Immer wieder Fernweh: Logbuch eines Inselsammlers
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About this ebook
Die kurz gehaltenen Geschichten eignen sich perfekt gegen den kleinen Wissensdurst zwischendurch. Unterhaltend, humorvoll, mit bitter-heiterer Ironie, frech und frisch, gut gewürzt und abgehangen, lehrreich, eigenwillig in Stil und Ausdruck. Ein Muss für Fernreisende und solche, die es werden wollen.
Hanspeter Gsell
Hanspeter Gsell ist als Autor von Büchern über Mikronesien, Polynesien, Melanesien und Italien bekannt geworden. Seine Kolumnen und Reportagen erscheinen in Tageszeitungen und in Fachzeitschriften.
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Book preview
Immer wieder Fernweh - Hanspeter Gsell
Das Buch
Geschichten aus Mikronesien, Erzählungen aus Indonesien. Blogeinträge und Reportagen aus Französisch-Polynesien und den Weiten des Pazifiks. Tagebuchnotizen und Reiseprotokolle aus der Karibik und Ägypten. Ergänzt mit einem Ratgeber für Fernreisen, ist daraus das Logbuch eines Inselsammlers entstanden.
Der Autor
Hanspeter Gsell, geboren 1951, lebt in der Schweiz. Dort ist er jedoch selten anzutreffen. Auf der Suche nach unbekannten Zielen reist er mehrmals pro Jahr durch die Welt. Seine Kolumnen erscheinen in Tageszeitungen, seine süffisant geschriebenen Reisetagebücher und Reportagen findet man in Fachzeitschriften
Ebenfalls im Verlag BoD erschienen die folgenden Titel von Hanspeter Gsell:
Hühnerbrust und Federkiel
Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft
ISBN 978-3-8334-6351-8
Ikefang und Gutgenug
Südseegeschichten
ISBN 978-3-8391-0777-5
Ein bisschen scharf muss sein
Seitenhiebe auf die Gastfreundschaft (2)
ISBN 978-3-8482-2851-5
Inhalt
Vorwort und Packungsbeilage
Ägypten
Check-in mit Kaderli
Boarding mit Kaderli
Fliegen mit Kaderli
Kaderli und der Bartauszupfer
Kaderli und die Audienz
Kaderli und das Chuchichäschtli
Kaderli und die Bauchtänzerin
Kaderli und das brennende Kamel
Kaderli und die Mumie
Komoren
Ein eiskalter Morgen
Puffärmel und der fliegende Teppich
Rüdiger wartet auf den Quastenflosser
Adolf wartet auf ein Kanu
Herr Goldmann wartet auf die Flughunde
Wir warten auf den Emir
Wir warten immer noch auf den Emir
Französisch-Polynesien
Auf der Suche nach Gauguin
Die Vermessung des Kranichs
Umwege für Anfänger und Besserwisser
Gestern war Montag, heute ist Sonntag
Ia Orana
Vin, Pain, Boursin et Schwarze Perlen
Frau Schmitz und der Kannibale
Die Regenbögen von Ua Pou
Wir basteln uns eine Bucht
Ua Huka und die Wohlgerüche
Willkommen auf dem Friedhof
Die rote Sonn’ versank im Meer
Indonesien
Gsell sammelt Inseln
Karl Dall und die Gewürzfetischisten
Vanille aus Papua
Nelken aus Ternate
Muskat aus Seram
Zimt aus Makassar
Pfeffer aus Ambon
Zeit für ein Nüsschen oder zwei
Eine Kokosnuss für Queen Emma
Erinnerungen an das Paradies
Die Zeit des Warans
Das Krokodil und der Hai
Karibische Inseln
Lothars Latschen: Die ganze Wahrheit
Der Teufelsflieger von Les Saintes
Madame Pompadour und die weissen N.
Gérard und die Freizeitbeschäftiger
Die Schattenmenschen von Roseau
Der Totengräber von Saint Joseph
Yefgeni, Wladimir und die holde Elena
Bräunungstaucher und Silberrücken
Das Beben von Trinidad
Die Extremitäten der Schwellalgen
Ein Herz für Krabbler
Der Doppelschwanzwiderling
Jobsharing auf Tobago
Süsslippen küsst man nicht!
Der Liftboy von West-End
Antigua und die rasende Rastamütze
Überfall im Morgengrauen
Walsüppchen auf Bequia
Pazifik
Nicht mein Pazifik – The far limits
Der Mann ohne Finger
Die doppelte Miss Cargo
Auch heute wieder überall Wetter
Aeppi-niu-yäär!
Stocki, Fisch und Trutenarsch
Vater Gutgenug und die 124 Jungfrauen
Tag der Kokosnuss
Batman lebt nicht mehr
Zeit ist, wenn die Sau zum Eber geht
Dag Svensson rülpst vergeblich
Missgunst in U
Sakau oder das Verhalten der Beine
Der gemeine Vogelschiss
Die geheimen Kräfte der Nameele
Ein Bier auf Hawaii
31F antwortet nicht
Das Gantenbein
Bein I Weno, Chuuk, FSM
Bein II Chuuk, FSM, Guam, USA
Bein III Guam Airport, USA
Bein IV Pasay, Manila, Philippinen
Erste Hilfe
Ein Ratgeber für Fernreisen
Von A wie Airport
bis Z wie Zollkontrollen
Vorwort und Packungsbeilage
Lesen Sie diese Packungsbeilage sorgfältig, denn sie enthält wichtige Informationen.
Alle in diesem Buch vorkommenden Personen, nicht jedoch die Schauplätze, Ereignisse und Handlungen, sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.
Das Eszett, auch scharfes ‘S’, Buckel-, Rucksack- oder Ringel-‘S’ genannt, wird in der Schweiz seit Mitte des letzten Jahrhunderts nicht mehr verwendet. Es hat deshalb auch keinen Platz in diesem Buch gefunden. Ich habe keine Ahnung, weshalb dieses mittelalterliche Teil in Deutschland und Österreich immer noch im Einsatz ist.
Bewahren Sie diese Packungsbeilage auf, Sie wollen sie sicher später nochmals lesen.
Was will das Buch und wann soll es gelesen werden?
Viele Patienten möchten gar nicht verreisen. In einigen Fällen wollen sie es nur ihren Nachbarn, Kollegen oder Vorgesetzten gleichtun. Da ihre Reise jedoch länger, schöner, teurer und so richtig abenteuerlich sein soll, kann es unterwegs zu schwerwiegenden Komplikationen kommen. Das Buch hilft solchen Patienten, sich vor Fehlentscheidungen zu schützen.
Laut wenig aussagekräftigen Untersuchungen werden Patienten auch von Familienangehörigen dazu gedrängt, haben die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen oder wurden von ihren Vorgesetzten dazu genötigt, doch endlich mal den Horizont zu erweitern. Das Buch hilft Ihnen dabei, NEIN zu sagen. Oder JA.
Was sollte dazu beachtet werden?
Sollten Sie sich auch nach dem Lesen dieses Buches nicht entscheiden können, ob Sie nun verreisen oder lieber zu Hause bleiben möchten, rate ich Ihnen dringend, Ihren Arzt oder Ihr Reisebüro aufzusuchen.
Wer darf dieses Buch nicht lesen?
Folgende Patientengruppen sollten das Buch nur nach sorgfältigen medizinischen Abklärungen lesen:
Bei besserwisserischen Kotzbrocken wurde eine Neigung zu cholerischen Anfällen beobachtet. Obwohl das Buch sicherheitstechnisch den neusten Anforderungen entspricht, sollte es nicht als Wurfgeschoss benutzt werden.
Bei bildungsfernen und der deutschen Sprache nicht mächtigen Volksgruppen wurde festgestellt, dass einzelne Seiten dieses Buches sinnentstellt als Toilettenpapier benutzt wurden. Schade ums Papier!
Germanisten die über Kommaregeln, Helvetismen und ähnliche Kleinigkeiten stolpern, könnten sich dabei verletzen. Nur im Liegen oder Sitzen lesen!
Humorlose Zeitgenossen, die des Lesens zwischen den Zeilen nicht mächtig sind, werden den Inhalt des Buches eh nicht verstehen und können es verschenken.
Und auch dies noch: Analphabeten sollten sich das Buch von ihrem ehemaligen Deutschlehrer vorlesen lassen.
Wann ist beim Lesen Vorsicht geboten?
Das Buch sollte nicht über einen längeren Zeitraum gelesen werden. Grund ist die beschränkte Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.
Das Buch darf nicht zusammen mit andern Büchern konsumiert werden. Vor allem das gleichzeitige Betrachten von Reiseprospekten, sowie das Lesen von Büchern über Flugzeugabstürze, Erdbeben und andere Katastrophen, kann die Wirkung des Buches abschwächen.
Darf während der Schwangerschaft gelesen werden?
Da Lachen gesund sein soll, kann das Buch auch während der Schwangerschaft gelesen werden. Bei einer Neigung zu unkontrollierten Lachanfällen kann es allerdings zu verstärkten Wehen oder gar zu einer Frühgeburt kommen.
Wie lesen Sie dieses Buch?
Ist mir völlig egal.
Dürfen auch Kinder unter 6 Jahren das Buch lesen?
Dürfen schon. Aber können nicht.
Dürfen Jugendliche das Buch lesen?
Das Buch ist jugendfrei geschrieben. Deshalb wird es den durchschnittlichen Jugendlichen wohl nicht interessieren. Ich weiss auch nicht, ob es Jugendliche gibt, die überhaupt noch lesen (können).
Welche Nebenwirkungen sind bekannt?
Es wurden in einigen Fällen Lach- und Schreianfälle beobachtet, bzw. gehört. Manchmal führt das ununterbrochene Lesen zu bösartigem Schlafmangel. In seltenen Fällen tritt Augenflimmern auf. Bewahren Sie Ihren Körper vor tödlicher Austrocknung und trinken Sie ab und zu was.
Was ist ferner zu beachten?
Lesen Sie das Buch nicht im Zug oder in der Strassenbahn. Das ewige Lachen und Glucksen geht Ihren Mitreisenden nämlich ganz schön auf die Nerven.
Was ist im Buch enthalten?
Beinahe 300 Seiten bedrucktes, chlorfreies Papier, zwischen Vorder- und Rückseite gepappt.
Zulassungsnummer
Was soll das sein?
Wo erhalten Sie dieses Buch und welche Packungen sind erhältlich?
Das Buch erhalten Sie im gepflegten Buchhandel, im Internetbuchhandel oder in der Brockenstube. Der Autor empfiehlt den gleichzeitigen Kauf mehrerer Exemplare. Ob man Ihnen deswegen einen Mengenrabatt gewährt ist mir nicht bekannt. Hauptsache ich kann die Auflage erhöhen.
Twenty years from now,
you will be more disappointed
by the things you did not do
than by the things you did do.
So, throw off the bowlines.
Sail away from the safe harbour.
Catch the trade winds in your sails.
Explore.
Discover.
Dream.
Mark Twain
Ägypten
Irgendwo in Süddeutschland
Check-in mit Kaderli
Als mich Kaderli einlud, ihn und seine Familie nach Ägypten zu begleiten, hätte ich es an sich besser wissen müssen. Viel besser!
«Weisst du, du warst immer grosszügig zu uns, jetzt können wir uns endlich revanchieren. Ich habe nämlich das grosse Preisausschreiben von Bimbo-Bimbo gewonnen! Familienferien in Sharm-El-Sheik! Und – wir dürfen einen Freund gratis mitnehmen!»
Ich hatte keine Ahnung, für was er sich revanchieren wollte. Ich soll grosszügig zu ihm gewesen sein? Hoffentlich nicht!
Kaderli gehört definitiv nicht zu den Menschen, denen ich freiwillig Gutes tun würde. Da lief etwas völlig falsch zwischen uns! Er nannte mich sogar «Freund»! Doch ich habe keine Freunde die sich an trottligen Wettbewerben beteiligen. Und schon gar nicht an einem Preisausschreiben von Bimbo-Bimbo!
Und so trafen wir uns eines Morgens auf einem kleinen Provinzflughafen in Süddeutschland. Kaderli erwartete mich bereits. Bekleidet war er mit einem Tropenanzug, auf seinem schütteren Haar thronte ein Käppi, wie es die französische Fremdenlegion bereits in Algerien getragen hatte. Zur Sicherung seines Flüssigkeitshaushaltes («Wusstest du, dass man an Dehydration sterben kann?») hatte er sich eine trendige Wasserflasche umgeschnallt.
Bambi, seine Frau, steckte in einem knittrig-seidenen Overall von Dolce & Gabbana; ihre Füsse («das Rehlein faltete die Zehlein») in Springerstiefeln von Prada. Ihr neckischer Fez erinnerte mich an die Pyramiden von Gizeh.
«Hast du unsere Kinder gesehen?», fragte sie mich aufgeregt. «Ein Sack voller äh Dings, oder wie die heissen, ist wirklich einfacher zu hüten!»
«Flöhe. Nein. Oder vielleicht doch!», rief ich, als Barbie, Ken und ein rosa Kamel auf dem Gepäckband an mir vorbeifuhren.
Sissy, die 3-jährige Motzliese, hatte den Inhalt ihres Koffers fein-säuberlich auf dem Boden ausgebreitet und schickte eben weitere Freunde von Barbie auf die Reise.
Kurz bevor Ken vom Gepäckband in den Untergrund befördert wurde, stürzte sich Bambi auf den nächsten Alarmknopf und legte das Förderband lahm. In diesem Moment tauchten, durch die Sirene alarmiert, auch die Zwillinge (12) wieder auf: Kevin-Albert (farblich passend gekleidet zu weissem Sand und grünen Palmen) und Lisette-Dôle (blau wie eine Lagune und rot wie das Meer).
Noch konnte das Gepäck nicht aufgegeben werden, der Check-in-Schalter war geschlossen. Die rote Anzeige «Abflug verspätet – weitere Informationen in dreissig Minuten», verhiess nichts Gutes. Ich hingegen hatte Zeit, über Bambi nachzudenken.
Natürlich hiess Bambi in Wahrheit nicht Bambi. Nur extrem sehbehinderte Mitmenschen hätten sie für einen amerikanischen Weisswedelhirsch aus der Feder von Walt Disney gehalten! Obendrein war sie blond, hatte blaue Augen und keinen sichtbaren Wedel.
Nein, es war Raggenbass, der Chef von Kaderli, der sie anlässlich einer feuchtfröhlichen Betriebsfeier so genannt hatte. Als ihn Kaderli damals fragte, weshalb er sie denn Bambi nennen würde, meinte Raggenbass, «weil sie so schöne braune Haare an den Läufen habe». Da Kaderli kurz vor seiner Beförderung gestanden hatte, hütete er sich davor ihm zu widersprechen und schluckte das Reh. Bevor ich mir noch weitere Gedanken zu Bambis Läufen machen konnte, wurden die Schalter geöffnet und eine unübersichtliche Menschenmenge stürmte darauf los.
Erst einem Dutzend Grenzschützer gelang es, den Pöbel mit Hilfe von Wasserwerfern zu einer sauberen Zweierreihe zu formieren. Die Kolonne reichte knapp bis an den Bodensee. Ich überliess allen den Vortritt und genoss das Spektakel aus sicherer Distanz.
Kaderli hatte sich mit seiner Sippe inzwischen bis zum Schalter vorgearbeitet, gemeinsam hievten sie die Koffer auf die Waage.
«Sie haben 180 kg Übergepäck, das macht somit 3'600 Euro. Bezahlen können sie am Schalter 178 in der kleinen Baracke neben der Piste 27. Der Nächste!»
Bambi war ohnmächtig geworden.
Ägypten
Immer noch in der süddeutschen Provinz
Boarding mit Kaderli
180 kg Übergepäck? Kaderli dachte nicht im Traum daran, irgendwelche Nachzahlungen zu leisten und befahl seinem Nachwuchs, alles Unnötige auszupacken und im Zelt von Kevin-Albert zu verstauen.
«Aber ich brauche das Zelt unbedingt! Ich will mit den Beduinen in der Wüste übernachten!»
Kaderli hatte kein Verständnis für das Anliegen seines Sohnes. Das Schlagzeug, die Rollschuhe sowie eine 12-saitige Gitarre fielen seinem Machtwort zum Opfer. Lisette-Dôle trennte sich heulend von sechs Paar Hufeisen, einem Pferdesattel sowie einer Schminkkommode.
Sissy hatte sich in der Zwischenzeit auf den Boden geworfen und schrie wie eine Sau.
«Mörder! Mörder! Fasst meine Puppen nicht an!»
Ob des Geheuls war Bambi aus ihrer Ohnmacht erwacht und zeigte sich überraschend verständnisvoll. Sie verzichtete sowohl auf die Kiste mit den Winterkleidern («in der Wüste kann es ganz schön kalt werden!»), als auch auf ihre Tauchausrüstung.
Die Zuschauer klatschten Beifall, Kaderli verneigte sich höflich und, mit den Bordkarten in der Hand, wanderte die Familie Richtung Wüste.
Auf dem Vorfeld standen drei Flugzeuge von Alibaba-Airline.
«Eines wird ja wohl nach Sharm-El-Sheik fliegen!», rief Kaderli und versuchte die Ansage zu verstehen. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen! Denn aus unerklärlichen Gründen verwendet man in Flughäfen immer noch Lautsprecher, die von Thomas Alva Edison persönlich in Heimarbeit hergestellt worden waren.
«Willkommen bei Alibaba-Airline. Unser Flug ALI-169 bringt sie über Tscheljabinsk, Wladiwostok und Kurdistan nach Luxor, Kairo und Hurghada, mit Anschluss nach Sharm-El-Sheik. Flug ALI-96 fliegt nach Sharm-El-Sheik via Antananarivo, Mogadischu und Moroni nach Luxor, Kairo oder Alexandria, mit Anschluss nach Hurghada. Flug ALI-619 fliegt via Kathmandu, Kandahar und auf vielseitigen Wunsch eventuell über Khartum nach Kairo mit Anschluss zum Titisee.»
Sissy entschied sich für den Titisee, Kevin-Albert für Mogadischu und Lisette-Dôle für Wigoltingen. Bevor Kaderli ein Machtwort sprechen konnte, knackten erneut die Lautsprecher.
«Wir bitten nun Rollstuhlfahrer sowie Passagiere mit Kleinkindern zum Ausgang C 134. Eltern mit mittelgrossen Kindern und Kinder mit dementen Eltern stellen sich am Ausgang D 144 bereit.
Passagiere der First- und Business-Class, Vielflieger mit Superjet-Kundenkarten, Priority-Boarding-Bucher, preferred-seats-Sitzer sowie Raucher, Politiker und andere Schmarotzer sind gebeten, hinten einzusteigen.
Danke, dass sie mit Alibaba-Airline fliegen. Wir wünschen ihnen einen angenehmen Flug.»
Ägypten
Über den Wolken
Fliegen mit Kaderli
Wir waren uns zuerst nicht einig, welchen der drei Flieger wir besteigen sollten. Da niemand von uns zuvor in Wladiwostok gewesen war, entschieden wir uns für ALI-169. Wir rannten, kaum wurden die Türen zum Vorfeld geöffnet, auf die erstbeste Maschine zu.
Dort angekommen, stellten wir fest, dass unsere Plätze bereits besetzt waren. Kaderli blies sich umgehend auf seine doppelte Grösse auf und probte eine Meuterei. Nach einem kurzen Wortgefecht erfolgte der Schiedsspruch:
«ALI-169 aussteigen!», rief eine sichtlich nervöse Flugbegleiterin. «Dies ist ALI-619!»
In ALI-169 jedoch standen schon die Passagiere für ALI-96, die fälschlicherweise ALI-769 bestiegen hatten, und zuerst rückwärts hinauskriechen mussten.
Kevin-Albert hatte mittlerweile die verfügbaren Flugnummern addiert, durch die Anzahl der Milchzähne von Sissy dividiert und spielte nun den grossen Macker.
«Hier hinein!», schrie er und zeigte mit der Hand auf die versteckt stehende Maschine von Moses-Airline.
Und tatsächlich bestätigte uns der Chefbeduine im Cockpit, dass sein von Allah gesegnetes Flugzeug auf direktem Weg nach Sharm-El-Sheik fliege.
Wir stiegen ein, schnallten uns an und legten uns in Ketten. Wir beschlossen, sie erst abzulegen, wenn wir das Rote Meer klar und deutlich sehen würden.
Entgegen meiner Befürchtungen verlief der Flug ohne Zwischenfälle, was mich etwas beunruhigte.
Nur einmal kam es zu einem kleinen Intermezzo. Sissy wollte unbedingt mit Barbie und ihrem rosa Kamel spielen. Diese jedoch ruhten sanft im Gepäckabteil, tief im Bauch des Flugzeugs. Sissy dachte nicht im Traum daran, auf ihr Personal zu verzichten und inszenierte ein Riesentheater.
«Hilfe! Hilfe! Ihr habt mein Kamel totgemacht!», tobte sie und liess sich weder mit Fruchtgummis noch Sauren Zungen ruhigstellen.
Als die Flugbegleiterin zu einem Bestechungsversuch mittels Pingu ansetzte, flippte Sissy vollends aus. Sie schmiss das Vieh im hohen Bogen durch die Kabine, riss sich ein Büschel Haare aus und biss der Stewardess in den Finger.
Erst der grosse Beduine aus dem Cockpit konnte die Motzliese beruhigen.
«Du musst nicht traurig sein. Das rosa Kamel ist im Kamelhimmel und blickt jetzt auf dich herunter. Willst du es sehen?», fragte er.
«Ja! Kamel sehen!», antwortete sie und folgte ihm in das Cockpit. Dort übten sie zusammen tolle Kunstflugfiguren.
Erst als alle Kotztüten gefüllt waren, hatte Sissy genug und kam freudestrahlend zurück. Es gibt doch nichts Schöneres als glückliche Kinderaugen!
Sonst verlief der Flug ereignislos.
Ägypten, wir kommen!
Ägypten
Flughafen Sharm-El-Sheik / Sinai
Kaderli und der Bartauszupfer
Doch Ägypten wollte uns nicht. Und schon gar nicht wollte man Kaderlis Sippe.
«Pass!»
Als Kaderli dem Grenzpolizisten die Rabattkarte von Aldi vorwies, schüttelte dieser den Kopf. Seine linke Hand war leicht geöffnet.
«Pass!»
Kaderli zeigte ihm in lockerer Reihenfolge seinen Personalausweis, den Führerschein sowie seine ungültige Fallschirmspringerlizenz.
«Passss!», zischte der Wächter der Pyramiden und deutete auf seine inzwischen ganz geöffnete linke Hand Kaderli wandte sich an mich.
«Was meint dieser ägyptische Bartauszupfer eigentlich, wer wir sind! Der kann mir mal den Kamelbuckel runterrutschen! Und das Bakschisch kann er sich mitsamt dem Trinkgeld irgendwo hinstecken!»
Wie es Kaderlis geschafft hatten, das Flugzeug ohne Pass zu besteigen, ist für immer und ewig ein Rätsel geblieben. Tatsache war: Die ganze Brut stand ohne Pass in der Wüste Sinai und sollte gemäss «Bartauszupfer» das nächste Flugzeug Richtung Heimat besteigen.
Bambi war in einem bemitleidenswerten Zustand. Ihre tropentaugliche Schminke hatte sich längst aufgelöst und auch das Dreiwetter-Haarspray hielt sein Versprechen nicht.
Bambi allerdings war praktisch veranlagt und machte sich bereits Überlegungen zu einer Zukunft in Ägypten. Sie würde sich in Gizeh eine kleine Pyramide kaufen und darin ein Nagelstudio eröffnen. Oder einen Hundesalon.
Nein! Bauchtanzen! Das bisschen Wackeln könnte sie sich ja wohl noch selber beibringen. Und dann würden Lawrence of Arabia und Omar Sharif bei ihr ein Teelein trinken und ein Wasserpfeifchen schmauchen.
Während Bambi fiebrig vor sich hin fantasierte, machte ich mich auf die Suche nach einer Lösung für Kaderlis Problem.
Ägypten
Sharm-El-Sheik / Sinai
Kaderli und die Audienz
Vorsichtshalber nahm ich Kaderli seinen gesamten Bestand an Bargeld ab und bat ihn, ab sofort die Klappe zu halten. Der Terminal hatte sich mittlerweile geleert, mein Plan stand fest.
Zuerst bekam der Bartauszupfer zehn Euro Bakschisch. Als Gegenleistung brachte er mich zu seinem Chef. Dieser kassierte zwanzig Euro und leitete mich an seinen Vorgesetzten weiter, der sogleich einen Obolus von vierzig Euro erhielt.
Gegen ein Trinkgeld von achtzig Euro verschaffte mir dieser eine Audienz beim Grosswesir. Dessen Sklave nahm mir 160 Euro ab und öffnete die nächste Türe. Der Grosswesir machte einen ärmlichen Eindruck, ich legte ihm auf freiwilliger Basis 320 Euro neben die Wasserpfeife. Seine diskrete Handbewegung zeigte mir, dass ich noch nachzulegen hatte.