Ruhrindustrie: Kulturelles Welterbe, globale Spieler und heimliche Gewinner
Von Sonja Begett
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Ruhrindustrie - Sonja Begett
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Ruhrindustrie
Kulturelles Welterbe, globale Spieler und heimliche Gewinner
Sonja Begett
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2017
Lektorat/Bildredaktion: Ricarda Dück
Satz/E-Book: Mirjam Hecht
Bildbearbeitung/Umschlaggestaltung: Benjamin Arnold
unter Verwendung eines Fotos der thyssenkrupp Steel Europe AG
Kartendesign: Mirjam Hecht; © The World of Maps (123vectormaps.com)
ISBN 978-3-8392-5244-4
Inhalt
Impressum
Karte
Willkommen im Ruhrgebiet
Blicke hinter Industriekulissen!
1 Das erleuchtete Tor zum Ruhrgebiet
Halde Rheinpreußen mit dem Kunstwerk »Geleucht« bei Moers
2 Über Unter-Tage im Forschungsmuseum
»Deutsches Bergbau-Museum« in Bochum
3 Ein Ort der Geschichte und Geschichten
»Zeche Zollern« in Dortmund
4 Kleiner Luxus der Bergmänner
Arbeitersiedlung »Kolonie Landwehr« in Dortmund
5 Aufbruch in ein neues Land
»Zeche Neuland« in Essen
6 Nostalgie auf der Spur
»Manufactum Warenhaus« auf Zeche Waltrop
7 Energiezentrale für neues Design
»Red Dot Design Museum« in Essen
8 Grüne Seite der Industrie
»Kokerei Hansa« in Dortmund
9 Glühendes Eisen
Hochofen 8 von »thyssenkrupp« in Duisburg
10 Fort Knox und der Speicher der Republik
Aluminiumhersteller »Trimet Aluminium SE« in Essen
11 Geschichte erlebbar erhalten
Architekturbüro Heinrich Böll in Essen
12 Mit Leichtigkeit stahlhart
»thyssenkrupp«-Anwendungstechnik in Duisburg
13 Weichenstellungen für die Republik
Werk für Oberbaustoffe der »Deutschen Bahn« in Witten
14 Mit Volldampf zurück und voraus
Mit der »RuhrtalBahn« von Bochum bis Hagen
15 Gut verdrahtet stets auf Draht
»WDI Westfälische Drahtindustrie« in Hamm
16 Seit Generationen fest verankert
Familienunternehmen »Anker Schroeder ASDO« in Dortmund
17 Schleuser ebnen den Weg nach Norden
Schleusenpark Waltrop
18 Von Demagogen und Katzen
»Demag«-Krantechnik der Firma »Terex Corporation« in Wetter
19 Von Winterweiß bis Rheinorange
Die Ruhr beim Wasserkraftwerk Horster Mühle
20 Der Vogel ist wieder auferstanden
Phoenix-See mit der Kulturinsel in Dortmund
21 Vom Glanz alter Zeit zur Drehbuchkulisse
»Altes Hafenamt« in Dortmund
22 Vom Industriehafen zum Szene-Viertel
Innenhafen Duisburg
23 Ein Park verbindet Generationen
Chemiepark Marl
24 Verbindungen auf verschiedenen Ebenen
»Bayer«-Werk für Wirkstoffproduktion in Bergkamen
25 Wasser bergauf und bergab
»RWE«-Pumpspeicherkraftwerk in Herdecke
26 Wasser zum Wallen bewegen
Spezialpumpenhersteller »WILO SE« in Dortmund
27 Rohstoffe für das Ruhrgebiet
»BP«-Raffinerie in Gelsenkirchen
28 Prickelndes Gebräu für die Seele
»König-Brauerei« in Duisburg
29 Die Brotdynastie beim großen Friedrich
Großbäckerei »Brinker« in Herne
30 Die kleinsten Hochhäuser des Reviers
Mikrochiphersteller »Elmos Semiconductor« in Dortmund
31 Sicheren Durchblick gewinnen
Glashersteller »Pilkington Deutschland« in Gelsenkirchen
32 Film ab!
Werk 4 des Automobilzulieferers »Hella« in Hamm
33 Das Ruhrgebiet auf der Überholspur
Fahrzeughersteller »9FF engineering« in Dortmund
Freizeitadressen im Ruhrgebiet
Bildverzeichnis
Karte
99103.jpgWillkommen im Ruhrgebiet
_Kapiteltrenner_Vorwort_Doppelpild_2a.jpgWillkommen im Ruhrgebiet
Blicke hinter Industriekulissen!
Alljährlich locken Kulturveranstaltungen wie die Extraschicht oder die Museumsnacht Einheimische und Touristen zu Hochöfen und Kokereien, in Brauereimuseen und auf Halden. Auf den ersten Blick wirkt es, als hinge diese Kulturbegeisterung dem früheren harmonischen Dreiklang aus Kohle, Stahl und Bier nach. Doch im Ruhrgebiet bilden Historie und Moderne zwei Seiten einer Medaille: Einerseits ist die Region emotional tief in ihrer jahrhundertealten Industriegeschichte verankert, andererseits hat die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte ein ganz neues Selbstverständnis des Reviers hervorgebracht. Keine dieser beiden Seiten ist die schlechtere – es kommt nur auf den Blickwinkel an. Ein Rat sei Besuchern und Interessierten daher gegeben: Augen auf im Ruhrgebiet – es gibt viel zu entdecken!
Neue Einblicke in historische Arbeitswelten eröffnen die Industriemuseen, die unersetzliche Zeugnisse der Geschichte und somit die Wurzeln des Ruhrgebiets bewahren. Die Industriekultur und Kultur im Industrieambiente tragen zum einen entscheidend dazu bei, das kulturelle Welterbe des Reviers zu erhalten. Zum anderen haben moderne Dienstleister alte Zechen erobert und verkaufen Traditionswaren oder fördern junge Gründer anstelle von Kohle. Zahlreiche globale Spieler und heimliche Gewinner des Reviers öffnen jederzeit auf Anfrage, im Rahmen der jährlichen Langen Nacht der Industrie oder alle zwei Jahre in der Nacht der Technik ihre Türen und lassen Liebhaber technischer Raffinessen hinter die Werkstore blicken. Etliche Wirtschaftsunternehmen bereichern die Industrie des Reviers mit einer erstaunlichen Bandbreite und verschiedensten Facetten. In einem Wechselspiel profitieren sie von der Vielfalt der Region und umgekehrt. Besucher, die zum ersten Mal ins Ruhrgebiet kommen, sind überrascht, wie eng industrielle Prägung und ländlich grünes Idyll zusammengehören, wie nah funktionale technische Anlagen und verspielte Flüsse und Seen, Wälder und Wiesen beieinander liegen. Möge daher folgender Vergleich erlaubt sein: Die Ruhrindustrie im Ganzen erscheint wie ein Baum, dessen Wurzeln bis tief in die vorindustrielle Zeit reichen, in der erste Kohle aufgelesen wurde. Sie ragen bis zur Industrialisierung und weit ins 20. Jahrhundert. In dieser Zeit bildete sich ein fester Stamm, der im Laufe der Jahre jedoch nicht alle Äste mit gleich viel Energie am Leben erhalten konnte. Mit neuer Kraft haben es die heutigen Zweige der Industrie hingegen geschafft, bis in die Baumkrone vorzustoßen und mit jungen, frischen Trieben eine neue Aufbruchsstimmung erwachsen zu lassen.
Alteingesessene und Zugereiste haben im Revier ihre besonderen Lieblingsplätze gefunden. Sie alle gestalten ihre Heimat mit und sprühen vor Elan wie Roheisen beim Abstich oder glühen für ihre Sache wie rot gleißendes Aluminium. Mein Dank gilt allen Ansprech- und besonders meinen Interviewpartnern – außergewöhnlichen Menschen, die bereit waren, einzigartige Blicke hinter Industriekulissen zu gewähren, um für eine manchmal unterschätzte Region zu werben. Ihre Erfahrungen sind sehr individuell, doch vereint sie ein Ziel: zu zeigen, wie es hier heute wirklich ist. Entdecken Sie Orte der Industrie im Ruhrgebiet, die für faszinierende Entwicklungen und Rekorde der Superlative in der Region stehen!
Sonja Begett
Wiege des Ruhrgebiets
0_1_Kapiteltrenner_1_a.JPG1 Das erleuchtete Tor zum Ruhrgebiet
Halde Rheinpreußen mit dem Kunstwerk »Geleucht« bei Moers
01_Geleucht_01a.JPGLandmarke und Kunstwerk Geleucht ///
auf der Halde Rheinpreußen ///
an der Gutenbergstraße ///
47443 Moers /// www.das-geleucht.de ///
Die steile Halde ist erklommen, der Wanderer wieder zu Atem gekommen. Vor ihm erstreckt sich ein weiter Blick in die Ferne. Der erste erstaunte Ausruf, der Besuchern der Halde Rheinpreußen am Stadtrand von Moers über die Lippen kommt, lautet: »Ist das grün!« Karl Brand schmunzelt, denn er weiß: »Das Image ist noch lange nicht so grün, wie das Ruhrgebiet tatsächlich ist.« Ihm ist wichtig, diese Botschaft zu vermitteln: »Das Ruhrgebiet war immer grün. Dann kam die Industrie. Nun ist der Ruß weg. Das Grün ist geblieben.«
Der ausgebildete Niederrhein-Guide betreut das Geleucht. Der Name stammt aus dem Bergbau und bezeichnet die Lampen, die Bergmänner unter Tage bei sich tragen. Oben auf der Halde Rheinpreußen steht er für ein Kunstwerk, das zugleich die Funktion einer Landmarke übernimmt. Letztere dienen der Orientierung in einer Region, und so ragt das Geleucht weithin sichtbar auf dem Plateau empor. Für Karl Brand stellt die Halde Rheinpreußen keinen beliebigen Standort dar. »Das ist meine Halde«, verdeutlicht der Guide, der sich mit viel Herzblut ehrenamtlich für die Halde des Regionalverbandes Ruhr engagiert. Wer sich ihre Geschichte und die des Bergbaus von ihm erklären lässt, taucht tief ein in die Erdgeschichte der Region.
Der vom Naturschutzbund zum Natur- und Landschaftsführer ausgebildete Rentner weiß viel über das Ruhrgebiet zu berichten. Der Fund eines Stückes Schiefergestein bewog ihn vor einigen Jahren, sich eingehend mit der Halde Rheinpreußen zu befassen. Möglicherweise stammt das Gestein aus der Karbonzeit vor etwa 290 bis 350 Millionen Jahren. Darin sind Spuren von Pflanzenresten zu erkennen. In vorgeschichtlicher Zeit eroberte das Meer immer wieder weite Teile des Ruhrgebiets. In einem steten Kampf zwischen Wasser und Flora schloss das Gestein am Grund des Meeres schnell und unter hohem Druck Pflanzenreste ein. Genauso funktioniert der Prozess der Inkohlung. Dieser lässt sich noch heute an den 130 Kohleschichten des Reviers ablesen, von denen manche nur wenige Zentimeter umfassen, andere hingegen von der Kriechhöhe eines Bergmannes bis zu Zimmerdeckenhöhe reichen.
»Mit dem Industriezeitalter kamen die Zechen ins Ruhrgebiet«, erzählt Karl Brand. 1851 ließ der Unternehmer Franz Haniel (1779 – 1868) linksrheinisch die ersten Bohrungen vornehmen. Daraus entstanden die Schächte I und II der Zeche Rheinpreußen in Duisburg-Homberg, die später dem Verband Rheinland angehörten und schließlich von der Ruhrkohle AG übernommen wurden. Kennzeichen aller Zechen sind mindestens zwei Schächte: einer, durch den die verbrauchte Luft abgesogen, und ein weiterer, durch den frische Luft in die Flöze geleitet wird, denn unter Tage sammeln sich verschiedene gefährliche Gase, unter anderem entzündliche wie das Methangas.
Karl Brand veranschaulicht Gästen die alten Bergbaugeschichten mit einer Originalgrubenlampe, die Vorbild für das heutige Kunstwerk auf der Halde war: der Davy-Lampe. Dieser weiterentwickelte Typ früherer Ausführungen geht auf den Engländer Humphry Davy (1778 – 1829) zurück. Hauptmerkmal der Grubenlampe, in der die Benzindämpfe ähnlich wie bei einem Feuerzeug durch den Funken eines Feuersteins entflammt werden, ist ein sehr feinmaschiger Drahtkorb (140 Maschen pro Quadratzentimeter). Dieser kühlte einst die ausströmenden Verbrennungsgase in den unterirdischen Gängen ab, damit Verpuffungen in der Lampe nicht zugleich die brennbaren Gase im Schacht entzündeten. An der Höhe der blauen Flamme, der Aureole, war zu erkennen, ob sich ein kritischer Methangehalt in den Bergstollen angesammelt hatte. Vor jeder Schicht prüfte der Wettersteiger die Flammenhöhe in den Flözen. Später wurde der Drahtkorb der Davy-Lampe durch ein Glas mit Prozentmarkierungen ersetzt. Ragte die Flamme bis zur Markierung von anderthalb Prozent Methangehalt, wurde der Schacht zur Sicherheit mit frischer Luft bewettert. Jede Lampe war mit der Personalnummer des Bergmanns versehen, um im Unglücksfall zu ermitteln, wer sich unter Tage befand.
Solch einer Grubenlampe ist das begehbare Kunstwerk Geleucht von Otto Piene auf der Halde Rheinpreußen nachempfunden. Die unverkennbar geschwungene Form des Lampenhakens umfasst eine Höhe von fünf Metern. Bei der Originalgrubenleuchte war dieser Haken wichtig, da der Bergmann ihn in eine Steinspalte oder einen Pfosten schlagen konnte, um die Hände für die Arbeit frei zu haben. Der Künstler Piene hat beim Geleucht nicht bloß den Maßstab der Davy-Lampe vergrößert, sondern zudem den oberen Teil gestreckt, der mit Lamellen den früheren Drahtkäfig nachahmt. In dieser Gestaltung unterscheidet sich das Kunstwerk von der alten Grubenlampe mit ihrem feinmaschigen Drahtkorb, der im Laufe der Schicht verrußte. Die rot lackierte Stahlkonstruktion ragt insgesamt etwa 30 Meter in den Himmel. Mit dem leuchtenden Farbton wollte Otto Piene, ein Künstler des Lichts und des Feuers, die Glut des flüssigen Stahls beim Abstich in den Hüttenwerken symbolisieren, der früher bei Nacht den Himmel in purpurnen Glanz tauchte. Für Piene zeigte sich darin die Energie des Ruhrgebiets. Die Farbgebung des Stahlgerüsts und die der 35 Leuchtmasten, die nach Einbruch der Dunkelheit die 8.000 Quadratmeter der Halde in strahlendes Rot tauchen, sind genau aufeinander abgestimmt.
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