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Witwerverbrennung: Roman
Witwerverbrennung: Roman
Witwerverbrennung: Roman
Ebook226 pages2 hours

Witwerverbrennung: Roman

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About this ebook

Johannes Boberg, Maschinenbauer mit Hang zur Präzision, erhält die Mitteilung, dass seine geschiedene Frau Kristina wohl als Geisterfahrerin auf der Autobahn Selbstmord verübt hat. Das setzt die folgenden Stunden in Gang, in denen Boberg Kristinas Zwillingsschwester anzurufen versucht, gleichzeitig die Anrufe seiner Mutter abwehrt, andere Anrufe tätigt, einen Hausmeister betrunken macht und einen aufgeschlitzten Teddybären in den Müllschlucker entsorgt.

Boberg schwankt zwischen manchmal bizarren Erinnerungen, die meist um die Frauen in seinem Leben kreisen, und Reflexionen. Die Witwerverbrennung, die in seinem Fall angesetzt ist, zieht sich vom Nachmittag hin bis in den späten Abend. Ein souverän erzählter Roman mit hohem Unterhaltungswert.
LanguageDeutsch
Release dateSep 30, 2014
ISBN9783826080159
Witwerverbrennung: Roman

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    Book preview

    Witwerverbrennung - Hanns Peter Zwißler

    www.buchkatalog.de

    1

    Boberg hatte zu ungewohnt früher Zeit sein Büro verlassen, weil er gedacht hatte, er könnte, bevor die Harley für Spätherbst und Winter eingemottet würde, noch einmal Motorrad fahren. Nicht die übliche Route Richtung Taubertal und weiter, dazu war es zu spät. Er wollte nicht durch die Nacht fahren, denn die Nacht, das ist statistisch erwiesen, ist des Bikers Tod. Also ...

    ... der Steigerwald. Oder die Hassberge.

    Eher die Hassberge! Vom Steigerwald gibt es ein Steigerwaldlied, die Hassberge sind eher unbesungen. Mit einer Harley fährt es sich besser durch unbesungene Landschaften. Eine Harley hat ihren eigenen Sound. Dieser Ton prägt die Landschaften, durch die man fährt.

    An Baltus vorbei! Baltus sitzt in seiner Portiersloge.

    Man kann Baltus nur überlisten, wenn Baltus isst, wenn Baltus vor sich eine Styroporschachtel aufgeschlagen hat mit Reis und asiatischem Huhn süßsauer. Dann ist Baltus abgelenkt, indem er mit einer Miniplastikgabel hineinsticht in die Styroporschachtel. Ansonsten würde er zwei Finger an seine Mütze legen, um sie dann wie den Lauf einer Pistole auf Boberg auszurichten.

    Herr Dr. Boberg ... Herr Doktor ... Herr Boberg ...

    ... denn Baltus ist ein Geschichtenerzähler. Er muss sich der Welt mitteilen. Ein netter Kerl eigentlich, aber unerträglich in seiner Nettigkeit. Eine geschwätzige Klette, die in der Lage gewesen wäre, sich Boberg bis hinaus in den Hof anzuheften.

    Er redet gern von Thailand, wo er seine Urlaube verbringt.

    Da müssen Sie auch mal hin, Herr Dr. Boberg.

    Aber Boberg will nicht nach Thailand zu den Kindfrauen, deren sich Baltus dort bedient, er will Motorrad fahren. Haßberge, nicht Thailand!

    Boberg stieg in seinen Wagen und startete. Er lag gut in der Zeit. Auch das Wetter schien halten zu wollen. Halb blau, halb grau der Himmel. Ein leichter Wind. Alles sprach gegen Regen. Die Wolken hatten Platz, davon zu ziehen.

    In der Tiefgarage seiner Penthousewohnung hatte Boberg eine zusätzliche Parkbox angemietet. Eine für sich, eine für Kristina. Auf Kristinas Parkplatz war jetzt die Harley-Davidson geparkt, eine Maschine, technisch ausgereift und doch von tradierter Ästhetik. Keine Massenware, sondern Manufaktur. Alles für das Auge Wesentliche, Rohre und Krümmungen, in Chrom gegossen. Und poliert. Und immer wieder poliert. Schön stand sie da, die Harley-Davidson, im kahlen Beton der Tiefgarage. Massivster, schmuckloser Beton übrigens, der in den frühen 80er Jahren noch konzipiert gewesen war als Hausbunker, in Erwartung, der Kalte Krieg explodiere in ein atomares Inferno. Überall noch schwere Eisentüren, von einem Kind kaum zu öffnen. Man musste sich dagegen stemmen wie Boberg jetzt, um ins Treppenhaus nach oben zu gelangen, ins Foyer, wo Boberg von einer Lichtflut empfangen wurde, einer verschwenderischen Installation von Licht. Das hatte der Hausmeister in der letzten Eigentümerversammlung so durchgesetzt inklusive der Videoüberwachung neuralgischer Areale ... des Eingangsbereichs, des Foyers, der Treppenhäuser und des Aufzuges.

    Wo man wegschaut, war sein Argument gewesen, ist Dunkelheit. Und wo Dunkelheit ist, da ist auch ein Graffito. Und wo das erste Graffito geduldet wird, sind die Wände schnell mit solchen Schmierereien überzogen. Oder inkontinente Passanten, denen es pressiert, huschen ins Haus und verkoten sich oder schlagen ihr Wasser ab. Oder rumänische Kinderbanden, die zum Betteln und Stehlen nach Mitteleuropa ausgeschickt sind, suchen nachts einen Unterschlupf und huschen, sagte der Hausmeister, wie die Ratten vom Licht ins Dunkle, wenn man ihnen das Dunkle lässt. Dagegen helfe nur, alles Dunkle abzuschaffen, indem man es ausleuchte.

    Es hatte in der Eigentümerversammlung eine heftige Diskussion gegeben. Die Mehrheit der Eigentümer wollte videoüberwacht sein, die Minderheit nicht. Es gab Kostenargumente bezüglich der Installations- und Installationsfolgekosten. Es gab ökologisch bedingten Missmut gegen die Verschwendung von Energie zur Ausleuchtung in der Regel personenleerer Räume.

    Boberg hatte gegen jegliche Überwachungspraxis protestiert. Man folgte seiner Argumentation nicht. Wer nichts zu verbergen habe, und Boberg hatte ja nichts zu verbergen, müsse Überwachung nicht fürchten. Und Boberg sei ja weder rumänisches Waisenkind noch Sprayer oder inkontinent. Gewiss nicht.

    Jedenfalls hatte der Hausmeister seine Überwachungsinstallation zugestanden bekommen. Er hatte in den folgenden Wochen viel damit zu tun gehabt, sie technisch einzurichten. Und wer jetzt das Haus betrat, warf, selbst am hellichten Tag künstlich und rundum umleuchtet, keinerlei Schatten mehr und strebte mit völlig fahler, ausgeleuchteter Gesichtshaut der Treppe oder dem Aufzug zu, auf einen Videofilm gebannt und gespeichert.

    Boberg hatte sich angewöhnt, in eine dieser montierten Kameras hineinzugrüßen. Er grüßte auch jetzt in der Andeutung eines leichten Winkens mit der rechten Hand. Zuerst wird die Hand ausgefahren, dann der Unterarm, ohne den Ellenbogen ganz zu strecken. Ein Winken, das sich optisch auf die Hand beschränkt. Das musste genügen, den Hausmeister bei guter Laune zu halten, unter dessen Videoüberwachung Boberg zu den Briefkästen schritt. Bobergs Briefkastenschlüssel klemmte. Boberg spürte den Widerstand. Es bestand die Gefahr, den Schlüssel zu überdrehen und das Schloss zu ruinieren, während der Hausmeister ruhigen Auges zusieht und sich werweißwas denkt. Natürlich denkt er sich nichts Gutes. Der da, wird er sich denken, dieser Herr Dr. Boberg will Diplomingenieur sein und scheitert an der Öffnung eines Briefkastens.

    Dann aber gab das Schloss nach, die Türe klappte auf und Boberg rutschten sechs oder sieben Umschläge unterschiedlichen Gewichts und Formats entgegen. Natürlich ein Anakronismus im Zeitalter elektronischer Kommunikation! Dass überhaupt noch Briefe geschrieben wurden auf Papier wie zu Goethes Zeiten! Geschrieben, in Händen gewogen, gefaltet und eingetütet in Umschläge. Mit Zungenfeuchtigkeit verklebt, beschriftet und mit angeleckten Marken versehen. Zu einem Postkasten getragen, in einen Schlitz geworfen. In Postsäcken aufgefangen, zu Briefzentren transportiert, grobsortiert und feinsortiert verfrachtet an Zielorte. Und dann dieser Witz, dass sie einem Menschen übergeben werden, der sie bei Wind und Wetter auf langen Wegen austrägt, sommers wie winters, bei Gefahr des Ausrutschens auf Bananenschalen oder Hundescheiße im Sommer oder bei Eisglätte im Winter. Immer in Gefahr, Hundebestien ausgesetzt zu sein und gebissen zu werden. Blutvergiftung oder Tollwut. Und das alles ohne jegliche Hoffnung, es könnte unter all den verschickten Briefen, die Boberg jetzt in der Hand hielt, irgendetwas von wahrhaft persönlichem Wert sein. Nicht also Bobergs Lebensversicherung mit der Mitteilung des derzeitigen Rückkaufswertes, nicht dieser Geldfonds mit sensationellem Zinsversprechen, nicht diese Anschreiben herausgehobener Menschen, Gattinnen von Bundeskanzlern oder Bundespräsidenten, die einer Stiftung vorsitzen, Kinderkrebs oder Altersdemenz, von denen Boberg angesprochen wird als Lieber Herr Dr. Boberg, wieder ist bald ein Jahr vergangen und wieder wenden wir uns an Sie als treuen Helfer ... Briefe also, die sich in eine fiktive Biographie oder Wesensart Bobergs einzuschleichen versuchten, denn Boberg konnte sich nicht erinnern, je zum Kreis solcher Spender gehört zu haben.

    Boberg war kein Lieber Herr Boberg! Mitnichten! Es wäre ihm peinlich, ein Lieber Herr Dr. Boberg zu sein.

    Boberg nahm den Aufzug, da er auf keine potenziellen Mitfahrer traf. Ansonsten hätte er die Treppe genommen. Der Aufzug hatte in etwa Sarglänge und Sargbreite mit gerade noch Raum für eventuelle Sargträger, wenn sie sich schmal machten. Innen war er, anders als in Bobergs Firma, rundum mit Spiegeln ausgeschlagen. Man war zwar eingepfercht, hatte aber die Illusion der eigenen Vervielfältigung und damit räumlicher Weite. Man sah sich von vorne und von hinten. Zwei oder drei Mitfahrer, das kam einer Massenansammlung gleich.

    Zwar schloss sich die Tür, aber der Lift bewegte sich nicht. Boberg vermutete eine Störung. Sie war bei dem technischen Stand des Aufzugsystems längst zu erwarten. Lift statt Licht! Boberg hatte in der Eigentümerversammlung dafür plädiert, das für die Hausbeleuchtung bewilligte Geld in die technische Aufrüstung des Aufzuges zu stecken. Er hatte sich aber mit seinen Ängsten gegen die Ängste derer, die für Licht und Videoüberwachung plädiert hatten, nicht durchsetzen können. Jetzt stand der Aufzug. Man hatte einen Alarmknopf zu drücken und auf jeden Fall Ruhe zu bewahren. Und den Ausflug mit der Harley konnte Boberg wohl vergessen.

    Dann aber ruckelte es doch und Boberg wurde ohne Zwischenstopp ganz nach oben getragen. Und es hatte auch keine Zwischeneinsteiger gegeben, mit denen sich Boberg in den Spiegeln hätte spiegeln können.

    Vor Bobergs Wohnungstür lag Werbematerial, das er mit dem Fuß beiseite schob. Also war doch einer ungehindert ins Haus eingedrungen und hatte seine Transporttasche vor den Wohnungstüren erleichtert. So viel ist klar: Den ganzen Licht- und Videoquatsch hätte man sich sparen können. Oder ... man kann auch den Hausmeister in Verdacht haben, mit solchen Leuten im Bunde zu sein. Gegen ein kleines Bakschisch vielleicht.

    Boberg ließ die Wohnungstüre angelehnt, denn er wollte ja nicht bleiben. Er wollte nur in seine Ledermontur schlüpfen.

    Die mitgebrachten Briefe warf er auf die Garderobenkonsole, als es hinter ihm schellte. Es schellte nicht von unten, vom Hausklingelbrett und der Sprechanlage her, sondern direkt an der Wohnungstür, obwohl Boberg in den ausgeleuchteten Fluren niemanden bemerkt hatte, der ihm aufgelauert haben könnte. Boberg zog die Türe auf. Er sah vor sich einen Mann in Zivil, in dem er sofort den Polizisten erkannte. Irgendetwas war Pose, berufstypische Haltung, wie sie in anderer Weise auch bei Hausierern, Sammelbüchsenpersonal des Roten Kreuzes oder Gasablesern ausgeprägt ist, sogar bei Bobergs Honigfrau, die halbjährlich vor seiner Tür stand, ein Kärrelchen mit Honigtöpfen nach sich zog und mit vertrauter, fast feenhafter Stimme sagte: So, da wären wir mal wieder. Und es schien, als hätte Boberg drei Wünsche frei.

    Er hatte ihr immer wieder Honig abgekauft, obwohl er keinerlei Verwendung dafür hatte. Honig kommt in seinem Speiseplan nicht vor. Aber die Honigfrau ist die Honigfrau und eben nicht irgendwer. Man kann eine Fee nicht abweisen.

    Auch ein Polizist an der Tür ist unabweisbar, selbst wenn er in Zivil und nur in etwa einsiebzig groß ist, Sommersprossen hat und leicht rötlich gekrauste Haare. Irgendwie genetisch Bauernbursche. Sieht harmlos aus, lässt aber auf Unannehmlichkeiten schließen.

    Boberg hatte vor einigen Tagen den Überfall einer Horde von Glatzköpfen auf eine Dönerbude mitbekommen, gröhlende Gestalten wie aus dem Skizzenbuch der Weimarer Republik ... Deutsche also, von denen kein einziger auch bei gutem Willen in der Lage gewesen wäre, eine Dönerbude erfolgreich zu bewirtschaften. Das macht das Einreißen und Abfackeln von Dönerbuden leicht, zumal eine Dönerbude, von einem einzigen Türken verteidigt, eben Marktbude und keine osmanische Festung ist.

    Und Boberg hatte über Handy die Polizei gerufen, die, Boberg hatte das nicht erwartet, schnell und durchsetzungsfähig zwischen die Glatzen und Springerstiefel hineinfuhr, sie auseinander sprengte, einige der Glatzen fliehen ließ, einen Glatzenkern aber einkreiste und so konsequent in Griff nahm, dass an ein Entfliehen nicht mehr zu denken war. Während nebenan die Dönerbude abbrannte. Es hatte eine Reihe anderer Zeugen gegeben, Passanten, neutrale Beobachter. Sogar Leute, die an der Dönerbude angestanden waren mit dem abgezählten Geld in den Fingern, Leute also, die dem Geschehen viel näher gewesen waren als Boberg. Aber gut! Boberg war eben der gewesen, der über sein Handy die Polizei gerufen hatte.

    Jetzt bahnte sich eine zähe Zeugenvernehmung an mit Folgen, möglichen Ladungen vor Gericht oder ... er, Boberg, hatte vor zwei Tagen, er war in Gedanken gewesen, beim Ausparken einen blauen Fiat gestreift, vielleicht, und wenn, nur leicht, eher gefühlsmäßig, also ohne Kratzer und Spuren. Boberg war dennoch ausgestiegen und hatte sich die Möglichkeit, das Auto gestreift zu haben, besehen. Aber da war nichts, absolut nichts, so dass er wieder eingestiegen war, um mit gutem Gewissen davonzufahren.

    Käme jetzt eine Anzeige wegen Fahrerflucht auf ihn zu? ... fatal! Das würde keinesfalls aufgewogen durch seinen Einsatz gegen brandstiftende Gewalt. Fahrerflucht ist der Ehrentod des Autofahrers. Diesem Kodex verhaftet, soll es schon Menschen gegeben haben, die bei minus 20 Grad so lange neben einem von ihnen angefahrenen Fahrzeug in Erwartung der Rückkunft seines Besitzers verharrten, bis bei ihnen der Erfrierungstod eingetreten war. Denn Lack ist Lack! Und Lack darf keinesfalls angekratzt sein. Der unangekratzte Lack ist das, was die Gesellschaft zusammenhält.

    Boberg würde sich in einer der nächsten Zeitungsausgaben doppelt erwähnt finden. Namentlich als mutiger Bürger, Demokrat in Verteidigung der Demokratie und ihrer Werte gegen braune Horden, vielleicht sogar als Anwärter auf eine bürgerliche Verdienstmedaille, um sich diese an die Brust zu heften ... und auch in minderwertigster Gesellschaft, als anonymer Fahrerflüchtiger im Polizeibericht, dieser Auflistung von ansonsten Alkoholmissbrauch, Schlägerei, Körperverletzung, Kaufhausdiebstahl, versuchter Brandstiftung und Erregung öffentlichen Ärgernisses.

    Boberg winkte ab, als der andere seine Dienstmarke ziehen wollte. Ich nehme an, sagte er, Sie sind von der Polizei.

    Der andere hatte nichts dagegen, erkannt worden zu sein, und steckte seine Marke weg. Er stand, seiner Identität sicher, gefestigt und gedrungen vor Bobergs Tür. Sie sind Herr Boberg, sagte er. Dr. Rüdiger Boberg?

    Boberg nickte und deutete zur Bestätigung dessen auf sein Türschild, was allerdings nichts beweist. Nichts ist austauschbarer als ein Türschild, das ja ohne jede Beglaubigung ist.

    Der Polizist schien einen Schritt auf Boberg zugehen zu wollen. Oder war es nur eine Körperneigung?

    Sie kommen wegen des Überfalls auf den Türkenimbiss?, sagte Boberg. Oder gibt es andere Gründe?

    Andere Gründe, sagte der Mann, leider. Darf ich hereinkommen?

    Boberg zögerte. Er hätte den Polizisten gern an der Tür abgefertigt gehabt. Dem Polizisten Eintritt zu lassen, brachte die Motorradtour in Gefahr. Im Herbst sind die Tage nicht lang. Und mit der Harley nur durch Würzburg spazieren zu fahren, von einer Straße in die andere, mit vielleicht dem Ziel, von jemandem oder irgendeiner auf der Maschine erkannt zu werden ... dieser Aufwand lohnte sich nicht. Man fährt ja mit heruntergeklapptem Visier. Also ...

    Bitte, sagte Boberg mit knapper, notgedrungen einladender Handbewegung. Er hatte jetzt einen Begleiter, den er ins Wohnzimmer führte. Seinen Bikerausflug, diese letzte Ausfahrt in den Herbst, den konnte er jetzt vergessen.

    Und wieder dieses Berufstypische! ... der schnelle und photographische Blick in Wahrnehmung von Bobergs Wohnverhältnissen, in der Ab- oder Einschätzung von Einkommen, Bildung, Beruf, Familienstand und häuslichen Umständen ... Wohnungsgröße, Mobiliar, Ordnung, Sauberkeit, kulturellen und anderen Accessoires. Langer, durchaus interessierter, ja nachdenklicher Blick auf Edvard Munchs Brückenbild DER SCHREI, ein Plakat, eine Reproduktion, die er und Kristina sich nach ihrem Norwegenurlaub in der Galerie der Stadt Stuttgart, Große Stuttgarter deutsche Munch-Ausstellung, gekauft hatten.

    Sie kommen sicher nicht, um sich meine Wohnung anzusehen, sagte Boberg gereizt.

    Nein, leider nicht. Es geht um Ihre Frau, Kristina Schöner.

    Meine Ex-Frau, sagte Boberg schnell. Das ist meine Ex-Frau. Wir sind geschieden.

    Haben Sie Kinder?, fragte der Mann.

    Nein, keine Kinder. Wir haben uns scheiden lassen, bevor das in Frage kam.

    Das erleichtert mir, sagte der Polizist, was ich Ihnen zu sagen habe.

    Und das wäre?, sagte Boberg.

    Wir nehmen an, sagte der Polizist, seinen Blick immer noch auf Munchs Bild gerichtet, wir nehmen an, aber die gerichtsmedizinischen Untersuchungen stehen noch aus, dass Ihre Frau ... Ihre Exfrau ... bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

    Oh, sagte Boberg, und weil ihm dieses Oh so dürftig, so unangemessen vorkam, sagte er: Das tut mir Leid, gerade

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