. Doch sich per Pedes oder auf dem Rad bewegen zu können, stellt ja nicht nur körperliche Anforderungen an die Person, sondern auch kognitive, zum Beispiel raumbezogene. Alleine in unbekannter Umgebung losziehen geht also nicht ohne Weiteres. Einen Buchbeitrag, wie diesen hier, zu schreiben, wäre mir normalerweise auch nicht möglich. Möglich wird er durch Schreibassistenz – wir berichten über diese Form der Unterstützung in den Kapiteln – Vom Schreiben, Rappen, Rocken und Reden und Den richtigen Ton treffen.
Wenn sich also auch meine Form kognitiver Beeinträchtigung von denen anderer so genannter Demenzformen unterscheidet, wird dennoch deutlich, dass sie ebenso wie diese zu erheblichen Veränderungen im Alltag und zu gravierenden Einschränkungen der Selbstständigkeit führen.
Was ich möchte
Niemand sucht sich eine Krankheit oder Behinderung freiwillig aus. Und wenn man dennoch damit leben muss, und wenn es sich um keine Krankheit handelt, die ‚wegbehandelt‘ werden kann, dann wünscht man sich vor allem Eines: weiterhin ein möglichst normales Leben führen zu können. Weiterhin Dinge tun und genießen zu können, die einem Freude bereiten und das ausmachen, was man wohl Lebensqualität nennt. Weiterhin mit Freunden und anderen Menschen, die einem wichtig sind, in Kontakt zu sein. Aktiv zu bleiben und nicht nur herumzusitzen und öde TV-Programme anzuschauen. Und solche Dinge zu tun, denen man persönlich einen Wert zuspricht. Wer will schon Dinge tun, die nur der Beschäftigung dienen, die man selbst aber als nutzlos oder gar als albern empfindet! Kurzum: man möchte möglichst selbstständig und vor allem einbezogen und beteiligt bleiben: in Aktivitäten und Unternehmungen, in Gespräche und Diskussionen, in Entscheidungen – vor allem natürlich, wenn diese einen selbst betreffen.
Das alles wünschen sich die meisten Menschen und das wünsche auch ich mir. Nur: das alles ist gar nicht mehr so einfach hinzubekommen. Denn mit Eintreten des kognitiven Abbaus verändert sich ganz Vieles bei einem selbst und insbesondere auch im Umfeld. Und dann bleibt oft nicht mehr viel von den Aktivitäten, die ich soeben als Wünsche formuliert habe, übrig.
Der Abgang
Das musste auch ich schmerzlich erfahren. Als meine kognitiven Veränderungen immer stärker zur Belastung im Alltag wurden, bin ich ihnen gemeinsam mit meiner Familie natürlich nachgegangen. Medizinisch hat es einige Zeit gedauert und es gab auch einige Fehleinschätzungen und bedurfte damit einiger Stationen, bis mir dann schließlich die PCA-Diagnose zuteil wurde. Bei einem großen Unternehmen im Gesundheitswesen, zu dem ich gerade gewechselt war, bestand ich die Probezeit leider nicht. Sehr wahrscheinlich hatte die nicht-bestandene Probezeit bereits mit einigen Einschränkungen der Krankheit zu tun, die zu diesem Zeitpunkt noch als Depression/Arbeitsüberlastung diagnostiziert worden war. So fiel es mir zum Beispiel schwer, zwei Dienstleistungsangebote zu vergleichen, was ich früher natürlich mit der „linken Hand" gemacht hätte.
Im Idealfall stelle ich mir den Abgang oder Ausstieg nach einer Demenzdiagnose in einem Unternehmen folgendermaßen vor: Nach der Offenlegung der Diagnose und der damit verbundenen Einschränkung folgt eine gemeinsame Suche nach passenden Einsatzmöglichkeiten, angepasst an die verbliebenen Fähigkeiten. In meinem Fall als Personalleiter hätte das wie folgt aussehen können:
Weiterhin Suchen und Einstellen von geeigneten Mitarbeitern, Bearbeiten und Moderieren von Konflikten zwischen Mitarbeitern sowie zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten bzw. Mitarbeitern und Unternehmen, Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, Entwicklung von Nachwuchskräften inkl. Ausbildung. Das alles bei verringerter Arbeitszeit und verstärkter Assistenz bei der Organisation dieser Arbeiten. Aus meiner beruflichen Erfahrung in verschiedenen Unternehmen weiß ich, dass diese Anpassung der Arbeit für erkrankte Mitarbeiter immer schwierig ist und insbesondere von Vorgesetzten nicht gern praktiziert wird. Das Idealbild eines Mitarbeiters ist für den Vorgesetzten der jederzeit einsatzbereite und voll belastbare Mitarbeiter. Da bleibt besonders für Demenzerkrankte wenig Raum.
Alles verändert sich
Das Beispiel des Arbeitsplatzverlustes zeigt, wie sich von einer Minute zur anderen die Rahmenbedingungen zu verschieben und zu verändern beginnen. Wer bis dahin – gemeint ist die Zuweisung einer Diagnose, die von den meisten Menschen als Synonym für Nichtmehrzurechnungsfähigkeit gesehen wird – noch eine bestimmte Person gewesen war, ist nun ein scheinbar hilfloses und nicht mehr ernst zu nehmendes Etwas. Andere übernehmen nun fast immer schleichend oder auch zielstrebig die Regie. Andere, das sind ganz viele Menschen. Familienmitglieder ebenso wie Freunde und dann natürlich auch professionelle Helfer. Helfer sollen helfen, aber Profis wollen in der Regel tun. Und das bedeutet meistens, dass sie auch zu wissen glauben, was zu tun ist. Aber es sind ja nicht nur die beruflichen Helfer. Angehörige, zum Beispiel Ehepartner oder Kinder, führen nichts Böses im Schilde. Auch sie müssen mit der neuen Situation klar kommen. Auch sie und gerade sie möchten natürlich dem betroffenen Familienmitglied helfen. Aber oft tun sie es eben in der Form, dass sie immer mehr die Rolle des Entscheiders übernehmen und den anderen immer weniger beteiligen. Weil das, wie erwähnt, nicht aus bösem Willen, sondern zumeist ganz unbewusst geschieht, bringt es den Betroffenen natürlich in eine schwierige Lage. Man möchte sich nicht sukzessiv ‚entmündigen‘ lassen, aber man möchte dem anderen auch nicht wehtun. Mir selbst ist dieser Gedanke auch nicht fremd: ich sehe ja durchaus, was meine Familie alles an Unterstützung leistet, und deshalb möchte ich natürlich keinen Ärger machen oder das Gefühl von Undankbarkeit hervorrufen. Aber ich möchte auch nicht schleichend entmündigt und in meinen Möglichkeiten unnötig stark behindert werden. Aus Entmündigung kann leicht Entwürdigung und eine immer stärkere Übergriffigkeit entstehen. Natürlich entsteht in einer Beziehung aufgrund der kognitiven Veränderungen des einen Partners ein gewisses Gefälle. Ich kann heute eben manche Dinge nicht mehr, die meine Frau oder meine Töchter aber noch sehr gut können. Sie sind mir darin also überlegen. Aber solch ein Gefälle ist stets nur partiell. Das bedeutet, es betrifft bestimmte Dinge – vielleicht Lesen, sich draußen orientieren oder über längere Zeit Aufmerksamkeit aufrechterhalten können – aber eben nur diese. Und nicht alle! Das meine ich mit partiellem Gefälle. Und ebenso kann es auch Dinge geben, in denen der so genannte Demenzbetroffene mehr oder anderes kann als der andere.
Ich empfinde es so, dass mit Blick auf demenzielle Veränderungen zu sehr geschaut wird, was nicht mehr, und zu wenig, was immer noch geht. Und dass auch zu gefahrenorientiert geschaut wird. Was könnte in dieser und jener Situation passieren… Nun, es kann immer einiges passieren! Oder auch nicht. Jeden Morgen lassen unzählig viele Menschen ihre Kinder getrost mit dem Fahrrad den gefährlichen Weg zur Schule fahren. Was könnte da alles passieren! Aber bis auf wenige Überängstliche verbieten die meisten Eltern ihren Kindern doch deshalb nicht das Radfahren! Doch wenn man kognitive Einschränkungen hat…
Was hilft?
Was immer, vor allem aber in familiären Beziehungen hilft, ist: Reden, die Probleme ansprechen, auch die ambivalenten Gefühle, von denen schon die Rede war. Beide Seiten stehen doch vor einer neuen herausfordernden Situation, beide haben doch nicht gelernt, mit ihr umzugehen, sondern müssen das erst lernen. Ein Türöffner und Ermöglicher ist nach meinem Dafürhalten dabei die Frage ‚Wie geht es dir damit‘? Sie macht ein Angebot, eröffnet eine Gesprächsmöglichkeit. Aber mir geht es nicht etwa darum, in diesem Sinne nur die Angehörigen in die Pflicht zu nehmen. Wir, die so genannten Betroffenen, sind ebenso gefordert und haben ebenfalls die Pflicht, etwas für den Verständigungsprozess zu tun.
Was brauchen wir?
Natürlich brauchen wir den oft zitierten Bewusstseinswandel. Weg vom ‚Geht nicht mehr‘ zum ‚Es geht so viel und alles was geht, soll auch gehen können‘. Menschen mit kognitiven Veränderungen wollen beteiligt sein und sie können es auch. Genau das ist das Thema dieses Buches. In ihm werden praktische Beispiele eines solchen Beteiligtseins vorgestellt. An mehreren davon war bzw. bin ich selbst aktiv Mitwirkender (KuKuK-Workshops, KuKuK-TV, CD-Projekt, Mitwirkung an Veranstaltungen und mehr). Daher weiß ich, dass es geht. Beteiligt waren aber auch andere Personen, die im Vergleich zu mir deutlich eingeschränktere Möglichkeiten in sprachlicher und anderer Hinsicht hatten. Beteiligtsein ist also nichts nur für ‚elegantere‘ Formen von Demenz, sondern für alle!
Beteiligt werden, beteiligt sein, beteiligt bleiben –
Ein Problemaufriss
Peter Wißmann
Es dürfte kaum einen Menschen geben, dem es nicht wichtig wäre, Einfluss auf seine Lebenssituation und auf seine Umwelt nehmen zu können. Die Rolle eines Statisten, eines ohnmächtig der Entscheidungsmacht anderer Ausgelieferten, behagt in der Regel niemandem. Ob ich mich mit und in meinem Leben zufrieden fühle, hängt wesentlich davon ab, ob ich für mich relevante Dinge bestimmen oder doch zumindest beeinflussen kann. Wo und wie ich wohne zum Beispiel. Wie ich mich kleide und anderen Menschen zeige. Ob ich morgens joggen gehe oder lieber länger im Bett liegen bleibe. Was ich esse und was ich lieber nicht auf meinem Teller sehen möchte. All das hat etwas mit Selbstbestimmung zu tun.
Die Schwester der Selbstbestimmung ist die Partizipation. In diesem Buch verwenden wir dafür überwiegend den Begriff des Beteiligtseins. Angesprochen sind damit zwei Bedeutungsebenen: Zum einen geht es darum, dass es jedem Menschen möglich sein soll, an Entscheidungen, die ihn betreffen, aktiv beteiligt zu sein. Also gehört zu werden,