Leidenschaft und Tugend: Eine philosophische Erzählung
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Gustave Flaubert (1821 - 1880) war ein französischer Schriftsteller, der vor allem als Romancier bekannt ist. Er gilt als einer der besten Stilisten der französischen Literatur und als ein Klassiker des Romans. Zusammen mit Stendhal und Balzac bildet er das Dreigestirn der großen realistischen Erzähler Frankreichs.
Aus dem Buch:
"Das war längst nicht mehr jene wohlgeübte Spielart der Schäferliebe im Stil Ludwigs des Fünfzehnten, deren erste Lehrstunde anhebt mit Seufzern, übergleitet in die zweite mit zärtlichen Briefchen und es so weitertreibt bis zur Lösung des geschürzten Knotens - eine kunstvolle Wissenschaft, die uns so ausgezeichnet vorgestellt wird im "Faublas", in den leichtbeschwingten Komödien "zweiten Ranges" jener Zeit, in den "Moralischen Geschichten" eines Marmontel. Heutzutage geht der Mann geradeswegs los auf eine Frau, faßt sie ins Auge, findet sie "verführerisch", macht die Wette mit seinen Freunden: Ist sie die Frau eines anderen, wird die ganze Farce nur noch um so reizvoller! So führt er sich ein bei ihr, bringt ihr Romane mit, geleitet sie an seinem Arm ins Theater, legt dabei immer den höchsten Wert darauf, sich irgend so etwas Erstaunliches, lächerlich Unerhörtes, noch nie Dagewesenes zu leisten; und dann geht er von Tag zu Tag mit immer größerer Freiheit bei ihr ein und aus, macht sich zum Freund des Hauses, des Ehemannes dieser Frau, der Kinder, ja, der gesamten Dienerschaft."
Gustave Flaubert
Gustave Flaubert was born in Rouen in 1821. He initially studied to become a lawyer, but gave it up after a bout of ill-health, and devoted himself to writing. After travelling extensively, and working on many unpublished projects, he completed Madame Bovary in 1856. This was published to great scandal and acclaim, and Flaubert became a celebrated literary figure. His reputation was cemented with Salammbô (1862) and Sentimental Education (1869). He died in 1880, probably of a stroke, leaving his last work, Bouvard et Pécuchet, unfinished.
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Book preview
Leidenschaft und Tugend - Gustave Flaubert
Kap. 1
Inhaltsverzeichnis
Sie hatte ihn schon zweimal, glaube ich, zu Gesicht bekommen: das erstemal auf einem Ball beim Minister, das zweitemal im »Français« – und obwohl er weder ein überragender Mensch noch ein schöner Mann war, kam er ihr doch immer wieder in den Sinn, wenn sie abends, nachdem sie ihre Lampe ausgelöscht hatte, noch einige Minuten in Gedanken versunken blieb und vor sich hin träumend dalag, ihr dichtes Haar gelöst auf ihren nackten Brüsten, den Kopf zum Fenster hingewendet, durch das die Nacht eine fahle Helle hereinwarf, die Arme frei herabhängend, und ihre Seele hin und her trieb zwischen schauernden, aus dem Dunklen und Ungewissen kommenden Erregungen, die, wie verwirrende Laute und Rufe, aus den Weiten der herbstlichen Dämmerungen sich erheben ...
Alles andere war er als ein Ausnahmemensch, wie sie in den Büchern und Dramen leben. Er hatte ein ziemlich trockenes Innere, war ein rechter Durchschnittsgeist und zu alledem – ein Chemiker. Aber er beherrschte von Grund aus jene Theorie der Verführungskunst in allen Regeln, kurzum den Chic – um das treffende Wort des Volksmundes zu gebrauchen –, womit ein gewandter Mann noch immer zu seinen Zielen gelangt.
Das war längst nicht mehr jene wohlgeübte Spielart der Schäferliebe im Stil Ludwigs des Fünfzehnten, deren erste Lehrstunde anhebt mit Seufzern, übergleitet in die zweite mit zärtlichen Briefchen und es so weitertreibt bis zur Lösung des geschürzten Knotens – eine kunstvolle Wissenschaft, die uns so ausgezeichnet vorgestellt wird im »Faublas«, in den leichtbeschwingten Komödien »zweiten Ranges« jener Zeit, in den »Moralischen Geschichten« eines Marmontel. Heutzutage geht der Mann geradeswegs los auf eine Frau, faßt sie ins Auge, findet sie »verführerisch«, macht die Wette mit seinen Freunden: Ist sie die Frau eines anderen, wird die ganze Farce nur noch um so reizvoller! So führt er sich ein bei ihr, bringt ihr Romane mit, geleitet sie an seinem Arm ins Theater, legt dabei immer den höchsten Wert darauf, sich irgend so etwas Erstaunliches, lächerlich Unerhörtes, noch nie Dagewesenes zu leisten; und dann geht er von Tag zu Tag mit immer größerer Freiheit bei ihr ein und aus, macht sich zum Freund des Hauses, des Ehemannes dieser Frau, der Kinder, ja, der gesamten Dienerschaft. Zuletzt merkt die Arme die Falle und will ihn fortjagen wie einen Lakaien, aber da spielt er seinerseits den Entrüsteten, droht ihr, die erstbesten harmlosesten paar Zeilen zu veröffentlichen, denen er selbstverständlich den infamsten Sinn zu unterschieben weiß, ganz gleich, wem das Briefchen zugedacht war. Ja, Wort um Wort wird er ihrem Manne das hinterbringen, was ihr da entschlüpft sein mag in irgendeinem Moment der Koketterie, der Selbstsicherheit, des bloßen Wunschtraums .... Die grausamste Herzlosigkeit eines Anatomen ist das – aber man hat eben Fortschritte in den Wissenschaften gemacht, und es gibt Leute, die ein Herz kunstvoll zerschneiden können wie ein lebloses Stück Fleisch.
Und da weint sie, diese arme verlorene Frau, und fleht und bettelt. – Kein Verschonen für sie noch für ihre Kinder, noch auch für ihren Mann, ihre Mutter! Unbeugsam bleibt man, ein Mann, der Gewalt, ja Gewaltsamkeit anwenden kann: Überall kann er sich damit brüsten, daß sie seine Geliebte ist! In allen Journalen kann er es publik machen, in seinem Tagebuch kann er sich darüber auslassen, lang und breit, und – im Bedarfsfalle kann er es sogar unter Beweis stellen!
Halbtot, wie sie ist, liefert sie sich ihm denn aus. Er kann sie sogar Spießruten laufen lassen vor seinen Bediensteten, die lächelnd hinter ihren Livreeaufschlägen einander zuzwinkern und flüstern, wie sie – zum frühen Morgen schon – sie so kommen sehn zu ihrem Herrn und Gebieter. Und dann, wenn er sie, zerknickt und niedergesunken, sich selbst überläßt mit ihren Gewissensbissen, ihren Gedanken über das Einst, den Enttäuschungen, die ihr die Liebe brachte, dann wendet er sich ganz von ihr, will sie nicht mehr wiederkennen, gibt sie kalt ihrem Unglück preis. Ja, manchmal haßt er sie geradezu; aber