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Wikinger und Waräger: Die Pioniere der Globalisierung
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Ebook193 pages2 hours

Wikinger und Waräger: Die Pioniere der Globalisierung

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Weltmännisch, gemeinschaftsbewusst und technologische Weltspitze: Bei diesen Attributen denkt man sicherlich nicht zuallererst an die Wikinger. Dabei waren es gerade sie, die mit ihren Eroberungen und Handelszügen dazu beitrugen, dass Europa das finstere Mittelalter überwinden konnte. Lange vor Kolumbus waren die Nautik-Experten mit ihren Schiffen bereits in Amerika und kontrollierten über Jahrhunderte auch den Warenaustausch nach Asien.

Neben einem historischen Blick auf die Wikinger zeigt Albert Stähli, wie Gesellschaften bis heute von den Wikingern geprägt sind und was sie von ihnen lernen können.
LanguageDeutsch
Release dateApr 1, 2014
ISBN9783956012358
Wikinger und Waräger: Die Pioniere der Globalisierung

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    Wikinger und Waräger - Albert Stähli

    Albert Stähli

    WIKINGER UND WARÄGER

    Die Pioniere der Globalisierung

    Für Nada, Esther und Peter

    Inhalt

    Cover

    Titel

    Impressum

    Widmung

    Kapitel 1

    Zur Einführung

    Die Antwort des Nordens auf den Handel der Römer, Phönizier und Araber

    Kapitel 2

    Wikinger und Waräger

    Entdecker, Krieger, Händler, Staatengründer

    Kapitel 3

    Die Gesellschaft der Nordmänner

    Von der Regionalkultur zur skandinavischen Identität

    Kapitel 4

    Händler von Thors Gnaden

    Der Austausch liegt den Nordmännern im Blut

    Kapitel 5

    Erziehung und Eliteausbildung im Einzelunterricht

    Die Väter auf großer Fahrt, die Söhne bereiten sich vor

    Kapitel 6

    Was wir von Wikingern und Warägern lernen können

    Neugier auf die Welt, eine Welt voller Mut und Mut, auf Status verzichten zu können

    Epilog

    Das Weltkulturerbe der Wikinger

    Abbildungsnachweise

    Literatur

    Der Autor

    KAPITEL 1

    Zur Einführung

    Die Antwort des Nordens auf den Handel der Römer, Phönizier und Araber

    „In jenem Frühling wurden längs der nordischen Küsten viele Schiffe gebaut; man teerte Kiele, die lange trocken gelegen hatten, und Buchten und Sunde spien Flotten aus, die Könige und königlichen Zorn an Bord hatten; und große Unruhe herrschte in jenem Sommer auf den Meeren."

    Das Schreckensbild, welches der schwedische Schriftsteller Frans G. Bengtsson in seinem 1941 entstandenen und weltberühmt gewordenen Wikingerepos „Röde Orm" (1941 / 1993, S. 213), vor uns erstehen lässt, gibt nur die halbe Wahrheit wieder. Tatsächlich waren die Wikinger, je nach besiedeltem Landstrich auch Normannen oder Waräger geheißen, ein kämpferisches Seefahrervolk. Es zog etwa zwischen 800 bis 1050 n. Chr. von Skandinavien aus über die Flüsse Europas und durchkreuzte die Meere der nördlichen Hemisphäre. Dabei gründeten die rauen Nordmänner Siedlungen wie Dublin im heutigen Irland und Kiew in der Ukraine. Mit einem von keiner monotheistischen Religion eingeschränkten Blick trieben sie Handel mit Christen, Juden und Arabern und landeten schon 500 Jahre vor Kolumbus auf dem nordamerikanischen Kontinent. Gewiss, das Klischee sieht sie als mordende und brandschatzende Unholde. Historiker und Ethnologen freilich betrachten sie vor allem als unternehmungslustige Bauern, Händler, Staatengründer und Nebenerwerbs-Piraten, die sich von den reichen Kirchen- und Klösterschätzen im Süden angelockt fühlten. Und für die Fachleute für Handel und Ökonomie sind die geheimnisumwitterten Männer aus Skandinavien Nordeuropas Antwort auf die von den Phöniziern, Arabern und Römern eingeleitete Globalisierung. Mit ihren Eroberungen und Handelsreisen, ja, auch mit ihren Beutezügen trugen die Wikinger entscheidend dazu bei, das finstere Mittelalter in Europa zu überwinden und Menschen und Kontinente einander näher rücken zu lassen.

    Seefahrtstechnisch über Jahrhunderte hinweg an der Weltspitze

    Auf den Weltmeeren gelangen den Männern aus Dänemark, Norwegen und Schweden verblüffende seemännische Leistungen, und ihr nautisches Wissen war dem der Phönizier und Araber mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Ihre Ältesten kannten die Küstenlinien Europas ebenso gut wie ihre heimischen Wald- und Gebirgspfade. Auf hoher See orientierten sie sich an den Sternen und an geheimnisumwitterten „Sonnensteinen aus dem in Skandinavien vorkommenden Mineral Kalzit (oder Doppelspat), dessen lichtbrecherische Eigenschaft sie auch bei Wolken und Dunkelheit ihren genauen Standort wissen ließ. Dank dieses über Generationen erworbenen und weitergegebenen Wissens gelangten die Wikinger über den Atlantik bis nach Nordamerika, nach Spanien, Portugal und Nordafrika. Und zurück nach Hause, in den hohen Norden Europas: „Sie wußten …, daß sie zuletzt immer Land finden würden, Irland, England oder die Bretagne, wenn sie, wie der Sturm sie getrieben, nach Norden hielten. (Bengtsson, F.G., 1941 / 1993, S. 110)

    Mit ihren Drachenbooten lagen die Nordmänner zu ihrer Zeit technologisch an der Weltspitze: Sie waren leicht, schnell und blieben auf Kurs. Dank dieser Schiffe, einer großen Portion Neugier und grenzenlosem Eroberungsmut woben die Wikinger binnen zweieinhalb Jahrhunderten ein gewaltiges Handelsnetz, das sie an die Grenzen Europas und bis nach Amerika kommen ließ, über das Nordmeer und die Barentssee bis zu den entlegenen Handelsplätzen des heutigen Russland – wo die dort lebenden Wikinger unter dem Namen Waräger im Reich von Kiew einen neuen Staat gründeten – und über das Schwarze Meer bis hin nach Bagdad und Byzanz, das von den Wikingern Miklagård, „große Stadt", genannt wurde. Ende des 9. Jahrhunderts lief der gesamte Handel nach Asien über diese Stadt. Über mehrere hundert Jahre wurde die Lebensader des Warenaustauschs zwischen West und Ost von den Männern aus dem Norden Europas kontrolliert.

    Abbildung 1: Ihre Reisen führten die Wikinger in alle Teile der damals bekannten Welt und darüber hinaus

    Globalisierung jenseits von Gut und Böse

    Die Reisen der Wikinger über den sturmumtosten Nordatlantik zeugen von Wagemut, beachtlichen Navigationskenntnissen und der ruhelosen Suche nach Tauschpartnern für Holz, Edelsteine und Felle. In Nordfrankreich wurden sie als Normannen heimisch. Auf Island und Grönland gründeten sie Niederlassungen, und mit dem waldreichen „Markland, das sie auf Labrador, und dem sagenumwobenen „Vinland, das sie auf Neufundland fanden, drangen sie unter der Führung von Leif Eriksson bis auf den nordamerikanischen Kontinent vor. Bis ins heutige New York sollen sie nach Süden vorgestoßen sein, vermuten einige Wissenschaftler. Und doch hielten sich die Wikinger nicht lange in der Neuen Welt auf. Wie sie überhaupt nur eine Zeiterscheinung des Hochmittelalters waren: Ohne einen zentralen Machthaber, einen Kaiser oder König, ohne ein vom Christentum auferlegtes Sendungsgebot und ohne jedes Fünkchen imperialistischen Herrschaftswillens verlaufen sich die Spuren der Wikinger nach dem Jahr 1100 n. Chr. im Dunkel der Geschichte.

    Dennoch haben die Menschen aus dem Norden Europas tiefe Spuren hinterlassen. Seit knapp eintausend Jahren geben uns die handelsstrategischen Erkundungszüge der Wikinger wertvolle Hinweise darauf, wie man die moderne Geschichte der Außenwirtschaft fortschreiben könnte, ohne die Welt in „gut und „böse, in rohstoffreich und rohstoffarm, in „uns wohlgesonnen und „uns nicht wohlgesonnen aufteilen zu müssen. Denn das Primat der Wikinger lag, Hollywood zum Trotz, eben nicht auf der unbezwingbaren Gier nach Feindesblut. Weder Kampf noch Eroberung waren ihre obersten Ziele, sondern die Entdeckung neuer Gestade und Orte, auf denen sich Handel treiben ließ. In seinem 1941 erschienenen Wikingerepos „Röde Orm" führt uns der schwedische Schriftsteller Frans G. Bengtsson die Denk- und – im doppelten Sinne – Handelsweise der Nordmänner anschaulich vor Augen:

    „Toke hatte nun die Silberwaage in der Hand und machte sich ans Rechnen. ‚Dreizehn machen mit‘, sagte er, ‚und alle zahlen gleich, ausgenommen Olof Sommervogel, der das Doppelte gibt. Auch dem größten Rechenmeister auf Gotland wäre es nicht leicht, zu sagen, was den vierzehnten Teil vom Drittel von sieben und einviertel Mark ausmacht. Aber ein Schlauberger weiß immer Rat, und die Sache wird gleich einfacher, sobald wir in Marderfellen rechnen. Dann berechnen wir den vierzehnten Teil von sechs Dutzend Marderfellen, und das ist soviel wie der siebente Teil von drei Dutzend; und es muss in ganzen Fellen gerechnet werden, denn beim Wägen verliere ich immer ein wenig, das pflegt so zu sein. Dann wird der Anteil eines jeden in Silber ebensoviel wie der Preis von sechs Fellen, und damit haben dreizehn Mann für Geringes viel Ehre gewonnen. Hier habt ihr die Waage und das Gewicht, das jeder prüfen möge, bevor ich mit dem Wägen beginne.‘ Kundige Männer prüften nun sorgfältig die Waage, denn die der Händler war oft listig eingerichtet, so daß es sich wohl lohnte, sie näher zu betrachten. Aber das Gewicht konnte nur in der Hand abgeschätzt werden, und als einige Männer dessen Richtigkeit bezweifeln wollten, erklärte Toke sich sofort mit jedem zum Zweikampf bereit, der an solchen Zweifeln festhielt. ‚Denn es gehört zum Geschäft des Händlers, daß er sich für seine Gewichtsstücke schlägt‘, sagte er, ‚und dem, der das nicht wagt, ist nicht zu trauen.‘" (Bengtsson, Frans G., 1941 / 1993, S. 437)

    Nicht Kampf war ihr Ziel, sondern das Überleben ihrer Völker

    Dieses Buch macht hinter der faktenbelegten Historie der frühen Globalisierer das rationale und utilitaristische Denken ihrer Anführer deutlich: Sie wollten handeln, um zu leben. Die Bekämpfung des Gegners war nicht ihr höchstes Ziel, und sie wollten den Sieg weder um des Sieges noch um des Himmels willen. Was die Wikinger zu ihren Hochleistungen antrieb, war urmenschlicher Erkundungsdrang, gepaart mit der Sorge um die Ihren in einer ihnen zunehmend feindlich entgegentretenden Umwelt. Denn vor rund eintausend Jahren beschnitten gewaltige klimatische Veränderungen ihren Lebensraum – ähnlich, wie es uns heute wieder bevorstehen könnte.

    Das, und nicht etwa die Suche nach dem schnellen Gewinn, ließ die Wikinger nach neuen Ufern mit neuen Handelspartnern Ausschau halten. Es ging ihnen nicht um die Übermacht. Es ging ihnen um das Überleben ihrer nordischen Völker.

    Einer für alle, alle für einen

    Es waren und sind dies noch immer Völker mit einer für Europa eher ungewöhnlichen kulturellen Prägung. Die Nordmänner dachten nicht nur an sich selbst, sondern stets auch an die Gruppe, der sie sich zugehörig fühlten und die sie zu beschützen trachteten. Hauptgrund dafür war die spärliche Besiedlung im kargen und gefahrenreichen Norden des Kontinents. Wollte man nicht in jungen Jahren sein Leben an feindliche Krieger, wilde Tiere oder die Naturgewalten verlieren, dann mussten Familien, Sippen und Clans Seite an Seite zusammenstehen und bereit sein, einer für den anderen Hab und Gut und sogar sein Leben zu geben. Sie wussten, dass sie unter den harten Lebensbedingungen in Nordeuropa voneinander abhängig waren und deshalb einander Solidarität schuldeten. Hätten sie sich davon abgewendet, wäre das Zeitalter der Wikinger längst im Dunkel der Geschichte untergegangen. Weil sie das aber nicht taten, hat sich das Erbe bis zum heutigen Tage in ihren Nachfahren bewahrt.

    Seit langem differenziert die interkulturelle Wissenschaft (vgl. Hofstede, G., 2001, und House, R. J. et al., 2001, 2004) die modernen Nationalgesellschaften nach verschiedenen Dimensionen ihrer kulturellen Genese, wie zum Beispiel Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, Maskulinität versus Feminität oder individualistisches versus kollektivistisches Denken. Das Bemerkenswerte, das Wikinger mit modernen Skandinaviern verbindet: Legt man die letztgenannte Dimension unter das Brennglas, so erkennt man, dass Niederländer und vor allem Schweden als einzige Völker Europas starke Ansätze eines kollektivistischen Denkens entwickelt haben, wie es sonst in China und Japan anzutreffen ist.

    Die Individualismus/Kollektivismus-Dimension Hofstedes (2001) ist wohl eine der am meisten angewendeten und besprochenen Dimensionen kultureller Prägungen. Sie fokussiert vor allem auf die Prioritätensetzung innerhalb der Gesellschaft, nämlich entweder auf das Individuum oder auf die Gruppe. In einer individualistisch ausgeprägten Gesellschaft steht der Einzelne im Vordergrund: Es ist wichtig, „seinen Weg zu gehen, „gegen den Strom zu schwimmen. Bezeichnend für die höchst individualistische Kultur der Nordamerikaner ist der Erfolgssong von Frank Sinatra „I did it my way. Die Chinesen, weit entfernt von dieser Haltung, kontern mit dem Sprichwort „Der Nagel, der herausragt, wird in das Brett gehämmert. Im Reich der Mitte steht die Gruppe als Gesamtheit im Vordergrund. Entsprechend versteht sich der Einzelne stets als Teil einer Gemeinschaft. Leistungen für die Gruppe überragen die Selbstverwirklichung der einzelnen Gruppenmitglieder. In Kulturen mit kollektivistischer Prägung wie in China, Japan und eben auch in Schweden, einem der Herkunftsländer der Wikinger, fördern Organisationen und soziale Institutionen eine Gleichverteilung der Ressourcen und ein gemeinsames Handeln. Die Menschen haben diese Prioritätensetzung verinnerlicht und stellen sie nicht in Frage.

    Diese besondere mentale Verfasstheit der nordischen Menschen bildet bis heute den kulturellen und politischen Hintergrund der modernen Staatswesen Nordeuropas. Sie erklärt das hohe Maß der Solidarität aller gesellschaftlichen Gruppen, Familien wie größere Verbände, das für Skandinavien so typische kollektive Wohlfahrtsdenken und den gleichmäßigen ökonomischen Erfolg – nicht zuletzt im Welthandel.

    Öffnet man sich diesem Gedanken, so folgt daraus manch

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