Meine geliebte Familie: Mami 1873 – Familienroman
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»O nein«, dachte Annette jeden Morgen um sechs Uhr, wenn der altmodische Wecker mit seinem ohrenbetäubenden Alarmsignal ihre Träume beendete.
Neben ihr richtete sich Bastian ächzend auf, massierte sich den Nacken, schwang die Beine aus dem Bett und stieß einen langgezogenen Laut aus, meistens ein »Aaaaah«. Er ließ die Füße kreisen und die Arme schwingen, stand auf und ging mit elastischen Schritten zum Fenster.
Er zog die Vorhänge zurück, warf einen Blick hinaus, klopfte ans Barometer und sagte entweder erfreut: »Sieh mal an!« oder mit Grabesstimme: »Tiefer sinken kannst du nicht mehr!« Dann trottete er in seinen karierten Shorts und dem kurzärmeligen Flanellhemd ins Nebenzimmer, um seine kaum erwachten zweijährigen Zwillingstöchter Jenny und Julia so herzlich zu begrüßen, als habe er sie wochenlang nicht gesehen.
Anschließend begab er sich hinaus in den Flur, ließ sich von Flop, dem schwarzen Bernhardiner, stürmisch umarmen und weckte seinen Sohn Axel mit den Worten: »Aus der Traum, du Murmeltier!«
Kein Zweifel: Bastian Brunner war ein Gemütsmensch. Und nicht nur das. Er war ein Morgenmensch. Er sang Seemannslieder unter der Dusche und lief bereits mit Flop durch die Wiesen, wenn Annette noch mit der Versuchung kämpfte, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und so zu tun, als ginge sie das alles überhaupt nichts an.
Aber diese Illusion verflog alsbald, denn bei den Brunners wurde zwischen sieben und halb acht gefrühstückt, ausgiebig, gemütlich, ohne Hast, im ganz großen Kreis.
Außer Bastian und den drei Kindern saß Annettes Bruder Philip am Tisch und nicht selten auch dessen Freundin Lisa.
Nach der ersten
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Meine geliebte Familie - Myra Myrenburg
Mami –1873–
Meine geliebte Familie
Wird dieses Glück beständig bleiben?
Myra Myrenburg
»O nein«, dachte Annette jeden Morgen um sechs Uhr, wenn der altmodische Wecker mit seinem ohrenbetäubenden Alarmsignal ihre Träume beendete.
Neben ihr richtete sich Bastian ächzend auf, massierte sich den Nacken, schwang die Beine aus dem Bett und stieß einen langgezogenen Laut aus, meistens ein »Aaaaah«. Er ließ die Füße kreisen und die Arme schwingen, stand auf und ging mit elastischen Schritten zum Fenster.
Er zog die Vorhänge zurück, warf einen Blick hinaus, klopfte ans Barometer und sagte entweder erfreut: »Sieh mal an!« oder mit Grabesstimme: »Tiefer sinken kannst du nicht mehr!« Dann trottete er in seinen karierten Shorts und dem kurzärmeligen Flanellhemd ins Nebenzimmer, um seine kaum erwachten zweijährigen Zwillingstöchter Jenny und Julia so herzlich zu begrüßen, als habe er sie wochenlang nicht gesehen.
Anschließend begab er sich hinaus in den Flur, ließ sich von Flop, dem schwarzen Bernhardiner, stürmisch umarmen und weckte seinen Sohn Axel mit den Worten: »Aus der Traum, du Murmeltier!«
Kein Zweifel: Bastian Brunner war ein Gemütsmensch. Und nicht nur das. Er war ein Morgenmensch. Er sang Seemannslieder unter der Dusche und lief bereits mit Flop durch die Wiesen, wenn Annette noch mit der Versuchung kämpfte, sich die Decke über den Kopf zu ziehen und so zu tun, als ginge sie das alles überhaupt nichts an.
Aber diese Illusion verflog alsbald, denn bei den Brunners wurde zwischen sieben und halb acht gefrühstückt, ausgiebig, gemütlich, ohne Hast, im ganz großen Kreis.
Außer Bastian und den drei Kindern saß Annettes Bruder Philip am Tisch und nicht selten auch dessen Freundin Lisa.
Nach der ersten Tasse Kaffee war Annette immerhin imstande, dem Tag ins Auge zu sehen und der lebhaften Unterhaltung zu folgen, die auf verschiedenen Ebenen geführt wurde, etwa so:
»Können wir den Traktor selbst reparieren, oder müssen wir ihn in die Werkstatt bringen?«
Das war Bastian, der sich gerade Berge von Flocken auf den Teller häufte.
»Ich seh ihn mir nachher mal an«, murmelte Philip, eine Scheibe Vollkornbrot langsam und methodisch kauend.
»Mit vollem Mund spricht man nicht!« krähte Axel.
»Sehr richtig«, stimmte Philip zerstreut zu.
Andere Stimmen erhoben sich.
»Nein, Jenny, nein! Nicht den Hund füttern! Iß dein Frühstück selbst!«
»Floppy«, wisperte Jenny und ließ ein Stück angenagten Zwieback auf den Boden fallen.
Flops Augen wandten sich flehend und fragend an Bastian. Ohne ausdrückliche Zustimmung seines Herrn nahm er nichts, wie sehr es ihn auch quälte und verlockte.
»Na gut, alter Junge«, seufzte Bastian, woraufhin Flop dankend den schweren Kopf neigte und den Zwieback wegwischte.
Lisa schloß gerade eine längere erbitterte Rede über den erschwerten Nachtdienst im Angelus-Krankenhaus mit den Worten: »Wahrhaftig, Annette, du kannst froh sein, das alles hinter dir zu haben.«
Annette nickte mechanisch, packte Axels Pausenbrot ein und überhörte seinen Protest, als sie einen Apfel dazutat, reichte ihm seinen Anorak und trug ihm seinen Turnbeutel nach oder seinen Zeichenblock oder das Geld für die Klassenkasse.
Axels erstes Schuljahr gestaltete sich als schwere Aufgabe, besonders für seine Mutter.
Um halb acht erfolgte in der Regel der allgemeine Aufbruch. Bastian, Philip, Axel und Flop stiegen in den grünen Kombi. Lisa schlenderte über den gepflasterten Hof, um sich in Philips Junggesellenbude ein paar Stunden schlafen zu legen. Annette räumte den Tisch ab, setzte die Zwillinge auf den moosgrünen Spielteppich im Zimmerchen neben der Küche, hängte das Gitter ein, das vorübergehend die Tür ersetzte. Während sie den Abwasch tätigte, träumte sie von einer Geschirrspülmaschine und einem geräumigen automatischen Wäschetrockner.
Aber so, wie die Dinge lagen, mußten Anschaffungen für den Haushalt immer zurückstehen, denn die Geräte für das Unternehmen, von dem sie alle lebten, standen an erster Stelle.
Bastian Brunner war selbständig. Er hatte von seinem Vater einen Gartenbaubetrieb geerbt, den er mit Hingabe und Zähigkeit führte. Er ließ sich nicht beirren oder entmutigen, und er ließ sich keinen Erfolg zu Kopf steigen.
Früher hatte die Gärtnerei für sich allein gelegen inmitten weiter Felder und Wiesen. Inzwischen grenzte sie an Sportplätze, Vereinsgebäude und Tennishallen, und in Richtung Stadt war ein großes Neubaugebiet ausgewiesen worden.
Bastian war passives Mitglied im Tennisclub, denn zum Spielen kam er schon lange nicht mehr. Philip war Kassenwart und trat gelegentlich als Punktrichter auf. Annette hatte ein paar Trainerstunden genommen, um nicht abseits zu stehen, aber viel war nie daraus geworden. Bis zur Geburt der Zwillinge hatte sie sich im Club engagiert, Feste vorbereitet und Nachbarschaftshilfe geleistet. Axel war dabei kein Problem gewesen.
Doch seit Jenny und Julia da waren und sie auf Trab hielten, hatte Annette sich zurückgezogen, was ihr um so leichter fiel, als sie im Club keine Freunde hatte, die ihr nahestanden.
Die meisten Mitglieder hielten drei Kinder ohnehin für übertrieben, es sei denn, man hatte eine Haushälterin oder eine rüstige Oma zur ständigen Verfügung.
Unumstritten unter den Tennisdamen war die Tatsache, daß ein Mehrpersonenhaushalt mit zwei Kleinkindern und einem Schulkind täglich große Anstrengung erforderte. Aber irgendwie schien diese Art von Streß keinen Stellenwert zu besitzen. Jede andere Tätigkeit wurde höher bewertet und ausführlicher besprochen, selbst wenn es nur ein Aushilfsjob in einer Boutique war.
Eine Zeitlang hatte Annette empfindlich reagiert auf die teils mitleidigen, teils amüsierten Blicke, die ihr folgten, wenn sie den Zwillingskinderwagen durch die Sportanlagen schob, um Axel irgendwo abzuholen.
Inzwischen machte ihr das alles nichts mehr aus, im Gegenteil. Sie wußte, daß im Verein jede Menge Intrigen gesponnen wurden, denen man besser aus dem Weg ging. Natürlich gab es auch ganz normale, harmlose Mitglieder, Menschen, wie es sie überall gab.
Aber Annette hatte einfach keine Zeit, sich mit Leuten zu befassen, die ihre eigenen Hauptinteressen nicht teilten. Lieber tauschte sie sich mit anderen jungen Müttern aus, wobei Zwillingsmütter besondere Glücksfälle waren. Genauer gesagt kannte sie nur eine, nämlich Gunda Busch mit Tobi und Friedo.
Außerdem hatte sie ja immer Lisa als Gesellschaft, die im Angelus-Krankenhaus arbeitete, wo Annette noch viele Kolleginnen von früher her kannte, denn auch sie war einmal Krankenschwester gewesen. Lisa wohnte, ebenso wie sie damals, im Schwesternwohnheim, und die meisten Namen, die sie erwähnte, waren Annette vertraut. Dr. Karsten, zum Beispiel, der Lisa hoffnungslos verehrte, obwohl sie ihn nie ermutigte, denn für Lisa gab es nur Philip Hofreiter, Annettes Zwillingsbruder.
Es war schon eine ganze Weile her, seitdem Annette die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, ohne zu ahnen, was daraus werden würde, und nie hatte sie es bereut.
Lisa brauchte nicht viel Schlaf. Am späten Vormittag kam sie schon wieder herein, das hellbraune Haar noch feucht vom Duschen und raschen Fönen. Sie hob die Kinder eins nach dem anderen über das Gitter, setzte sie in ihre hohen Stühlchen und gab ihnen den Obstbrei, den Annette vorbereitet hatte. Heute waren es Bananen mit Quark.
Annette kritzelte die Einkaufsliste fertig, räumte die Wäsche aus der Maschine und hängte sie draußen auf die Leinen. Dann half sie Lisa, die quirligen Zwillinge in