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101 Jahre Deutschland von 1909 bis 2010: Lebenserinnerungen
101 Jahre Deutschland von 1909 bis 2010: Lebenserinnerungen
101 Jahre Deutschland von 1909 bis 2010: Lebenserinnerungen
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101 Jahre Deutschland von 1909 bis 2010: Lebenserinnerungen

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Ulrich Wolff von Weidenfeld (Jahrgang 1932), der Sohn eines Justizbeamten, wuchs im Mönchengladbacher Stadtteil Windberg in einem kunstinteressierten katholischen Elternhaus auf. Der später ein Juwelier- und Goldschmiedegeschäft in Viersen Betreibende beschäftigte sich bereits im Kindesalter mit der genauen Betrachtung von Kunstwerken und entwickelte sich zu einem Kenner der Kunstszene. Zeit seines Lebens setzte er sich aber auch intensiv mit geistigen Fragen und der katholischen Kirche auseinander. Seine Wissbegierde und das tiefe Empfinden für alles Umgebende ließen ihn zu einem kritischen Beobachter werden, der das politische Zeitgeschehen und Kunstschaffen bis zur Gegenwart genau verfolgte. Ausführlich würdigt er den katholischen Priester und Gesellschaftsethiker Dr. Anton Heinen, indem er seinen autobiografischen Betrachtungen einen ungekürzten Bericht aus dessen Nachlass beifügt.
LanguageDeutsch
Release dateMar 24, 2015
ISBN9783837216349
101 Jahre Deutschland von 1909 bis 2010: Lebenserinnerungen

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    101 Jahre Deutschland von 1909 bis 2010 - Ulrich Wolff v. Weidenfeld

    Interessierten

    Erlebte Zeitgeschichte in einer 800 Jahre alten traditionsreichen Familie

    // 1933-1945: Familien-Leben während der H i t l e r-Diktatur // // 1940-1945: Miterlebter englisch-amerikanischer Bombenterror auf deutsche Kinder, Frauen und Alte // 1936-2010: Die Kirche Jesu-Christi und ihr Ansehensverlust durch pädophile römisch-katholische Zölibatäre // 1941-1945: Ehrenhafte Deutsche: Willi H. Schlieker und Hans Weck in der Leitung des Rüstungs-Ministeriums bei Albert Speer // 1945 bis 1971 Aufstieg aus den Kriegsruinen: Tatsachen-Bericht von W. H. Schlieker // Adorno, Horkheimer und Marcuse: Ihr ominöser Einfluss nach dem Zweiten Weltkrieg auf die „68er-Generation und die Bewertung von Kunst und kreativem Dilettantismus in Deutschland // Dr. Anton Heinen, Theologe, Ethiker am „Volksverein für das katholische Deutschland in Mönchengladbach, Initiator der Erwachsenenbildung: „Worum es mir ging, mein Leben als Volkserzieher von 1909 bis 1932"//

    *

    Gewidmet meinen Nachkommen und historisch Interessierten zum Verständnis, welchen staatlichen Zwängen Millionen anständiger Deutscher ausgesetzt waren, deren unverschuldetes Schicksal darin bestand, zwischen 1933 und 1945, während der Nazi-Diktatur erwachsen zu werden oder zu sein.

    Ulrich Wolff v. Weidenfeld

    Die unzumutbare These des „Pseudo Historikers" G o l d h a g e n

    Daniel G o l d h a g e n, der amerikanische Politologe, wertete im Jahre 1996 in seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker, bewusst tendenziös und deshalb historisch unseriös, Vernehmungsprotokolle aus den Jahren 1945/46 von zweihundert hochkriminellen Naziverbrechern aus, um daraus resultierend den Trugschluss zu suggerieren, alle achtzig Millionen Deutschen seien während der H i t l e r - D i k t a t u r zwischen 1933 und 1945 psychisch und physisch bereit gewesen, selbst zu „verbrecherischen Judenmördern zu werden!

    Wie unseriös und in hohem Maße historisch falsch diese Bewertung durch Daniel Goldhagen zu beurteilen ist, ließe sich an folgendem Experiment beweisen: Er, Goldhagen, solle zweihundert in St. Quentin einsitzende hochkriminelle USA-Verbrecher befragen, warum sie so wurden, wie sie sind. Er würde von ihnen zu hören bekommen, sie seien so, weil ihre Familien schon immer so und nicht anders dachten und gehandelt hätten, und: Weil die „Gesellschaft der Vereinigten Staaten sie so geprägt habe. Daraus allerdings den historischen Rückschluss zu ziehen, alle Amerikaner seien deshalb auch jederzeit potentielle Schwerverbrecher, ist genau so absurd, wie anzunehmen, alle Deutschen des zwölfjährigen Nazi-Regimes wären ebenfalls bereit gewesen, „Hitlers willige Vollstrecker zu werden!

    Das „Versailler Diktat" im Jahre 1919. Die Katastrophe für Deutschland!

    Die Ursache der Ursache – ist die Ursache der Wirkung

    (Arthur Schopenhauer, Philosoph, 1788 – 1860)

    Die Ursache, die den Erfolg Hitlers und seiner Anhänger erst ermöglichte, war nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges: der Versailler Vertrag vom 28. 6. 1919. Der Erste Weltkrieg wurde nicht durch Deutschland begonnen, sondern entstand nach Meinung von David Lloyd George Earl of Dwyfor, dem englischen Premier-Minister von 1916 bis 1922:

    „Durch verwirrende Irritationen zwischen den vor 1914 in Europa agierenden S t a a t s m ä n n e r n!"

    Er, Lloyd George, konnte sich nicht in der so genannten Pariser Friedenskonferenz gegen den amerikanischen Präsidenten Woodrow W i l s o n und den französischen Minister-Präsidenten Georges C l e m e n c e a u durchsetzen. Dadurch wiesen die Siegermächte:

    „Deutschland die Alleinschuld am Ersten Weltkriege zu!" 

    Die Reparations-Bestimmungen wurden in 440 Artikeln festgesetzt. Deutsche Regierungs-Repräsentanten durften an den Verhandlungen nicht teilnehmen und wurden erst nach Festlegung des Vertragsinhaltes zur Unterzeichnung aufgefordert. Philipp Scheidemann als Minister-Präsident und Ulrich Graf v. Brockdorf-Rantzau als Außenminister lehnten für Deutschland den Vertrag als rechtswidriges Friedensdiktat ab und verweigerten die Unterzeichnung. Unter dem Druck eines fünftägigen Ultimatums unterschrieben die Minister Hans Bell und Hermann Müller.

    *

    Die englische Gräfin W a r w i c k  berichtet im „D a i l y  H e r a l d" am 4. April 1930 über eine im Jahre 1910 stattgefundene Unterhaltung des englischen Marschalls  F r e n c h  mit  C l e m e n c e a u und beteuert, dass sie dieser Unterhaltung als Dolmetscherin beigewohnt habe! Die Gespräche seien im Wesentlichen wie folgt verlaufen:

    C l e m e n c e a u erklärte auf die Freundschaftsbeteuerungen von French: „Was nützt uns die sentimentale Entente; mich interessiert nur, wie viel Mann gegen Deutschland an die Front gebracht werden können!"

    F r e n c h erklärte: „Dass vierhunderttausend Mann zur Verfügung ständen!"

    C l e m e n c e a u erwiderte: „Dass die französische Öffentlichkeit die englisch-französische Freundschaft als einen Schwindel ansähe, wenn die Zahl nicht auf eine Million erhöht würde!"

    C l e m e n c e a u: „Die Landung der englischen Truppen muss bei Dünkirchen erfolgen; dann müssen diese Truppen durch Belgien nach Deutschland marschieren!"

    F r e n c h : „Wie verträgt sich das aber mit unserer Unterschrift unter den belgischen Neutralitätsvertrag? Das muss man berücksichtigen!"

    C l e m e n c e a u: „Auf Verträge kommt es nicht an, wenn es zum Kriege kommt!" Clemenceau entwickelte im Laufe der weiteren Unterhaltung dann im Einzelnen seine Pläne des britischen Marsches durch Belgien, während die Franzosen durch Elsaß-Lothringen marschieren sollten.

    *

    Die Alleinschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde nach seinem Ende am 8. Mai 1945 von den Siegermächten wieder den Deutschen zugewiesen. Erst Jahrzehnte später widerlegte eine große Anzahl „Ausländischer Historiker und Publizisten nach Durchsicht ehemaliger amerikanischer, englischer und russischer Geheimarchive diese antideutschen Geschichtslügen. In seiner Publikation „Freispruch für Deutschland zitiert der Herausgeber Dr. Robert L. Brock, amerikanischer Bürgerrechtler und Historiker, aus den Forschungsergebnissen mehrerer hundert internationaler Historiker, Wissenschaftler, Politiker und Publizisten, in welchen den ungerechtfertigten, gegen Deutschland und das deutsche Volk gerichteten Anschuldigungen und Behauptungen eine Absage erteilt wird.

    *

    In der Schriftenreihe „Staat und Nation, Briefe an junge Arbeiter, das heißt für zukünftige Gewerkschaftsführer, formulierte Dr. Anton Heinen im Jahre 1923 zu dem Vertrag von Versailles unter anderem: „Das Volk schließt Verträge und Bündnisse mit anderen Völkern. Wirkliche Verträge, die auf der Gegenseitigkeit der Leistung beruhen, sind den Völkern heilig. Aber zum Beispiel der       „V e r t r a g von V e r s a i l l e s ist gar kein Vertrag; das ist ein so genanntes Diktat, durch das die Sieger dem Besiegten den Fuß in den Nacken gesetzt haben und hoffen, ihn für ewige Zeiten an der Kandare zu haben. Wenn das deutsche Volk zu diesem Diktat „Ja-und-Amen sagte, gäbe es sich selbst preis und schiede als Staatsvolk endgültig aus. Das kann es gar nicht. Das kann kein Volk, das etwas auf seine Ehre hält. Wir können uns nicht dabei beruhigen, für alle Zeiten Knechte der Sieger zu sein. So, das sollen sich die Sieger gesagt sein lassen: „Wer einem Volke die Ehre raubt und sich weigert, sie ihm wiederzugeben, der macht sich selbst ehrlos und erweist sich als feiger heuchlerischer Mensch, ob es nun ein Privatmann oder ein Staatsmann ist. Das ist ehrliche deutsche Auffassung von dem ‚Friedensdiktat’, auf das sich auf die Dauer kein anständiger Mensch, weder in England noch in Frankreich berufen sollte. Was uns Deutsche am tiefsten kränkt, ist ja, dass man in Versailles nicht mit uns Frieden geschlossen, sondern Gericht gehalten hat. Und zwei Seiten weiter: „Wäre der große Krieg vermeidbar gewesen? Wäre die Einkreisung Deutschlands vermeidbar gewesen? Hat Deutschland in den letzten Jahrzehnten den Staatsmann gehabt, der die Kunst der Politik beherrschte? Oder hat Deutschland Dilettantenpolitik gemacht, die es vereinsamte und umklammerte und schließlich in die Katastrophe hineinriss? War der große Krieg auf das Versagen der Politik zurückzuführen? Das sind Fragen, die müssen wir Deutschen in allem Ernst uns stellen, aber die berechtigen keinen Fremden, von der Alleinschuld Deutschlands am Kriege zu reden. Und die Wesensfrage für uns Deutsche ist jetzt nicht: Wie sind wir in die schauerliche Lage hineingekommen, sondern: Wie kommen wir daraus? Dies ist die Lebensfrage, die das Schicksal besonders an Deutschlands männliche Jugend stellt."

    *

    Wer war Dr. Anton Heinen?

    Römisch-katholischer Theologe und Gesellschafts-Ethiker, geboren am 12. November 1869 in Buchholtz bei Bedburg an der Erft, gestorben am 3. Januar 1934 im rhein-maasländischen Rickelrath bei Wegberg. Von 1898 bis 1908 Gymnasiallehrer in Eupen, ab 1909 bis 1933 der führende Deutsche in der Erwachsenenbildung am „Volksverein für das katholische Deutschland mit Sitz in Mönchengladbach. Der letzte Generaldirektor des Volksvereins, Johannes van der Velden, von 1929 bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933, von 1943 bis 1954 Bischof von Aachen, urteilte über Dr. Anton Heinen im Jahre 1951 anlässlich einer Tagung: „Der größte lehrende und publizierende christliche Gesellschaftsethiker, Volksbildner und Familienpädagoge der Neuzeit, der die äußerst seltene Gabe besaß, seine Gedanken so in Worte zu fassen, dass die angesprochenen Gesellschaftsschichten oder Berufsgruppen: (Wissenschaftler, Fabrikanten, Fabrikarbeiter, Gewerkschaftler, Landwirte, Lehrer, Mütter und so weiter) sich in ihren eigenen verbalen Empfindungsäußerungen verstanden fühlten! Und Bischof van der Velden sagte im Jahre 1954 in Krefeld, kurz vor seinem Tode, zu Anna Maria Weck, geb. Heinen: „Ihres Onkels europäische Völkervision verhinderte nach dem Ersten Weltkriege, durch seine stillen aber überzeugend einflussnehmenden Gespräche, die Ausbreitung des Separatismus und die dadurch erstrebte territoriale Loslösung des Rheinlandes von Deutschland. Heute ist Adenauer dabei, seine Völkerverständi-gungs-Idee in Europa zu verwirklichen. In seiner sozialethischen Studie: „Der Mammonismus und seine Überwindung verlegt 1919 im Volksvereins-Verlag Mönchengladbach, erklärte Anton Heinen: „Und nur als Nation kann sich das deutsche Volk in einem Völkerbunde behaupten, kann es ein Glied eines größeren, umfassenderen Organismus sein, der aus dem Geiste der Solidar-Verantwortlichkeit der Völker füreinander seine Formen, Rechte und Verpflichtungen findet. Nicht in pietistischem Pazifismus, nicht in der Interessenverbundenheit der Völker, sondern in der Seele, die wahrhaft universalistisch ist und sich zur Tat der Menschheits-Verantwortlichkeit aufrafft, hat ein Bund freier Völker Sinn und Verstand. Dies ist aber der tiefste Sinn des Christentums, eine Macht zu sein, die alles durch feindselige Interessen und Gegensätzlichkeiten Getrennte in der höchsten, aus Gott stammenden Ordnung der Hochherzigkeit und Liebe vereinigt."

    „Mein Leben als V o l k s b i l d n e r. Worum es mir ging!"

    Rechenschaftsbericht von Dr. Anton Heinen. Ulrich erhielt den Rapport als Erbe von Anna Maria Weck, der Nichte von Dr. Anton Heinen (Ungekürzte Wiedergabe ab Seite 470). Heinens umfangreiche Publikationen zur Systematik der Volkserziehung für alle pädagogisch Verantwortlichen: Eltern, Theologen, Lehrer, Unternehmer und so weiter sind aufgeführt in: Pädagogik der Gegenwart (Verlag I. Setzkorn-Scheifhacken, Mühlheim-Ruhr 1957).

    H i t l e r - D i k t a t u r: E r l e b n i s s e von 1933 – 1945 im Hause Weidenfeld und in bekannten und verwandten Familien

    Die Lebenserinnerungen des 1932 geborenen Ulrich Weidenfeld, wurden ab 1996, dem Erscheinen der Goldhagen-Publikation, zusammengefasst, um geschichtlich Interessierten und den Nachkommen des Hauses Weidenfeld persönlich authentische Wahrnehmens-Schilderungen während der zwölfjährigen „Hitler-Ära im so genannten „Dritten-Reich zu übermitteln und verständlich zu machen, wie in diesen bedrückenden Jahren in der eigenen Familie gedacht und gehandelt wurde. Theodor Weidenfeld, der während des deutschen Truppenrückzuges als Angehöriger der deutschen Wehrmacht im Osten, an der „Darminfektion Ruhr erkrankte, dadurch in russische Gefangenschaft geriet und trotzdem unter Einsatz seines eisernen Willens aus einem Kriegsgefangenenlager der sowjetischen Frontarmee in Krummau an der Moldau in der Tschechoslowakei entfloh und schon Ende Mai 1945 „zu Fuß gehend und streckenweise, soweit Eisenbahnschienen nicht durch Fliegerangriffe zerbombt waren, auf Kohlezügen mitfahrend, seine Ehefrau Tita und den gemeinsamen Sohn Ulrich in der Evakuierung in Altmühl-Franken erreichte, wurde von seinem dreizehnjährigen Ulrich am Tage nach seiner Ankunft, am 26. Mai 1945 gefragt: „Ob er früher Adolf Hitler und die Nazis gewählt habe?, und erhielt die Antwort: „Ja, im Jahre 1932, ich hatte das Gefühl, dass die bürgerlichen Parteien unfähig waren, mit dem seit den frühen 1920er Jahren in Deutschland herrschenden, kommunistischen Chaos fertig zu werden, und dachte, dann soll doch der starke Mann mal zeigen, was er kann. Für die vielen, patriotisch denkenden deutschen Normalbürger war die spätere, die nach 1938 einsetzende politische Entwicklung, nicht vorhersehbar. In seiner ersten Rede als neuer Reichskanzler erklärte Hitler am     30. Januar 1933 die Ziele seiner Regierung, und zum Schluss kam die Aufforderung: „Nun deutsches Volk, gib uns die Zeit von vier Jahren und dann urteile und richte über uns! Die Nationalsozialisten wiederholten ihre Legitimation zum Regieren ohne Wahlen mit dem Ermächtigungsgesetz der Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919, in den Jahren 1933, 1937 und 1943. Im Jahre 1938 hätte Hitler sich noch bei Wahlen der großen Mehrheit aller patriotisch empfindenden Deutschen sicher sein können, denn er schaffte Arbeit für sechs Millionen Arbeitslose, die latente Gefahr eines jederzeit ausbrechenden Bürgerkrieges war seit der Regierungsübernahme im Januar 1933 gebannt; seine über den Rundfunk zu hörenden Friedensbeteuerungen wurden mittels internationaler Abkommen legitimiert und überzeugten nicht nur seine Landsleute, sondern auch die politischen Führer des Auslandes. Die Zahl der Kriegstoten in diesem ersten „Großeuropäischen Bürgerkrieg" betrug zehn Millionen, davon in Deutschland      1,81 Millionen und 4,25 Millionen Verwundete.

    In der sich anschließenden Not-, Hunger- und Inflationszeit bis 1924, sowie auf Grund der seit 1919 immer wieder durch Kommunisten und Radikalsozialisten aufflammenden Straßenkämpfe gegen die staatlichen Repräsentanten der Weimarer Republik, sehnten sich alle nach Frieden, Recht und Ordnung. Äußeren und inneren Frieden zu bringen, Recht und Ordnung wieder herzustellen, beschworen ab 1933 – in vorher nie bekanntem Maße bis in jede deutsche Wohnung über das neue Massenmedium Rundfunk wirksam werdend, mit den für jeden „Volksgenossen" der Nazizeit zu Niedrigstpreisen bezahlbaren, meist schwarzen, seltener braunen, aber im Gehäuseoberteil immer gerundeten Volksempfängern aus Bakelit der erste Medien-Kanzler der Deutschen: Adolf Hitler, und sein reklametüchtiger Werbemanager Joseph Goebbels. Die Führung der Nationalsozialistischen Regierung brachte nach dem 30. Januar 1933, dem Jahre der so genannten Machtergreifung, das Phänomen zustande, die edelsten nationalen und sozialen Empfindungen der Deutschen in unvorstellbarem Maße so zu motivieren, dass sich Sozialdemokraten, Liberale, Deutschnationale, Konservative und besonders die deutsche Jugend persönlich zum Mitgestalten an Deutschlands Zukunft gefordert fühlten.

    Zeitlebens blieb dem noch nicht vierjährigen Ulrich in Erinnerung, mit welcher überwältigenden Begeisterung die Rheinländer am    7. März 1936 den Einmarsch deutscher Truppen in das seit November 1918 entmilitarisierte, links-rheinische deutsche Gebiet begrüßten und er vergaß nie, wie der Weidenfeld Nachbar, Wilhelm Pongs, ein aktiver Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges, Mitglied der katholischen Zentrumspartei und Kritiker des Hitler-Regimes, dieses Ereignis tränenden Auges kommentierte: „Unsere deutsche Ehre ist wieder hergestellt!"

    Im Frühjahr des Jahres 1939 war die Einstellung zur Regierung der Nationalsozialisten differenzierter. Es gab sowohl das apolitisch-familiäre „Tagaus-tagein-Leben als auch die stumme, in Familien nach „draußen nicht artikulierte Ablehnung in der „Inneren Emigration", das Emigrieren ins Ausland und den tollkühnen Widerstand, der in Nazi-Gefängnissen mit dem Tode durch Vergasen, Erhängen oder Erschießen beendet wurde. Nicht zuletzt aber auch bestes, im anständigen deutsch-nationalen Sinne zustimmendes Engagement, weil die menschliche Verrohung durch eine Minderheit kriminell, monströser Naziverbrecher für die meisten Deutschen erst nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur im Mai 1945 erschütternd offenbar wurde.

    *

    So auch der gezielte Mord an Karl Schwager aus Bremen, der als überzeugter Sozialdemokrat im Jahre 1942 wegen des Verteilens von Flugblättern mit kritischen Informationen über das Hitler-Regime verhaftet und nach Mauthausen in das nationalsozialistische Konzentrationslager gleichen Namens überführt wurde. Mauthausen liegt wie Braunau, Adolf Hitlers Geburtsort, in Oberösterreich. Rund die Hälfte der hunderttausend Insassen von Mauthausen wurde erschossen, vergast oder kam bei der Zwangsarbeit ums Leben, und Karl Schwager gehörte zu jenen, die in der angeschlossenen Vernichtungsstelle Hartheim vergast wurden, was erst nach 1945 offenbar wurde. Offizielle NS-Mitteilung an seinen Bruder:

    Konzentrationslager Mauthausen, Mauthausen, den 3. Jan. 1943 Kommandantur

    An Herrn Gustav Schwager, Hannover, Dragoner-Straße!

    Ihr Bruder Karl Schwager, geb. 8.4.1894, ist am 29.12.1942 an Kreislaufschwäche im hiesigen Krankenhaus verstorben. Die Leiche wurde am 31. 12. 1942 im staatlichen Krematorium eingeäschert. Gegen die Ausfolgung der Urne bestehen, wenn eine Bescheinigung der örtlichen Friedhofsverwaltung beigebracht wird, dass für ordnungsgemäße Beisetzung Sorge getragen ist, keine Bedenken. Eine Sterbeurkunde können sie bei Einsendung der Gebühr von Reichsmark 0,72 beim Standesamt Mauthausen II anfordern.

    i. A.(im Auftrag) Huntz, SS-Untersturmführer

    Eine weitere von vielen unzähligen Exekutionen, mit welchen die „NAZIS ihre deutschen Mitbürger, die so genannten Volksgenossen, an die Kandare nahmen, geschah neunzehn Monate später: In den von deutschen Truppen besetzten Gebieten des Zweiten Weltkrieges wurden im Auftrage der Wehrmacht geeignete ausländische Betriebe zur Waffenherstellung ausgesucht. Der Wirtschaftsprüfer Dr. Hans Holte aus Wuppertal befand sich deshalb in Norwegen und äußerte sich nach dem Attentat auf Adolf Hitler, am 20. April 1944, in einem kleinen Kreise von Wehrmachtsoffizieren: „Dieser Krieg ist von Adolf Hitler nicht mehr zu gewinnen! Dieser Äußerung wegen wurde er im norwegischen Tromsö von einem deutschen Militärgericht der Wehrkraftzersetzung für schuldig befunden und hingerichtet.

    Ideologie-Riss durch deutsche Familien während der   H i t l e r - Z e i t

    Ein exemplarisches Beispiel für eine bodenständige, deutsch im besten Sinne empfindende, rechtschaffene Familie und ihre Einstellung für und gegen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) erfuhr Ulrich, als er 1955 in Viersen seine spätere Ehefrau Irmgard Spielhofen kennen lernte, deren Mutter war die im Jahre 1897 geborene Maria Kreuels, das fünfte Kind dieser Viersener Familie. Die Kreuels-Ehe war mit elf Kindern gesegnet, von welchen neun die Regierungszeit der Nazis durchlebten: Anna *1888, Toni *1890, Ludwig *1892, Heinrich *1895, Maria *1897, Johannes *1898, Elisabeth *1899, Peter *1901 und Clara *1904. Seit Generationen war diese Familie als Gastwirte und Metzger tätig. Patriarchalisch bestimmend, wurde Wilhelm Anton, der Vater der elf Kreuels-Kinder, von seinen Töchtern empfunden. Gottesdienste an Sonntagen waren für Familienmitglieder eiserne Pflicht. Ausnahmen gestattete der erzkatholische Ratsherr der Zentrums-partei in Viersen selbstverständlich, wie konnte es auch anders sein, nur männlichen Familienmitgliedern wegen beruflicher Verpflichtungen. Wilhelm Antons gebieterische Strenge in römisch-katholischer Weltanschauung erwies sich auch an seinem Eingreifen, als im Jahre 1925 seine beiden Töchter, die sechsundzwanzigjährige Elisabeth von einem jüdischen und die zwanzigjährige Clara von einem jungern Mann evangelischen Glaubens nachmittags bis zum Elternhause begleitet wurden. Sein Verbot: weitere Kontakte „met ene Jüdd odder ene Calvinsche zu pflegen (mit einem Juden oder einem Calvinisten); Calvinisten wurden seinerzeit die Evangelischen zwischen Rhein und Maas nach dem Reformater Calvin genannt, wurde gehorsam von beiden erwachsenen Töchtern befolgt. Er, Wilhelm Anton, wurde am 23. März 1860 in Viersen geboren, erlernte wie das vielfach in den zurückliegenden Generationen als Grundbedingung für jeden erfolgreich Selbständigen in der traditionellen deutschen Gastronomie galt, das Metzgerhandwerk. Auf väterlich-familiärem, solidem Fundament aufbauend, mit ideenreichem, jahrzehntelangem Fleiß und unter Mitarbeit seiner engagierten familiären Helfer, die sein unternehmerisches Handeln unterstützten, schuf er ein Gastronomie-Unternehmen von herausragender Bedeutung, welches Metzgerei, Gastwirtschaft, ein kleines Angebot von Hotelzimmern und den größten Festsaal der Mittelstadt Viersen besaß. Das stattliche Anwesen befand sich an der nordöstlichen Seite der Kreuzung von Diergardt- und Brückenstraße gegenüber von den Produktionsgebäuden der deutschlandweit agierenden Kaisers-Kaffee-Gesellschaft (KKG). Nach Süden auf der anderen Straßenseite standen die um 1870, in der so genannten Gründerzeit, erbaute Villa des Textilbarons Schmidt und das Krankenhaus Maria-Hilf. Die genannten Straßen, das Krankenhaus und alle Produktions-, Lager- und Verwaltungsgebäude der Firma KKG zwischen Goeters- und Lindenstraße wurden einhundert Jahre später, vor Errichtung der Viersener Kreisverwaltung eingeebnet, während die Schmidtsche Villa, heute Galerie im Park, als einziges Bauwerk erhalten blieb. 1923, im Laufe des Herbstes, auf dem Höhepunkt der Hypo-Inflation, verkaufte der dreiundsechzigjährige Wilhelm Anton Kreuels seinen gesamten gastronomischen Besitz, welcher unmittelbar an einen Teil der nach Norden sich anschließenden Produktionsstätten der Firma Kaisers-Kaffee grenzte, an seinen Vetter, den Kommerzienrat Josef Kaiser (die Schwestern Maria und Elisabeth Liesemanns heirateten in die Familien Kaiser und Kreuels ein, Maria war die Mutter von Josef Kaiser und Elisabeth die Mutter von Wilhelm Anton Kreuels). Der Kreuelssche Festsaal spielte in den nächsten fünf Jahrzehnten, umbenannt in Kaisers-Tonhalle, eine besondere Rolle im Gesellschaftsleben der rhein-maasländischen Mittelstadt. Im Kaufvertrag wurde ein Teil des Kaufpreises als Barauszahlung vereinbart. Dieses Geld wurde sofort zum Ankauf der Gaststätte Lankes in Viersen, an der Kreuzung von Wilhelm- und Remigiusstraße verwendet, während der weitaus größere Anteil des Kaufpreises als grundbuchgesicherte Einlage mit Gewinnbeteiligung zugunsten von Wilhelm Anton Kreuels in die Kaisers-Kaffee-Gesellschaft eingebracht wurde. Auf dem Höhepunkt der Nachkriegsinflation erfolgte im November des Jahres 1923 zur Stabilisierung der deutschen Währung aufgrund des Reichsgesetzes eine Neubewertung: „Eine Billion Papiermark wurde auf den Gegenwert von einer Goldmark festgesetzt! Entsprechend wurden auch alle grundbuchgesicherten Darlehen an Produktions- und Handelsfirmen währungsbereinigt. „Wenn ich das gewusst hätte – dann hätte ich nicht an meinen Vetter Josef Kaiser verkauft, denn als Kommerzienrat mit „Berliner Wissen" wusste er bestimmt früher als andere Bürger um den Verlust grundbuchgesicherter Darlehen im Zuge der Währungsreform.

    „Dä dörf net henger min Liek jon!(Er darf nicht hinter meiner Leiche gehen!), erklärte der biedere Gastronom und Metzgermeister Wilhelm Anton Kreuels in seinem Bekanntenkreise und war nicht in der Lage, einsehen zu können, dass eine so gravierende Währungsreform nur von einem eng begrenzten Kreise währungspolitischer Experten, unter größter Geheimhaltung vorbereitet und am vorgesehenen Stichtage schlagartig eingeführt werden konnte, um jedes Währungsspekulantentum verhindern zu können. Am  14. Mai 1937 verstarb Wilhelm Anton Kreuels. Und der Erste, der hinter dem Leichenwagen vor allen anderen Trauernden einherging war Josef Kaiser, der als Viersener mit exorbitanter Reputation unangefochten seinem Vetter „die letzte Ehre erwies! Vorher, Ende der 1920er Jahre, übergab der achtundsechzigjährige, von Rheuma und Gichtschüben gepeinigte Wilhelm Anton Kreuels seine Gaststätte im großen Eckhaus, Wilhelmstraße Nr. 28 (Ecke Remigiusstraße) an seinen ältesten Sohn Wilhelm Anton, genannt Toni, Geburtsjahrgang 1890. In Dr. Arie Nabrings im Jahre 1992 veröffentlichtem Buch: Der kurze Weg zur Macht (gemeint sind die Nationalsozialisten) ist zu lesen: „Organisatorisch gehörte Viersen bis zum Ende des Jahres 1932 zum Kreise Gladbach-Rheydt, bevor es im Januar 1933 Zentrum des neuen Kreises Viersen-Kempen wird. Die NS-Kreisleitung hat ihren Sitz im Lokal von Toni Kreuels auf der Wilhelmstraße, das zugleich als Verkehrs- und Versammlungslokal der Nationalsozialisten dient. Dort verbleibt sie nicht lange und zieht in das ‚Hotel Horst Wessel’ an der Gladbacher Straße 1, Ecke Heierstraße, den vormaligen ‚Viersener Hof’, der ebenfalls von Kreuels betrieben wird."

    Der Straßenterror wurde im amtlichen Viersener Polizeibericht protokolliert: „In der Nacht zum 16. Juli versuchten etwa 100 Personen, die Wirtschaft Kreuels, hier, Wilhelmstraße, die Verkehrs-Lokal der Nationalsozialisten ist, zu stürmen. Es wurden hierbei mehrere Fensterscheiben eingeschlagen und auch Schüsse abgegeben. Alsdann zog der Zug zur Hauptstraße, wo auch einige Schüsse fielen. Hier wurde er von den hinzukommenden Polizeibeamten aufgelöst. Soweit bekannt, sind Personen nicht verletzt worden. Die Vereinigte-Dreistädte-Zeitung berichtete: „Von privater Seite erfahren wir, dass als Täter auswärtige Kommunisten in Frage kommen, die gegen 12 Uhr (nachts) zu dem genannten Lokal hinzogen. Die konservative „Viersener-Zeitung schildert in einem Artikel zum Straßenterror in Deutschland unter anderem: „Es ist nun aber nachgerade unmöglich geworden, noch länger zuzusehen, wie die Geister systhematisch verwirrt werden. Wir hatten im Reich in den letzten vierzehn Tagen durchschnittlich zwei Tote täglich. Wer Zeitungen lesen kann, wird festgestellt haben müssen, dass die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) allerorts im deutschen Vaterlande die Mordparole herausgegeben hat. Das wundert uns nicht, überrascht uns ebensowenig, hat doch der Viersener KPD-Führer ‚Münster’ vor einigen Wochen auf der Donk seine Genossen zum Mord an den Faschisten-Hunden der hiesigen Ortsgruppe aufgefordert. Der Herr Münster wird das nicht abstreiten können. Die Polizei ist davon in Kenntnis gesetzt worden. Zu dem kommt noch, dass in Viersen seit zirka vierzehn Tagen ein Gerücht kursiert, wonach die Viersener KPD eine Mordliste aufgestellt haben soll. Inwieweit das stimmen kann, mag die Stelle an der Polizeiverwaltung feststellen, die sich mit derartigen Geschichten zu befassen hat. Jedenfalls ist es erforderlich, dass dies einmal klar und eindeutig in aller Öffentlichkeit gesagt wird, denn es kann doch von niemand geleugnet werden, dass eine derartig künstlich heraufbeschworene Mord-Psychose böses Blut schaffen muss. Der Bürger, der noch klare Augen im Kopf hat, konnte feststellen, dass es die Genossen der KPD und SPD waren, die seit Montag der vergangenen Woche das Provozieren unserer Bürger besorgt haben.

    Der gastronomische Unternehmer Wilhelm Anton Kreuels, genannt Toni, verstarb wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 11. April 1939, als Neunundvierzigjähriger. Fünfzehn Monate später, am 22. Juli 1940, wurde sein neunzehnjähriger Sohn, Hans-Toni getötet, der, ermüdet nach einer Sportveranstaltung der Hitlerjugend, Wasser zur Teezubereitung auf dem Gasherd erhitzte, sich noch in der Hitler-Jungen-Uniform auf die Wohnzimmercouch setzte, einschlief und nicht bemerkte, dass das überkochende Wasser die kleinen Flammen des Brennerkopfes auslöschte. Benommen, durch den Dunst des giftausströmenden Gases erwachend, wollte er sich eine Zigarette anzünden und löste dadurch eine Gasexplosion aus, die ihn tötete und die Wohnung in der ersten Etage verwüstete. Aus Gram verstarb die Letzte der kleinen Familie, die Ehefrau und Mutter Wilhelmine Hedwig, am 4. März 1943. Der nächste, im Jahre 1892 geborene Sohn Hermann Ludwig Kreuels war seit Mitte der zwanziger Jahre Inhaber einer Gaststätte mit Metzgerei in Lobberich, Marktstraße 14. Das Haus war das Parteilokal der NSDAP und des SA-Sturms von Lobberich und an der Hausfront mit einem Aushangkasten für Stahlhelm- und NSDAP-Publikationen bestückt. Clara, die jüngste Kreuels Tochter, verheiratete Pauen, führte mit ihrem Mann die erfolgreiche Gaststätte Grünewald-Drenker, Ecke Gladbacher- und Friedensstraße in Viersen, ebenfalls mit Frequentierung von NS-Parteigenossen. Während der 1901 geborene Peter Kreuels, selbständiger Steuerberater in Viersen, seine Familie überraschte, als er Ende Januar des Jahres 1942, sieben Monate nach Hitlers Kriegserklärung an die Sowjetunion, in einer – wie geschildert wurde – allen Familienmitgliedern unbekannten Uniform als Landkommissar des polnisch-ukrainischen Galicien auftrat. Eine Uniform, die weder der Wehrmacht noch einer NS-Gliederung, sondern nach Mutmaßung seiner kritisch dem NS-Regime gegenüberstehenden Geschwister, vermutlich einer Polizeiorganisation zuzuordnen war. Ulrichs Recherchen in den 1990er Jahren in Instituten für Neuere Geschichte in Berlin, Warschau und Krakau ergaben keinen Hinweis auf eine Polizeizugehörigkeit. Der Historiker und Publizist Klaus Marcus sprach die Vermutung aus, dass Peter Kreuels als Landkomissar von Galicien dem Landwirtschaftsministerium in Berlin unterstand. Nach Ansicht seiner Nichten Martha Nau und Irmgard Spielhofen, Ulrichs späterer Ehefrau, war nach 1945, nach Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur eine deutliche Veränderung seiner Persönlichkeitsstruktur vor sich gegangen. Der früher als forsch empfundene Peter wirkte nach dem Krieg befangen und übte seinen selbständigen Beruf nicht mehr aus. Er arbeitete als Büroangestellter bei der Militärverwaltung der Engländer.

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    Traumatisierung junger Frontsoldaten auch im Zweiten Weltkrieg

    Auf seelische Belastungsstörungen durch Kriegserlebnisse wurde der achtjährige Ulrich im Spätherbst des Jahres 1940 durch Wilhelm Pongs, hingewiesen, der im Nebenhause wohnte und als Soldat im Ersten Weltkrieg, von 1914 bis 1918, in den deutsch-französischen Hauptkampfgebieten an der Somme und in Verdun zum kämpferischen Einsatz kam. Er erzählte von gleichaltrigen, bei Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914 etwa 20jährigen jungen Deutschen und Franzosen, die vor ihrer menschlichen Reife wie Vieh auf die militärischen Schlachtfelder kommandiert und wenn sie nicht erschossen wurden, für den langen Rest ihres Lebens vielfach als seelisch gebrochene Menschen zurückkehrten. Spätfolgen in unterschiedlichster Art und Weise, wie Angstzustände, Depressionen, Konzentrationsmängel, Leistungsschwäche, Panikattacken, Schlafstörungen, Wahnvorstellungen, Wutausbrüche seien je nach persönlicher Veranlagung zu beobachten und je mehr Feuergefechte ein Soldat überlebte, umso belastender gestalteten sich die posttraumatischen Belastungen. In den 1950er und 1960er Jahren erfuhr Ulrich in Gesprächen mit vielen Personen, zu derem familiären Umfeld traumatisierte, ehemalige Soldaten des Zweiten Weltkrieges gehörten, gleiche Verhaltensstörungen. Bereits 1975 nach dem Vietnamkrieg und ebenso 2006, im Verlaufe des Irakeinsatzes wurde in den USA begonnen, den Prozentsatz der aktiv in Nahkämpfe abkommandierten US-Soldaten zu ermitteln, die im späteren Leben mit exorbitanten seelischen Störungen behaftet waren. Die Studie ergab, dass siebzehn Prozent aller heimgekehrten Soldaten unter Traumatisierungen litten.

    Zur Gruppe der im Zweiten Weltkrieg emotional Traumatisierten dürfte auch Peter Kreuels gezählt haben. Alle Kreuels-Geschwister, sowohl Brüder als auch Schwestern, waren mit ihren Ehepartnern zum Teil innerfamiliär bekannte, begeisterte Anhänger oder Gegner in der „Nazizeit". Annas Ehemann, der als Lehrer an der Volksschule Schultheißenhof tätige, im Jahre 1877 geborene Georg Nau, machte aus seiner NS-Ablehnung auch öffentlich keinen Hehl und wurde seit dem 30. Januar 1933, an welchem Reichspräsident Paul v. Hindenburg, Adolf Hitler zum Reichskanzler der  24. Regierung der im Jahre 1919 gegründeten Weimarer-Republik ernannte, mit anonymen nächtlichen Anrufen terrorisiert. Georg Naus Schlaf immer wieder störend, bedrohte man ihn und kündigte seine in Kürze erfolgende Verhaftung durch die Gestapo (Geheime Staatspolizei) an.

    Mit gleichem Psychostress verfolgten auch terrorisierende Nazi-Kriminelle seinen, das nationalsozialistische System kritisierenden Kollegen Peter Lankes, Rektor an derselben Schule. Mit starker Psyche widerstand Lankes, zugleich Ortsvorsitzender der Zentrumspartei in Viersen, den Anfeindungen der Nazis, wurde degradiert und als Lehrer nach Duisburg-Meiderich strafversetzt. Nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur im Mai 1945 wurde Peter Lankes als Schulrat nach Viersen zurückberufen. Die der NSDAP angehörenden Kreuels-Schwäger des Lehrers Georg Nau, allen voran Peter, konnten sich diese kriminellen Telephonattacken nicht vorstellen und waren der Ansicht, dass sie eines anständigen deutschen Mannes unwürdig seien und hielten ihn, Georg Nau, deshalb für einen sich interessant machen wollenden Phantasten. Seiner Frau und seinen drei Kindern zuliebe ging Nau in die „Innere Emigration und schwieg mit seiner NS-Kritik. Zu spät: die nächtlichen NS-Attacken schädigten den empfindsamen Georg Nau so sehr, dass am 15. Dezember 1933 in seiner Dienstakte vermerkt wird, wegen Herzschwäche sei er unfähig zur Unterrichtserteilung, zwei Jahre später erlag er dem Verfolgungsdruck durch Herzversagen. Der Riss des früheren, parteipolitischen Gegensatzes zog sich, unterschwellig spürbar, quer durch diese Familie auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Jahre 1972 besprach Ulrich zum ersten Mal seine seit 1956 in dieser Familie beobachteten Empfindungen mit der 1917, im Ersten Weltkrieg geborenen Tochter Martha von Georg Nau und seiner Frau Anna, geb. Kreuels. Sie, die passionierte Lehrerin, Martha Nau, bestätigte Ulrichs Ansicht und konkretisierte, was er empfand: „Bei den Familienfesten habe sie bei aller offensiv zur Schau gestellten, munteren Fröhlichkeit besonders durch den jüngsten Bruder ihrer Mutter, Peter, in den Jahrzehnten nach 1945 erlebt, dass er sie nicht mehr geraden Auges angesehen habe, sondern immer ihren Blicken ausgewichen sei. War es Scham, seinem Schwager im „Dritten Reich Unrecht getan zu haben, oder belasteten Kriegserlebnisse seine Psyche? Martha Nau sinnierte über sein Verhalten bis zu ihrem Tode am 27. April 2000. Maria Kreuels, im Jahre 1897 geboren, und ihr Ehemann Josef Spielhofen, geb. 1894, beide mit kritischer Einstellung zum NS-Regime, verhielten sich lebensklug zurückhaltend in diesen schwierigen Jahren. Josef Spielhofen, ein honoriger Mann von konservativ liberaler Denk- und feiner Wesensart, erzählte seinem Schwiegersohn Ulrich im Jahre 1959, wie er vor 21 Jahren, im Januar des Jahres 1938 mit einem jüdischen Viehhändler-Kollegen im gleichen Zugabteil saß. Nach vorangegangenen Fachgesprächen habe ihm unvermittelt der Jude in rhein-maasländischem Dialekt gesagt: „Mensch Jupp, du jlöffs janett, wie dreckesch et os Jüdde jeht: dr Düwel mös etbäs enne Jüdd sien! (Mensch Josef, du glaubst gar nicht, wie dreckig es uns Juden geht – der Teufel müsste am besten ein Jude sein!) Josef Spielhofen meinte erklärend zu Ulrich: „In meiner Berufssparte bin ich nie von einem Juden übervorteilt worden: wenn ein Jude mit Handschlag ein Handelsgeschäft abschloss, war grundsätzlich absolutes Vertrauen gegeben. Heute haben wir in Mönchengladbach am Schlachthof einen arischen Viehhändler-Kollegen: Roeber Ött, für einen solchen Mann hatten die Juden die treffende Charakterisierung in ihrem Vokabular: „Dat es enne Schnobbel (Schnobbel bedeutete Gauner), wer mit ihm ein Geschäft abschließt, ist schon betrogen, bevor er sich nur umdreht. Roeber Ött ist bekannt für seine Gauner-Allüren, er ist ein nachgeborener, würdiger Sohn einer Bauernfamilie mit zwar üblem Leumund, dafür aber umso größerem Grundbesitz in Windberg-Großheide. Mit den Männern dieser Familie will kein rechtschaffener Landwirt der Gegend ein Glas Bier trinken. Ulrich, ich weiß: für dich ist der Leumund dieser Sippe weiß Gott nichts Neues, denn die ersten achtzehn Jahre deines Lebens hast du ja in der Gegend gewohnt."

    Politisch kontrovers gedacht und gehandelt wurde in den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg in vielen deutschen Familien, unabhängig vom intellektuellen Niveau. Ulrichs Gedankenaustausch in den Jahren nach 1956 mit den von 1895 bis 1899 geborenen Kreuels-Nachkommen, Heinrich, Johannes und Elisabeth und Maria, der Mutter seiner Ehefrau Irmgard, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: „Unsere älteren Brüder Toni, Ludwig und unser jüngster, Peter, waren persönlich überzeugt, aktiv und öffentlich an der lebenswerten Zukunft der Deutschen mitgestalten zu müssen, damit nicht kommunistische und radikal-sozialistische Anarchisten unser deutsches Vaterland ins Verderben stürzen würden. An das Gute im deutschen Nationalsozialismus glaubend, stellten die beiden älteren Brüder deshalb Mitte der zwanziger Jahre ihre Gastronomiebetriebe als Versammlungsräume für NS-Parteiorganisationen zur Verfügung. Heinrich Kreuels (innerfamiliär Onkel Heini genannt) bewohnte mit seiner Frau Kunigunde, als Ulrich ihn im Jahre 1956 nach seiner Hochzeit mit Irmgard kennenlernte, ein Haus in der Niers-Aue am Grenzweg. In den zwanziger und dreißiger Jahren war er in Viersen als selbständiger Metzgermeister tätig. In Gesprächen mit Ulrich gab er seinem Empfinden zur NS-Zeit wie folgt Ausdruck: „Meiner Brüder deutsch-patriotisches Bestreben konnte ich schon deshalb nicht nachvollziehen – und wir haben oft innerfamiliär darüber diskutiert – weil mich störte, dass auch „Radikalinskis (rheinischer Ausdruck für die jederzeit und zu jedem Anlass sich prügelnde, soziale Unterschicht) in den SA-Kampfgruppen zu finden waren, mit denen man im bürgerlichen Leben aber auch gar nichts zu tun haben wollte. Meiner Brüder Meinung, dass alle Bevölkerungsgruppen an der Rettung des deutschen Vaterlandes beteiligt sein sollten, konnte mich nicht überzeugen! Ulrich besprach diese, des angeheirateten Onkels Rückbesinnung, mit Theodor, seinem Vater, welcher noch konkretisierte: „Aus meiner Tätigkeit zwischen 1928 und 1932 am Gericht in Viersen kann ich nur bestätigen, in den so genannten „SA-Sturmtrupps befanden sich auch Individuen aus stadtbekannten, notorischen Schlägerfamilien, in den Wohngebieten der unteren Bevölkerungsschichten in Süchteln an der Gingt und in Viersen am Buschfeld und im Weiherbusch wohnend, wo im Augenblick die Baracken-Viertel geschleift werden und demnächst Neubaugebiete entstehen. Diese, damals dort Beheimateten, aus unterem sozialen Milieu Stammenden, fanden sich je nach vermeintlichem Vorteil, oft die Fronten wechselnd, mal auf kommunistischer, radikalsozialistischer oder nationalsozialistischer Seite wieder! Zu Toni Kreuels wäre noch zu sagen: „In Mönchengladbach wohnend und in Viersen, während meiner vierjährigen Tätgkeit beim dortigen Gericht, ging ich mittags innerhalb von fünf Minuten vom Gericht durch die Remigiusstraße zur Gaststätte Kreuels, um dort das mittägliche Essen einzunehmen. Toni Kreuels konnte ich in dieser Zeit aus vielen Gesprächen als grundanständigen, verantwortungsbewussten Deutschen kennen lernen. Er versuchte in regelmäßigen Abständen, mich für die NSDAP zu gewinnen, natürlich ohne Erfolg, du kennst mich ja, ich wollte nie durch eine Parteimitgliedschaft die Freiheit meines kritischen Denkens einengen.

    Leibfeindlicher Gesinnungsterror in römisch-katholischen Beichtstühlen. Erlebnis im Jahre 1952 mit dem Moraltheologen Pater Johannes Leppich

    In sehr katholischen Regionen, wie auch zwischen Rhein und Maas gelang es dem römisch-katholischen Klerus im Beichtstuhl, vorwiegend im Verlaufe des 19. und erst mit schwächer werdender Tendenz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit gezieltem, zusätzlichem Einsatz von Ordensmönchen, so genannten „Volksmissionaren für die außerordentliche Seelsorge, mit leibfeindlichem Gewissensterror den Gläubigen, die Sündhaftigkeit ihres Denkens und Handelns im Verlaufe des täglichen Ehelebens bewusst zu machen. In starkem Maße waren der „Ordo Fratrum Praedicatorum (Dominikaner Orden), und der „Ordo Fratrum Minorum" (Franziskaner Orden) für die seelische Einschüchterung empfindsamer Frauen verantwortlich, jene Orden die sich Jahrhunderte vorher als Protagonisten der Inquisition und Hexenverfolgung zweifelhaften Ruhm erwarben.

    Herausragend aus dem Kreise römisch-katholischer Moraltheologen erlangten zwei „Keuschheits-Apostel einen besonders seltsamen Ruf: Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts der im Jahre 1834 geborene Pater Augustin Lehmkuhl, der in seinem Standardwerk für den römisch-katholischen Klerus im Beichtstuhl, dem „Compendium Theologiae Moralis, ausführlich behandelt, was den Gatten in einer katholischen Ehe an erotischen Gemeinsamkeiten erlaubt ist und was als beichtwürdige Sünde zu ahnden ist, und nach dem Zweiten Weltkriege, der im Jahre 1915 geborene Pater Johannes Leppich.

    Pater Augustin Lehmkuhl manifestiert im Jahre 1892 – mit höchstkirchlicher Lizenz des Erzbischofs von Freiburg – als Vorgabe für jeden Beichtvater, was in der Ehe „Sünde" ist. Auszug aus der Original-Diktion in latainischer Sprache:

    „Praeter illegitimam igitur seminis effusionem vix est quidquam, si inter coniuges mutuo agitur, quod absolute in omni casu pro mortali statui possit.-Plerumque quidem puto grave peccatum esse . . . b) virilia in os uxoris immitere: quod tamen si immediate ante copulam fiat, sine alio periculo, a peccato mortali excusator."

    (Lehmkuhl, Kompendium der Moraltheologie, S. 531, Nr. 1103, Abs. 8, über rechtmäßigen und unrechtmäßigen Samenerguss in der Ehe und in diesem Zusammenhange die zölibatäre Differenzierung von schwerer Sünde und Todsünde.)

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    Vom 5. bis 7. Juli 1952 gestaltete der rhetorisch begabte Moraltheologe, Pater Johannes Leppich Missionstage in Viersen. Sowohl in der St. Josef-Kirche als auch vor der Viersener Festhalle versammelten sich zu jeder Predigt große Menschenmengen. An den drei abendlichen Veranstaltungen war der große Festhallenvorplatz überfüllt mit Menschen. Nach Schätzung der Rheinischen Post fanden sich jeweils über viertausend jüngere Zuhörer, Katholiken, Protestanten und Nichtchristen aus Neugier oder Sensationshunger ein. Am Abend des 7. Juli 1952 hatte Leppichs Mahnrede das Thema: „Sexuelle Ketzer. Unter anderem geißelte er das modische Bekleiden junger Frauen, welche, wie er wörtlich sagte: „Pullover anziehen, die drei Nummern zu klein seien, nur um Männer anzugeilen! Ulrich, der sich unter den Zuhörern befand, hörte zum Abschluss wieder die vom römisch-katholischen Klerus oft benutzte Ermahnung: „Bedenket, dass ihr Tempel des Heiligen Geistes seid!"

    Am frühen Sonntagnachmittag des 5. Juli waren um 15 Uhr in der St. Josef-Kirche die über fünfzigjährigen Frauen des Dekanates Viersen zur Vermittlung von Sittlichkeit in der römisch-katholischen Ehe durch Pater Leppich versammelt. Der Rhetoriker zog alle Register der leibfeindlich, römisch-katholischen Morallehre, um diesen reiferen Damen in aller Deutlichkeit zu vermitteln: „Geschlechtsverkehr nach der Menopause, dem Ende der Empfängnisfähigkeit, gehöre zu den beichtwürdigsten Sünden!"

    Schweigend, tief in Gedanken versunken, seelisch tief belastet vom Gehörten und wissend, dass sie sich als sechsundfünfzigjährige Ehefrauen auf Wunsch ihrer Ehemänner immer noch in hohem Maße sündhaftem und deshalb beichtwürdigem Geschlechtsverkehr hingeben mussten, in der ständigen Sorge, später im Reiche Gottes nicht der „Ewigen Verdammnis anheimzufallen, verließen Maria Spielhofen, geb. Kreuels (Ulrichs spätere Schwiegermutter), und ihre Schwägerin, Katharina Bocks, geb. Spielhofen, die St. Josef-Kirche in Viersen. Nach ungefähr zweihundert Schritten, so erzählte Maria Spielhofen später, habe sie ihre Gedanken formulieren können und gesagt: „Ab sofort schlafe ich nicht mehr mit Josef! Aufgewühlt und auch noch ganz im Banne von Pater Leppichs Strafpredigt, antwortete ihre Schwägerin in Gedanken: „Ich auch nicht!", meinte aber nicht ihren Bruder Josef Spielhofen, sondern ihren Ehemann Paul Bocks.

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    Dreizehn Jahre früher, im Oktober des Jahres 1940, war Ulrich als achtjährigem Einzelkind – bedingt durch eine bewusst sorgfältige Erziehung – noch nicht bekannt, dass der Urgrund unseres Seins in seinem Schöpfungsplan dieser Welt, zur Vermehrung der Menschheit die befruchtende Nähe von Frau und Mann verankerte. So verstand er auch den Sinn eines Gespräches nicht, welches er an einem sonnigen Herbstnachmittage, auf der Terasse des großelterlichen Hauses sitzend, vernahm; als er lagernde Kühe beim Wiederkauen auf den obstbaumbestandenen Wiesen, vor der sich nach Norden ausdehnenden Großheide, malte. Über ihm war das Fenster des Walbeckschen Bücherzimmers einen Spalt breit geöffnet und es drang gedämpft, aber deutlich vernehmbar, ein Zwiegespräch zwischen seiner Großmutter Katharina Walbeck und ihrer Schwägerin, der Großtante Gertraud, geborene Walbeck, die im Mönchengladbacher Stadtteil Eicken wohnte, zu ihm herunter. Oma Katharina, im Jahre 1864 geboren, meinte zu ihrer drei Jahre jüngeren Schwägerin, sie habe gerade festgestellt, im Hause sei niemand und deshalb könne man ungestört reden. Ulrich horchte auf und vernahm, dass seine Großmutter im Verlauf des Gedankenaustausches aussprach: „Wegen der durch die katholische Kirche angedrohten Strafen in der Ewigkeit habe sie in jungen Ehejahren manche Nacht stundenlang ihre Kissen vollgeweint, weil sie schon wieder wegen der zwischen ihrem Ehemann Matthias und ihr dagewesenen körperlichen Nähe zum nächsten Beichttermin in die St. Anna-Kirche hätte eilen müssen, um durch Absolution ihr Gewissen zu entlasten. „Ja, ja!, hörte er Großtante Gertraud sagen: „Die römisch-katholischen Priester haben uns Frauen mit unserer seelischen Empfindsamkeit bestens im Griff. Unsere Männer entwickeln nach Bettgeschichten keine Schuldgefühle – eher ist das Gegenteil der Fall! Ulrich hatte das bestimmte Gefühl, über das Gehörte würde er bei Erwachsenen wieder keine Erklärung bekommen, sich aber erneut den Verweis anhören müssen: „Dafür bist du zu jung. Dazu verspürte er keine Lust.

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    Die Hunger- und Kältejahre (1945/1946/1947) nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden durch die Währungsreform am      21. Juni des Jahres 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen der Alliierten, der amerikanischen, englischen und französischen Zone, beendet.

    Einige Monate später machte Tita ihren sechzehnjährigen Ulrich darauf aufmerksam, dass der Pfarrherr von St. Anna in Windberg, Karl Sprick, für Jungmänner einige Abendvorträge mit der Thematik: „Anstand und Sittsamkeit des katholischen Jungmannes veranstalten würde. Ulrich war sehr interessiert, den Pastor, der seit Mitte des Jahres 1942 die Pfarrstelle inne hatte, nicht nur von der Kanzel, sondern auch aus der Nähe kennen zu lernen, wusste man doch im Windberger Umkreis, dass er seit 1934 wegen sich wiederholenden Äußerungen gegen die Nazis von der Gestapo überwacht, verwarnt, inhaftiert und mit Aufenthaltsverbot belegt worden war. Schlank und von mittelgroßer Statur, wirkte der Soutane tragende, dreiundsechzig Jahre alte Fanatiker in seinem scharf artikulierenden Vortrage wie ein spätmittelalterlich eifernder Bußprediger. Jeden dieser Schulungsabende beendete Pastor Sprick, sich vor ekelndem Widerwillen schüttelnd, mit bebender Stimme und entsprechender Gestik darauf hinweisend, dass er einem jeden jungen Zuhörer in die innere Handfläche gravieren möchte, dass er niemals eine Frau unterhalb des Halses küssen sollte und nie vergessen dürfte: „Tempel des Heiligen Geistes zu sein. Ulrich dachte in seinem sechzehnjährigen Verständnis jedes Mal, was soll der Unsinn? Ein Mädchen küsst man, wenn überhaupt doch auf den Mund – wohin denn sonst?

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    Fünf Jahre später erlebte Ulrich auf dem Viersener Festhallenvorplatz die Massenveranstaltung des Moraltheologen, Pater Leppich mit ebenso doktrinär, leibfeindlicher Rhetorik. Ulrich hatte in seinem Elternhause eine verantwortungsbewusste Erziehung genossen; er war nicht leichtfertig, jedoch Pater Leppichs unverblümten Formulierungen und sein aus der römisch-katholischen Sittenerziehung bekannter Abschluss-Appell: „Bedenket dass ihr „Tempel des heiligen Geistes seid!, bewogen den einundzwanzigjährigen Ulrich, der bis dahin körperlich noch keinen „tiefen Eindruck im weiblichen Geschlecht hinterlassen hatte, aus Protest seinen „persönlichen Tempel des heiligen Geistes schnellstens loszuwerden. Bereits am darauf folgenden Samstage fuhr er deshalb abends mit der Eisenbahn nach Krefeld, ging in die dortige Mühlenstraße, jener ortsbekannten Altstadtmeile, in der damals das so genannte „Älteste Gewerbe der Welt zu finden war, und suchte sich unter den in den offenen Haustüren stehenden „Gunstgewerblerinnen, eine jüngere mit akzeptabler Wirkung aus. Krefelds Mühlenstraße, zentral zwischen der Hochstraße und dem Westwall gelegen, war ein schmales Sträßchen mit ebenso schmalen Häusern, die während der Mitte des 19. Jahrhunderts als Wohnhäuser für Arbeiter in der Textilindustrie gebaut wurden und Ulrichs kritischem Auge blieb nicht verborgen, dass seit der Bebauung vor einhundert Jahren wohl kaum eine Renovierung stattgefunden hatte. Er stieg also ohne erotische Erregung, denn er wollte ja letztendlich nur den von frömmlerisch-fanatischen Klerikern gerne postulierten „Tempel des heiligen Geistes loswerden, hinter der „Professionellen eine knarrende Holztreppe mit in der Mitte stark abgenutzten Bretterstufen nach oben, während gleichzeitig ein beißender Geruch von in Öl mit Zwiebeln gebratenen Kartoffelscheiben ihnen entgegen wehte. Das Zimmer in der ersten Etage, welches sie hinter dem Treppenaufgang erreichten, war so beengt, wie von der Hausbreite zu erwarten war. Das fast raumfüllende, wirkungsvollste Mobilar war ein französisches Doppelbett, nach rechts stand die Türe zur Küche halb offen, durch welche eine zu stark geschminkte alte Frau, am Herd hantierend, sichtbar wurde, die in jüngeren Jahren vermutlich auch vorwiegend auf dem Bett im ersten Zimmer beschäftigt gewesen war.

    In Erwartung des Abendessens zog sich die kurzzeitig Gemietete sehr schnell bis auf ihren BH aus, setzte sich auf den Bettrand und forderte den unschlüssig vor ihr Stehenden auf, sich auch seiner Kleider zu entledigen und sich zu ihr zu setzen. Begutachtend nahm sie das, was Ulrich zu ihr geführt hatte in die Hände und fragte: „Ob ‚ER’ auch gesund sei? Ulrich fühlte sich in seiner Ehre gekränkt und überlegte, sich wieder anzuziehen, in diesem Augenblick zog sie ihm gekonnt ein „Verhüterli über und fragte diesmal: „Wie er sie nehmen wolle? Sie sah seinen unerfahrenen Blick und zog ihn über sich – und nach kurzem „Hin und Her ließ er, erleichtert aufatmend, den „Tempel des heiligen Geistes im Bratkartoffeldunst der Mühlenstraße zurück. Während er ging, bemerkte SIE noch: „Wie schade es sei, dass kräftige junge Männer immer ‚so’ schnell fertig wären! Indem er auf den knarrenden Stufen der uralten Treppe der frischen Abendluft entgegen eilte, beschloss er: „Niemals wieder – das harmloseste Erlebnis mit einem unerfahrenen Mädel ist unvergleichlich ästhetischer. Aber: Gott sei Dank bist du diesen ‚Tempel des heiligen Geistes’ endlich los!"

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    Im Jahre 1952, zwei Jahre nun schon in Viersen wohnend, bedingt durch die Versetzung seines Vaters zum Viersener Amtsgericht, sich aber weiterhin als Mönchengladbacher fühlend, fuhr der Zwanzigjährige natürlich am liebsten mit seinen ehemaligen Klassenkameraden von der Oberschule, Karl Rixen und Herbert Klecker, samstags am frühen Abend harmlose Abwechslung suchend, in das nur fünf Kilometer entfernte Zentrum der Großstadt Mönchengladbach. Die sich unterhalb im Schatten des mächtigen Abteiberges mit dem tausendjährigen Münster seit Jahrhunderten in uralten, windschiefen Fachwerkhäusern abspielende Rotlichtszene auf der Kalverjazz (Kälbergasse) sowie die sich anschließenden etwas suspekten Kneipen von der Weiher- bis zum Ende der Gasthausstraße am westlichen Rande der Innenstadt wurden von Ulrich grundsätzlich gemieden, dem Bibelspruch folgend: „Wer sich in Gefahr begibt – kommt darin um!, weil sein Vater, ihn warnend, auch auf in solchen Zonen angesiedeltes „Kriminelles Rotlichtmilieu hingewiesen hatte.

    Beliebtes Ziel wurde in jenem Sommer 1952 das Clubhaus des Mönchengladbacher Rollschuh-Clubs an der Bökelstraße. Dort lernte Ulrich die bezaubernd-grazile, engelgesichtige Elvira aus Mönchengladbach kennen, die nach der Mittleren Reife vor einem Jahre eine Lehrausbildung in einem Musikgeschäft begonnen hatte, dessen Inhaber hauptberuflich als St. Johannes-Kantor an einer römisch-katholischen Kirche im Rhein-Maaslande tätig war.

    Während des ersten Treffens erzählte die bezaubernde Siebzehnjährige, sie glaube „später, so wie sie von ihrer Mutter und ebenso ihrer Tante hörte, auch keinen Genuss während der sexuellen Hingabe an einen Ehemann empfinden zu können, und wenn schon, hätten Mutter und Tante erklärt, ließe sich für das entgangene Vergnügen eine kommerzielle Gegenleistung einplanen. Beim nächsten Treffen erfuhr er: „Der Inhaber des Musikgeschäftes habe sie ein Geheimnis wissen lassen und ließ sie das immer wieder an sich übend verwirklichen!: „Sperma schlucken, so habe er ihr versichert, sei die einzige Möglichkeit für junge Mädchen, einen für das ganze fernere Leben festen Busen zu bekommen! Weit entfernt diese, wie es Ulrich schien, unbeschreibliche Dummheit auch mit auszunutzen und damals noch nicht wissend, dass er durch seine persönlich im Genraster vorgegebene Erbanlage, Frauen nie selbstsüchtig als maskuline Lustobjekte missbrauchen würde, versuchte er ihr klarzumachen, wie rücksichtslos und egoistisch das sie ausnutzende Verhalten des Musikalienhändlers sei. Sie erklärte: „Ihrem Chef schenke sie, als ‚Mann in den besten Jahren’, wie er von sich selbst zu sagen pflegte!, das größere Vertrauen und zusätzlich könne er auch als honoriger Mann der römisch-katholischen Kirche ihrer größten Hochachtung gewärtig sein! Bei soviel Unvernunft war Ulrich klar, jede weitere Verabredung zu unterlassen.

    Ulrichs Reise mit dem „Bund der Europäischen Jugend" im Jahre 1953 nach Italien und der homophile Domherr der Cattedrale DI SAN VIGILIO in T r i e n t

    Anfang des Jahres 1952 hatte Ulrich Kontakte zum „Bund der Europäischen Jugend in Viersen geknüpft, weil er überzeugt war – nur ein politischer und wirtschaftlicher Zusammenschluss von Deutschland und Frankreich unter Einschluss weiterer assoziierungswilliger, mitteleuropäischer Staaten könne den Irrsinn weiterer abendländischer Bruderkriege verhindern. Der organisierende Leiter dieser Gruppe, Gerd Friske, war ein nicht sehr großer, aber stämmiger, mit erweiterter Stirnglatze ausgestatteter Mittvierziger. Die fehlenden Deckhaare auf seinem Kopfe erklärte der ehemalige Feldwebel als Folge des Stahlhelmtragens im Zweiten Weltkriege. Auf Ulrichs kritische Frage, was er als Erwachsener aus seiner Tätigkeit für die „Europäische Jugend persönlich erwarte, antwortete der Behördenangestellte: „Bei dem in aller Kürze bevorstehenden Zusammenschluss in Zentral-Europa stelle er sich einen persönlichen Karriereschub vor! Im August 1953 besuchte die Viersener gemeinsam mit der Mönchengladbacher Gruppe ein internationales Treffen der Europa-Jugend in Viareggio, einem italienischen Seebad in der Provinz Lucca am Thyrrennischen Meer. Die Jugendlichen benutzten einen Reisebus des Mönchengladbacher Unternehmens Stelten. Die Streckenführung durch Österreich und Italien verlief ausschließlich über Landstraßen und nach einer siebzehnstündigen, anstrengenden Fahrt bei hochsommerlichen Temperaturen – dass es einmal klimatisierte Reisefahrzeuge geben würde, war zu jener Zeit noch undenkbar – erreichten die auf Europas Zukunft Hoffenden bei beginnender Dämmerung die angesteuerte Stadtmitte von Trient (italienisch Trento), um von dort am nächsten Morgen die restliche Strecke zu bewältigen. Ausgerechnet Trient, jene für Ulrich besonders geschichtsträchtige Stätte des in drei Perioden zwischen 1545 bis 1563 tagenden „Tridentinischen Konzils, wo die Möglichkeit zu einer Annäherung und konstruktiven Begegnung zwischen Katholiken und Protestanten vertan und die Abspaltung bis zum heutigen Tage manifestiert wurde. Die Verdammung der protestantischen Lehrmeinungen gehörte zur ersten Phase des Konzils. Während dieses Konzils erzielten die Ideen dreier junger Jesuiten, Abgesandte des fünf Jahre vorher durch Papst Paul III. genehmigten Elite-Ordens, mit ihrer Doppelstrategie – mentalen katholischen Einfluss auf religionsverunsicherte Landesfürsten und deren nächstes meinungsbildendes Umfeld zu gewinnen und Heranwachsende aus allen sozialen Schichten in neuzugründenden Kollegien schulich zu erziehen und mittels pädagogischer Einwirkung der katholischen Religion zu erhalten – größte Konzilaufmerksamkeit, weil jede überzeugende Alternative fehlte.

    Ulrichs Annahme, Trient wie geplant am frühen Nachmittag zu erreichen, sich von Kunst, Kultur und von einem Hauch konziliarer Atmosphäre aus dem 16. Jahrhundert in der „Cattedrale di San Vigilio beseelen zu lassen, ging mit einer Reifenpanne des Reisebusses auf einer Dolomitenstraße zunichte, denn sie erreichten das Stadtzentrum erst bei beginnender Dunkelheit. Als Nachkomme des Hauses v. Weidenfeld, wo es seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur Tradition gehörte, hochmotivierte Ordens- und Weltgeistliche, darunter seit dem Jahre 1592 vorwiegend Jesuiten, der römisch-katholischen Kirche zur Verfügung zu stellen, war seine Erwartung aufs höchste gespannt, die Stadt zu erleben, wo in drei Phasen 1545 bis 1563 das „Concilium Tridentinum stattfand, und die „Societas Jesu", die spätere Elite-Truppe der Päpste, im Jahre 1558 mit ihren Konstitutionen die konziliare Bestätigung erfuhr.

    Das Engagement von römisch-katholischen Ordensangehörigen beiderlei Geschlechts und Weltklerikern des römisch-katholischen und reformierten Glaubens im Hause Weidenfeld ist urkundlich belegbar mit „fünfundfünfzig Angehörigen der römisch-katholischen und „elf der reformierten Richtung, vom Ende des 13. Jahrhunderts bis zur Auflösung des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" am 8. August 1806.

    Der erste Kleriker war Johann v. Weidenfeld, Kanonikus an der Reichsabtei Werden im ripuarischen Grenzstreifen an der Ruhr, welcher entsprechend der Bedingung für die Approbation aus „Edelfreiem Geschlecht" stammte! Im folgenden Jahrhundert sind am Chorherrenstift St. Aposteln in Köln die Kanoniker Winemarus v. Weidenfeld, Dechant, und Johann v. Weidenfeld, Päpstlicher Protonotarius dokumentiert.

    Eine Einheirat in das Haus v. Weidenfeld mit weitreichenden Folgen erfolgte nach 1450, als Bela (Sibilla) Cryfftz v. Barrenstein, Johann v. Weidenfeld, Burgmann zu Grevenbroich ehelichte; denn sie brachte durch ihr Genraster Vorgabe und Erklärung für die sich anschließende, außerordentliche religiöse Motivation der Nachkommen im Hause v. Weidenfeld in der römisch-katholischen Linie ebenso wie seit Martin Luthers Frühzeit auch im reformierten Zweig.

    Bela Cryfftz v. Barrenstein entstammte demselben Geschlecht wie Nikolaus Cryfftz v. Cues, der im Jahre 1401 geboren und später als Kardinal nach Humanistenart: Nikolaus Cusanus genannt wurde. Einer der größten Denker des Mittelalters, der als Astronom seit langer Zeit als Vater der Weltraumforschung angesehen wird, weil er eindeutig als Vordenker von Nikolaus Kopernikus, geb. 19. 2. 1473, und Galileo Galilei, geb. 15. 2. 1564, gilt. Er war Kardinal der Römischen Kurie, Fürstbischof von Brixen, Philosoph und Kirchenrechtler. Allgemein bekannt ist: wenn Rom seine Reformideen verwirklicht hätte, wäre es drei Generationen später nicht zur Spaltung der christlichen Kirchen gekommen. Seine revolutionäre Denkart ist in zahlreichen seiner Publikationen nachzulesen, so auch in der Vision DE PACE FIDEI. Nikolaus Cusanus, ein couragierter Kardinal, welcher Mitte des 15. Jahrhunderts in Rom während einer Sitzung der Kurien-Kardinäle den Lebenswandel vieler Kardinäle mit den Worten zornig kritisierte: „Ihr seid korrupt! Und in seinem Zorn eilte er sofort zu seinem Freund, Papst Pius II. (Silvio Piccolomini) und sagte zu diesem: „Du duldest den Lebenswandel dieser Kardinäle, also bist auch DU korrupt.

    Wer sich in die Gedankenwelt des Nikolaus Cusanus einliest und sich auch seines Mutes bewusst wird, ist nicht verwundert, dass der Italiener Giordano Bruno, Dominikanermönch und bedeutendster Philosoph der Renaissance, vor der römisch-katholischen Inquisition nach Frankreich, England und Deutschland flüchtete, wo er 1592 gegenüber dem Juleum, dem Aula-Gebäude der Universität in der Helmstedter Philologenstraße wohnte. Giordano Brunos Gedanken beeinflussten unter anderem Herder, Jacobi, Goethe, Leibnitz und Schelling. Während eines Besuches in der Martin-Luther-Stadt Wittenberg erklärte er:

    „Cusanus sei bedeutender als Pythagoras gewesen; deshalb habe die katholische Kirche Nikolaus Cusanus auch totgeschwiegen!" Giordano Bruno wurde nach seiner Italienrückkehr als kritischer Denker im Jahre 1593 eingekerkert und sieben Jahre später in Rom als Ketzer verbrannt.

    Der erste von elf „Reformierten" Theologen des Hauses v. Weidenfeld war Johann v. Weidenfeld, Enkel von Bela Cryfftz v. Barrenstein, welcher zwischen 1525 und 1529 die ersten Quartiere des neuen Glaubens zwischen Köln und Düren einrichtete, zu einer Zeit, in der man bei Festnahme dafür als Ketzer durch Verbrennen auf dem Kölner Richtplatz M e l a t h e n exekutiert wurde.

    Im römisch-katholischen Zweig wandten sich die v. Weidenfeld-Deszendentinnen aus religiöser Überzeugung den Orden der Benediktinerinnen, der Karmelitessen und der Ursulinen in Köln zu, in Priorinen- und Äbtissinen-Positionen; während die Wahl der Weidenfeld-Deszendenten die Orden der Jesuiten, Prämonstratenser und Zisterzienser betraf, wo sie Führungsaufgaben als Priore und Provinziale ausübten. In hohem Maße engagierten sich seit dem Jahre 1592 während der folgenden sieben Generationen immer wieder Geschwister seiner Weidenfeld-Vorfahren im Rheidter-Ast mit höchstem Engagement im Eliteorden der Jesuiten. Darunter auch in besonderer Weise die zum Jesuitenorden gehörenden Devotessen (Gott geweihte Jungfrauen), welche die besondere Aufgabe hatten, die heranwachsende weibliche Jugend lehrend zu bilden und auf ihre christliche Lebensaufgabe vorzubereiten.

    Die Devotessen Katharina, Odilia und Margaretha wurden als Stifterinnen von Vermögen aus dem v. Weidenfeldschen Besitz (Gut Gerretzhoven, die Mellerhöfe in Lechenich und weitere Ländereien im Gyllgau) bekannt, welches sie am Provinzialsitz der Jesuiten in Köln zur Fundation einer Studienstiftung für zukünftige Jesuiten des Hauses Weidenfeld einbrachten. Die Initiatorin der Stiftung, die im Jahre 1568 geborene Katharina v. Weidenfeld, Devotesse des Jesuitenordens, wurde deshalb nach ihrem Tode 1648 für ihre Verdienste in der Jesuitenkirche in Köln beigesetzt und vom Jesuitengeneral in Rom, Goswin Nickel von Koslar, der Gebete des Ordens für würdig erklärt,

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