Schmelzungen: Mein Leben in Gossau
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Rösli Krucker
Die Autorin Rösli Krucker-Koller ist 1930 geboren. Sie lebt in CH- 9200 Gossau und schreibt seit vielen Jahren Geschichten und Gedichte, teilweise in Mundart.
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Book preview
Schmelzungen - Rösli Krucker
Inhaltsverzeichnis
Armin oder Mutters Herkunft
Rösli Krucker-Koller
Kindheit - Jugendzeit 1930-1945
Welschlandzeit 1946
Lehrzeit 1947-1949
Gossau damals
Mundartverse und –geschichten
Reife Jahre
Selbstbetrachtung
Mein neuer Freund
Dichtungen
Ittinger Schreibwerkstatt
Späte Texte
Beobachtungen am Fenster
Jahre dazwischen
Knollenwunder
Krippengedanken
Schmelzungen
Sternengeflüster
Armin oder Mutters Herkunft
Meine Mutter
stammt aus dem kleinen Dorf Burgwallbach in der Rhön. Man sagte früher, die Rhön wäre das Armenhaus Deutschlands. Und so war es auch. Es gab keine Industrie weit und breit, nur riesige Wälder und kleine Dörfer mit einfachen Häusern, im angebauten Stall ein bis zwei Kühe. Hier konnten nur die Frauen melken. Sie besorgten auch die Feldarbeit. Die Männer waren „im Holz".
Sobald die Mädchen aus der Schule kamen, wurden sie auf die grossen Höfe in der Frankfurter Gegend verdingt. Vom Lohn, den der Vater gegen Allerheiligen abholte, lebte die ganze Familie den Winter durch.
In der Familie meiner Mutter waren sie vier Mädchen und zwei Knaben. Auch meine Mutter und ihre drei Schwestern wurden verdingt. Da ist es hie und da vorgekommen, dass eines der jungen Mädchen mit einem Kind heimkehrte.
So geschah es auch meiner Mutter. Aus dem Sommer 1919 kehrte sie – sechsundzwanzigjährig – mit einem ungeborenen Kind heim. Soviel ich weiss, musste sie zur Entbindung ins Spital nach Würzburg fahren, weil das Vorgefallene in der Familie als grosse Schande galt. Der Dorfpfarrer wusste es aber dennoch, wenn ein solch junges Schäfchen dazugekommen war. Jedermann wusste, was es bedeutete, wenn in der Sonntagspredigt der Pfaarer mit den Fäusten auf die Kanzel klopfte und klagte, was für eine unheilige Brut er hätte.
Armins Jugend
Der kleine Armin wurde trotz allem im Hause meiner Grosseltern gut aufgenommen. Es war eine Grossfamilie mit Onkeln und Tanten. Wenn ich aus jener Zeit ein Bild von Armin betrachte, so ist er ein hübsches, wohlgenährtes Bübchen.
Als Armin etwa sechs Jahre alt war, kam ins Nachbardorf ein junger Schweizer. Dort gab es ein Männerkloster. Weil in dieser Gegend nur die Frauen melken konnten, musste für den Stall des Klosters ein auswärtiger Mann her, der das Melken beherrschte, eben wie dieser junge Schweizer – mein Vater. Er kam aus Niederglatt bei Uzwil. Nach einiger Zeit lernte er meine Mutter kennen. Beide hatten keinen Grund, mit dem Heiraten lange zu warten. Doch vorher ging mein Vater zum Dorfpfarrer um zu fragen, ob er es wohl wagen dürfe, diese Frau mit einem Kind zu heiraten. Der Pfarrer antwortete ihm: „Agatha ist ein arbeitsames, braves Mädchen!"
Von einem Dorfburschen bekam mein Vater eine Tracht Prügel angedroht, weil er ihnen eine von ihren Frauen wegnahm. Aber mein Vater wusste dem zu entgehen.
So heirateten sie im November 1926, meine Mutter in Schwarz, weil sie keine Jungfrau mehr war. Sie bezogen mit Armin zusammen eine Wohnung neben dem Kloster. Und Armin bekam so einen guten Vater.
Rückkehr in die Schweiz
Zwei Jahre nach der Heirat erreichte den Vater ein Hilferuf aus der Schweiz. Der Josef solle doch bitte nach Hause kommen. Sein einziger Bruder sei schwer krank, es gehe auf dem Bauernhof so nicht mehr. Man habe auch eine Wohnung für die junge Familie.
Vater kehrte vorerst allein in die Schweiz nach Niederglatt zurück. Zwei Monate später kam meine Mutter mit Armin und dem Hausrat nach. Armin besuchte als deutsches Kind in Niederglatt die Primarschule.
Klein-Armin
Bald starb Vaters Bruder. Meine Eltern bewirtschafteten zusammen den Hof. Mutter konnte ja gut melken und mähen. Doch mit der Schwägerin harmonierte es nicht gut. Ihr gehörte ja der Hof. Da zogen meine Eltern von Niederglatt weg und fanden in Oberbüren ein einfaches Haus mit einem Stall. Darin zog mein Vater junge Ferkel auf. Armin besuchte mittlerweile die Sekundarschule in Uzwil.
Vater und Mutter mit Armin
Meine Geburt
In unserem alten Familienalbum gibt es eine Karte, die stammt von meinem Götti Johann Gehrig. Datiert ist sie vom Sommer 1930. Darauf steht: „Ich komme dann zu gegebener Zeit".
Der Stubenwagen stand schon bereit; Vater hatte ihn nachts bei Bekannten geholt. Er war damit auf der Dorfstrasse durch ganz Oberbüren gefahren, wobei er auf halbem Weg noch in einer Wirtschaft einkehrte.
Die „gegebene Zeit kam am 1. September 1930. Meine Mutter hatte die ganze Nacht in den Wehen gelegen und mein Vater dementsprechend unruhige Stunden hinter sich. Es war gut, dass die Wirtschaft „Glattfeld
neben unserem Haus bereits morgens früh öffnete. So schickte die Hebamme meinen Vater dorthin. Von Zeit zu Zeit schaute er herein um nachzufragen, wie weit es denn schon sei. Immer wieder wurde er weggeschickt und da mein Vater ein sehr geselliger Mensch war, traf er immer wieder neue Wirtshausgäste, denen er von seiner Sorge und seiner Vorfreude erzählen konnte. Jedes Mal wurde