Nun stapft er nicht mehr nächtens durch den Schnee ...: Eine Eifelgeschichte der anderen Art
By Erika Oczipka and Michael Oczipka
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About this ebook
Mit seiner eigenen Sprache, aber auch im Versuch der Anpassung an die Sprache der neuen Umgebung erschafft der Autor eine kleine Chronik für diesen Landstrich, aus der Waerme und Verstaendnis sprechen für Verhalten und Lebensweise der Menschen hier.
Erika Oczipka
Bücher spielen in meinem Leben eine große Rolle. Früh habe ich mit dem Lesen begonnen, nebenher auch eigenes geschrieben. Seit 2008 bin ich mit BoD "verbandelt". Mein Dilemma besteht darin, dass ich immer nur eines kann: entweder schreiben oder meine Bücher unter die Leser bringen. Ich habe eine Reihe von Projekten im Kopf, die ich umsetzen möchte. Und die sind mir wichtig. Der Prozess des Schreibens ist neben Sprachen mein Lebenselixier. Ich glaube, jeder Autor lernt durch das Schreiben sehr viel über sich selbst. Es ist wesentlich für mich, das zu erkennen. So manches Mal muss ich mir eingestehen, dass ich mich autobiografisch in meinen Texten wiederfinde, was unbeabsichtigt war, sich einfach eingeschlichen hat. Ab und zu stoßen auch Freunde und Bekannte mich mit der Nase darauf. Das ist lustig. Mit Social Media bin ich zurückhal-tend, da viel zu viel Zeit dabei verbraucht wird, die ich lieber schreibend verbringe.
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Book preview
Nun stapft er nicht mehr nächtens durch den Schnee ... - Erika Oczipka
Wie ein alter Bauer aus der Vulkaneifel
zwei entwurzelte Städter
beeindruckt
und gegen den nahenden Tod erzählt
Inhaltsverzeichnis
Erste Annäherung
Der Reigen beginnt – Christina und die Wölfe
Das Sandsteinkreuz aus dem 30jährigen Krieg
Kurz in der Stadt – Und dann das Grab im Schnee
Vater und Sohn – Vor der Hochzeit
Racheschwüre
Wie wir uns verändern
Die Fortsetzung folgt unweigerlich – zwei Fremde
In der Jetztzeit – im Wald
Änderung der Methode – Zwei Fremde, zweiter Teil
Wir erobern weiter unsere neue Umgebung
Über die Architektur
Der alte Bauer und sein Sohn, ein Wettstreit
Die Geschichte von Hanni, wie er 90 wird
Der alte Bauer und sein Sohn – im Wettstreit
Hanni stirbt noch lange nicht
Wie es dem Alten sagen, dass wir erst im Frühjahr wieder kommen
Elias und der Keiler, eine Reise in die politische Vergangenheit
Ein schwerer Abschied
Sehnsucht nach der Eifel
Abschied vor dem Abschied
Der Tag ist gekommen
Erste Annäherung
Wir haben es endlich wahr gemacht, wir sind der Stadt entflohen. Unser Leben ist auf den Füßen gelandet nach einem gewaltsamen Absprung von einem bedrohten Podest, ohne dass zu ahnen war und eigentlich ist es immer noch unausdenkbar, wie unser Abenteuer enden wird.
Mein Mann Thomas hat den Auftrag erhalten, für einen renommierten Verlag ein Buch zu schreiben, eine Aufarbeitung all dessen, was alltägliche Architektur ausmacht. Es liegt ihm etwas daran, dass er sich für dieses Projekt zeitweise aus dem Büro zurückzieht, die Leitung der Geschäfte seinem Freund Zehnpfennig überlässt, aber er will unbedingt immer von Donnerstag bis Sonntag in diesem Eifeldorf sein. Ich weiß nicht, wie das für mich werden wird.
Natürlich bin ich nicht unschuldig an seinem Entschluss. Ich hätte nicht mehr lange mit ihm in der Stadt gelebt, unter dem unmenschlichen Druck durch des Büros, durch Lärm und Gestank.
Unser Haus liegt auf einer kleinen Anhöhe, die von der Kirche besetzt ist. Von meinem Fenster sehe ich auf den Rand eines Kraterkegels, bei dessen Anblick mir auch bei bemühter Phantasie nicht der Begriff Vulkan einfällt, der dennoch hier eher als sonst wo in dieser Gegend, die reich ist an vulkanischen Bewegungen, zuzutreffen scheint.
Alles kommt mir so ärmlich vor, die rostigen Dächer, die kaum verputzten Häuser. Schlimmer scheinen noch die Lücken, die der Unverstand in den Ortskern geschlagen hat, aber auch die Bemühungen der Dorfbewohner, neuzeitlichen, quasi städtischen Charakter ihrer Häuser vorzutäuschen durch Alufenster und Verbundpflaster.
Vielleicht ist es noch zu früh, mir ein solches Urteil zu erlauben. Das, was einmal unser Garten werden soll, ist einstweilen ein öder Schuttplatz, über den hinwegzusehen ich mich bemühen muss. Thomas macht sich nicht klar, was es bedeutet, auch nur dieses kleine Stück Land urbar zu machen. Aber er, der noch nie einen Spaten in der Hand gehabt hat, ist guten Mutes, seine Begeisterung für das Landleben furchteinflößend.
Das Dorf hat ungefähr achthundert Einwohner. Auf der Straße grüßen sich alle, nur ein paar Fremde außer uns zieren sich. Neulich sagte ich einer Frau Guten Tag, worauf sie mich hochmütig fragte: „Warum grüßen Sie mich, ich kenne Sie doch gar nicht." Es bedarf sicher einiger Zeit, um diese Dorfbewohner zu verstehen. Das gilt besonders für ihren merkwürdigen Dialekt, eine holprige Aneinanderreihung von Guttural- und Zischlauten.
Ich weiß nicht, ob ich es betonen soll, aber wir sind ganz zufällig hier gelandet, ohne mehr zu wissen über diese Gegend, als dass es sich um die Südeifel handelt und um ein renoviertes Bauernhaus.
Wir wussten weder etwas von der Geschichte dieses Bodens und den ihn bewohnenden Menschen, Tieren, Pflanzen, noch von ihrem gegenwärtigen Zustand. Nicht besser sind wir hierhergekommen als viele Touristen, die irgendwo in der Welt aussteigen, etwas sehen oder auch nicht sehen, von einer ungeheuren Beliebigkeit erfasst, angetrieben, um wie eine uninteressante Flaschenpost wieder ins Meer geworfen, an anderer Stelle auf festen Grund zu stoßen.
Irgendetwas hielt uns aber hier, vielleicht ein Blick, zwei vollkommen gleich gewachsene Straßenbäume in kräftig gefärbtem gelborange aufschießendem Herbstlaub. Ich weiß nicht, was es war, vielleicht die verlassene, ärmliche Öde des Ortes, die freundliche Verschlossenheit der Wirtin im Gasthof, wo wir an jenem Sonntag zu Mittag aßen.
Thomas meinte, sie habe ihn an seine vor kurzem gestorbene Mutter erinnert, mit ihren leicht vorstehenden, wasserhellen Augen, der breiten Sattelnase, den energischen, doch auf seltsame Weise zerstreut wirkenden Bewegungen, mit denen sie uns das Essen auf den Tisch stellte.
Ich habe seine Mutter kaum kennen gelernt, ich kann dergleichen nicht beurteilen. Jedenfalls haben wir auf der Rückfahrt in unsere Großstadt hin und herüberlegt. Beim Aussteigen stellten wir fest, dass wir uns einig waren: wir wollten unser Leben ändern und dieser schien ein angemessener Ort dafür.
Eigentlich ist Thomas, ebenso wie ich, ein Entwurzelter. Wer weiß, wie sich das Wurzelgeflecht, das hier dicht alles fein überzieht, auf uns auswirkt.
Manchmal habe ich Angst davor, von tentakelnden Saugnäpfen festgehalten zu werden, von den Saugnäpfen eines Tieres, das in die Welt der Fabeln verbannt worden ist. Als ich davon träumte, vor ein paar Tagen, hatte es das rote Gesicht dieses alten Bauern, der mit dem Argument, er sei unser Nachbar und wolle uns helfen, uns seit unserem Einzug auflauert.
Gestern kam er das erste Mal in unsere Küche, nahm seine Mütze ab, ein ehemals wohl grünes Stoffding, an dem außer Stroh auch einiger Mist zu hängen schien, war mit einer Bereitwilligkeit meiner Einladung gefolgt, die ihr Gegengewicht darin fand, dass er sich stur weigerte, etwas zu trinken anzunehmen. Die klobigen Hände hielten die Kappe auf seinen Knien, drehten sie hin und her, man sah den Fingern an, dass sie ein Leben lang gegriffen, sich zu Fäusten geballt hatten. Die gelben Nägel eher wie abgebrochene Krallen, der kleinmassige Körper in weiter, wie sich herausstellen sollte, selten ordentlich geschlossener, dunkelgrüner Kordhose, wollenem, an der Brust bei jedem Wetter weit geöffnetem Hemd.
Listig und lebhaft blickten seine Augen, leicht wässrigblau. Wenn er sich ärgerte, etwa wenn Thomas von Politik anfing, schob sich ein stumpfer Ton wie ein Filter über sie. Welcher Ernst dann von seinen wenigen weißen Haarsträhnen, von denen einige sich zu sträuben schienen, ausging.
Ich hatte, als er sich auf den Küchenstuhl setzte, Angst, der würde zusammenbrechen unter dem Gewicht dieser Muskelmasse. Der Alte war alles andere als grob und gewalttätig, obwohl er gern darauf anspielte, und das bezog sich gleichermaßen auf seine körperlichen Kräfte wie auf seine Härte, zum Beispiel überflüssige Jungkatzen erst gegen die Hauswand zu schlagen, um sie dann auf den Mist zu werfen.
Im Gegensatz zu Thomas, der ihm zu glauben scheint, habe ich sofort durchschaut, dass es sich um eine Attitüde handelt, obwohl ich nicht ausschließen möchte, dass er zu Gewalttaten fähig sein könnte. Dieser alte Mann scheint ein beängstigendes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Und er weiß alles - besser, mein Vater könnte da sitzen, aber immerhin, wenn nicht die Rede auf den Krieg kommt, erfährt man einiges über diese Gegend: Die Eifel als Lebensraum von Menschen ist mir neu, bislang wäre mir dieses Mittelgebirge nur als Erholungsraum für Großstädter in den Sinn gekommen.
Thomas animiert den alten Bauern zu erzählen, der wartet kaum auf Ermunterungen: Ich glaube, er wird von etwas getrieben. Vielleicht hat er eine nicht abweisbare Angst vor dem Verstummen. Die Anknüpfungspunkte sind irgendwelche Fragen, Probleme, die mit dem Haus, dem Garten zusammenhängen, aber bald - ein von der Leine gelöster Hund - suchen seine Worte die Fährte der Vergangenheit.
Als Thomas sich eine Zigarre anzündete, interessierte er sich für die Marke - es war eine Ouro do Brasil - fing dann aber furchtbar an zu husten, lief röter an, erzählte, als er sich scheinbar beruhigt hatte, dass ihn seine Krankheit schnell umbringen könne, er würde ersticken bei einem seiner Asthmaanfälle, irgendein Wetter, ein Luftdruck werde ihn umbringen. Das klang so, als nahe eine nur für ihn bestimmte Konstellation und als quäle ihn die Ungewissheit des zu erwartenden Überfalls. Seine Stimme hatte trotz eines schleppenden Tonfalls, der vielleicht daher kam, dass er sich bemühte, Hochdeutsch zu sprechen, etwas unruhig Gehetztes, das keine Pausen duldete.
An diesem ersten Abend, als er hereingekommen war, die Küche erfüllte mit einem zunächst nicht erklärlichen strengen Geruch, die Linde auf dem kleinen Hof, an den unsere Grundstücke grenzten, begann sich in phantastischen Kindheitsfarben zu illuminieren, fragte ihn Thomas nach einem merkwürdigen Wegkreuz, das wir auf einem Höhenweg entdeckt hatten: „Es handelt sich um ein schlichtes Barockkreuz, aber die Inschrift ist von beängstigender Frische, wie ich es von einem im Aachener Grenzwald versteckten Stein kenne, der errichtet worden ist zum Gedenken an einen Ermordeten, dem es nicht gelungen war, von der lichten Höhe des heutigen Stadtwaldes die merkwürdige Kuppel des Kaiserdomes zu sehen. Kennen Sie diesen Stein?"
Der Alte schnaufte: „Und ob ich diesen Stein kenne. Es gibt in unserem Gemeindebezirk keinen Stein, von dem ich nicht weiß. Die einen sind verwittert, die anderen im Unterholz verschwunden. Ich bin der einzige, der davon weiß."
Wir erwarteten, nun die Geschichte, die sich an den Gedenkstein knüpfte, zu hören, aber der Alte wurde plötzlich unruhig, als fürchte er ihre Preisgabe, als erfasse ihn Misstrauen gegen uns Fremde, wie er einmal, ganz am Anfang unserer Bekanntschaft in einem Gespräch über selten gewordene Pflanzen und Tiere feststellte: „Besser, man erzählt nichts davon. Sonst kommen die Städter in Scharen und zertrampeln alles." Es war klar, dass wir dabei mit eingeschlossen waren. Der Alte stand auf, erklärte, er müsse jetzt das Vieh füttern, die Geschichte könne er ja anderntags erzählen, stand vor der niedrigen Küchentür, deren Glasscheibe seine massige Gestalt widerspiegelte, drehte seine Mütze in den Händen, ehe er sie aufsetzte, und ging.
Wir blieben ratlos zurück, verstanden nicht, warum