Traurigkeit der Erde: Eine Geschichte von Buffalo Bill Cody
()
About this ebook
Éric Vuillard
Éric Vuillard, 1968 in Lyon geboren, ist Schriftsteller und Regisseur. Für seine Bücher, in denen er große Momente der Geschichte neu erzählt und damit ein eigenes Genre begründete, wurde er u. a. mit dem Prix de l’Inaperçu, dem Franz-Hessel-Preis und dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
Read more from éric Vuillard
Die Tagesordnung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Krieg der Armen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKongo Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBallade vom Abendland Rating: 0 out of 5 stars0 ratings14. Jul Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin ehrenhafter Abgang Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Related to Traurigkeit der Erde
Related ebooks
Schiffbruch eines Propheten: Heidegger heute Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZur Sozialpsychologie des Rassismus und Antisemitismus. Propheten der Feindbilder Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVerkörperungen des Sozialen: Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAbout Shame Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKonvivialismus. Eine Debatte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsbody turn: Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWider die Natur Rating: 4 out of 5 stars4/5Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende: Soziologische Deutungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas große Geschäft: Eine kleine Geschichte der menschlichen Notdurft Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNeue Stimmen der Phänomenologie, Band 1: Die Tradition. Das Selbst. Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchneller als die Sonne: Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft - Nautilus Flugschrift Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas konvivialistische Manifest: Für eine neue Kunst des Zusammenlebens (herausgegeben von Frank Adloff und Claus Leggewie in Zusammenarbeit mit dem Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research Duisburg, übersetzt aus dem Französischen von Eva Moldenhauer) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPolitische Kultur in Zeiten des Neoliberalismus: Eine Hegemonieanalyse Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHerbst des Kapitalismus Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWie postdigital schreiben?: Neue Verfahren der Gegenwartsliteratur Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGeschichte(n) von Macht und Ohnmacht: Narrative von Männlichkeit und Gewalt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIndigene Autonomie in Lateinamerika: Zwischen Selbstbestimmung und staatlicher Kontrolle Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSolidarische Care-Ökonomie: Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRückkehr ins Eigene: Die Dimension des Interkulturellen in der Philosophie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDenken in einer schlechten Welt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIm Namen der Emanzipation: Antimuslimischer Rassismus in Österreich Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Menschenrecht auf Gesundheit: Normative Grundlagen und aktuelle Diskurse Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Geld: Von den vielgepriesenen Leistungen des schnöden Mammons Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit: Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUnerlaubte Kunst: Der öffentliche Raum als künstlerische Arena Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Krise der Sozialdemokratie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEinführung in die Kritische Psychologie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie kulturelle Unterscheidung: Elemente einer Philosophie des Kulturellen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Kapital sind wir: Zur Kritik der digitalen Ökonomie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDIE EUROPA TRILOGIE / THE EUROPE TRILOGY: The Civil Wars, The Dark Ages, Empire (deutsch/englisch) Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Literary Fiction For You
Karl Kraus lernt Dummdeutsch: Oder Neue Worte für eine neue Welt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHeiße Sexgeschichten: Ich liebe Sex: Sex und Erotik ab 18 Jahre Rating: 5 out of 5 stars5/5Reckless 4. Auf silberner Fährte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIntimes Geständnis: Erotik-Geschichten ab 18 unzensiert deutsch Hardcore Sex-Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEine Urlaubsliebe (eBook): und andere Erzählungen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTabu: Sexgeschichten - Heiss und Obszön: Erotik-Geschichten ab 18 unzensiert deutsch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDämmer und Aufruhr: Roman der frühen Jahre Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBabalon: Erzählungen Rating: 4 out of 5 stars4/5Yoga Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHotel Berlin Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsI Love Dick Rating: 4 out of 5 stars4/5Das gute Buch zu jeder Stunde Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWo die Liebe ist, da ist auch Gott: Erzählungen Rating: 4 out of 5 stars4/5Be Dirty! - erotische Sexgeschichten: Erotikroman für Erwachsene ab 18 Jahren | unzensiert | deutsch Rating: 4 out of 5 stars4/5Tauben fliegen auf: Roman Rating: 4 out of 5 stars4/5Der Duft von Schokolade (eBook) Rating: 4 out of 5 stars4/5Die Infantin trägt den Scheitel links: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Schatzberg Band 2: Eintritt in das Reich der Götter Rating: 5 out of 5 stars5/5Der Graf von Monte Christo Rating: 4 out of 5 stars4/5Arturos Insel Rating: 4 out of 5 stars4/5Radetzkymarsch Rating: 4 out of 5 stars4/5Amerika Rating: 4 out of 5 stars4/5Ausweitung der Kampfzone Rating: 3 out of 5 stars3/5Im Sparadies der Friseure: Eine kleine Sprachkritik Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKochen im falschen Jahrhundert: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTschaikowskistraße 40 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Hundegrenze Rating: 5 out of 5 stars5/5Briefe an Milena: Ausgewählte Briefe an Kafkas große Liebe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Tagebuch des Verführers Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSommerfrische Rating: 3 out of 5 stars3/5
Reviews for Traurigkeit der Erde
0 ratings0 reviews
Book preview
Traurigkeit der Erde - Éric Vuillard
Gala
Das Museum des Menschen
Das Spektakel ist der Ursprung der Welt. Dort verharrt das Tragische, reglos, merkwürdig unzeitgemäß. Auf der Weltausstellung 1893 in Chicago, die den vierhundertsten Jahrestag der Reise Kolumbus’ feierte, zeigte ein im Mittelgang postierter Reliquienstand den vertrockneten Leichnam eines indianischen Neugeborenen. Es gab einundzwanzig Millionen Besucher. Sie spazierten über die Holzbalkone des Idaho Buildings, bestaunten die Wunder der Technik, wie jene kolossale Venus von Milo aus Schokolade am Eingang des Landwirtschaftspavillons, und dann leisteten sie sich eine Tüte Würstchen zu zehn cent. Man hatte zahllose Bauten errichtet, und das Ganze ähnelte einer schlechten Sankt-Petersburg-Kopie, deren Gipsbögen und -obelisken aus allen Epochen und Ländern stammten. Die Schwarz-Weiß-Fotos davon vermitteln die Illusion einer außergewöhnlichen Stadt mit statuen- und springbrunnengesäumten Palästen, mit Wasserbecken, zu denen die Steintreppen sanft abfielen.Und doch ist alles falsch.
Der Glanzpunkt der Weltausstellung aber, die Krönung, der größte Zuschauermagnet, waren die Vorstellungen der Wild West Show. Alle wollten sie sehen. Und auch Charles Bristol – der Inhaber des indianischen Reliquienstands, der den Kinderleichnam zur Schau stellte – wollte alles stehen und liegen lassen, um hinzugehen! Dabei kannte er dieses Schauspiel, weil er zu Beginn seiner Karriere manager und Kostümbildner für die Wild West Show gewesen war. Aber das hatte sich geändert, mittlerweile war es ein gigantisches Unternehmen. Pro Tag fanden zwei Vorstellungen statt, bei achtzehntausend Plätzen. Die Pferde galoppierten vor riesigen bemalten Leinwänden. Es handelte sich nicht mehr um die ihm vertraute vage Abfolge von Rodeos und Scharfschützen, sondern um eine regelrechte Inszenierung der Geschichte. Und während die Weltausstellung die industrielle Revolution zelebrierte, verherrlichte Buffalo Bill die Eroberung.
Später, sehr viel später arbeitete Charles Bristol für die Kickapoo Indian Medicine Company, die ungefähr achthundert Indianer und etwa fünfzig Weiße beschäftigte, um ihren Kram zu verkaufen. Ihr Spitzenmedikament war Sagwa, eine Mischung aus Kräutern und Alkohol gegen Rheuma oder Verdauungsbeschwerden. Vor allem die Cowboys hatten anscheinend ganz besonders unter Blähungen und geräuschvollen Störungen der Verdauung zu leiden, da man überall im Land auf der Suche nach einem Heilmittel war. Schließlich gab Charles Bristol den Medikamentenverkauf auf und begab sich mit seiner Kunstsammlung auf ausgedehnte Rundreisen. Zwei Winnebago-Indianer der Medicine Company schlossen sich ihm an. Das Museum machte Station im mittleren Westen, und die kleinen sketchs, in denen die Indianer tanzend die Rolle jedes einzelnen Kunstobjekts veranschaulichten, waren so unterhaltsam wie lehrreich.
Ende 1890, knapp drei Jahre vor Eröffnung der Weltausstellung, hatte sich Charles Bristol mit einem Armleuchter namens Riley Miller zusammengetan. Nachdem Bristol sich mit Riley eingelassen hatte, ist der Legende nicht mehr zu glauben. Bis dato verdankten sich die von Bristol zusammengetragenen Schätze ihm zufolge seinen Bekanntschaften mit Indianern – eine ganze Reihe von kleinen Geschenken. Aber Riley Miller war ein Mörder und ein Dieb. Er skalpierte und entkleidete die toten Indianer, ermordete sie und nahm ihnen dann ihre Mokassins weg, ihre Waffen, ihre Tuniken, alles. Männern, Frauen oder Kindern. Ein Teil der von Bristol auf der Messe in Chicago ausgestellten Reliquien stammte daher. Später sollte das Historische Museum in Nebraska Charles Bristols Sammlungen kaufen; und heutzutage befindet sich womöglich irgendwo im Museumsfundus das vertrocknete Indianerkind der Weltausstellung. Daran sieht man, dass das Schauspiel und die Wissenschaften vom Menschen in denselben Vitrinen ihren Anfang nahmen, mit Toten abgenommenen Kuriosa. In den Regalen der Museen auf der ganzen Welt finden sich bis zum heutigen Tag derartige Beutestücke, Trophäen. Und das, was wir dort als Ausstellungsobjekte von Negern, Indianern oder Asiaten bewundern, sind den Leichen geraubte Gegenstände.
Was ist das Wesen des Spektakels?
Blicken wir kurz auf die Jahre vor der Weltausstellung in Chicago zurück, und untersuchen wir diese fabelhafte Wild West Show etwas genauer. Was bringt täglich vierzigtausend Menschen dazu, sich dieses Schauspiel anzuschauen? Welche Schräglage ihres verfliegenden Lebens lässt sie bis in die große Manege rutschen, in der zwischen Pappkulissen galoppierende Reiter brüllen? Buffalo Bill hatte zehn Jahre vor der Ausstellung sein Spektakel auf die Beine gestellt; das Ganze war durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Nummern langsam gewachsen. Die erste Fassung bestand lediglich aus einer eintönigen Abfolge von Rodeos, aber Buffalo Bill beließ es nicht dabei. Der ehemalige ranger sollte die Kunst der Unterhaltung auf der Bühne revolutionieren, sollte etwas anderes daraus machen. Buffalo Bill zog mit seinem Zirkus von Stadt zu Stadt, feilte an den Nummern, engagierte immer neue Stars; und die Wild West Show verwandelte sich erfolgreich: Es war kein einfacher Zirkus mehr, nicht mehr nur eine Schaustellertruppe, die auf die Bretter stieg, nein, es war etwas völlig Neues. Dabei war all das bei näherer Betrachtung ziemlich unzusammenhängend, eine Abfolge kurzer Szenen; und es gab keine Sensation, keine Monster, keine Schreckgestalten; was aber dann?
Bewegung und Aktion. Die pure Wirklichkeit. Ja, einfach ein paar galoppierende Pferde, nachgestellte Schlachten, Spannung, Typen, die tot umfallen und wieder aufstehen. Es fehlte an nichts. Und das Publikum kam immer zahlreicher, klatschte, lachte, schrie, war gebannt, fasziniert; als sei die Welt in einem Trommelwirbel erschaffen worden.
Doch der entscheidende Funke lag in etwas anderem. Die zentrale Idee der Wild West Show war eine andere. Das Publikum musste durch eine Ahnung von Leid und Tod, die es fortan nicht mehr loswürde, in Staunen versetzt werden. Es musste aus sich herausgeholt werden, wie kleine silberne Fische aus den Keschern. Vor seinen Augen mussten menschliche Gestalten schreiend in einer Blutlache zusammenbrechen. Es mussten Bestürzung her und Schrecken, Hoffnung und so etwas wie eine über das gesamte Leben geworfene Klarheit, äußerste Wahrheit. Ja, die Leute mussten schockiert werden – das Schauspiel muss alles, was wir wissen, erschüttern, es schleudert uns aus uns selbst heraus, nimmt uns alle Gewissheiten und verbrennt uns. Ja, das Spektakel verbrennt, ob es seinen Gegnern passt oder nicht. Das Spektakel beraubt und belügt und berauscht uns, es zeigt uns die Welt in all ihren Facetten. Und bisweilen scheint die Bühne weltlicher zu sein als die Welt, lebendiger