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Neue deutsche Heimat
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Ebook68 pages51 minutes

Neue deutsche Heimat

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About this ebook

Ich fühlte noch deutlicher als zuvor, dass das, was soeben geschah, rein gar nichts mit mir zu tun hatte und keineswegs den Keim von etwas Gutem in sich trug. So stand ich plötzlich außerhalb, gehörte definitiv nicht dazu. Die Weltmeister spürten das anscheinend, trotz des Taumels, und ich spürte wiederum die Blicke all dieser Jubelnden, Tanzenden, Deutschen um mich herum. Als ich die ersten Umarmer und Antanzer zurückwies, wurde ich beschimpft und mit einem feindseligen So-sehen-Weltmeister-aus-Grölen verabschiedet. Sie sangen es nicht nur, sie glaubten es auch.
LanguageDeutsch
Publisherduotincta
Release dateSep 13, 2017
ISBN9783946086246
Neue deutsche Heimat
Author

Georg Schaar

Georg Schaar schreibt gerade an seinem Lebenswerk. Als der Verlag nach seiner Vita fragte, kam zur Antwort: „Ich wurde geboren und ich schreibe. Alles andere ist unwesentlich.“

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    Neue deutsche Heimat - Georg Schaar

    verlag duotincta

    e-book

    Georg Schaar

    Neue deutsche Heimat

    Erzählung

    Über den Autor

    Georg Schaar schreibt gerade an seinem Lebenswerk. Als der Verlag nach seiner Vita fragte, kam zur Antwort: Ich wurde geboren und ich schreibe. Alles andere ist unwesentlich. 

    Impressum

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Erste Auflage 2017

    Copyright © 2017 Verlag duotincta, Berlin

    Alle Rechte vorbehalten.

    Satz und Typographie: Verlag duotincta, Berlin

    Cover: Jürgen Volk, Berlin; unter Verwendung von Motiven von © pixabay

    ISBN 978-3-946086-24-6

    Besuchen Sie uns bitte im Netz unter www.duotincta.de

    oder auf facebook und sagen Sie uns Ihre Meinung zu Buch und Programm!

    I

    Als ich das erste Mal den Sachsenweg entlangging, unterschied die Straße nichts von anderen Straßen im Land: schwarz-rot-goldene Fahnen hingen an den Balkonen und Fenstersimsen; in den Cafés und Kneipen, auf meinem Weg von der Bushaltestelle zum Haus, flimmerte auf den eiligst installierten Flachbildschirmen das Grün des Rasens, denn das erste Gruppenspiel des Tages hatte gerade erst angefangen. Spielstand nach 15 Minuten: Spanien – Ukraine 1:0.

    Meine WG saß zu Hause und sah das Spiel. Das wusste ich und war darüber genauso wenig erstaunt wie über das strahlend weiße Retrotrikot der Nationalmannschaft, das auch ich auf dem Leib trug.

    Eigentlich verstanden wir uns als links, wenn auch nicht radikal, so doch ein wenig radikaler als der Rest aller Studenten, die sich als links verstanden, obwohl sie schon allein aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft nichts verstehen konnten. Ganz sicher waren wir anti-national, aber schlagartig, mit dem Beginn des Turniers, geschah etwas Merkwürdiges. Vielleicht war es der auf einmal wieder einsetzende Kontakt mit den Massenmedien und wir waren doch leichter beeinflussbar, als wir dachten. Vielleicht war es auch der Clou der PR-Magier, die uns dieses Märchen vor Augen führten, der eben darin bestand, Menschen wie uns in aller Sanftheit quasi unter Druck zu setzen, damit wir als gute Gastgeber und Deutsche ein Bekenntnis ablegen mussten, damit die Party, dieses Fest der Völker, für all die Gäste aus aller Welt erst ein Erfolg werden würde. Einmal losgetreten wogte die Welle dann auch übers Land, rief synergetische Reaktionen in Familien und Nachbarschaften hervor, die in ihrer Unvorhersehbarkeit dazu führten, dass die internationale Presse im Makrokosmos das wiederentdeckte Nationalbewusstsein der Deutschen feierte, während auf der Mikroebene Leute wie mein Mitbewohner Bastian, der einzige, der wirklich als radikal bezeichnet werden konnte, zwar nicht gleich seinen roten Schnürsenkel aus dem Stiefel zog, aber doch ein 54er-Wunder-von-Bern-Trikot überstreifte, Schwarz-Rot-Gold auf den Wangen trug und seine Glatze von den Mädels als Fußball bemalen ließ, womit er zum wandelnden Beweis für die Thesen wurde, die im Makrokosmos emanierten ‒ aber das sollte erst zum Halbfinale geschehen. Vorerst war ich in die Trikotüberstreifphase eingetreten und bemüht, mich so gewandet auf der Straße normal zu verhalten; damit meine ich, ich war ein wenig schüchtern, schamhaft gegenüber Freunden und Bekannten, die aber zusehends alle demselben seltsamen Zauber verfielen, der sich über die Straßen der Republik gelegt hatte.

    Hier auf dem Sachsenweg hatte ich das Urteil meiner Bekanntschaften allerdings nicht zu befürchten, denn ich war ja in einem anderen Bezirk und das Trikot sollte mir sogar ganz unversehens eine Hilfe dabei werden, das zu bekommen, was ich dringendst vor Ende des Monats suchte: Eine Wohnung.

    Leider hatte ich das Studentenwerk unterschätzt und erst zu spät gemerkt, dass die Drohungen ernst gemeint waren. Prüfung. Zeugnis. Exmatrikulation. Wohnungskündigung. Aus der entspannten Jobsuche war eine Wohnungssuche geworden, mit der unangenehmen Folge, dass die Jobsuche weniger entspannt ablaufen würde. Eigentlich war keine Zeit für zwei Spiele pro Tag.

    Doch wie es sich für ein gutes Märchen gehört, löste sich alles in Wohlgefallen auf, als ich freundlich den Türken-Opa, der seinen grauen Schnauzbart streichelnd auf einem Klappstuhl vor dem Sachsenweg 18 saß, grüßte. Denn just in diesem Moment kam der Vermieter an und gab mir gleich die Hand. Bisher hatte ich nur mit dem Mieter gesprochen, der die Besichtigungstermine koordinierte. Der Vermieter, ebenfalls ein Deutschlandtrikot tragend, öffnete die Türe und stellte sich als Herr Müller vor – wie Gerd Müller? Sagen Sie das, wegen meines Alters? Haha! Nein, aber ich komme aus der Stadt, in der Gerd Müller geboren wurde. Wirklich? Na

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