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Der Koloss von Rhodos: Archäologie, Herstellung und Rezeptionsgeschichte eines antiken Weltwunders
Der Koloss von Rhodos: Archäologie, Herstellung und Rezeptionsgeschichte eines antiken Weltwunders
Der Koloss von Rhodos: Archäologie, Herstellung und Rezeptionsgeschichte eines antiken Weltwunders
Ebook498 pages4 hours

Der Koloss von Rhodos: Archäologie, Herstellung und Rezeptionsgeschichte eines antiken Weltwunders

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About this ebook

Die größte Statue der griechischen Antike war mit einer Höhe von 70 Ellen (ca. 30–35 m) der Koloss von Rhodos. Nicht zuletzt deshalb wurde er schon damals zu den Sieben Weltwundern gezählt. Man bewunderte auch seine technisch aufwändige Herstellung aus gegossener Bronze. Reste davon haben sich nicht erhalten. Als Weihgeschenk hat er von 282–227 v. Chr. im Helios-Heiligtum gestanden, zu dessen Lage es bisher nur Vermutungen gab. Neu ist der Vorschlag, es mit dem großen Heiligtum oberhalb der Stadion-Terrasse auf der Akropolis von Rhodos zu identifizieren, bekannt als „Heiligtum des Apollon Pythios“. Dort existiert eine Ruine, die als Rest von Werkstatt und Basis der Statue in Frage kommt. Danach müssen wir uns den Koloss weithin sichtbar über den Dächern der Stadt vorstellen.
LanguageDeutsch
Release dateDec 2, 2016
ISBN9783945751916
Der Koloss von Rhodos: Archäologie, Herstellung und Rezeptionsgeschichte eines antiken Weltwunders

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    Der Koloss von Rhodos - Ursula Vedder

    Ursula Vedder

    DER KOLOSS

    VON RHODOS

    Archäologie, Herstellung und Rezeptionsgeschichte eines antiken Weltwunders

    168 Seiten mit 84 Abbildungen

    Titelabbildung

    oben: © Ursula Vedder

    unten: © Ursula Vedder; © Bayerische Staatsbibliothek München; Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0), User „Jonny8"

    Umschlag hinten

    © Herta Hiemer

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2015 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Mainz am Rhein

    ISBN 978-3-945751-91-6

    Gestaltung: Bild1Druck GmbH, Berlin

    Lektorat: Sarah Kremerskothen, Natalia Thoben, Katharina Weller

    Gestaltung des Titelbildes: Sebastian Ristow

    E-Book

    -Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

    Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.

    Weitere Titel aus unserem Verlagsprogramm finden Sie unter: www.na-verlag.de

    INHALT

    Cover

    Titel

    Impressum

    Abkürzungen

    Einleitung

    Zur Entstehung der Legende vom spreizbeinigen Koloss von Rhodos über der Hafeneinfahrt

    Der Blick hinter die Legende:

    Die historische Überlieferung zum Koloss von Rhodos und die Frage nach dem Standort

    Argumente für die Identifizierung des großen Heiligtums über der Stadion-Terrasse als Helios-Heiligtum von Rhodos

    Bronzeguss in Etagen übereinander oder in großen Stücken?

    Die Rekonstruktion des Verfahrens beim Koloss von Rhodos

    Reste vom Standort des Koloss von Rhodos?

    Das Gelände nordöstlich vom Helios-Tempel. Beschreibung der Reste und Versuch einer Deutung

    Anhänge

    Anhang Rezeption:

    Einige Dokumente zur Rezeption des Koloss von Rhodos aus dem 14. und 15. Jh.

    Rezeption 1 Ein griechisch-byzantinischer Text mit der Feststellung, dass Erinnerung und Reste des Koloss von Rhodos fehlen: Nikephoros Gregoras, Hist. Byz. XXIV 6

    Rezeption 2 Die Weltwunderliste des Juan Fernández de Heredia in aragonesischer Sprache, Rams de flores o Libro de las actoridades, fols. 239v-240r

    Rezeption 3 Die älteste bekannte Aufzeichnung der Legende vom spreizbeinigen Hafenwächter durch Nicolas de Martoni in spätmittelalterlichem Latein

    Rezeption 4 Die Erwähnung des Koloss von Rhodos im lateinischen Kriegsbericht des Guillaume Caoursin, Obsidionis Rhodie urbis descriptio 1480

    Rezeption 5 Die Erwähnung der Legende von Felix Fabri im Bericht über seine Pilgerreise in der lateinischen Ausgabe seines Berichts nach 1483

    Anhang Quellen:

    Text, Übersetzung und Kommentare zu wichtigen antiken Quellen

    Quellen 1 Weihepigramm des Koloss von Rhodos, Anthologia Graeca 6, 171

    Quellen 2 Epigramm mit dem Vergleich des Bronzegusses bei Myron und Chares von Lindos, Poseidippos von Pella, P. Mil. Vogl. AB 68 (XI 6-11)

    Quellen 3 Künstlervers zum Koloss von Rhodos, Anthologia Graeca 16, 82

    Quellen 4 Überlieferungen zum Wagen des Helios in Rhodos

    Quellen 5 Informationen zum Koloss von Rhodos, Plinius, Naturalis historia 34,41

    Quellen 6 Ausgangstext für die Entstehung der Legende vom spreizbeinigen Koloss von Rhodos? Der Vergleich des Verhaltens von Herrschern mit Kolossalstatuen, Plutarch, Moralia 779F-780A (Ad principem ineruditum)

    Quellen 7 Die Arbeit des Chares von Lindos als literarischer Vergleich, Sextus Empiricus, Πρὸς λογικός, 1,107-108

    Quellen 8 Abschnitt zum Koloss von Rhodos im Zusammenhang der Weltwunderliste περὶ τῶν ἑπτὰ θεαμάτων (IV 1–6), signiert mit „Philon von Byzanz"

    Anhang Kolosse:

    Daten und Kommentare zu den antiken und nachantiken Vergleichsbeispielen an Kolossalstatuen

    Kolosse 1 Athena Promachos

    Kolosse 2 Athena Parthenos

    Kolosse 3 Zeus von Olympia

    Kolosse 4 Zeus Olympios von Megara

    Kolosse 5 Pfeilermonument der Rhodier mit Helios-Viergespann in Delphi

    Kolosse 6 Zeus von Tarent

    Kolosse 7 Koloss des Demos der Römer in Rhodos

    Kolosse 8 Kolossale Statue des Merkur, sog. Koloss der Arverner

    Kolosse 9 Kolossale Statue des Sol, sog. Nero-Koloss in Rom

    Kolosse 10 Großer Buddha Vairocana (japanisch Daibutsu) in Nara

    Kolosse 11 Bavaria vor der Ruhmeshalle in München

    Kolosse 12 Freiheitsstatue in New York (Statue de la Liberté éclairant le monde / Liberty Enlightening the World)

    Anhang Befunde:

    Dokumente und Beobachtungen zur Ruine in der Nordost-Ecke des Helios-Heiligtums von Rhodos

    Befunde 1 Plan der Heiligtums-Terrasse von 1973

    Befunde 2 Mauern des Hofs und des Sockelbaus

    Befunde 3 Zisternen in der Nordost-Ecke des Helios-Heiligtums

    Befunde 4 Rampen im Zusammenhang mit dem Sockel

    Befunde 5 Rekonstruktionsplan der Anlagen von Heiligtums- und Stadion-Terrasse zur Einrichtung des archäologischen Parks von 1938, gezeichnet von M. Paolini, Archiv der S.A.I.A. Plan Paolini-Nachlass Nr. 183

    Befunde 6 Detailplan der Grabung von 1938 gezeichnet von M. Paolini, Archiv der S.A.I.A. Plan Paolini-Nachlass Nr. 679, Dokumentenfolge Nordost-Ecke 1

    Befunde 7 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 426, Dokumentenfolge Nordost-Ecke 2

    Befunde 8 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 416 und PF 417, Dokumentenfolge Nordost-Ecke 3

    Befunde 9 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 413, Dokumentenfolge Nordost-Ecke 4

    Befunde 10 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 359, Dokumentenfolge Abhang 1

    Befunde 11 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 405, Dokumentenfolge Abhang 2

    Befunde 12 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 406, Dokumentenfolge Abhang 3

    Befunde 13 Grabungsphotographie 1938, Archiv der S.A.I.A. Paolini-Nachlass Nr. PF 365, Dokumentenfolge Abhang 4

    Befunde 14 Maßtabellen

    Zusammenfassung

    Summary

    Index

    Abbildungsverzeichnis

    Abbildungen

    Abkürzungen

    Bei neugriechischen Autoren werden Namen und Erscheinungsort mit lateinischen Buchstaben in gängiger Umschrift, die Titel aber auf Neugriechisch und nach aktuellem Standard mit Betonungsakzent zitiert. Englische Titel sind nach den Regeln des Archaeological Institute of America geschrieben. Ansonsten kommen die Abkürzungsregeln des Deutschen Archäologischen Instituts zur Anwendung.

    Badoud, Colosses

    N. Badoud, Les colosses de Rhodes, CRAI 2011, 111–152.

    Brodersen, Philon von Byzanz

    K. Brodersen (Hrsg., Übers.), Reiseführer zu den Sieben Weltwundern. Philon von Byzanz und andere antike Texte (Frankfurt 1992).

    Brodersen, Weltwunder

    K. Brodersen, Die Sieben Weltwunder. Legendäre Kunst- und Bauwerke der Antike (München 1996).

    Conrad 1996

    L. I. Conrad, The Arabs and the Colossus, Journal of the Royal Asiatic Society (3. Serie) 6, H. 2, 1996, 165–187 <http://www.jstor.org/​stable/​25183179> (07. 12. 2014).

    Der Neue Overbeck 2014

    K. Hallof – S. Kansteiner – L. Lehmann – B. Seidensticker – K. Stemmer (Hrsg.), Der Neue Overbeck. Die antiken Schriftquellen zu den bildenden Künsten der Griechen (Berlin 2014) 1 Nr. 1–719, 2 Nr. 720–1798, 3 Nr. 1799–2677, 4 Nr. 2678–3582, 5 Nr. 3583–4280.

    Gabriel 1932

    A. Gabriel, La construction, l’attitude et l’emplacement du Colosse de Rhodes, BCH 56, 1932, 331–359.

    Van Gelder 1900

    H. van Gelder, Geschichte der alten Rhodier (Haag 1900)

    5

     

    s

    75v96w auf http://www.archive.org/​details/​geschichtederal01geldgoog> (07. 12. 2014).

    Hebert 1989

    B. Hebert, Schriftquellen zur hellenistischen Kunst. Plastik, Malerei und Kunsthandwerk der Griechen vom vierten bis zum zweiten Jahrhundert, GrazBeitr Suppl. 4 (Graz 1989).

    Hoepfner 2003

    W. Hoepfner, Der Koloss von Rhodos und die Bauten des Helios. Neue Forschungen zu einem der Sieben Weltwunder (Mainz 2003).

    Konstantinopoulos 1973

    G. Konstantinopoulos, Ανασκαφαί εις Ρόδον, Prakt 1973 (1975), 127–136.

    Konstantinopoulos 1986

    G. Konstantinopoulos, Aρχαία Ρóδoς. Eπισκóπηση της ιστoρίας και της τέχνης (Athen 1986).

    La presenza italiana 1996

    M. Livadiotti – G. Rocco (Hrsg.), La presenza italiana nel Dodecaneso: tra il 1912 e il 1948, Ausstellung Rhodos 1993/​94, Rom 1996, Athen 1997 (Catania 1996).

    Lapatin 2001

    K. D. S. Lapatin, Chryselephantine Statuary in the Ancient Mediterranean World (Oxford 2001).

    Maeda 1997

    Y. Maeda – T. Matsuyama – S. Hirakawa – D. Nishi – K. Totsu, Todai-ji daibutsu no kenkyû (Tokio 1997).

    Morelli 1959

    D. Morelli, I culti in Rodi, StClOr 8, 1959, 1–184.

    Moreno 1973

    P. Moreno, Cronologia del colosso di Rodi, ArchCl 2526, 197374, 451463.

    Moreno 1994

    P. Moreno, Scultura ellenistica (Rom 1994) I 127–146; II 776–778.

    Overbeck 1868

    J. Overbeck, Die antiken Schriftquellen zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen (Leipzig 1868).

    König 1989

    R. König (Hrsg., Übers.), C. Plinius Secundus d. Ä. Naturkunde. Buch XXXIV (München 1989).

    Rocco 1996

    G. Rocco, in: M. Livadiotti – G. Rocco (Hrsg.), La presenza italiana nel Dodecaneso: tra il 1912 e il 1948 (Catania 1996) 12–20.

    Rodos 2.400 chronia

    E. Kypraiou – D. Zafeiropoulou (Hrsg.), ΡΟΔΟΣ 2.400 ΧΡΟΝΙΑ (Athen 1999).

    Vedder 2003

    U. Vedder, Der Koloss von Rhodos als Wächter über dem Hafeneingang in: M. Kunze (Hrsg.), Die Sieben Weltwunder der Antike. Wege der Wiedergewinnung aus sechs Jahrhunderten. Ausstellungskatalog Stendal (Mainz 2003) 20–22; 131–149.

    Vedder 2004

    Rezension zu W. Hoepfner, Der Koloss von Rhodos (2003), GFA 7, 2004, 1103–1113.

    Vedder 2006

    U. Vedder, A Latin Grand Master, a Greek Philosopher, and the Colossus of Rhodes, in: A. Brauer – C. Mattusch – A. Donohue (Hrsg.), Common Ground: Archaeology, Art, Science and Humanities. The Proceedings of the 16th International Congress of Classical Archaeology Boston 23. – 26. August 2003 (London 2006) 151–153.

    Vedder, Tekmeria

    U. Vedder, Das kolossale Weihgeschenk aus der Kriegsbeute und das Heiligtum des Helios in Rhodos, in: N. Kreutzer – B. Schweizer (Hrsg.), Tekmeria. Archäologische Zeugnisse in ihrer kulturhistorischen und politischen Dimension. Beiträge für Werner Gauer (Münster 2006) 361–370.

    Vedder, LVI

    U. Vedder, Plinius der Ältere, die Zahl LVI und der Koloss von Rhodos, AA 2010, 39–45.

    Wiemer 2010

    H.-U. Wiemer, Early Hellenistic Rhodes: the Struggle for Independence and the Dream of Hegemony, in: A. Erskine – Ll. Llewellyn-Jones (Hrsg.), Creating a Hellenistic World (Swansea 2010) 123–146.

    Zervoudaki 1975

    E. A. Zervoudaki, Ήλιος και Αλιεία, ADelt 30, 1975, Mel. 1–20.

    Zimmer 1990

    G. Zimmer, Griechische Bronzegusswerkstätten. Zur Technologieentwicklung eines antiken Kunsthandwerkes (Mainz 1990).

    Zimmer – Bairami 2008

    G. Zimmer – K. Bairami, Ροδιακά εργαστήρια χαλκοπλαστικής (Athen 2008).

    Einleitung

    D

    as Bild, das wir gemeinhin mit dem Koloss von Rhodos, einem der Sieben Weltwunder der Antike, verbinden, lässt sich verkürzt so beschreiben: Vor der Kulisse einer Stadt und ihrem Hafen steht die riesige Statue eines nackten Mannes mit gespreizten Beinen auf den beiden Molenenden der Hafeneinfahrt. Ein Schiff mit gesetzten Segeln fährt gerade unter dem Schritt hindurch in den Hafen ein. Dieses Bild ist ebenso phantastisch wie einprägsam. Mit der antiken Realität hat es allerdings nichts zu tun. Die kolossale Statue des Helios von Rhodos ist einerseits ein seit langem verlorenes Monument, das durch die antiken Quellen historisch gut bekannt ist. Möchte man aber andererseits einen konkreten Eindruck von der antiken Statue, ihrem Aufstellungsort und ihrer Werkstatt gewinnen, stellt man schnell fest, dass dies sehr schwierig ist. Brauchbare Erkenntnisse sind – falls überhaupt – nur auf Umwegen zu erlangen.

    Die Abschnitte zum Koloss, die in den zahlreichen Publikationen zu den Sieben Weltwundern der Antike publiziert worden sind, machen diesen Umstand nur selten deutlich. Meistens handelt es sich um Zusammenstellungen von antiken Schriftquellen ohne kritischen Ansatz, die allgemein bekannte Informationen auflisten. Monographische Abhandlungen sind selten, keine von ihnen ist sehr ausführlich oder behandelt mehr als einen Aspekt des Themas. Die vorliegende Abhandlung möchte diese Lücke schließen, indem sie sich in breiterem Rahmen dem Thema widmet und versucht, auch noch Details zu klären, um schließlich zu einem neuen Ergebnis zu kommen.

    Auf dem Weg dahin werden methodisch häufig die Fachgrenzen der Klassischen Archäologie überschritten. Am Anfang steht die Suche nach dem Ursprung des Bildes vom spreizbeinigen Hafenwächter. Sie führt in die Zeit des frühen Humanismus und an die Anfänge der modernen Antikenbetrachtung. Dies ist wichtig, weil das Bild indirekt bis heute neue Erkenntnisse zum Koloss von Rhodos verhindert. Überhaupt fällt es leichter, einen unbefangen Blick auf die antiken Quellen zu werfen, wenn Erkenntnisse und Irrtümer der nachantiken Autoren vor uns bekannt sind.

    Der historische Kontext und die Schriftquellen sind Thema des zweiten Kapitels. Die kritische Durchsicht der Quellen darf sich dabei nicht nur auf die Auswertung des auf den Koloss bezogenen Textinhalts beschränken. Ein Blick einerseits auf den Kontext und andererseits auf die Textüberlieferung kann helfen, den Aussagewert einer Quelle einzuschätzen. Es versteht sich von selbst, dass dabei die Grenzen von Papyrologie, Kodikologie und Byzantinistik gestreift werden müssen.

    Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Identifizierung eines antiken Heiligtums. Sie kann in diesem Fall nur über eine archäologisch-historische Argumentation unter Einbeziehung der epigraphischen Überlieferung gewonnen werden. Hier spielt auch die Beschäftigung der Reisenden des 19. Jhs. mit den antiken Stätten in Rhodos eine Rolle. Denn von ihr geht die aktuelle, einhundertfünfzig Jahre alte, falsche Benennung eines Heiligtumsgeländes aus. Ohne diese Klarstellung wird diese in Zukunft kaum zu überwinden sein.

    Die Rekonstruktion der Herstellungstechnik des Koloss von Rhodos ist dann nicht zuletzt für die Suche nach möglichen Werkstattresten im Gelände wichtig. Im vierten Kapitel wird daher ein archäologisch-technischer Kommentar zum Text des Philon von Byzanz, Die Sieben Weltwunder, erarbeitet, der ein Bronzegussverfahren schildert. Da weder antike Statuen in Übergröße noch eine eindeutige Überlieferung zu den Arbeitsabläufen des Bronzegusses erhalten sind, ist es notwendig sich über die Gesetzmäßigkeiten ihrer Herstellung anhand von erhaltenen, nachantiken Kolossalstauen ein Bild zu machen.

    Schließlich handelt das letzte Kapitel von einer Ruine, die als Rest von Basis und Werkstatt in Frage kommt. Sie ist seit langem ausgegraben, aber nicht publiziert. Im Gelände sichtbare Reste werden beschrieben, verfügbare Grabungsdokumente analysiert und ein Erklärungsmodell entwickelt.

    So erwartet den Leser eine Methodenvielfalt, die von der Betrachtung der Reste eines antiken Baus über Details der Bronzegusstechnik bis zur kritischen Betrachtung von Quellen der Antike und des frühen Humanismus reicht. Sie dient dazu, ein bedeutendes und allgemein sehr bekanntes Monument der Antike der Sphäre des Phantastischen zu entreißen. Die kolossale Statue des Helios von Rhodos soll als das vor uns stehen, was sie einst war, ein bedeutendes historisches Monument, die größte Statue des griechischen Altertums.

    Zwei Hinweise für den Leser: „Koloss von Rhodos" (κολοσσὸς Ἡλίου) ist die von den Rhodiern für die kolossale Helios-Statue selbst eingeführter Bezeichnung. Der Begriff wird daher als feststehend betrachtet und nicht dekliniert. Um die Anmerkungen in den fünf Kapiteln zu entlasten, sind die Informationen zu den wichtigsten Quellen, Vergleichen und Befunden der Ruine jeweils in einem Anhang zusammengefasst: Rezeption, Quellen, Kolosse und Befunde. Hierauf wird im Text mit einem Verweis in Klammern hingewiesen. Die Anmerkungen befinden sich jeweils am Ende eines Kapitels oder Anhangs.

    Die Beschäftigung mit dem Koloss von Rhodos geht auf die Vorbereitung von Vorträgen zum Thema Sieben Weltwunder an der Münchner Volkshochschule 1987 zurück. Da eine umfassende wissenschaftliche Abhandlung zum Thema fehlte, ist daraus eine langjährige Beschäftigung mit den verschiedenen Aspekten des Themas erwachsen, aus der auch einige kleinere Publikationen hervorgingen. Die Arbeiten zur vorliegenden Publikation begannen 2005 und es hat viel zu lange gedauert, bis ihr Ergebnis endlich vorliegt.

    Ohne Gespräche, Hinweise und Hilfen unterschiedlichster Art hätte das facettenreiche Thema nicht bearbeitet werden können. Allen voran sind die Mitarbeiter der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts in München zu nennen, die immer wieder zugehört und Rat erteilt haben. Das sind besonders D. Hennig, R. Haensch, J. Nollé, Ch. Schuler und M. Wörrle. D. Hennig hat das Manuskript in einer ersten Fassung gelesen. Für das vierte und das fünfte Kapitel hat zusätzlich H. Kienast kritischen und konstruktiven Rat erteilt. Dennoch liegen mögliche Fehler und Irrtümer in der Verantwortung der Autorin.

    Allen gilt mein Dank. Namentlich genannt seien noch in Athen D. Grigoropoulos (Deutsches Archäologisches Institut), E. Loupassakis, Ilaria Simiakaki (Scuola Italiana di Atene, S.A.I.A.), in Bamberg G. Raab, in Colmar R. Hueber, in Japan A. Mori, M. Nakano-Mori, H. Nojima, T. Tekabayashi, in Louvain-la-Neuve G. de Callataÿ, in Madrid H. Gimeno Pascual, in München I. Blum, M. Mach, H. Neumann, J.-M. Welter, in Ottawa G. Greatrex, in Rhodos M. Filimonos-Tsopotou, M. Michalaki-Kollia, J. Papchristodoulou, außerdem R. A. Freund, Hartford, der dem Projekt eine Zukunft geben möchte.

    Schließlich sei meinem Mann Hans Joachim Vedder gedankt, der dem Projekt viel Geduld entgegen gebracht und seinen Druck finanziert hat.

    Zur Entstehung der Legende vom spreizbeinigen Koloss von Rhodos über der Hafeneinfahrt

    ¹

    A

    m Ende des 15. Jhs. referierte der Dominikaner Felix Fabri aus Ulm im Bericht über seinen Aufenthalt in Rhodos-Stadt ein bis heute aktuelles Dilemma mit folgenden Worten (Anhang Rezeption 5) ² :

    „Wahrlich, was die Leute von diesem Koloss erzählen, ist sehr sonderbar, so dass ich gestehe, es nicht gelesen, sondern gehört zu haben. Sie sagen nämlich, dass jener Koloss im Meer stand und den rhodischen Hafen betrachtete. Er stand spreizbeinig auf beiden Seiten am Eingang des Hafens, so hoch aufgerichtet, dass die Schiffe, welcher Größe und Höhe auch immer, mitten durch die Schenkel unter seinem Leib hineinfuhren."

    Auch in unserer Zeit prägt die Legende vom spreizbeinigen Koloss über der Hafeneinfahrt von Rhodos noch die gängige Vorstellung von der antiken Statue. Dem belesenen Autor der Renaissance war dabei schon bekannt, dass in der antiken Überlieferung weder Standort noch Aussehen erwähnt werden. Er fügte seine Bemerkung auch in einen Abschnitt ein, in dem er auf der Basis der zu seiner Zeit verfügbaren antiken Quellen Informationen zum Koloss von Rhodos zusammentrug. Seine wichtigste Quelle war Plinius der Ältere, Naturalis historia 34, 41 (Anhang Quellen 5, Abb. 6) ³ , den er teilweise wörtlich wiedergibt. Der Abschnitt wiederum findet sich in der erst 1843–1849 publizierten lateinischen Fassung des ausgearbeiteten Berichts über seine beiden Reisen in das Heilige Land in den Jahren 1480 und 1483 bis 1484, die der Anlass für die Aufenthalte auf Rhodos waren. Fabri hat die Legende also mit eigenen Ohren gehört. Dargestellt wurde sie zu dieser Zeit noch nicht. Alleine Erhard Reuwichs Ansicht von Rhodos (Abb.   2 ) war bekannt. Der Zeichner war Teil der Pilgergruppe auf der zweiten Reise Fabris gewesen und sein Bild fand durch den Bericht eines weiteren Reisegefährten, Bernhard von Breydenbach, seit 1486 große Verbreitung ⁴ .

    Die Erkenntnis des Felix Fabri hat sich allerdings bis heute nicht allgemein durchgesetzt. Vielmehr ist die Legende im Bewusstsein der westlichen Welt so fest verankert, dass sie bis heute in die Forschung hineinwirkt. Deshalb muss am Anfang dieser Abhandlung genauer auf den Inhalt und die Entstehung der Legende eingegangen werden. Die erste Illustration der Legende veröffentlichte 1554 André Thevet mit dem Bild des spreizbeinigen Helios über der Hafeneinfahrt. Diese Figur fügt er für seine Publikation von 1575 leicht verändert in eine Ansicht von Rhodos ein, wo sie auf den beiden Enden des großen Handelshafens zu stehen kommt ⁵ (Abb.   1 ). Dies war der Anfang des Siegeszuges eines Bildtypus durch die Kulturgeschichte, der in der Version des Maarten van Heemskerck ⁶ weit verbreitet und vielfach variiert worden ist. Er lebt bis heute in den Objekten der Tourismusindustrie (Abb.   4 ) in Rhodos fort, wenn auch in der Brechung einer Darstellung des 19. Jhs., gezeichnet von M. P. J. Witdoeck (Abb.   3 ) für die Publikation von Bernard E. A. Rottiers, erschienen 1830 ⁷ . Dabei dürfte die Tafel in dem Exemplar, das heute in der Bibliothek der Historischen und Archäologischen Stiftung der Dodekanes in Rhodos aufbewahrt wird, ganz konkret das Urbild hierfür gewesen sein.

    Die Anfänge der Legende reichen in das 14. Jh. zurück, ihre Entstehung und Verbreitung fallen in die Zeit zwischen 1309 und 1522, als der Ritterorden vom Spital des Heiligen Johannes zu Jerusalem Rhodos beherrschte und die Inselhauptstadt als Ordenssitz eingerichtet hatte. Zum Bollwerk gegen die wachsende türkische Übermacht ausgebaut und verteidigt, bot sie einen sicheren Hafen für die christlichen Pilger aus dem Westen auf ihrem Weg ins Heilige Land. Als die Pilgergruppe um Felix Fabri hier Station machte, war die Legende nachweislich 90 Jahre unter den Kreuzfahrern im Umlauf. Die älteste bekannte Überlieferung vom Koloss von Rhodos als Hafenwächter findet sich in dem Bericht eines Notars aus Italien, Nicolas de Martoni, über seine Pilgerreise mit Aufenthalt in Rhodos im Jahre 1394, die ebenfalls erst im 19. Jh. publiziert wurde (Anhang Rezeption 3) ⁸ :

    „Von der Kirche des Heiligen Nikolaus und einem gewissen Idol. Am Ende der Mole befindet sich eine gewisse Kirche mit Namen des heiligen Nikolaus; und mir wurde ein großes Wunder geschildert und bestätigt, dass es in alter Zeit ein großes Idol gab, so wunderbar geformt, dass es einen Fuß auf das Ende der genannten Mole hielt, wo die Kirche des heiligen Nikolaus ist, und den anderen Fuß auf das Ende der anderen Mole hielt, wo die Mühlen sind; diese Molen sind voneinander 1000 (Schritte) entfernt, über denen er breit und aufrecht stand. Und der Körper des genannten Idols ist von solcher Höhe, dass Schiffe und andere Seefahrzeuge, so groß sie auch gewesen sein mögen, wenn sie in den Hafen einfahren wollten, mit den Masten und Segeln unter den Waden und Schienenbeinen des genannten Idols durchfuhren. Und jeder, der zum Haupt der Statue emporkletterte, sah 100 Meilen weit, so war seine Höhe. Später wurde er niedergerissen."

    De Martoni ist einerseits ausführlicher als Fabri, seine Beschreibung trägt aber andererseits die Züge einer mittelalterlichen ‚Mirabilienbeschreibung‘ ⁹ . Der Autor war denn auch kein mit antiken Quellen vertrauter Gelehrter, zu dessen Wissen der Begriff der Sieben Weltwunder gehörte. Die ungeheuerliche Geschichte vom Idol, dem ‚Götzenbild’, bettete er in eine Beschreibung der Stadt ein, die großen Wert auf die Erwähnung der zahlreichen Kirchen legt. Auch de Martoni notierte, man habe ihm die Geschichte erzählt. Seine Ortsangaben lassen sich mit Hilfe des Holzschnittes von Reuwich (Abb.   2 ) im Vergleich zu einem Stadtplan (Abb.   10 ) verstehen: De Martoni meinte die beiden antiken, bis heute genutzten Molen, von denen eine im Vordergrund der Bildmitte zu erkennen ist. An ihrem Ende liegt eine Befestigung, die mit Turris S(an)c(t)i Nicolai beschriftet ist. Hier stand vor den Befestigungsmaßnahmen des 15. Jhs. die von de Martoni erwähnte St. Nikolauskirche. Die Mole schützt den heutigen Mandraki-Hafen. Die andere Mole ist im Holzschnitt links dargestellt. Auch ihr Ende ist durch einen im 15. Jh. errichteten, befestigten Turm markiert. Charakteristisch für sie ist die dichte Reihe von Mühlen. Im heutigen Stadtbild ist sie weniger leicht auszumachen, da sie stark verbreitert zur Anlegestelle für große Schiffe im Handelshafen ausgebaut wurde. Die genannten Molen sind also keineswegs Teil eines einzigen Hafens. Alleine der Große Hafen war in der Johanniterzeit von allen Seiten befestigt. Das kürzere Ende dieser Hafeneinfassung wird in Wirklichkeit vom Naillac-Turm gebildet, der auf dem Holzschnitt ebenso wiedergegeben ist wie die Kette, die den Hafeneingang damals verschließen konnte. De Martoni hatte also keine realistische Vorstellung von dem, was er in seinem Reisebericht beschrieb. Nach seinen Angaben hätte der Koloss von Rhodos nicht über einer Hafeneinfahrt, sondern auf den Enden der beiden langen Molen gestanden und dabei einen etwa

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    weiten Schritt gemacht, welcher wiederum die überlieferte Höhe von 70 Ellen für die Statue um ein Vielfaches überschritten hätte. Der Informant des Pilgers kannte offenbar keine antike Schriftquelle. Lediglich die Bemerkung „Später wurde er niedergerissen" lässt vermuten, dass ihm die byzantinische Überlieferung vom arabischen Abtransport der Metallreste des Kolosses bekannt war ¹⁰ . Genauso gut könnte de Martoni aber bei dieser Bemerkung auch das mittelalterliche Bild vom Götzenbild, das von seiner Säule gerissen wird, vor Augen gehabt haben.

    Liefert der Bericht des Nicolas de Martoni den terminus ante quem für die Entstehung der Legende, so klingt folgende Bemerkung des byzantinischen Gelehrten Nikephoros Gregoras wie ein terminus post quem (Anhang Rezeption 1) ¹¹ :

    „Dort (in Rhodos) verbrachten wir viele Tage, da der günstigste Wind fehlte, und ich durchstreifte die Insel und besichtigte alles Sehenswerte. Von dem berühmten Kolossos ist kein Andenken geblieben. Nichts lässt auch nur vermuten, dass es ihn je gegeben hat, wen auch immer er dargestellt haben mag. Kein Stückchen Bronze, kein Rest einer steinernen Basis, wenn es sie gegeben hat, nicht der geringste Überrest vom Ganzen ist zurückgeblieben. Die alten Städte sind teilweise durch Erdbeben zerstört worden und untergegangen, darunter die schönste die mit der Insel gleichnamige Stadt Rhodos, wovon die Einheimischen uns die Spuren zeigten"

    Diese Information hat Nikephoros Gregoras nach eigenen Angaben von seinem vermutlich mit Manuel Angelos identischen Gewährsmann erhalten, der 1342, also 52 Jahre vor de Martoni, die Insel besucht hatte. Danach waren im mittleren 14. Jh. unter den einheimischen Griechen zwar antike Reste bekannt, aber nichts, was man mit dem Koloss von Rhodos in Verbindung gebracht hätte. Nicht einmal ein Andenken sei erhalten geblieben. Falls es sich um eine echte Information handelt, dann hat man dem Reisenden die Legende nicht

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