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Mit Grazie sterben: Roman
Mit Grazie sterben: Roman
Mit Grazie sterben: Roman
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Mit Grazie sterben: Roman

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About this ebook

Frankreich, Frühling 1967. Der Regisseur Robert Valmy dreht einen Film im Périgord, einer Region, die von der Frühgeschichte an die Menschen fasziniert hat. Dabei begleitet ihn seine Frau Telse, die eine Nebenrolle spielen soll. Die Hauptrolle wurde mit einer bekannten deutschen Schauspielerin besetzt, ihr Partner ist ein französischer Star. Alles beginnt nach Plan. Das Wetter ist herrlich, die Landschaft traumhaft schön, das Essen hervorragend, und die Stimmung im Team könnte nicht bessser sein. Wenn Telse drehfrei hat, streift sie auf eigene Faust umher. Mit fatalen Folgen.
LanguageDeutsch
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783837251388
Mit Grazie sterben: Roman
Author

Claire Vernay

Claire Vernay (Pseudonym), geb. in Mülheim a.d. Ruhr, wuchs in Sachsen-Anhalt auf. Nach dem Abitur an der Martin-Luther-Oberschule in Eisleben, folgt ein Studium der Romanistik in Leipzig, das sie 1964 abbricht, um einen französischen Filmregisseur zu heiraten und nach Paris zu gehen. Dort langjährige Tätigkeit bei Film und Fernsehen, daneben Jurastudium. Promotion zum Dr. iur. Nach dem Tod ihres Mannes, Niederlassung als Rechtsanwältin am Cour d’Appel Paris. Heute lebt Claire Vernay als freie Autorin in Baden-Württemberg.

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    Mit Grazie sterben - Claire Vernay

    Claire Vernay

    Mit Grazie sterben

    Roman

    Weimarer Schiller-Presse

    FRANKFURT A.M. WEIMAR LONDON NEW YORK

    Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit.

    Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

    ©2013 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN

    Ein Unternehmen der Holding

    FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

    AKTIENGESELLSCHAFT

    In der Straße des Goethehauses/Großer Hirschgraben 15

    D-60311 Frankfurt a/M

    Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

    E-Mail lektorat@frankfurter-literaturverlag.de

    Medien- und Buchverlage

    DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

    seit 1987

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

    Websites der Verlagshäuser der

    Frankfurter Verlagsgruppe:

    www.frankfurter-verlagsgruppe.de

    www.frankfurter-literaturverlag.de

    www.frankfurter-taschenbuchverlag.de

    www.publicbookmedia.de

    www.august-goethe-literaturverlag.de

    www.fouque-literaturverlag.de

    www.weimarer-schiller-presse.de

    www.deutsche-hochschulschriften.de

    www.deutsche-bibliothek-der-wissenschaften.de

    www.haensel-hohenhausen.de

    www.prinz-von-hohenzollern-emden.de

    Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

    Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

    Titelbild: Robert Vernay

    ISBN 978-3-8372-5138-8

    Die Autoren des Verlags unterstützen den Bund Deutscher Schriftsteller e.V., der gemeinnützig neue Autoren bei der Verlagssuche berät. Wenn Sie sich als Leser an dieser Förderung beteiligen möchten, überweisen Sie bitte einen – auch gern geringen – Beitrag an die Volksbank Dreieich, Kto. 7305192, BLZ 505 922 00, mit dem Stichwort „Literatur fördern". Die Autoren und der Verlag danken Ihnen dafür!

    In Memoriam Robert Vernay

    Kapitel 1

    „A AAHHH…!"

    Laut und schrill durchschnitt der Schrei die klare kühle Morgenluft. Schlagartig verstummte das Konzert der Waldvögel, um wenig später in ein aufgeregtes Zwitschern, Piepen und Pfeifen überzugehen.

    Eine kräftige Männerhand legte sich auf den hellrot geschminkten Mund in dem normalerweise eher hübschen, jetzt aber vor Schreck verzerrten Puppengesicht des etwa zwanzigjährigen Mädchens.

    „Schau nicht hin", murmelte der Besitzer der Hand beschwörend und zog den schwarzen Lockenkopf mit der Gebärde des Beschützers an seine braune Wetterjacke. Dann führte er das an allen Gliedern zitternde Mädchen zu den drei anderen Mitgliedern der Gruppe, die etwas zurückgeblieben waren. Es waren zwei etwa gleichaltrige Jungen und ein Mädchen, in sportlicher Kleidung mit festen Wanderstiefeln an den Füßen. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich ungläubiges Entsetzen. Der junge Mann, der so geistesgegenwärtig reagiert hatte und offensichtlich der Anführer war, holte tief Luft und befahl:

    „Ihr bleibt hier stehen und rührt euch nicht von der Stelle."

    Anscheinend las er gern Kriminalromane, denn er fügte belehrend hinzu:

    „Wenn wir alle hingehen, könnten wir Spuren vernichten."

    Die anderen nickten synchron, sichtlich beeindruckt von soviel Autorität. Ihr Anführer reckte sich, holte tief Luft und stapfte forsch zu der im Sand des Hohlwegs am Fuß eines steilen Felsens liegenden Gestalt zurück. Die selbstbewußte Miene in dem sommersprossigen Gesicht unter einem störrischen Haarbusch von schönster Karottenfarbe wurde allerdings zunehmend beklommener, je näher er dem anormal verkrümmten Körper kam.

    Es war eine Frau. Der hochgerutschte weiße Rock gab den Blick auf schlanke wohlgeformte Beine in ebenfalls weißen Sandaletten frei. Ihr Gesicht konnte man nicht sehen. Es war unter einer Flut langer dunkelbrauner Haare verborgen, die einen Teil der roten Bluse, die wie ein Blutfleck anmutete, verdeckten. Zögernd beugte sich der junge Mann vor, griff nach dem schlaffen Arm der Liegenden und zog ihn am Handgelenk in die Höhe. Als hätte er sich verbrannt, ließ er ihn sofort wieder mit einem erstickten Laut zu Boden fallen und taumelte einen Schritt zurück.

    „Au!" schrie die Leiche, setzte sich auf, strich das Haar aus ihrem Gesicht und funkelte den erschrockenen Tolpatsch aus höchst lebendigen grün-braunen, lang bewimperten Augen wütend an.

    „Können Sie nicht aufpassen? Erst reißen Sie mir den Arm fast aus der Schulter, dann schmeißen Sie ihn auf den nächsten Stein!"

    Telse sprang auf und untersuchte ihren lädierten Ellbogen, während der junge Mann eine Entschuldigung stammelte.

    Coupe!" brüllte der Regisseur und raste in großen Sprüngen den sanft abfallenden Hang auf der anderen Seite des Felsens herab. Inzwischen hatten sich auch die übrigen jungen Leute um Telse und den Schuldigen versammelt, der sich vehement verteidigte.

    „Im Drehbuch steht, daß ich den Arm am Handgelenk anheben und dann erschrocken loslassen soll."

    Da stand auch schon Robert Valmy mit zusammengezogenen Augenbrauen vor der Gruppe.

    „Was ist das hier?" donnerte er. „L’Assemblée Nationale?"

    Mit einer Grimasse hielt Telse ihm ihren Arm hin, der sich bereits rötlich-blau verfärbte.

    „An der Stelle tut es tatsächlich ziemlich weh", sagte der Regisseur ungerührt.

    „Bis zum Schluß war es aber nicht schlecht, wandte er sich an die anderen. „Die letzten Meter können wir herausschneiden. Er blickte den mit kurzem Gestrüpp bewachsenen Hang hinauf, an dem auf halber Höhe die Kamera stand.

    „Oder sollen wir vorsichtshalber …?" Als der Kameramann nickte, drehte er sich zu seiner Frau um.

    „Du nimmst jetzt wieder deine Position ein, befahl er, „und Sie, wandte er sich an den verlegen grinsenden Jüngling, „passen etwas mehr auf. Am besten ist, Sie gehen in die Hocke. Dann heben Sie den Arm nur leicht an und lassen ihn auf die Leiche fallen, nicht auf den steinigen Boden."

    „Soll ich nicht lieber die Halsschlagader abtasten? schlug der junge Mann eifrig vor. „Das ist doch viel professioneller.

    „Für einen Archäologiestudenten?" grinste Valmy. Aus der Gruppe, die tatsächlich aus echten Studenten bestand, erklang belustigtes Kichern. Der Regisseur war jedoch bereits wieder bei der Sache.

    „Dazu müßten Sie ihr das Haar aus dem Gesicht streichen. Und Sie wissen doch, daß das erst in einer späteren Einstellung kommt."

    Das muß man Robert lassen, dachte Telse bewundernd. Er verliert nie die Geduld und reagiert niemals gereizt auf mehr oder minder geniale Verbesserungsvorschläge.

    „Sie können Ihr Entsetzen dadurch ausdrücken, daß Sie die Hand angewidert fallen lassen. Denken Sie daran: Sie sind kein Mediziner und berühren zum ersten Mal eine Leiche. Wie Sie wissen, ist die nächste Einstellung ein gros plan Ihres Gesichts."

    „Okay", nickte der Student. Eine zierliche, bebrillte Blondine mit Hängezöpfen in hautengen Jeans und einem noch engeren giftgrünen Pullover hatte ebenfalls einige Anregungen parat.

    „Könnte er nicht die Leiche abtasten und dann entsetzt seine blutbefleckten Hände anstarren? Und überhaupt, warum ist hier kein Blut?"

    „Weil ich schon eine ganze Weile tot bin, bevor man mich vom Felsen schmeißt, erklärte die Leiche hilfreich. „Man hat Ihnen nur die Seiten des Drehbuchs gegeben, die Sie betreffen. Also können Sie das nicht wissen.

    „Ich würde aber sehr gern das ganze Drehbuch lesen", ließ die Studentin nicht locker.

    „In ein paar Monaten können Sie den ganzen Film sehen, beendete Valmy die Diskussion. „Und falls man mir jemals anbieten sollte, ein Remake von ‚Dracula‘ zu drehen, werde ich dafür sorgen, daß Sie eine Hauptrolle kriegen.

    Er drehte sich um und stieg wieder den Hügel hinauf. Telse verzog das Gesicht, setzte sich jedoch gehorsam auf den staubigen Boden des Waldwegs und schickte sich an, ihre ursprüngliche Position wieder einzunehmen. Bevor er zur Gruppe zurückkehrte, sagte der Rotschopf bedauernd:

    „Tut mir wirklich leid, diesmal passe ich auf."

    Telse nickte lächelnd, dann streckte sie sich auf der Erde aus und verrenkte ihre Glieder, so daß ein Sturz aus großer Höhe glaubwürdig erscheinen konnte. Andererseits sollte es aber noch einigermaßen graziös und sexy aussehen. Nicht gerade einfach, dachte Telse. Sophie, das script girl, half ihr dabei und breitete sorgfältig die Haare über Gesicht und Schultern, während Bruno, der Assistent des Kameramanns, mit dem Belichtungsmesser um sie herumtänzelte. Schnell schob Sophie noch den Rock bis zur Hälfte der Oberschenkel hinauf, dann signalisierte sie dem Regisseur: „Es kann weitergehen", und flitzte aus dem Bild. Da Roberts Assistent damit beschäftigt war, das im Hintergrund wartende Polizeiaufgebot zu organisieren, griff der Maître persönlich zur Klappe.

    In den nächsten beiden Stunden lief alles wie am Schnürchen. Zum Schluß kletterte Telse aus dem Blechsarg, in den man sie – diesmal mit der nötigen Vorsicht – gehoben hatte, reckte sich erleichtert, wobei sie tief die würzige Waldluft einatmete, und ließ sich von der eifrig herbeigeeilten Sophie den Sand von der Kleidung bürsten. Mit Erfrischungstüchern säuberte sie selbst anschließend Arme und Beine.

    Inzwischen war es Zeit für das Mittagessen. Das bestand normalerweise aus belegter Baguette, Obst und Mineralwasser, da der Regisseur nichts von längeren Drehpausen hielt. Aber heute kehrte das Team in die Stadt zurück, weil man am Nachmittag an einem anderen Ort drehen wollte, wo Telses Anwesenheit nicht notwendig war. Das kam ihr gerade recht. So konnte sie ein ausgedehntes Bad nehmen und sich den Schmutz aus den Haaren waschen.

    „Würden Sie jetzt mit mir ins Hotel fahren? fragte Sophie so leise, daß keiner der Umstehenden sie hören konnte. „Ich möchte Sie nämlich gern etwas fragen. Unter vier Augen.

    Sophie, die übrigens die Nichte des Produzenten war, kam in ihrem eigenen kleinen blauen Peugeot zur Arbeit. Sie war für die verhinderte Claudine eingesprungen, die Telse noch von Marokko her kannte und die schon viele Filme mit Robert gedreht hatte. Zuerst stand Robert der unerfahrenen Anfängerin etwas skeptisch gegenüber, war dann aber doch sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Die junge Frau gab sich auch wirklich große Mühe, war immer pünktlich und hilfsbereit und pochte keinesfalls, wie Robert und Telse zuerst befürchtet hatten, auf ihre Verwandtschaft mit dem Produzenten, um Privilegien zu erzwingen.

    „Geht in Ordnung, antwortete Telse etwas erstaunt. „Ich muß nur meinem Mann Bescheid sagen, damit er nicht nach mir sucht.

    Als das Fahrzeug mit den beiden jungen Frauen wenige Minuten später auf die Straße in Richtung Sarlat einbog, brach Telse das Schweigen:

    „Was möchten Sie mich denn fragen, das mein Mann nicht hören darf?"

    Sophie antwortete nicht sofort, sondern setzte den Blinker, überholte zügig einen Trecker und schwenkte wieder auf die rechte Seite der Landstraße, die sich schnurgerade, von Pappeln gesäumt, vor ihnen erstreckte.

    „Es geht um … morgen Abend kommen doch die anderen Schauspieler …"

    Telse unterdrückte nur mit Mühe ein ironisches Lächeln. Was die ‚anderen Schauspieler‘ anbelangte, so war Sophie mit Sicherheit nur an einem davon interessiert: Tristan Rousseau, ein durchaus fünfzehn Jahre jünger wirkender, umwerfend gut aussehender Endvierziger und internationaler Star, für den drei Generationen von Frauen schwärmten. Und Sophie schwärmte eifrig mit, wie Telse unschwer feststellen konnte. Glücklicherweise schien die junge Frau nach eher altmodischen Grundsätzen erzogen zu sein, was sie daran hinderte, sich zum Gespött zu machen, indem sie sich dem Star hemmungslos an den Hals warf. Wahrscheinlich war es der übrigen équipe noch gar nicht aufgefallen, aber Telses scharfem Blick entging so leicht nichts. Auch Robert war bereits aufmerksam geworden. Aber solange der Ablauf der Dreharbeiten nicht gestört wurde, ging ihn das Privatleben der Mitarbeiter nichts an. Sophies ebenso diskrete wie schwärmerische Verehrung des Hauptdarstellers fand er übrigens eher komisch. Typisch Mann, dachte Telse. Ihr tat das Mädchen leid.

    Nur sehr wenige Menschen wußten, daß der strahlende Liebhaber auf der Leinwand im täglichen Leben mit Frauen so gar nichts im Sinn hatte. Natürlich war er äußerst höflich und sogar galant, wenn es die Situation erforderte, ganz wie in seinen Filmen. Das schuldete er schließlich seinem image. Sein wahres Interesse galt jedoch nicht jungen hübschen Damen, sondern gut aussehenden Jünglingen. Da er äußerst diskret war und die wenigen Eingeweihten den Mund hielten, war bisher der Schein gewahrt worden. Telse war übrigens ganz zufällig hinter einen Teil des Geheimnisses gekommen. Daraufhin hatte Robert sie ins Vertrauen gezogen, damit sie nicht durch unbedachte Äußerungen Tristans Karriere schadete. Telses Reaktion hatte ihn überrascht. Aufgrund ihrer bürgerlichen, um nicht zu sagen spießigen Erziehung hatte er mit einer gewissen Ablehnung gerechnet. Aber sie hatte nur mit dem Zitat des ,Alten Fritz‘ geantwortet, daß jeder nach seiner eigenen façon selig werden möge.

    „Ich denke … ich halte es für besser … ich meine …", stotterte Sophie. Telse nickte ihr ermutigend zu.

    „Also, gab Sophie sich endlich einen Ruck, „ich würde lieber zu Ihnen in den Gasthof ziehen.

    Telse runzelte die Stirn. „Als wir die Aufteilung zwischen Hotel und Auberge vorgenommen haben, weil nicht genügend Platz für uns alle in einer Unterkunft ist, wollten Sie unbedingt zu den Schauspielern ins Hotel. Mein Mann fand das übrigens auch gut so, denn zu den Technikern in die Gästewohnungen der Auberge konnten Sie ja schlecht ziehen, und im Haupthaus gibt es nur sechs Zimmer. Vier davon sind anderweitig belegt. Die restlichen zwei haben mein Mann und ich und Tessier. Ich kann ja den Wirt fragen, ob demnächst jemand abreist. Aber warum wollen Sie denn jetzt unbedingt in den immerhin primitiveren Gasthof übersiedeln?" fragte sie, obwohl sie den Grund zu kennen glaubte. Vor der Abreise aus Aix-en-Provence hatte Tristan auf sehr geschickte und betont väterliche Art seiner heimlichen Verehrerin zu verstehen gegeben, daß ihn eher reifere Frauen anzögen und er diesbezüglich in festen Händen wäre. Natürlich war es eine Lüge. Auf Telses Drängen, die Komplikationen für Sophie und folglich auch für das Team vermeiden wollte, hatte Robert Tristan dazu bewogen.

    „Im Gasthof wären Sie allerdings in unmittelbarer Nähe von Richard", gab Telse zu bedenken. Richard, Roberts pickeliger, schlaksiger und, wie sie fand, ungemein arroganter Assistent, hatte es ganz offensichtlich auf Sophie abgesehen. Ob seine Aufmerksamkeiten, die fast schon zudringlich waren, dem hübschen Mädchen galten oder der vermögenden Nichte des Produzenten, war ohne Belang, denn er hatte nicht die geringste Chance. Sophie hatte Telse anvertraut, daß sie älteren Männern den Vorzug gab. Da Robert auch bedeutend älter als Telse war, hatte diese dafür volles Verständnis. Bei Sophie lag der Grund wahrscheinlich darin, daß sie schon sehr früh beide Eltern verloren hatte. Zwar taten Onkel und Tante ihr Möglichstes, die verwaiste Nichte zu trösten und ihr eine neue Familie zu geben, aber sie hatten selbst fünf Kinder.

    „Waren Sie schon einmal so richtig verliebt?" unterbrach Sophie plötzlich ihre Gedanken.

    Telse schaute sie verblüfft an.

    Quelle question! protestierte sie, halb belustigt, halb empört. „Ich liebe meinen Mann. Haben Sie das denn noch nicht bemerkt?

    „Schon, aber Sie sind immer so reserviert", sagte Sophie nachdenklich. „Manchmal hat man den Eindruck, Sie hätten gar keine Gefühle. Sie wirken so nüchtern, so … froide."

    Telse mußte lachen.

    „Wollte man Ihrem raisonnement folgen, so wären nur die Menschen tieferer Gefühle fähig, die sie auch möglichst effektvoll zum Ausdruck bringen. Wie die antiken Klageweiber. Aber die wurden dafür bezahlt, daß sie Tränen vergossen und sich schreiend die Haare rauften. Wenn Sie erst etwas mehr Lebenserfahrung haben, werden Sie besser unterscheiden können."

    Dabei war sie nur wenig älter als Sophie. Aber wegen des beträchtlichen Altersunterschieds zu ihrem Mann hatte sie bei ihrer Ankunft vor drei Jahren in Frankreich zu verstehen gegeben, bereits fünfundzwanzig zu sein, obwohl sie, zumindest ungeschminkt, eher noch jünger als einundzwanzig aussah. Schließlich wollte sie nicht als Kindfrau eingestuft werden. Zu ihrem Erstaunen glaubte man ihr ohne Weiteres, da in diesem Milieu niemand annehmen würde, daß sich eine Frau freiwillig älter machen könnte.

    „So meinte ich das nicht, sagte Sophie etwas verlegen. „Ich meinte, vorher. Eine unglückliche Liebe oder so …

    „Als ich meinen Mann kennengelernt habe, war ich erst achtzehn. Und obwohl ich viel über Liebe gelesen hatte, ein unbeschriebenes Blatt. Die Beispiele in der Literatur wirkten auf mich eher abschreckend. Nehmen Sie nur den überspannten Jüngling Werther oder die albernen Teenager Romeo und Julia. Wenn die beiden nur ein bißchen überlegt hätten, anstatt überstürzt zu handeln, wäre nichts Schlimmes passiert. Ganz zu schweigen von Anna Karenina, die für einen Blender Mann und Kind verläßt und sich vor einen Zug wirft. Unverantwortlich!"

    Sophie lachte schallend. „Unter diesem Gesichtspunkt habe ich die Werke der Weltliteratur noch nicht betrachtet. Idealismus ist Ihnen also fremd?"

    „Durchaus nicht. Ich wurde von einer Großtante erzogen, die nach dem Unfalltod ihres Verlobten unverheiratet geblieben war. Nicht wegen Mangel an Gelegenheit, sondern weil sie ihrer ersten Liebe die Treue hielt. Übrigens ohne ein großes Theater daraus zu machen. Und dann gab es eine Lehrerin, für die ich direkt geschwärmt habe. Sie war noch jung. Ihr Mann war im Krieg gefallen, und sie hatte keine Kinder. Obwohl sie gut aussah und aus einer angesehenen Familie stammte, hat sie nicht wieder geheiratet, sondern sich den Kindern anderer Leute gewidmet. Zwar war sie mit meiner Großtante befreundet, trotzdem hat sie mich im Unterricht nie vorgezogen. Allerdings hat sie mir Bücher geliehen. Darunter meinen ersten Krimi. Einen Roman von Dorothy Sayers. Und die Memoiren von Katharina der Großen. Sie war übrigens meine Russisch-Lehrerin. Ohne daß es mir bewußt wurde, waren diese Frauen für mich Vorbilder. Ich habe immer die Gesellschaft älterer Menschen vorgezogen. Nicht zuletzt, weil ich von ihnen etwas lernen konnte. Freundschaft war mir wichtig. Mit Liebe konnte ich nichts anfangen, bis ich meinen Mann traf."

    Anscheinend war diese Bemerkung für Sophie das Stichwort.

    „Ich wollte Sie schon immer fragen, wie Sie Ihren Mann kennengelernt haben, gestand sie. „Aber, wie gesagt, Sie wirken so reserviert, fast unnahbar, da habe ich es nicht gewagt.

    Belustigt schüttelte Telse den Kopf.

    „Verstehen Sie das nicht? Abgesehen davon, daß ich von Natur aus eher zurückhaltend bin, muß ich mich den Gegebenheiten anpassen. Mein Mann ist eine Respektsperson, kein Kumpeltyp. Und wenn ich selbst auch keine Respektsperson bin …"

    „Ich verstehe, unterbrach sie Sophie. „Caesars Frau … usw. Aber ich würde gern Ihre Geschichte hören. Es kursieren eine Menge Gerüchte … Und dann der Altersunterschied. Auch ich mag lieber ältere Männer …

    Telse biß sich auf die Lippen, um Sophie nicht durch einen Heiterkeitsausbruch zu kränken. Dann kam sie jedoch ihrem Wunsch nach.

    „Wir haben uns vor sechs Jahren in Paris kennengelernt. Damals war ich Studentin in der DDR. Die Berliner Mauer gab es noch nicht. Ich durfte also zu meinem Vater nach Hamburg reisen und bin von dort weitergefahren. Nach vierzehn Tagen hat Robert Valmy mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich habe mir ein Jahr Bedenkzeit ausgebeten. Dafür gab es zwei Gründe: Ich hatte zu Hause versprochen, zurückzukommen. Hätte ich es nicht getan, hätten ein paar Leute in der DDR großen Ärger gehabt. Außerdem ging mir das alles zu schnell. Paris hatte mir so richtig den Kopf verdreht. Die ganze romantische Atmosphäre. Ich wußte am Ende nicht mehr so recht, wen ich liebe: die Stadt oder meinen zukünftigen Mann. Kurz nach meiner Rückkehr in die DDR wurden dann die Grenzen dichtgemacht."

    „Am dreizehnten August 1961. Die Berliner Mauer", nickte Sophie.

    „Als wir nach Ablauf eines Jahres heiraten wollten, verweigerten die DDR-Behörden die Genehmigung", fuhr Telse fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten. „Schließlich siegte unsere Hartnäckigkeit. Wir durften heiraten und sechs Wochen später ließ man mich ausreisen. Et voilà!"

    „Nach einer großen Leidenschaft klingt das nicht, konstatierte Sophie enttäuscht. „Ich habe gedacht, Monsieur Valmy hätte Sie auf spektakuläre Art und Weise befreit.

    „Was ist Leidenschaft? Madame Valmy verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Egoistische Gier nach Ruhm und Ehre, nach Macht und Besitz … gepaart mit Rücksichtslosigkeit und Mangel an Selbstbeherrschung …

    „Wir sprachen von Liebe!" protestierte ihre Gefährtin vehement.

    „Ich sagte doch, erwiderte Telse ernst. „Gier nach Macht und Besitz. Nach Macht über einen anderen Menschen. Und natürlich nach sexueller Befriedigung, fügte sie provozierend hinzu. „Liebe und Leidenschaft sind für mich zwei verschiedene Dinge. Und wenn letztere dann auch noch Menschen ergreift, die sich nicht beherrschen können, ist die Katastrophe vorprogrammiert."

    Obwohl Sophie nickte, schien sie nicht sehr überzeugt zu sein.

    „Wenn man einen Menschen wirklich liebt, fügte Telse in einer ganz bestimmten Absicht hinzu, „dann will man nur sein Bestes, auch wenn man selbst darunter leiden muß.

    „Das klingt alles sehr edel und weise, aber nicht nur in Romanen verlieben sich ältere Männer leidenschaftlich in jüngere Frauen und gerade in unserem Milieu heiraten sie sie auch."

    „Ich habe mich oft gefragt, warum die Leute beim Film immer heiraten müssen, wenn sie sich sowieso bald wieder scheiden lassen. Eher spießig, finden Sie nicht?" fragte Telse ironisch. Dann entschloß sie sich, Klartext zu reden.

    Ne tournons pas autour du pot. Ich denke, Sie verstehen nicht, warum Monsieur Rousseau Ihnen eine ältere Frau vorzieht."

    Aus den Augenwinkeln musterte sie die wie versteinert dasitzende Sophie, deren Hände sich um das Lenkrad krallten.

    „Sie sind nicht nur jung, sondern auch hübsch und intelligent, (nur ein bißchen naiv, fügte sie in Gedanken hinzu), „eine echte Blondine mit guter Figur, (wenn man den knabenhaften Typ mag), „und ausgezeichneter Erziehung, (Gott sei Dank). „Unvermögend sind Sie auch nicht …

    Sophies Miene wechselte von eitler Selbstgefälligkeit zu offener Empörung.

    „Tristan hat selbst Geld genug. Und überhaupt … Zuerst hatte ich auch Bedenken wegen des Altersunterschiedes. Aber als ich dann sah, wie gut Sie sich mit Ihrem Mann verstehen, dachte ich …", verlegen schwieg sie.

    „Sie dachten, führte Telse die Idee fort, „das Alter würde keine Rolle spielen. Das tut es bei uns auch nicht, denn von der Erziehung her gehöre ich praktisch zur gleichen Generation wie mein Mann. Er hat mir übrigens gesagt, er hätte mich nicht geheiratet, weil, sondern obwohl ich so jung bin. (Wenn du wüsstest, dachte Telse, daß ich sogar noch jünger bin, und schmunzelte innerlich.)

    Knirschend hielt der Wagen auf dem kiesbestreuten Vorplatz des Gasthofs.

    „Wir sehen uns dann beim Abendessen in Ihrem Hotel, sagte Telse und öffnete die Beifahrertür. „Und nehmen Sie mir meine offenen Worte bitte nicht übel.

    Sophie lächelte verlegen.

    „Im Gegenteil. Ich werde darüber nachdenken."

    „Und ich werde sehen, was sich machen läßt, damit Sie zu uns in den Gasthof ziehen können. Falls Sie das immer noch wünschen."

    „Mehr denn je. Vielen Dank!"

    Telse schlug die Wagentür zu und trat zurück. Versonnen schaute sie dem sich entfernenden Auto nach. Ihr erster Eindruck hatte sie nicht getäuscht. Sophie war wirklich ein liebes, nettes Mädchen. Und glücklicherweise ganz vernünftig. Sonst hätte sie bei ihrem Aussehen und ihren Beziehungen wahrscheinlich eine Karriere als Schauspielerin angestrebt. Von ihrer Schwärmerei für Tristan, denn etwas anderes schien es nicht zu sein, würde sie sich schnell erholen.

    Kapitel 2

    U ne bête noble, n’est-ce pas ?"

    Telse hörte nicht auf, die schwarz-weiße Setterhündin zu streicheln, die auf dem Rasen gegenüber dem Gasthofeingang an einem jungen Walnussbaum festgebunden war und aus klugen bernsteinfarbenen Augen zu ihr aufblickte. Ja, Patou war ein wahrhaft edles Tier, nicht nur einfach schön. Doch dann stutzte sie.

    Diese Stimme kannte sie doch. Ohne sich zu erheben, drehte sie sich zu dem Sprecher um.

    „Monsieur Cassot!" rief sie verblüfft und musterte den gut aussehenden älteren Herrn, den sie bisher nur in Nadelstreifen kannte. In einer leichten hellgrauen Gabardine-Hose und marineblauem Hemd mit offenem Kragen erschien ihr der Mann bedeutend jünger als vor zwei Jahren in Paris.

    „Nicht so laut, mahnte der Mann von der Spionageabwehr. „Ich muß dringend mit Ihnen unter vier Augen sprechen. Deshalb habe ich einen Moment abgepaßt, wo Sie allein sind. Eigentlich wollte ich heute früh mit Ihrem Mann reden, aber er fuhr dann sehr schnell mit einem anderen Herrn davon.

    „Das war sicher Michel Tessier, unser Aufnahmeleiter, nickte Telse. „Die Dreharbeiten haben gestern begonnen. Ich habe allerdings heute frei. Wenn ich nicht gebraucht werde, lungere ich nicht gerne am Drehort herum. Besonders dann nicht, wenn die Aufnahmen unter der Erde stattfinden. Zwar leide ich nicht gerade an Klaustrophobie, aber den ganzen Vormittag in einer Höhle zu verbringen …

    „Noch dazu bei diesem herrlichen Wetter", stimmte Cassot ihr zu.

    „Nicht, daß ich kein Interesse hätte, fuhr Telse fort, „aber ich habe das alles schon in Ruhe gesehen, als ich mit meinem Mann im vorigen Jahr auf Motivsuche war. Sogar die Malereien von Lascaux, mit einer Spezialgenehmigung. Ich habe in meinem Leben schon eine Menge Museen und Gemäldegalerien besichtigen können, aber selten hat mich etwas so berührt wie diese Zeichnungen. Mit ein paar Strichen haben die Maler die Pferde, Bisons und anderen Tiere nicht nur erkennbar skizziert, sondern auch die Anatomie und die Bewegungen hervorragend wiedergegeben. Das Ganze wirkt schon fast modern. Und Unebenheiten im Gestein wurden in die Malereien einbezogen, wie bei Reliefs. Genial.

    Cassot lächelte über Telses Begeisterung.

    „Ich habe Lascaux auch besichtigt, schon vor einiger Zeit, bevor es für die Öffentlichkeit geschlossen wurde. Was mich gewundert hat, war die Höhe, in der die Zeichnungen angebracht wurden. Der Künstler muß auf einem Gerüst gestanden haben. Warum nur?"

    „Um seine Werke vor modernen Graffiti-Schmierern zu schützen", grinste Telse.

    „Der Maler hat also nicht nur über künstlerische Fähigkeiten verfügt, sondern konnte anscheinend auch in die Zukunft sehen", schmunzelte Cassot.

    Telse stand auf und streckte sich. Mit leisem Fiepen protestierte Patou. Ihre schönen Augen blickten vorwurfsvoll.

    „Ich komme wieder, sagte Telse. Dann wandte sie sich an Cassot: „An Freizeit fehlt es mir wirklich nicht.

    „Haben Sie mir nicht erzählt, daß Sie vor drei Jahren bei Dreharbeiten in Marokko so eine Art Mädchen für alles der Produktion waren?"

    „Das stimmt." Bei der Erinnerung an ihre vielseitige Tätigkeit mußte Telse lachen.

    On m’a vraiment mise à toutes les sauces. Aber diesmal reicht das Budget für einen etwas größeren Stab. Ich habe keinerlei technische Aufgaben. Nur eine Nebenrolle. Die Geschichte ist nicht sehr originell. Eine Studentin wird ermordet. Da allgemein bekannt ist, daß sie einen ihrer Professoren schon seit längerer Zeit kannte, fällt der Verdacht auf diesen Mann, der sich natürlich nicht das Geringste vorzuwerfen hat."

    „Lassen Sie mich raten", bat Cassot. „Sie bringen die Unschuld des Angeklagten an den Tag und es gibt ein happy end."

    „Falsch, korrigierte Telse fröhlich. „Ich bin die Leiche. Vor ein paar Wochen hat man mich ermordet. Gestern früh haben mich dann Studenten gefunden.

    „Da haben Sie sich aber erstaunlich gut konserviert."

    Bien sûr. Im Film liegen nur ein paar Stunden zwischen dem Mord und dem Auffinden des Opfers. Und in den nächsten Tagen werde ich putzmunter mit meinem Großvater ein paar Einstellungen drehen." Während des Gesprächs waren sie auf einen schmalen Waldweg eingebogen.

    „Die Hauptrolle spielt eine Frau, die in Deutschland ein Star ist. Und nicht nur in Deutschland. Sie kennen doch bestimmt Nora Koll?"

    „Selbstverständlich, eine sehr schöne Frau. Sie hat nicht nur Charme und Ausstrahlung, sondern auch Intelligenz."

    „Und großes schauspielerisches Können gepaart mit Disziplin, schwärmte Telse. „Mein Mann schätzt sie sehr. Dabei wurde sie nur zufällig für den Film entdeckt. Eigentlich wollte sie Ärztin werden und hat in den Ferien als Statistin in einem Studio gearbeitet. In unserem Film hier spielt sie eine deutsche Journalistin. Der Professor wird mangels Beweisen freigesprochen und zieht sich verbittert in die Einsamkeit zurück. Nora glaubt an seine Unschuld. Bei der Suche nach dem wahren Mörder riskiert sie ihr Leben. Unterstützt wird sie nicht nur von den Kommilitonen, sondern auch vom Großvater des Opfers, der hier im Périgord ein Schloß besitzt. Und so ganz nebenbei entdeckt der Professor noch eine Höhle mit wundervollen Zeichnungen.

    „Und er heiratet die Journalistin", lächelte Cassot ironisch.

    „Ganz so weit geht die Geschichte nicht, winkte Telse ab. „Aber sie ist nicht besser und nicht schlechter als andere Krimis. Und die Drehorte sind hervorragend gewählt. Der Film ist übrigens in Farbe. Nehmen Sie nur das Tal der Dordogne im Frühling! Schlösser und Burgen auf jedem Hügel, malerische mittelalterliche Städte und eine zauberhafte Landschaft, in der alles grünt und blüht.

    Telse strahlte förmlich vor Begeisterung.

    „Da würde selbst aus dem banalsten Drehbuch ein sehenswerter Film. Und so schlecht ist die Geschichte auch nicht, sondern ziemlich spannend. Dazu noch mit Starbesetzung. Den Professor spielt Tristan Rousseau, den Schloßherrn unser alter Freund Alexandre, den Sie ja auch kennen …"

    „Ich mußte mich mit ihm beschäftigen, nachdem er vor ungefähr zehn Jahren in der DDR gedreht hatte."

    „Die Hexen von Salem, nickte Telse. „Den Mörder kennen Sie sicher auch. Marc Duverger.

    Cassot pfiff durch die Zähne. „Nicht schlecht."

    Telse lächelte zustimmend.

    „Es ist übrigens eine deutsch-französische Co-Produktion. Die Gegend hier ist in Deutschland relativ unbekannt. Die Touristen fahren entweder rechts vorbei Richtung Spanien oder links Richtung Côte d’Azur. Dabei gibt es kaum eine Gegend, die soviel zu bieten hat."

    „André Maurois hat einmal gesagt, in keinem Teil Frankreichs gäbe es mehr schöne Dinge zu sehen", bekräftigte Cassot.

    „Nur zu sehen? Für den, der sich weder für Kunst noch für Geschichte interessiert und den die herrliche Landschaft kalt läßt, gibt es eine ganz hervorragende Küche." In Erinnerung an das gestrige Abendessen fuhr sie sich genießerisch mit der Zunge über die Lippen.

    „Aber kommen wir zum Punkt. Ich glaube nicht, daß Sie hierhergekommen sind, um gut zu essen, Schlösser zu besichtigen oder in Höhlen herumzukriechen. Allerdings kann ich mir noch weniger vorstellen, daß es hier Spione zu jagen gibt. Die Flugzeugwerke liegen ja ein ganzes Stück weiter südlich."

    „Ob Sie es glauben oder nicht, ich bin im Urlaub."

    Telses Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.

    Während ihres Gesprächs hatten sie sich immer weiter vom Gasthof entfernt.

    „Hier zwischen den Bäumen kann uns niemand belauschen, sagte Cassot. „Es gibt kaum Unterholz. Er deutete auf einen Stein im Schatten einer riesigen, bestimmt uralten Eiche mit zerklüftetem Stamm, deren frisches Laub noch nicht gänzlich die welken Blätter vom Vorjahr verdrängt hatte. Obwohl die sesselförmige, mit Moos

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