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Eleonores beste Sülze
Eleonores beste Sülze
Eleonores beste Sülze
Ebook312 pages4 hours

Eleonores beste Sülze

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About this ebook

Lonau, ein kleiner Luftkurort im Harz mit knapp 300 Einwohnern: Es ist die Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November (Halloween). Nach einem Klassentreffen in der einzigen Gaststätte des Ortes wartet eine Teilnehmerin vergeblich darauf, dass ihr Mann sie abholt und macht sich schließlich allein auf den Weg nach Herzberg. In der Nähe des Flüsschens Lonau begegnet sie ihrem Mörder. Oder sind es zwei? Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergibt, dass das Opfer vor ihrem Tod vergewaltigt wurde. Bei den Ermittlungen trifft Kommissar Geiger auf Eleonore Dix, eine ehemalige Mitschülerin der Toten. Er merkt sofort, dass Eleonore viel mehr ist als nur eine Zeugin. Dann wird ein alter Schulfreund, der auch auf dem Klassentreffen war, von seiner Ehefrau als vermisst gemeldet. - Ein skurriler Krimi mit einer Portion schwarzem Humor.
LanguageDeutsch
Release dateSep 20, 2017
ISBN9783947167029
Eleonores beste Sülze
Author

Gabriela Bock

Gabriela Bock wurde 1951 in Herzberg am Harz geboren. Nach Jahren der Kindererziehung und mehreren beruflichen Stationen hat sie nun die Zeit und Ruhe, sich ihrer alten Leidenschaft zu widmen: dem Schreiben. „Die Hecke brennt“ ist ihr zweites Buch. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Hattorf am südwestlichen Harzrand. Sie liebt ihre große Familie, ihre Tiere, das Reisen, das Leben im Allgemeinen und natürlich den Harz.

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    Book preview

    Eleonores beste Sülze - Gabriela Bock

    Gabriela Bock

    Eleonores beste Sülze

    Impressum

    Eleonores beste Sülze

    ISBN 978-3-947167-02-9

    ePub-Version V1.0 (09-2017)

    © 2017 by Gabriela Bock

    Bildmaterial:

    Cover © sebastianosecondi # 606191804 | shutterstock.com

    Cover © Jacob_09 # 670959295 | shutterstock.com

    Autorenporträt © Ania Schulz | as-fotografie.com

    Lektorat & DTP:

    Sascha Exner

    Verlag:

    EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

    Postfach 1163 · D-37104 Duderstadt

    Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

    Web: www.harzkrimis.de · E-Mail: mail@harzkrimis.de

    Inhaltsverzeichnis

    INNENTITEL

    IMPRESSUM

    PROLOG

    OSTERODE/LONAU - SONNTAG, 1. NOVEMBER, MORGENS

    LONAUTAL - SONNTAG, 1. NOVEMBER, VORMITTAGS

    LONAUER WIRTSHAUS - SONNTAG, 1. NOVEMBER, MITTAGS

    PÖHLDE - SONNTAG, 1. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    PÖHLDE - SONNTAG, 1. NOVEMBER, ABENDS

    OSTERODE/LONAU - NACHT ZUM 2. NOVEMBER

    PÖHLDE/HERZBERG - NACHT ZUM 2. NOVEMBER

    KOMMISSARIAT - MONTAG, 2. NOVEMBER, MORGENS

    PÖHLDE - MONTAG, 2. NOVEMBER, MITTAGS

    HANNOVERSCH MÜNDEN - MONTAG, 2. NOVEMBER

    ALFELD - MONTAG, 2. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    HERZBERG/LONAU - MONTAG, 2. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    ZWISCHEN ALFELD UND HARZ - MONTAG, 2. NOVEMBER

    HERZBERG - MONTAG, 2. NOVEMBER, SPÄTNACHMITTAGS

    HERZBERG/LONAU - 2./3. NOVEMBER, ABENDSTUNDEN UND NACHT

    HERZBERG - ABENDSTUNDEN DES 2. NOVEMBER

    LONAUER WASSERFALL - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, MORGENS

    ALFELD - MONTAG, 2. NOVEMBER, ABENDS

    PÖHLDE - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, MORGENS

    PÖHLDE - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, MITTAGS

    GOSLAR - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    PÖHLDE - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    GÖTTINGEN - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, ABENDS

    HERZBERG - DIENSTAG, 3. NOVEMBER, ABENDS

    OSTERODE/HERZBERG/GÖTTINGEN - MITTWOCH, 4. NOVEMBER, VORMITTAGS

    PÖHLDE - MITTWOCH, 4. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    ALFELD - MITTWOCH, 4. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    PÖHLDE/HERZBERG - MITTWOCH, 4. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    HERZBERG - MITTWOCH, 4. NOVEMBER, SPÄTNACHMITTAGS

    LONAU/HERZBERG - DONNERSTAG, 5. NOVEMBER, MORGENS

    HERZBERG - DONNERSTAG, 5. NOVEMBER, MORGENS

    HANNOVERSCH MÜNDEN - DONNERSTAG, 5. NOVEMBER, MITTAGS

    LONAU/HERZBERG/PÖHLDE - DONNERSTAG, 5. NOVEMBER, FRÜHER NACHMITTAG

    EHEMALIGE GIEßEREI, HANN. MÜNDEN - DONNERSTAG, 5. NOVEMBER, NACHMITTAGS

    HANNOVERSCH MÜNDEN - DONNERSTAG, 5. NOVEMBER, SPÄTNACHMITTAGS

    HANNOVERSCH MÜNDEN - NACHT VOM 5. AUF DEN 6. NOVEMBER

    EPILOG

    ÜBER DIE AUTORIN

    WEITERE HARZKRIMIS

    VENEDIGERZEICHEN

    BRATKARTOFFELN MIT CHAMPAGNER

    ENDSTATION BROCKEN

    HARZER FREISCHÜTZ

    FEUERFALKE

    Prolog

    Raus aus der Gaststube, in die frische klare Herbstluft! Mit dem Bukett der Außenwelt sog Nadja auch die Zweifel ein, die ihr diese Klarheit verschafften. Sie stand da und fröstelte. Konnte nicht für einen Moment Stille herrschen? Wenigstens ihr eigenes, ständig sabbelndes Lästermaul, aus dem Beleidigungen wie Salven schossen, gab Ruhe. Eine Ruhe, die auch sie genoss.

    »Hätte ich mich zurückhalten sollen mit meinen lästerhaften Bemerkungen?«, fragte sie sich laut. Ach Quatsch, Schluss mit den Selbstzweifeln. Die können gefälligst im stillen Kämmerlein über sie herfallen, aber nicht hier und jetzt. Schwächen zeigen ist jämmerlich. Darauf warten doch nur alle. »Kopf hoch, wenn der Hals auch dreckig ist!«, gab sie lautstark von sich und Lorenz von Stetten, der neben ihr stand, registrierte ihr Gebrüll mit einem Lächeln. So kannte man sie ja.

    Scheiße, dachte sie. Und neuerdings auch noch die verfrühten Wechseljahre, von denen sie natürlich nicht verschont wurde. Bekanntlich kann so was Körper und Psyche durcheinander rütteln. Warum musste ausgerechnet sie mal wieder das volle Programm abbekommen? Ein Schwall plötzlicher Hitze überfiel sie gerade heftig. Wie lästig das Leben geworden war.

    Sie spürte ihr Herz, wie es gegen die Wallung anraste. Die perfekt gestylte Fönfrisur, die sie eine halbe Stunde vorm Spiegel gekostet hatte, löste sich auch zusehends in Haar auf, das inzwischen nass und platt an ihrem Kopf hing.

    „Planschkuh! Eleonore, die eben noch mit der Wirtin in der Tür gesprochen hatte, rannte an ihr vorbei auf das Auto zu, in dem diese „Vorzeigetürkin! Ayla schon auf sie wartete. Die beiden Frauen fuhren sofort los.

    »Halt, nicht schließen – mein Schlüssel ist drin!«, rief Lorenz von Stetten der Wirtin zu, die immer noch in der offenen Tür stand. Sie verschwanden im Innern der Gaststätte.

    Ehefrau Nr. 3 zog ihn wohl an wie ein Magnet! Dieses Superweib hatte sich den ganzen Abend über nicht einmal blicken lassen. Da war ihr ja glatt entgangen, dass Lorenz ununterbrochen in den höchsten Tönen von ihr geschwärmt hatte. Migräne – deswegen konnte sie nicht runter kommen? »Wer`s glaubt, wird selig!« Zu Schulzeiten war Lorenz mal unsterblich in sie verliebt gewesen, und sie in ihn. Und jetzt konnte er sich noch nicht einmal mehr angemessen von ihr verabschieden? Enttäuscht starrte Nadja gerade vor sich hin, als „Moppelkotze" – Nobbi, eigentlich Norbert Mursal – seine Hand freundschaftlich auf ihrer Schulter platzierte.

    »Na, wenn das nicht Liebe ist zwischen Lorenz und seiner Neuen.« Blutjung war sie, die Neue. Und bildhübsch. Das hatte ja nun jeder aus der Gaststube mitbekommen. Jetzt baute Nobbi sich vor ihr auf.

    »Hast du ihn schwärmen hören, den alten, rammligen Poussierstängel?« Au ja, das hatte sie. Zur Genüge!

    Schmerz und Hitze! Wut und Angst! Wieder dieser Schmerz, der sich durch die Eingeweide bohrt. In die Magenkuhle. Wie immer, oder immer öfter. Bestimmt nichts Tragisches – zum hundertsten Mal. Wahrscheinlich lag es am guten, üppigen Essen und den angespannten Gesprächen. Sie lachte laut auf. Schmerz ließ sich nicht nur rausschreien, man konnte ihn auch rauslachen. »Siehste, geht doch!«

    Moppelkotze war ihre Wortschöpfung gewesen, mit der sie den armen Nobbi belegt hatte. Für sie war er nun mal ein Moppel, der aussah wie Kotze. Ein kleiner Moppelkotzehund, der wirklich anhänglich war wie ein Welpe. Aber lange her. Wie vieles lange her war.

    »Schnee von gestern.« Beinah hätte sie sich schon wieder verplappert. »Mop... Nobbi, dann grüß bitte deine Frau und deine Eltern von mir.« Sie musste selbst staunen. Ein anständiger Satz von ihr. Und das an diesem Abend?

    »Danke Nadja, mach ich, und du grüß deinen Mann. Wie heißt er doch gleich?«

    »Jürgen, ganz einfach, und tu nicht so, als wüsstest du das nicht.« Sie lachte wieder und sie merkte selbst, dass es vulgär und widerlich klang. »Da gibt es eine gute Eselsbrücke zu dem Esel – seh ich Jürgen, muss ich würgen.«

    Der Platz vor dem Gasthaus war hell beleuchtet und sie bemerkte Nobbis kalten, verächtlichen Blick, als er in seinen Sportwagen stieg. Die Scheibe des Wagens fuhr runter.

    »Soll ich dich mitnehmen?«

    »Danke, wir haben doch gerade über die große Eifersucht deines kleinen Frauchens gesprochen, und wer weiß, vielleicht gehst du Schmutzfink mir doch noch an die Wäsche.« Sie griente fies, dabei brach ihr erneut der Schweiß aus und der Alkohol machte sich bemerkbar. Ihre Lippen verformten sich gegen ihren Willen, als sie „Moppelkotze!" einen ausgedehnten Schmatzer zuwarf. »Du willst doch nicht schon los. Gott sei Dank, Nobbilein, du kleines Schwein!«

    Die Scheibe fuhr hoch!

    »Jürgen!« Sie kramte ihr Handy aus der Handtasche hervor. Er sollte sich mal schleunigst in Bewegung setzen, sie abholen. Ein Uhr! Was, so lange hatten sie gequatscht? Nobbi war ja mal wieder an dem Versuch gescheitert, allen begreiflich machen zu wollen, was für ein toller Typ er doch sei. Und was er alles auf die Beine gestellt hätte. Außer Eleonore Planschkuh hatte ihm kaum jemand zugehört. Eleonore, die Gute, die Verständnisvolle! »Absolut nervig, die Alte!«

    Zum Schluss waren sie nur noch zu viert gewesen. Weiß der Henker, warum fünf von ihnen schon um neun abgezogen waren. „Blaustrumpf!"... Kerstin haute kurz danach ab. Klein Weibchen musste früh zu Hause sein, weil ihr Herr und Gebieter es nicht gern sah, wenn sie ohne ihn länger wegblieb. Dabei war ihr Männe gar nicht zu Hause. Maik war nach ihrer Aussage bei Freund Rübe an der Leine, um zu angeln. »Hah, was Maik so unter Angeln versteht!« Na ja, Klassentreffen nannte sich das Ganze. Einen Witz nannte sie es.

    Sie fror inzwischen. »Jürgen – du Schweinepriester, hallo, hörst du mich?« Sie starrte dem Sportflitzer hinterher und setzte sich ebenfalls in Bewegung. »Jürgen, du verdammte Pissbirne.«

    Schlapp fühlte sie sich mal wieder und ihr Magen schmerzte. Gab es hier in Lonau im Tal eigentlich Handyempfang? Warum fragte sie sich das überhaupt? Zwei Balken waren zu sehen. Ignorierte er etwa wieder sein Handy? Sie ging schneller und hatte schon die letzten Häuser Lonaus im Blick. Idyllisch gelegen. Mochte ja sein. Für sie war hier einfach der Hund verfroren.

    Es gab einen Fahrradweg neben der Straße und parallel verlaufend zu dem Flüsschen Lonau. Diesen Weg würde sie nehmen. Auf keinen Fall wollte sie auf der Straße bleiben. Niemand sollte sie so sehen. Mit plattem Haar und Pandaaugen, die wirklich nur an Pandas süß aussehen. Obendrein in extrem kurzem Strickkleid und mit Stöckelschuhen. »Wie eine aus dem Hurenhaus!« Mutters Neid. Das einzige echte Gefühl, das sie je von ihr bekommen hatte.

    Sie bewegte sich schnell im Trippelschritt. Auf dem Fahrradweg angekommen, drehte sie sich erst einmal um und rannte dann. Als würde sie unbedingt gewinnen wollen beim Versteckspiel. »Hähää, hab dich kalt erwischt!«

    Sie trippelte weiter. Laub von Erlen und Ahorn strich ihr um die Füße wie anhängliche Katzen. Die mochte sie auch nicht. So perfekt auf hohen Absätzen laufen zu können – etwas, worauf sie sehr stolz war. Das musste ihr erst mal eine nachmachen von ihren welken Geschlechtsgenossinnen. Manche von ihnen trugen in dem Alter schon hornhautfarbige Gesundheitsschuhe. Bei solchen Gedanken bekam sie Schwung. Die Angst vor der dunklen Einsamkeit war für einen Augenblick verflogen. Da war nichts, was niedergeschrien werden musste, wie in ihrer Kindheit. Mutter hörte ihr Schreien nie. Weil sie nie da war, wenn sie schrie. »Weil du nie da warst, wenn dein Kind dich brauchte!«

    Der Weg machte einen Knick, gleich würde die Brücke kommen. Sie fürchtete sich wieder und wurde immer schneller. Das Tempo hielt sie nicht lange durch. Erschöpft blieb sie stehen. Sie klemmte das Kuverttäschchen zwischen die Beine und stützte sich gerade nach vorn gebeugt auf den Oberschenkeln ab, als sie etwas hart von hinten anstieß. Abrupt drehte sie sich um, dabei gaben ihre Schenkel die Handtasche frei.

    »Du?«, fragte sie, erstaunt, ihn hier zu sehen.

    »Tu mir den Gefallen… halt`s Maul«, sagte er. Im selben Augenblick schob er ihr Kleid hoch und zog den BH runter. Ihre Brüste passten genau in seine Hände und er knetete an ihnen rum, als er sie vom Weg runter in die Böschung des Walls drängte. Sie vernahm das Plätschern der Lonau. Sie schrie auf, als er sie heftig schubste, sodass sie zu Boden ging.

    »Halt`s Maul!«, wiederholte er. Er presste seinen Mund auf ihre weichen, vollen Lippen. Seine Zunge ertastete die ihre. Dann kniete er über ihr und fummelte an seiner Hose rum. Es konnte gar nicht schnell genug gehen. Sie spürte sein Begehren, seinen gemeinen, egoistischen Drang.

    Wie lange schon hatte sie seine Leidenschaft vermisst? Luder, Aas, wenn ihr so was schon angehängt wurde, sollte es wenigstens passen. Wie lange fügte sie sich schon teilnahmslos in ihr sexuell laues Schicksal?

    Sie half ihm dabei, Strumpfhose und String von ihrem Körper zu entfernen, weil sie sein unbeholfenes Zerren daran lästig fand. Sie stöhnte und schrie, als sie seine heftige Unbeherrschtheit schmerzhaft in sich spürte. Und sie schrie laut, als er in ihre Brüste biss, an ihren Nippeln sog, bis sie um Erlösung bat. »Hör auf… bitte!«

    Sie krallte sich in der feuchten Erde fest, er stieß sie vor sich her mit unbändiger Gewalt, keuchte kurz und machte sich hoch. Sie sah ihn seine Hose richten, den Gürtel schließen und vernahm seine raschelnden Schritte in der Dunkelheit verschwinden. Dann war Ruhe, lediglich die Lonau plätscherte vor sich hin. Wäre sie jetzt eins von diesen Durchschnittsweibern, die ihr so zuwider waren, hätte sie vielleicht um Hilfe gerufen. Aber sie war keine von denen. Wollte sie nie sein.

    Mühselig ertastete sie String und Strumpfhose, beides hing an ihrer Wade. Fahrig entwirrte sie das Ganze und zog sich an. Sie fühlte sich missbraucht und ausgenutzt. Umständlich erhob sie sich. Bestimmt war alles an ihr übel verdreckt und ihre Schuhe und die Tasche waren verloren gegangen. Aber sie sah das Täschchen, weiter vorne, auf dem Weg. Da es weiß war, konnte sie es gut erkennen. Wahrscheinlich lagen die Schuhe unter Laub vergraben.

    Gerade hatte sie ihr Kleid und ihren BH wieder richtig am Körper sitzen, als sie die Gestalt bemerkte. Sie kam ganz langsam näher. Der Mensch trug einen Overall, wie Handwerker ihn tragen, an den Seiten hingen Taschen. Das Gesicht war von einer Strumpfmaske verdeckt, oben leuchtete eine Stirnlampe.

    »Sag mal, war das noch nicht alles? Holst du dir Nachschlag… und seit wann stehst du auf Rollenspiele?« Die Person kam näher, ohne einen Ton zu sagen. »Hör auf«, sagte sie, »oder findest du das komisch?«

    »Hörst du mich etwa lachen?«

    Sie war verwirrt und total verunsichert. Verstellte er jetzt auch noch seine Stimme? Widerstandslos ließ sie sich umschubsen und nahm es hin, dass die Person auf ihr saß, ihr Kinn festhielt.

    »Es tut mir leid. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Aber, ich kann dir endlich helfen. Ich gebe dir die Ruhe, nach der du dich sehnst.«

    Jetzt erkannte sie die Stimme. Sie wollte was sagen, aber es war zu spät. Etwas wurde ihr ins Auge gestoßen und lähmte ihre Gedanken. Der zweite Schlag durchdrang ihr Gehirn, führte den Tod herbei. Der dritte Schlag zerstörte ihre Schädelknochen und der vierte fixierte sie am Boden, der etwas nachgab, weshalb noch mehrmals zugeschlagen wurde. Dasselbe passierte mit dem anderen Auge. Aber es ging leichter, und es brauchte nur vier Schläge, bis sich das Eisen durch die Augenhöhle, das Gehirn und die Schädelplatte in die weiche Erde gebohrt hatte.

    Osterode/Lonau

    Sonntag, 1. November, morgens

    Seit einer Stunde schon lag er neben ihr und konnte nicht schlafen. Wenn er nicht schlafen konnte, sah er sie an. Und wenn er sie ansah, wollte er nicht mehr schlafen. Gefesselt von ihrem Anblick, gewärmt von ihrer Weichheit. Dass eine so großartige Frau wie sie einen Mann wie ihn überhaupt liebte!

    Einen wie ihn. Nach einem grausamen Überfall, der Messerattacke eines Geisteskranken, im Gesicht entstellt, aber am Leben. Wenn das nicht passiert wäre, hätte er Silvana wahrscheinlich nie kennengelernt. In der Reha stieß er auf sie und war auf Anhieb verliebt. Sie sagt, sie hätte nicht nur bis vor die Stirn seines zusammengeflickten Gesichts gesehen. Was sie hinter seiner Stirn sah, hätte ihr sofort gefallen. Und sie liebkoste und streichelte seine Wunden.

    Marian Geiger nahm sein Smartphone vom Nachtschrank. Gut, dass er wach war. Das Ding brummte wie eine wildgewordene Hummel. Er verließ das Schlafzimmer. Seine Kollegin Dörte brüllte mal wieder. Es war so laut und direkt, dass er das Handy ein Stück vom Ohr weghalten musste.

    »Ein Mordfall, irgendwo kurz vor Lonau! Bin gerade angerufen worden! Pass auf… ich hol dich ab. Bin ohnehin in Osterode! Sie macht mal wieder Zicken. Bin in zehn Minuten bei dir!« Wenn Dörte zehn sagte, meinte sie zwanzig.

    Er kniete sich aufs Bett und küsste Silvana sanft. Seine Liebe! Sie lächelte und blinzelte dabei verschlafen. »Musst du los?«

    »Schlaf noch und gib den Kindern einen Kuss von mir.«

    Anschließend stand er vorm Schrank und zog sich an. Von dort konnte er Dörtes Volvo sehen. Alt und grün. Auf der Straße vorm Haus. Seit wann war sie pünktlich? Seine Kollegin bei der Mordkommission, Dörte Herlof, sah mal wieder so aus, als wäre sie auf dem Weg, einen Kindergeburtstag zu bespaßen. Zwei leuchtend rote Zöpfe, dazu dieser besondere Dörte-Look, immer in Grün. Heute, anscheinend wegen des kühlen Wetters, ein Wollsweater, aber immer dieselbe Blume am Revers. Rot wie das Haar und riesig irgendwie. Aus Filz. Wie immer Radio 21, und laut. Jon Bon Jovi krähte gerade rum. Marian stellte das Radio leiser.

    »Hier, hast du Hunger?« Ohne seine Antwort abzuwarten, schmiss sie ihm die Tüte mit den Brötchen rüber. Ohne Kaffee viel zu trocken, aber er biss rein. Dörte stellte das Radio wieder lauter. Jetzt grölten Nickelback und nicht weniger laut Dörte: »Sie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wintersüber will sie mit diesem Mann, den sie keine zwei Monate kennt, bei einem Kumpel von ihm im Gartenhäuschen wohnen! Oben in Osterode Freiheit. Der Kumpel ist auch so ein komischer Vogel!« Gemeint war Dörtes Mutter, Dänin. Eine, die wohl mit ihrer Lebensplanung von einem Extrem ins andere fiel.

    »Lass sie doch. Erziehen brauchst du die jedenfalls nicht mehr«, meinte Marian kauend und stellte das Radio wieder leiser. So waren Nickelback gleich besser zu ertragen. Dörte guckte kurz kariert, nahm sich auch ein Brötchen und biss rein. Ruhe erst mal. Ganz gut für Sonntagmorgen.

    Ein schöner Morgen. Die Sonne strahlte den bunten Herbstwald an. Im Tal kurz vor Lonau zückte sie nur oben auf den Anhöhen ihren Tuschkasten, um ein wenig Glanz in Goldtönen zu verteilen. Nur einen Platz erreichte die Sonne absurderweise voll und ganz. Niemand, der das gesehen hatte, würde den Anblick jemals vergessen können. Sie lag im glänzenden Sonnenschein, wie aufgebahrt. Der Wall mit seiner leicht schrägen Ebene übernahm die Funktion eines Aufstellers und perfektionierte somit das Bild.

    Dörte klammerte sich an Marians Ärmel fest. »Mein Gott, hast du so was schon mal gesehen, Marian?«

    Nein, noch nie. Alles Mögliche. Hinrichtungen, Tote mit dem Gesicht zur Erde, einen Einschuss im Genick, enthauptete Hingerichtete, wie es bei der IS-Terrormiliz gerade Mode war. Zersägte, Zerlegte – zum besseren Entsorgen. Augen reingedrückt, damit sie niemanden mehr verraten konnten. Aber dies hier vor ihm besaß eine, ihm unbekannte Dynamik! Ganze Arbeit, dachte er. Da wollte einer auf Nummer sicher gehen. Kein Zufall, kein Tötungsdelikt im Affekt. Was waren das für gewaltige Nägel in ihren Augen? Ihm fiel der Begriff „Sparrennagel" ein. Niemand trug zufällig solche Nägel in der Tasche mit sich herum. Und in was für einer Tasche überhaupt? Nein, für ihn stand fest, dass diese Tat geplant und gründlich ausgeführt worden war. Er ließ sich gern vom Gegenteil überzeugen. Das machte seinen Beruf ja gerade spannend und interessant. Ja, er war immer noch gern bei der Kripo, auch wenn ihm sein Beruf ein sichtbares Handikap verpasst und um ein Haar das Leben gekostet hätte.

    »Was meinst du?«, fragte er Dörte, die neben der Leiche kniete und sich gerade Handschuhe überzog. Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn ich das hier richtig sehe, wurde sie angenagelt! Ich fasse nichts an! Aber ich glaube, die Nägel gehen durch den ganzen Kopf, in den Erdboden. Auf die Todesursache bin ich mal gespannt! Ob sie noch am Leben war – ?«

    Auch Marian streifte sich Handschuhe über. Er schob das Kleid der Toten ein Stück hoch und String und Strumpfhose etwas runter. Aus dem String quoll Laub, der Hintern war zerkratzt. Falls sie vorher penetriert wurde, passt es absolut nicht zu dem Mord an ihr, dachte Marian.

    »Wurde etwas am Tatort verändert? Und wissen wir, wer sie ist?«, fragte Marian einen jungen Kollegen in Uniform, der einen leicht geschockten Eindruck machte.

    »Die Tote heißt wahrscheinlich Nadja Wollmers, geboren 1970. Wir fanden ihre Papiere in der kleinen weißen Tasche, die dort vorne auf dem Weg liegt. Gefunden wurde das Opfer von einer Joggerin aus Lonau, die jeden Sonntag hier lang läuft. Sie stieß zuerst auf das weiße Täschchen auf dem Weg, dann sah sie die Tote. Die Frau konnte kaum sprechen, als sie die 112 anrief. Die kamen zuerst und forderten uns dann an.«

    »Hat die Frau die Tasche angefasst?«, fragte Marian.

    Der junge Kollege nickte. »Aber die Zeugin meint, die Tasche liegt jetzt exakt da, wo sie vorher gelegen hat.«

    Die Joggerin stand mit einer älteren Polizistin in etwa 30 Meter Entfernung auf dem Weg. Da die Frau nur mit Leggings und dünner Jacke bekleidet war, hatte man ihr eine Decke umgehängt. Marian umkreiste die Tasche und steuerte anschließend die Polizistin und die Frau an. Er kannte solche Blicke. Er war es gewohnt, zuerst misstrauisch beäugt zu werden. Die Frau hatte von Weitem jünger ausgesehen. Jetzt, da er vor ihr stand, schätzte er sie so auf „um die fünfzig". Einige Jahre älter als er selbst.

    »Marian Geiger, Mordkommission. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?« Die Frau nickte schüchtern und zog die Decke etwas enger um ihre Schultern. »Kennen Sie die Tote? Ich meine persönlich und nicht vom Personalausweis aus ihrer Tasche.«

    Sie kaute unsicher auf ihrer Unterlippe herum. »Was denken Sie von mir? Meinen Sie, ich hätte die Tasche durchwühlt? Aber ich kenne die Person. Obwohl sie so furchtbar aussieht. Ich habe sie erkannt. Die war bei der Agentur für Arbeit in Osterode.«

    »Abgesehen davon, dass Sie entsetzt waren, die Tote überhaupt zu kennen, was dachten Sie, als sie sie sahen?« Die Kollegen, die weniger einfühlend waren als er, wussten meist gar nicht, was ihnen entging, wenn sie ihre Befragungen nur auf Fakten konzentrierten. Intuition, Gefühl – der einfache erste Eindruck war oft entscheidend.

    »Ehrlich?«

    »Ja.« Marian nickte der Frau beschwichtigend zu. »Sie sind hier nicht angeklagt, Sie brauchen sich nicht verstellen.«

    »Na ja! Zuerst dachte ich, ich überlebe es nicht, diesen grauenvollen Anblick. Dann dachte ich: Das ist doch diese schreckliche Person vom Arbeitsamt. Die Hochnäsige, Schnoddrige, die mit den Arbeitsuchenden umgegangen ist, als wären sie der letzte Dreck. Dabei sind viele von ihnen ohnehin verzweifelt, so wie mein Mann.«

    »Sie war also nicht beliebt?«, fragte Marian.

    Die Frau schüttelte heftig den Kopf, und es kam wie aus der Pistole geschossen: »Ich dachte – siehste, hat sich einer gefunden.« Sie erschrak anscheinend über sich selbst, fuhr aber fort. »Mein Mann traute sich ja nicht mehr alleine nach Osterode ins Amt. Daher kenne ich sie ja überhaupt. Weil ich dann immer mit bin. Aber das mit ihren Augen – entsetzlich.« Sie blickte zu Boden und die Polizistin sah sie völlig verstört an. Hatte dieser Geiger die Zeugin hypnotisiert oder was?

    »Als Sie den Rettungsdienst anriefen, was sagten sie da?«

    »Ich hatte die Tasche in der Hand und ganz dolle Angst. Ich stellte mich auf den Weg, klemmte mir die Tasche zwischen die Beine und holte mein Handy vor.« Sie zog die Decke auseinander und gab den Blick auf ihre Gürteltasche frei. »Tja, was sagte ich denen?« Sie schien angestrengt zu überlegen. Plötzlich platzte es aus ihr heraus: »Ich glaube, ich sagte: Hier ist wer tot. Es muss gleich jemand kommen. Ein Mord! Ich bin ganz alleine.«

    Ein Lächeln

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