Elementarpädagogik und Professionalität: Lebens- und Konfliktraum Kindergarten
By Armin Krenz
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About this ebook
Dieser zweite Band – als Folgepublikation von Elementarpädagogik aktuell – geht speziell auf die Person(al)qualität von elementar-pädagogischen Fachkräften ein. Dazu werden vierSchwerpunkte betrachtet:
• der „Lebensraum Kindergarten“ als Interaktionsgeflecht zwischen Kindern und Erzieherinnen sowie den ErzieherInnen selbst.
• der „Konfliktraum Kindergarten“ als Lernfeld für konfliktüberwindende Kommunikation.
• die Leitungskraft als Ausgangspunkt und Motor für eine kompetente Profilentwicklung
von Personen und der Einrichtung selbst.
• Perspektiven für eine innovative und zeitaktuelle Elementarpädagogik.
Das Buch will eine praktische Hilfestellung für alle elementarpädagogischen Fachkräfte sein,die sich den neuen Herausforderungen im Kindergarten stellen wollen (Qualitätssicherung /Bildungsort Kindergarten).
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Elementarpädagogik und Professionalität - Armin Krenz
978-3-944548-71-5
Vorwort
Der Kindergarten ist ein Ort für Kinder – ausgestattet mit einem eigenständigen Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag. So hat es schon 1970 und 1973 der Deutsche Bildungsrat deutlich formuliert. Schaut man in die Ausführungen der Bildungskommission, fallen folgende Merkmale einer Aufgabenstellung für Kindertageseinrichtungen auf: Sie
•berücksichtigen die besonderen soziokulturellen Hintergründe der Kinder und ihrer Eltern und haben die Aufgabe, diese bei der gesamten Arbeit zu beachten;
•ermöglichen den Kindern eine „ganzheitliche Entwicklung" und verzichten somit auf teilisolierte Förderungen einzelner Teilleistungsbereiche von Kindern;
•ermöglichen den Kindern den Einsatz ihrer gesamten geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten und gewähren ihnen gleichzeitig ausreichend Ruhepausen;
•schenken den Kindern genügend Zeit, um sich frei und durch vielerlei Möglichkeiten ausdrücken zu können;
•berücksichtigen die individuellen Unterschiede der Kinder in einer Kindergruppe und beachten in der pädagogischen Arbeit die besonderen (Entwicklungs-)Bedürfnisse der Kinder;
•bieten den Kindern vielfältigste Möglichkeiten für individuelles und soziales Lernen;
•achten auf besondere Krisenpunkte in der Entwicklung von Kindern;
•legen die Grundlagen für ein späteres Lernen in den nachfolgenden Bildungseinrichtungen.
Damit wird deutlich: Der Kindergarten soll sich als Ort für Kinder verstehen, in dem tagtäglich Bildungsprozesse initiiert, auf- und ausgebaut werden. Insoweit überraschen Hektik und Aktionismus, die in vielen Kindertageseinrichtungen zu beobachten sind, ausgelöst durch die PISA-Studie 2000 und weitere Nachfolgeuntersuchungen. In den oben genannten Merkmalen wird deutlich, dass es in den Kindertageseinrichtungen primär darum geht, dafür Sorge zu tragen, dass elementarpädagogische Fachkräfte:
•den Kindern vielfältigste Formen von Lernerfahrungen ermöglichen müssen;
•den Kindergarten als ein Forschungsfeld – auch mit Kindern – gestalten;
•gemeinsam mit Kindern tagtäglich auf „Entdeckungsreise" gehen;
•den Kindern helfen, Lernmotivation, -freude, -interesse und -neugierde zu entdecken;
•bei Kindern für emotionale Sicherheit sorgen müssen;
•die Kinder darin unterstützen, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln;
•alltägliche Lernangebote aus dem mittelbaren und unmittelbaren Umfeld zum sinnverbundenen Lernen entdecken und mit Kindern als solche erleben.
All diese Merkmale deuten auf eine Abgrenzung von schulischem Lernen hin. Insofern überrascht es, wenn in manchen Kindertageseinrichtungen wieder „klassische Vorschularbeitsmappen" aus vergangenen Zeiten hervorgeholt und genutzt werden. Wichtig ist, dass der Kindergarten nur dann seine Aufgabe als Bildungsort erfüllen wird, wenn neben einer professionell gestalteten Arbeit gerade die „inneren Struktur- und Person(al)bedingungen" dazu geeignet sind, die Kindertageseinrichtung zu einem solchen Bildungsort werden zu lassen. Dazu müssen vor allem folgende Grundsätze Beachtung gefunden haben bzw. finden:
Kindertageseinrichtungen müssen sich als ein wirklicher Lebensraum für Kinder verstehen: Grundsatzfragen müssen aufgeworfen, diskutiert und beantwortet werden.
Elementarpädagogische Fachkräfte müssen sich selbst als Bildungsträger verstehen und in ihrer Person Bildungsmerkmale tragen, die sich entwicklungsfördernd für Kinder erweisen.
Eine entwicklungsfördernde Bildungsatmosphäre für Kinder kann sich nur dort entwickeln, wo eine möglichst spannungsfreie, kollegiale Zusammenarbeit der elementarpädagogischen Fachkräfte besteht.
Leitungskräfte müssen eine Bildungsoffensive in „ihren" Einrichtungen installieren und dafür Sorge tragen, dass eine ständige Verbesserung der Bildungsqualität erreicht werden kann.
Elementarpädagogische Fachkräfte müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass sie für Kinder als Resilienten wirksam werden können. Das heißt, dass sie seelische Widerstandskräfte in Kindern wecken, auf- und ausbauen können, wenn es den Fachkräften gelingt, sowohl durch eigene Persönlichkeitsmerkmale als auch durch ihre Umgangs- und Arbeitskultur in der Einrichtung für ein entsprechendes Bildungsklima zu sorgen.
Dreh- und Angelpunkt für eine personenorientierte Bildungsarbeit ist die personale Kompetenz der Fachkräfte. Sie bewirkt eine Innenqualität, die letztlich immer eine Person braucht, um in Entwicklungsprozesse zu kommen. Ohne diese innenqualitätsgeprägte Ausgangslage wird es nicht möglich sein, für wirkliche Lernmotivatoren im Kindergarten zu sorgen.
Bildungsvermittlung im Kindergarten – als Ziel und Aufgabe der Elementarpädagogik – lebt vor allem von dem Bildungsengagement der Fachkräfte. So heißt die Bildungsdevise unter anderem, dass die Fachkräfte neugierig, wahrnehmungsoffen, lernfreudig, lernmotiviert und innovativ die Tage mit Kindern erleben und gestalten. Immer wieder gilt es, neue Perspektiven für sich und
die Arbeit zu entdecken, aufzunehmen und weiterzu-
entwickeln, damit auch der Kindergarten selbst eine
Bildungseinrichtung mit Perspektiven sein wird.
Diesen Ausgangsdaten wird in dem Buch Rechnung getragen. Dazu hat der Autor aus seiner umfangreichen Sammlung vielfältigster Fachartikel aus fast 30 Jahren eine Auswahl entsprechender Fachbeiträge vorgenommen und zusammengestellt. Alle Beiträge wurden dort, wo es nötig erschien, gegebenenfalls aktualisiert. Manche inhaltlichen Ausführungen mögen in Einzelfällen auf den ersten Blick an anderer Stelle (z. B. im ersten Band
„Elementarpädagogik aktuell") ähnlich erscheinen. Doch bei genauerem Lesen wird auffallen, dass zwar Ausgangsinhalte manches Mal gleich sind, diese aber dann in der weiteren Betrachtung eine andere inhaltliche Richtung einschlagen und entsprechend anders fortgesetzt werden, damit auch neue Facetten einer professionellen Elementarpädagogik schwerpunktspezifisch beleuchtet werden können.
Möge auch dieses Buch dazu beitragen, das Wesentliche der
Pädagogik in Augenschein zu nehmen, das Unwesentliche bewusst zu vernachlässigen und das Notwendige zu unternehmen, um die elementarpädagogische Arbeit konstant und konsequent auch weiterhin zu professionalisieren!
Lebensraum Kindergarten
Lebensraum Kindergarten – Grundsatzgedanken für eine kindorientierte Elementarpädagogik
Vorbemerkung
Kinder leben in zunehmendem Maße in einer Welt, in der sie immer weniger „Kind sein können bzw. dürfen", so wie es seinerzeit der amerikanische Medienökologe Neil Postman, ein engagierter Streiter für die Wahrung der Kindheit, mit seinem Buch „Das Verschwinden der Kindheit" deutlich auf den Punkt gebracht hat.
Christian Büttner und Aurel Ende sprechen in der Bestandsaufnahme der Kinderleben zwischen 1740 und heute von den Begriffen „Gefördert und mißhandelt" (gleichnamiger Titel des Buches) und alltägliche Beobachtungen führen dazu, sich mit veränderten Umfeldbedingungen von Kindern immer wieder auseinanderzusetzen. Diese sind gleichsam das Grundlagenmaterial für die Gestaltung und Neuorientierung der Arbeit im Kindergarten.
Das Verschwinden der Kindheit
Jeder von uns kennt sicherlich die Situation, bei der die Frage auftaucht, ob es wünschenswert sei, heute noch einmal Kind zu sein. Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen folgen eigene Erinnerungen, etwa an das Höhlenbauen im Wald, das Verstecken in Kornfeldern, das Erklettern von Bäumen oder das ausgelassene Spielen auf bunten Wiesen, die Fahrradtour mit den Eltern, die besonderen Wochenendfahrten zu Verwandten oder der gemeinsame Besuch des Freibades im Sommer. Daneben gibt es aber sicherlich auch weniger schöne Erinnerungen, etwa die Strenge mancher Lehrer in den Schulen, das eingeschränkte Spielmaterial zu Hause, die kleine Wohnung oder die freitägliche Gemüsesuppe, die trotz innerer Ablehnung gegessen werden musste.
Die Kindheit hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch verändert. Konsumorientierung entwickelt sich zum neuen Heil, bei dem auch Kinder vermehrt als „Konsumenten entdeckt werden. Viel zu besitzen, so wird uns versprochen, bedeutet gleichzeitig „Glück
und der Besitz von bestimmten Markenprodukten verspricht schon fast „Glückseligkeit". Neue Erziehungskonzepte und bildungspolitische Strömungen scheinen wie Pilze aus dem Boden zu schießen und erheben mehr oder weniger den Anspruch, eine optimale Kinderbetreuung zu garantieren.
Förderungsprogramme sind für viele Eltern ein Segen, weil damit ungenutzte, brachliegende Kompetenzen ihrer Kinder stärker unterstützt werden können, und Spielplatzspezialisten bieten eine Vielfalt an Förderaktivitäten an. Elternratgeber zur richtigen Erziehung überschwemmen den Markt, und Tendenzen zeigen: Je „hemdsärmeliger, knackiger" die Ratschläge sind, desto besser kommen sie auch an.
Spielmittel werden immer mehr zu Lerngeräten, sodass in erster Linie weniger die Freude der Kinder im Vordergrund steht, als vielmehr die Frage, wie pädagogisch wertvoll bestimmte Spielsachen tatsächlich sind, wie umweltfreundlich ihre Verarbeitung ist und wie nutzbringend diese für die kindliche Entwicklung zu sein scheinen. Erfahrungen werden zunehmend aus dem übergroßen Angebot der Medien gezogen, Fernsehsender buhlen primär um Einschaltquoten, und Urlaubsreisen werden nur dann als besonders attraktiv erlebt, wenn sie möglichst in den letzten Winkeln unserer Erde verlebt werden können. Das Straßennetz wird immer enger gezogen, sodass viele Spielflächen von Kindern dem „Moloch Verkehr" geopfert werden, freie Grundstücke werden mit Neubauten oder Industriegebieten besetzt, gepflegte Grünanlagen sind mit Regeln belegt, was an dieser Stelle verboten ist, und Familien mit mehr als zwei Kindern gelten nicht selten als verantwortungslos.
Spielplätze (mit ihrer besonderen Unattraktivität) geben bestimmte Spielfunktionen vor, Veränderungen werden geahndet oder sofort auf ihre TÜV-Tauglichkeit hin untersucht, Kurse bestimmen für viele Kinder neben der Kindergarten- oder Schulzeit den Tagesrhythmus, und das Handy wird zum verlängerten Sprachrohr in einer zunehmend anonymisierten Welt, in der lebendige Beziehungen immer seltener werden. Der normale Gang in den Wald, in dem Kinder spielen möchten, wird als gefährlich eingestuft, weil etwas passieren könnte, sodass er nicht selten von Eltern verboten wird, und der Aufenthalt vor dem Haus ist aufgrund der Zunahme des Straßenverkehrs inzwischen nicht weniger problematisch.
Auf den Punkt gebracht bedeutet eine Betrachtung heutiger Kindheit, dass das Kinderleben immer mehr zerrissen, die Kinderzeiten in zunehmendem Maße zerteilt und Kinderwelten immer stärker eingeengt werden. Zwar mag es auf den ersten Blick so wirken, als hätten es Kinder der heutigen Generation besser bzw. leichter, weil sie mehr Spielmittel, größere Bildungschancen, bessere Förderungsmöglichkeiten oder vielschichtigere Kommunikationswege nutzen können. Ein genaueres Betrachten macht aber deutlich, dass es vor allem um eines geht: Kinder müssen eine ständige Zunahme an Erfahrungsverlusten hinnehmen.
Aus entwicklungspädagogischer Sicht muss diese Tatsache sowohl Eltern als auch pädagogische Fachkräfte aufrütteln, weil bekannt ist, dass Kinder vor allem über das Handeln lernen – erinnert sei an die Lernfolge der Kinder bis zum siebten Lebensjahr: 1. handeln, 2. fühlen, 3. denken, 4. nachdenken. So entwickeln sich alle kognitiven Prozesse aus dem Tun, dem Aktiv-Sein, der Tätigkeit und motorischen Aktivität. Nicht umsonst heißt es in dem bekannten Spruch: „Aus Erfahrung wird man klug."
Wenn Kinder in zunehmendem Maße Erfahrungsverlusten ausgesetzt sind, es aber gleichzeitig ihrer Bestimmung entspricht, sich als Akteure in dieser Weit zu begreifen, gibt es nur ganz bestimmte Auswege: Entweder resignieren die Kinder, ziehen sich zurück und klagen darüber, dass ihnen „soooo langweilig sei", oder sie suchen sich vielfältige Chancen, die Welt dennoch zu entdecken, etwa durch Regel- und Grenzüberschreitungen, Bewegungsüberschüsse oder Aktionismen, indem sie auf sich aufmerksam machen (müssen), nach dem Motto: „Seht her, hier bin ich."
Kindergarten – ein Garten für Kinder
Wer einmal durch einen großen Garten mit altem Baumbestand und einer reichhaltigen Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt gegangen ist, lässt sich gern in ein „Reich der Sinne" entführen. Einerseits gibt es vielfältige Farben und Formen der unterschiedlichen Pflanzen zu bewundern, andererseits betören die unterschiedlichen Düfte. Die Blumen und Sträucher entwickeln ihre Pracht zu unterschiedlichen Zeiten, sodass eine Blütezeit die andere ablöst. Hecken dienen Kleintieren zum Schutz, bieten Nistgelegenheiten, und große Bäume spenden Schatten; so helfen sie, dass der Boden in den heißen Sommermonaten nicht gänzlich austrocknet. Ein Garten zeichnet sich durch seine Vielfältigkeit aus im Gegensatz zu angelegten Monokulturen mit ihrer besonderen Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und Unwettern.
Der Kindergarten kann – ausgehend von diesem Bild – auf dreierlei Arten seine Aufgaben wahrnehmen. Einerseits kann er alles laufen lassen und dazu beitragen, dass sich der Garten „irgendwie entwickelt (gemäß eines antiautoritären Erziehungsstils). Andererseits kann er einem „vorzeigbaren, gepflegten und jederzeit gesteuerten Vorstadtgarten
entsprechen, in dem die Beete unkrautfrei gehalten