Balanceakt: Pflegende Angehörige zwischen Liebe, Pflichtgefühl und Selbstschutz - aktualisierte Neuauflage
Von Gudrun Born
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Über dieses E-Book
Aber weil die Zahl der alten Menschen zunimmt, steigt auch der Pflegebedarf, während Erwerbstätigkeit auch für Frauen immer wichtiger wird, um ihre eigene Lebensgrundlage und Altersrente zu sichern.
Das Pflegestärkungsgesetz (PSG) hat zwar viele Veränderungen gebracht, aber das Armutsrisiko, das viele Angehörige mit der Übernahme einer häuslichen Pflege eingehen, wurden auch mit dieser Pflegereform nicht verringert.
Aktualisierte Neuauflage 2017
Gudrun Born
Gudrun Born. geboren 1931, lebt in Frankfurt / Main.
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Häusliche Pflege: ...ist trotz Pflegereformen eine Aufgabe mit Risiken und Nebenwirkungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKlartext: Armut durch Pflege ist ein Skandal, wann wird er abgeschafft? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeschichten, die das leben schrieb: - heiter bis besinnlich - Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Balanceakt - Gudrun Born
Ein besonderer Dank an alle,
die treu und verlässlich
an der Seite ihrer Freunde bleiben,
auch wenn diese eine langjährige
häusliche Pflege zu bewältigen haben.
INHALT:
Einleitung
Vorwort der Autorin
DIE PFLEGESITUATION GIBT ES NICHT
Eines Tages passiert es
Wer übernimmt häusliche Pflege?
Geplant ist eine Notgemeinschaft auf Zeit
DER PFLEGEALLTAG BEGINNT
Pflegebedingte Zusatzanforderungen
Ständige Anwesenheitspflicht
Eine Flut von Formalitäten
Aktivierung verlorener Fähigkeiten
Verzweiflungen des Kranken aushalten
Pflegen heißt: ertragen
Spagat zwischen Herz und Verstand
Die Beziehung neu ordnen
Mitleid ist ein schlechter Berater
Rollentausch
Der Kreis wird enger
Für Lebensqualität sorgen
RÜCKWIRKUNGEN AUF DAS EIGENE LEBEN
Gesundheitliche Auswirkungen
Mobilitätseinschränkungen
Leben in Todesnähe
Abschied nehmen - mitten im Leben
Minderung der Wohn- und Lebensqualität
Pflege über eine Entfernung hinweg
Familienkonflikte bleiben nicht aus
„Lichtgestalten"
Beeinträchtigung der eigenen Lebensgrundlage
Beziehungsverluste
Pflegende sind „sonderbare" Menschen
Gemeinsame Erholung
LIEBE DEINEN NÄCHSTEN WIE DICH SELBST
Geduld wird niemandem geschenkt
Der Realität ins Auge sehen
Kompromisse suchen
Überlebenswichtig: Sich entbehrlich machen
Das Hilfenetz verbreitern
Ich helfe gern, aber …
Absagen niemals persönlich nehmen
Nur EINE Bezugsperson?
Pflegevertretung bei längerer Abwesenheit
WICHTIG IST: EIN TOR ZUR WELT
Einfach mal was ganz Verrücktes machen
„Hast du nicht genug Arbeit?
Gesprächskreise (Selbsthilfegruppen)
Nach der Pflege
ENTLASTUNGSMÖGLICHKEITEN
Hilfskräfte aus Osteuropa - ganz legal
Wohngemeinschaften
Tages- und Nachtpflege
Stationäre Kurzzeitpflege
Häusliche Tagespflege
Betreutes Wohnen in Wohnanlagen
Pflegeheime
Seniorenresidenzen und Wohnstifte
DIE PLEGEVERSICHERUNG
Bezuschussungen
Lassen sich Beruf und Pflege vereinbaren
Versicherungsschutz für pflegende Angehörige
Rente aus häuslicher Pflege
Erholung für pflegende Angehörige
Was brachte die große Pflegereform?
Was hat sich für die Pflegenden verbessert?
Ist die „Minutenpflege wirklich abgeschafft?
Abrechnung der ambulanten Fachdienste
NACH DER REFORM IST VOR DER REFORM
Weitere Veränderungen sind unerlässlich
Beistandspflicht
Erbausgleich
Ohne „Laienpflege" geht es nicht
Haben pflegende Angehörige Rechte?
Häusliche Pflege ist die bevorzugte Pflegeform
Quer gedacht
LITERATURVERZEICHNIS
KONTAKTADRESSEN
Einleitung
Nach einem sehr schweren Schlaganfall meiner Mutter im Jahr 2006 wurde ich über Nacht zur pflegenden Angehörigen, ich habe diese Aufgabe als einziges Kind notgedrungen übernommen. Seitdem kann ich meinen Beruf kaum noch ausüben, mein Verdienst ist gering, Mutters Rente ist minimal, die Kosten nehmen zu.
Nach 7 Jahren litt ich unter Burnout, aber eines Tages stieß ich zufällig auf das Buch Pflegebalance. Was darin anschaulich und verständlich erklärt ist, rettete mir sozusagen das Leben. Schlagartig wurde mir bewusst, dass die Probleme, um deren Lösung ich verzweifelt rang, eigentlich üblich sind. Für mich war diese Erkenntnis wie eine Befreiung.
Ich nahm Kontakt zu anderen Betroffenen auf, trat dem Verein wir pflegen bei (www.wir-pflegen.net) und lernte dort auch Gudrun Born kennen.
Inzwischen pflege ich im 12. Jahr. Die Probleme nehmen weiter zu, aber ich fühle mich ihnen weniger ausgeliefert und bin nicht mehr so allein wie am Anfang.
Es ist mir eine Ehre, die Einleitung zur Neuauflage genau des Buches schreiben zu dürfen, das mir damals aus einem tiefen Tief herausgeholfen hat.
Ich wünsche der Autorin und ihrem Werk den verdienten Erfolg.
Marion Kazmirek, Düsseldorf
Vorwort
Noch nie wurde über das Thema Pflege so viel geredet und geschrieben wie seit Einführung der „Pflegestärkungsgesetze. Einige Fachleute meinen, seit Einführung des neuen „Pflegebedürftigkeitsbegriffs
sei alles bestens geregelt, das deutsche Pflegesystem sei rundum ein Erfolgsmodell.
Und wie schätzen das die pflegenden Angehörigen ein?
In der vorliegenden Neuauflage meines Buches skizziere ich häusliche Pflege aus dem Blickwinkel derer, die sie geleistet haben oder noch leisten. Sicher ist: Die Übernahme einer häuslichen Pflege verändert auch das Privatleben der pflegenden Bezugsperson nachhaltig, mehr als jeder Beruf.
Ich hoffe, dass diese Innenperspektive viele Menschen (und politisch Verantwortliche) nachdenklich macht.
Gudrun Born
Eine kurze Vorbemerkung:
Ich verwende nicht ständig die männliche und weibliche Form, weil das den Lesefluss erheblich stört, aber natürlich sind immer beide Geschlechter gemeint.
DIE PFLEGESITUATION GIBT ES NICHT
Die Bezeichnung „pflegende Angehörige" wird pauschal verwendet, doch wer ist damit gemeint? Eltern oder Mütter, die ein behindertes Kind versorgen, im Kindes-, Jugendlichen- oder Erwachsenenalter? Angehörige, deren betagte Eltern pflegebedürftig werden? Männer oder Frauen, deren Partner oder Partnerin chronisch krank ist, in der Lebensmitte oder am Lebensabend?
Und um welche Form der Pflegebedürftigkeit geht es? Um körperliche Einschränkungen, die einen Rollstuhl erfordern oder die sogar bettlägerig machen? Um Krankheiten, die äußerlich kaum wahrnehmbar sind und doch intensive Beeinträchtigungen mit sich bringen? Geht es um geistige Behinderungen, wie Hirnschädigungen oder Alzheimer, mit Verlust aller Erinnerungen oder der Sprechfähigkeit (Aphasie)? Um Altersdemenz, die Betroffenen eigene Entscheidungen unmöglich macht oder um Hilfen für psychisch Kranke, sehbehinderte oder gehörlose Menschen? Jede dieser Erkrankungen hat ganz andere Auswirkungen und stellt spezielle Anforderungen an die Pflegenden.
Ein wesentlicher Unterschied ist ferner: Ist die Pflege aus einer gewissen Entfernung zu organisieren, etwa im gleichen Haus oder in der näheren Umgebung? Oder wohnt die pflegende Bezugsperson unter einem Dach mit dem Kranken? Bestand diese Wohngemeinschaft schon vor der Krankheit oder wurde sie erst wegen der notwendigen Pflege vereinbart? Ist die pflegende Bezugsperson noch im Jugend-, Erwerbs- oder bereits im Rentenalter? Lebt sie allein oder gehören weitere Familienmitglieder mit zum Haushalt?
Schon dieser knappe Überblick zeigt: Pflegende Angehörige sind keine klar definierbare Hilfeeinheit wie Berufskräfte, DIE Pflegesituation gibt es nicht. Jede ist ein individuelles Schicksal und bringt spezielle Anforderungen und Belastungen mit sich, nicht nur für die Kranken, sondern auch für diejenigen, die sich auf deren Pflege einlassen - mehrheitlich ziemlich ahnungslos.
Denn wer setzt sich schon ohne berufliches Interesse oder konkreten Anlass intensiv mit dem Thema Pflege auseinander? Und selbst diejenigen, die es frühzeitig getan haben, machen im Ernstfall die Erfahrung: Vorkenntnisse können hilfreich sein, aber zwischen theoretischen Vorüberlegungen und dem, was die Praxis dann tatsächlich fordert, liegen Welten.
Eines Tages passiert es
Die Geburt eines behinderten Kindes, ein Arbeits-, Verkehrs- oder Sportunfall; die Diagnose unheilbar oder inoperabel, eine chronische oder fortschreitende psychische Erkrankung; ein Schlaganfall, Demenz, altersbedingter Kräfteabbau – und nichts ist mehr, wie es war.
Ich spreche aus Erfahrung: Als Familie mit drei Kindern standen wir von jeher mit beiden Beinen im Leben. Zehn Jahre ehrenamtliches soziales Engagement (Aufbau und Leitung einer großen Nachbarschaftshilfe in einer neu erbauten Trabantenstadt) brachten mich mit vielen kranken oder alten Menschen in Kontakt. Damals glaubte ich, einiges von den Sorgen und Nöten solcher Haushalte zu wissen, aber nie begriff ich wirklich, was Angehörige, die über lange Zeit pflegen, leisten -- bis das Schicksal auch uns traf.
Im Alter von 58 Jahren verlor mein Mann eines Tages das Bewusstsein. Eileinweisung in eine Fachklinik, Diagnose: Hirninfarkt! Nach einer Woche entschlossen sich die Ärzte zu einer Risikooperation. „Bitte, sagte ich zum behandelnden Arzt, „sagen sie mir die Wahrheit, geht es um Leben oder Tod?
Er schaute mich nachdenklich an und erwiderte nach einer Weile: „Nein, das ist nicht die einzige Alternative, vielleicht geht es auch um Tod oder lebenslange Schwerbehinderung!"
Ich glaubte ihm kein Wort, diese Aussicht war für mich damals einfach völlig unvorstellbar!
Das wollen wir doch mal sehen, dachte ich, wenn die Operation glückt, dann schaffen wir auch den Rest! Ich war gewohnt, Probleme tatkräftig anzupacken und Wege zu deren Lösung zu finden.
Körperliche Krankheiten und altersbedingten Kräfteabbau, die hatten wir von jeher einkalkuliert. Dass aber ein vielseitig interessierter, sportlicher und vitaler Mann aus dem vollen Berufsleben heraus von einem Tag zum anderen keine einzige Frage mehr