Der Sattel im Speckmantel
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Der Sattel im Speckmantel - Thorsten Fiedler
Speck"
Après-Fußball – die Vorgeschichte
Irgendwie kennen wir uns alle schon ewig, teilweise aus der gemeinsamen Schulzeit, von privaten Veranstaltungen oder aus unserer sportlichen Glanzzeit, als wir gemeinsam bei dem sympathischsten Fußballverein der Neuzeit – Wacker Offenbach – rekordverdächtige Zeiten erlebten. Bei Wacker gab es alles, was man sich wünschen konnte: tolle Feiern, Kameradschaft, Skiurlaube, Spaß am laufenden Band, Vereinsleben und Bier in Strömen. Nun ja, ein wenig muss man an dieser Stelle relativieren, denn es gab halt nur fast alles, denn trotz dauerhaft mangelndem Trainingseinsatzes, wenig Laufbereitschaft und manchmal auch absoluter Talentfreiheit blieb uns der sportliche Erfolg oftmals verwehrt. Auf des Gegners Plätzen waren wir ein absolut gerngesehener Gast und die Freude war jeweils groß, wenn es darum ging, in der Punktrunde gegen uns anzutreten. Doch auch wenn wir auf dem Platz in der einen oder anderen Situation unterlegen waren, so konnte uns beim „Après-Fußball so leicht keiner etwas vormachen. So kam es, dass wir in unserer aktiven Zeit leider deutlich mehr Deckel als Punkte und Tore verzeichnen konnten. Dennoch gab es fußballerisch nicht nur schlechte Zeiten, nein, es gab auch sehr schlechte Zeiten, wenn wieder mal der verantwortliche „Bierwart
(höchstrangige Funktion des Gesamtfußballvereins) den obligatorischen Kasten Bier für nach dem Spiel, nicht kaltgestellt hatte. Dies waren besonders traurige Momente in der sonst so makellosen Vereinsgeschichte.
Doch wer sind die Protagonisten dieses Buches, deren Geschichten hier erzählt werden?
Leo, ehemaliger Stürmer von Wacker Offenbach – wahrscheinlich einer der wenigen, die wirklich Talent hatten, leidenschaftlicher OFC-Fan und der gute Geist für alle diejenigen, die bei unserer Tour jemals eine Panne hatten. Bevorzugt selber pannensichere Fahrradreifen, denn sicher ist sicher.
Gunter, Stratege und Dauerläufer im Mittelfeld, Skilehrer und erfolgreicher Tennisspieler. Einer der wenigen, die in einem Fiat 500 ein komplettes Fahrrad transportieren können. Wahrscheinlich mit Leo zusammen einer der besten Textschreiber und Dichter der Neuzeit.
Eric, absoluter Meister der Zeitverzögerung. Schon auf dem Platz war er bekannt für die Entschleunigung jeder schnellen Situation. Er ist der Fachmann für altersflexible Facebook-Profile und seine schottischen Urahnen lassen sich kaum verleugnen. Wahrscheinlich hat er das schönste „Basslachen" jenseits des Mains.
Lars, einziger „Nichtfußballer" der Gruppe. Bekennender Werder Bremen-Fan, unser Quotenraucher, absoluter Ironie-Freak und seine Situationskomik ist legendär. Zusätzlich ist er ein Freund historischer Fahrräder und Damen, bevorzugt Qualitätsgepäckträger und ist immer auf die Minute pünktlich.
Peter, unser Macher und Planer. Keiner kann so gut Fahrrad „Bergabtouren" planen, die dann doch nur bergauf gehen. Er hat eine starke Affinität zu den Pfadfindern, leider sind es immer wieder mal Pfade, die wir gar nicht gesucht haben.
Als Wackerspieler war er auf vielen Positionen zu Hause und er bevorzugte es, den Ball laufen zu lassen, statt selber zu laufen. Sein einmaliger Einsatz als Songschreiber bei einer Fußballveranstaltung brachte ihm ehrliches Erstaunen entgegen und sein Song: we are Wacker
wird noch heute an den Theken dieser Welt rauf und runter gespielt.
Thorsten, ehemaliger Wacker Torwart. Dies liegt schon begründet im Vornamen: „Torstehn – da war es kein Wunder, dass er im Tor stehn` musste. Bekleidete als Bierwart das höchste Amt im Verein. Größter Kritiker von Peter, wenn es wider Erwarten schon wieder bergauf ging. Er hat auch immer das letzte Wort, denn er ist der Autor dieser „Bierographie
.
Der Ausbruch
Muss man(n), um ausbrechen zu können, eigentlich vorher „eingebrochen" sein?
Sechs wichtige Entscheidungsträger (das glauben sie selbst zumindest), kleine Wirtschaftskapitäne mit lokalpolitischem Weitblick. Lebenserfahren, fast schon „Silver-Ager" - zumindest der Haarfarbe einiger Teilnehmer nach zu urteilen.
Nie um eine Antwort verlegen, weil man ja schon so einiges erlebt hat. Mein Haus, mein Auto, meine Frau, mein Boot – alles schon gehabt und teilweise auch schon wieder alles weg.
Warum in aller Welt treffen sich diese sechs Herren mittleren Alters einmal im Jahr? Und das nicht am handelsüblichen Vatertag, sondern an einem Werktag wie dem Donnerstag oder Freitag am Mainufer, um dann die nächsten vier Tage einigermaßen unvorteilhaft gekleidet – nicht einmal sportlich – auf ihren Fahrrädern gemächlich durch die Lande zu fahren? Natürlich nur, sofern nicht das Fahren durch überlange Zugfahrten eingeschränkt wird. Vermutlich wollen Sie AUSBRECHEN! Aber woraus? Für vier Tage einfach mal weg aus dem warmen Schoß der Familie, die selbstverständlich über alles geliebt wird und an 361 Tagen im Jahr immer den Vorrang hat?
Oder ausbrechen aus dem tristen Büroalltag, von 7.45 Uhr bis 17.37 Uhr, manchmal sogar bis 17.48 Uhr? Einmal keinen Chef haben, der einem sagt, was zu tun ist oder auch nicht, sondern einfach selbst Chef sein. Vielleicht sogar in den vier Tagen etwas eigenständig bestimmen – und sei es nur, dass man immer noch Durst hat und keinesfalls jetzt und hier in diesem Moment weiterfahren kann?
Für vier Tage endlich mal wieder unter Leute kommen, unbekannte Wege entdecken, die möglicherweise doch nur bergauf gehen. Menschen treffen, die man im Nachhinein lieber nicht getroffen hätte.
Für vier Tage ausbrechen aus dem täglichen Einerlei – aber auch nicht so ganz und gar – nur ein bisschen eben … Einfach mal ein wenig „auf die Kacke hauen", aber auch nicht allzu sehr, schließlich ist man ja ein Teil der guten Mittelschicht.
Für vier Tage sich von anderen treiben lassen, mitmachen, aber auch hier gilt – nicht für immer – vier Tage sind lang genug.
In unserem Falle zieht man sich dann eben mehr oder weniger modische Kleidungsstücke an, die mehr oder weniger „passen". Die Sache mit dem Passen ist nicht mehr so entscheidend wie noch vor einigen Jahren, denn inzwischen wurde die Mode, am Schlankheitswahn vorbei, auch an uns erwachsene Männer angepasst. Dank des umtriebigen Erfinders, Herrn Stretch, tragen wir jetzt fast alle die gleiche Hosengröße. Zumindest hier wird der Ausbruch im Zaum gehalten.
Und dann geht es los. Gemächlich … ganz, ganz gemächlich, denn seit mittlerweile weit über einer Dekade ist es wohl jedem der immer wiederkehrenden Teilnehmer mehr als klar, dass es nach jedem tiefen Tal auch wieder ganz nach oben geht. Was im Falle des gemächlichen Radfahrens dem geneigten Silver-Ager-Biker meist mehr oder weniger gern auch mal gegen den Strich geht.
Also – brechen Sie mit uns aus – nur für ein paar Tage, mit welcher Motivation auch immer. Eines kann man schon vorab sagen und dem durchaus handelsüblichen Ausbrecher dürfte dieses nicht unbekannt sein: immer auf „low Profile unterwegs sein. Es wird nicht auf den Tischen getanzt, in der Gosse gelegen, es gibt keine Groupies, geschweige denn Orgien, von denen hier ohnehin nicht erzählt werden würde (…), alles gaaanz „sutsche piano
, wie man in manchen Regionen Deutschlands so sagt. Vielmehr steckt leider nicht dahinter. Wenn man nun eine hochgradig philosophische Betrachtung der Begrifflichkeit „Ausbruch in Verbindung mit einer Fahrradtour von sechs nicht mehr ganz taufrischen, aber auch bei realistischer Selbstreflektion nicht wirklich „alten
Herren bringen möchte, dann – ja dann – ist dieses Buch leider das Falsche und ein Besuch der Philosophischen Fakultät der Goethe-Universität in Frankfurt wäre hier eher angebracht. Hier geht es um Freude am Leben, Spaß, Ironie, Wortspielereien und Freundschaft, mal mehr, mal weniger intensiv, einfach so unter Männern, oder auch in der Selbstbezeichnung „Buben, „Radlers
, „Jungs. Um die Freude am gemächlichen Dahingleiten auf Radwegen und abgelegenen Straßen – jedoch bitte nicht so sehr abgelegen, dass der Bebauungsplan die Anlage von Biergärten nicht mehr zugelassen hätte. „Entspannt
soll es sein, ein Ausbruch aus dem normalen, alltäglichen Einerlei – zumindest manchmal. Und es gibt auch nicht nur Bier in den Biergärten, aber ein Ausflugslokal am Rande einer Fahrradstrecke „Isotonischer-Getränke-Garten" zu nennen, wäre dem zu erwartenden Umsatz des betreibenden Wirtes sicherlich nicht zuträglich.
Bergab ist das Ziel
Und da sind wir schon mitten im Thema, denn aus einer verrückten Bierlaune heraus entstand die Idee, aus dem Alltag auszubrechen und eine Radtour zu veranstalten. Welche Gründe kann der Mensch denn sonst anführen, um schon morgens um 11.00 Uhr ohne schlechtes Gewissen in einen Biergarten einzukehren? Da bietet eine 4-tägige Rad-Tour ein fantastisches Alibi, um schon am Vormittag gemütlich bei einer leckeren Gerstenkaltschale zu sitzen und den beginnenden Tag langsam ausklingen zu lassen.
Und so kam es, dass sechs nicht mehr ganz junge, bisweilen untrainierte Herren planten, sich in deutlich konturenfördernde Radlerklamotten zu zwängen, um mehrere Tage in Gottes freier Natur zu radeln.
Der Anblick des eigenen Körpers, gewandet nur mit einer dünnen Radlerhose, kann auf den ersten Blick freilich etwas befremdlich wirken, auf den zweiten Blick übrigens auch. Dies fördert auch meine These, dass es nur deswegen so viele Biergärten gibt, damit man sich mittels Alkohol-Genusses möglichst schonend an diesen Anblick gewöhnen kann. Ob es der Begriff „schönsaufen" wirklich trifft, mag dahingestellt bleiben, aber das Selbstwertgefühl steigt in diesen Hosen unweigerlich und zwar deutlich nach zwei bis drei alkoholischen Kaltgetränken.
Bei einem Neoprenanzug reicht leider eine solche geringfügige Dosis noch