Kann ein Lächeln Lüge sein?: Dr. Daniel 107 – Arztroman
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Die letzte Minute des Spiels war angebrochen – vorausgesetzt, der Schiedsrichter würde nicht nachspielen lassen, weil es ja einige Verletzungspausen gegeben hatte. Eine Minute noch. Verdammt wenig Zeit, um ein 0:0 in einen Sieg zu verwandeln, der den Aufstieg in die Bundesliga sichern würde. Nur ein einziges Tor – aber zumindest im Augenblick sah es nicht danach aus, als könnte die Mannschaft es noch schaffen, und mit einem Unentschieden würde dem Verein nicht einmal der finanzielle Rückhalt der Sponsorin Daniela von Riedenthal etwas nutzen. Die Mannschaft brauchte den Sieg, aber wie sollte er in einer Minute noch zu holen sein?
Torabschlag. Anstatt den Ball weit ins Mittelfeld zu schlagen, um auf diese Weise kostbare Zeit zu sparen, spielte der Torwart Oliver Brandt an, der für einen Stürmer eigentlich viel zu weit in der eigenen Hälfte war.
Oliver zögerte nur einen Sekundenbruchteil. Die Zeitnot saß ihm im Nacken und schien seine Beine zu lähmen. Eine Minute noch und er war mehr als siebzig Meter vom gegnerischen Tor entfernt. Dazu kam seine aufsteigende Resignation. Wie sollte er in einer Minute das schaffen, was der ganzen Mannschaft in den vergangenen eineinhalb Stunden nicht geglückt war?
Ungefähr zwanzig Meter trennten ihn von der Mittellinie. Dazwischen ein Knäuel von blauen Hemden der Gegner und nur zwei aus der eigenen Mannschaft, aber keiner befand sich in Anspielposition. Einen Fehlpaß aber durfte Oliver nicht riskieren.
Aus den Augenwinkeln sah er einen Gegenspieler auf sich zukommen, der versuchte, ihm den Ball vom Fuß zu spitzeln, aber Oliver reagierte geistesgegenwärtig. Mit einem geschickten
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Kann ein Lächeln Lüge sein? - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 107 –
Kann ein Lächeln Lüge sein?
Marie Francoise
Die letzte Minute des Spiels war angebrochen – vorausgesetzt, der Schiedsrichter würde nicht nachspielen lassen, weil es ja einige Verletzungspausen gegeben hatte. Eine Minute noch. Verdammt wenig Zeit, um ein 0:0 in einen Sieg zu verwandeln, der den Aufstieg in die Bundesliga sichern würde. Nur ein einziges Tor – aber zumindest im Augenblick sah es nicht danach aus, als könnte die Mannschaft es noch schaffen, und mit einem Unentschieden würde dem Verein nicht einmal der finanzielle Rückhalt der Sponsorin Daniela von Riedenthal etwas nutzen. Die Mannschaft brauchte den Sieg, aber wie sollte er in einer Minute noch zu holen sein?
Torabschlag. Anstatt den Ball weit ins Mittelfeld zu schlagen, um auf diese Weise kostbare Zeit zu sparen, spielte der Torwart Oliver Brandt an, der für einen Stürmer eigentlich viel zu weit in der eigenen Hälfte war.
Oliver zögerte nur einen Sekundenbruchteil. Die Zeitnot saß ihm im Nacken und schien seine Beine zu lähmen. Eine Minute noch und er war mehr als siebzig Meter vom gegnerischen Tor entfernt. Dazu kam seine aufsteigende Resignation. Wie sollte er in einer Minute das schaffen, was der ganzen Mannschaft in den vergangenen eineinhalb Stunden nicht geglückt war?
Ungefähr zwanzig Meter trennten ihn von der Mittellinie. Dazwischen ein Knäuel von blauen Hemden der Gegner und nur zwei aus der eigenen Mannschaft, aber keiner befand sich in Anspielposition. Einen Fehlpaß aber durfte Oliver nicht riskieren.
Aus den Augenwinkeln sah er einen Gegenspieler auf sich zukommen, der versuchte, ihm den Ball vom Fuß zu spitzeln, aber Oliver reagierte geistesgegenwärtig. Mit einem geschickten Tupfer der Fußspitze hob er den Ball an, fast gleichzeitig sprang er über das gestreckte Bein des Gegners, der einen wahren Spagat vollführte und dabei mit der Ferse eine tiefe schwarze Furche in den Rasen zog.
Plötzlich hatte Oliver Raum vor sich. Es waren vielleicht noch zehn Meter bis zur Mittellinie. Oliver täuschte nach rechts an, um dann über den linken Flügel zu spielen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt zum Abspiel gekommen, aber der unerwartete Raumgewinn hatte nicht nur den Gegner überrascht, sondern auch seine eigene Mannschaft. Kein Mitspieler war mit nach vorne gegangen. Eine Minute vor Schluß fehlte ihnen vermutlich nicht nur die nötige Kraft, sondern auch die Hoffnung auf einen Sieg.
Oliver wußte, daß er allein war. Fünfzig Meter vor dem gegnerischen Tor. Er keuchte ein wenig nach dem anstrengenden Solo und er hatte keine Ahnung, ob er auch den restlichen Weg noch schaffen würde. Dazu bräuchte er mehr Luft, denn es wäre ein schnellerer Rhythmus nötig, um das Überraschungsmoment nicht zu verschenken.
Oliver legte sich den Ball vor und sah den linken Verteidiger heranlaufen, der ihm den Winkel zum Tor verkürzen wollte. Spätestens in diesem Moment hatte Fußball aufgehört, ein Mannschaftsspiel zu sein. Oliver wußte, daß jetzt alles von ihm abhing. Wenn er diese letzte Chance vergab, dann war nicht nur das Spiel, sondern auch der Aufstieg in die Bundesliga verloren.
Geschickt, aber im Grunde ohne zu wissen, woher er die Kraft dazu nahm, umkurvte Oliver den Abwehrspieler und zog anschließend nach innen. Der gegnerische Strafraum war zum Greifen nahe. Vor fünfzehn Sekunden hatte er noch in der eigenen Hälfte zwischen Strafraum und Mittellinie gestanden. Seither hatte kein Gegner mehr den Ball berührt. Nur fünfzehn Sekunden und zugleich eine Ewigkeit für Oliver, der plötzlich das Gefühl hatte, keine Kraft mehr zu haben. Fast rechnete er damit, einfach umzufallen. Mannschaft und Fans würden ihn trotzdem feiern, weil er das Unmögliche versucht hatte.
Er spürte den Rempler eines Gegenspielers, den er nicht hatte kommen sehen. Für einen Augenblick verlor er das Gleichgewicht, taumelte und versuchte gleichzeitig, mit einem Fuß nach dem Ball zu angeln, den er zu verlieren drohte. Im allerletzten Moment kam Oliver wieder auf die Beine und erreichte das rollende Leder Sekundenbruchteile vor dem Verteidiger, der sich auch erst hatte aufrappeln müssen.
Oliver sah das Loch, durch das er hätte schießen können, aber es müßte ein kraftvoller Schuß sein, denn der gegnerische Torwart war erstklassig. Das hatte er in eineinhalb Stunden mehrfach bewiesen. Genau diese Kraft besaß Oliver nach dem anstrengenden Alleingang aber nicht mehr. Er wußte, daß sein Schuß in den Händen des Torhüters landen würde.
Er sah den Keeper auf sich zukommen. Ganz offensichtlich hatte er vor, dem herannahenden Stürmer das Leder vom Fuß zu fangen, aber Oliver deutete eine Bewegung an, die den Torwart dazu verleitete, in die falsche Richtung zu hechten. Er versuchte noch mitten in der Bewegung zu stoppen, als er seinen Fehler erkannte, aber da war es schon zu spät. Oliver hatte ihn mit dem Ball am Fuß umrundet und sah nun das leere Tor vor sich. Mit letzter Kraft schoß er, folgte dem Ball und ließ sich erschöpft ins Netz fallen.
Wie durch einen Nebel hörte er den ohrenbetäubenden Jubel der Fans und das Schimpfen des geschlagenen Torwarts. Im nächsten Moment wurde er von den Mannschaftskameraden aus dem Tor gerissen. Jubelnd fielen sie über ihn her, erdrückten ihn beinahe und hoben ihn schließlich sogar auf ihre Schultern.
»Ein Traumtor«, hallte es ihm von allen Seiten entgegen, dabei war diese Bezeichnung fast noch untertrieben.
Olivers Blick wanderte zur Trainerbank. Seinen müden Augen fiel es schwer, überhaupt noch etwas klar zu erkennen, aber das war auch nicht wichtig. Er wußte, daß SIE dort drüben saß und ihn nach diesem Tor vielleicht sogar ein bißchen bewundern würde. Das war im Moment das einzige, was für Oliver zählte – mehr noch als der Aufstieg in die Bundesliga, den er mit seinem herrlichen Tor endgültig gesichert hatte.
*
Als der Ball in das verwaiste Tor gehüpft war, waren sie alle aufgesprungen – Manager, Trainer, Reservespieler… alle hatten einander umarmt. In der letzten Spielminute ein Tor. Und was für eines! Ein Tor, so schön, wie man es nur selten sah… wenn man so etwas überhaupt einmal zu sehen bekam. Siebzig Meter Alleingang und dann auch noch ein erfolgreicher Abschluß – das war mehr, als alle zu träumen gewagt hatten.
»Er ist wirklich ein Teufelskerl!« schwärmte Manager Leo Rössler und strahlte dabei Daniela von Riedenthal an, die es nach diesem Traumtor natürlich auch nicht mehr auf der Bank gehalten hatte. In ihren Augen lag jedoch weniger Freude als vielmehr Triumph. Sie sah sich endlich am Ziel ihrer Träume. Die Investitionen, die sie als Sponsorin des Vereins geleistet hatte, waren also nicht vergeblich gewesen.
Niemand wußte, daß gut die Hälfte ihres väterlichen Erbes nur zur Förderung sportlicher Einrichtungen verwendet werden durfte. So hatte Hans von Riedenthal es einst verfügt – ein Punkt, der Daniela schrecklich wütend gemacht hatte, aber das Testament ihres Vaters war nicht anfechtbar gewesen. Aber nun konnte sie aus der Not eine Tugend machen und sich einen Großteil des Geldes, das sie bisher schon in den Verein gesteckt hatte, auf andere Weise zurückholen und direkt in ihr Privatvermögen fließen lassen.
Daniela blickte auf das Spielfeld, wo die Mannschaft noch immer