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Was war eigentlich morgen
Was war eigentlich morgen
Was war eigentlich morgen
Ebook198 pages2 hours

Was war eigentlich morgen

By Ahne

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About this ebook

Dieses Buch vereint Texte und Strichzeichnungen aus der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends nach christlicher Zeitrechnung. Der Autor, Ahne, hat diese Texte und Zeichnungen ausgewählt, weil er meint, dass jeder Mensch auf diesem Planeten, andere Planeten kennt der Autor nicht, Liebe braucht und Verständnis und eine Wand zum Anlehnen. Gerade in einer Zeit, in der Terror, Überwachungsstaat und bunte Fernsehillustriertensender den Takt vorgeben, benötigen wir einfach auch mal ein gutes Gespräch in einer Kneipe an der Ecke unserer Wahl. So eine Ecke könnte dieses Buch sein, wenn man zum Beispiel ein Glas Bier daneben stellt oder einen Krug Kamillensaft oder auch bloß ein Schälchen Erdnüsschen. Falls man übrigens auf die Idee kommen sollte, das Buch rückwärts zu lesen, so darf man sich nichts vormachen, es steckt keine satanische Botschaft drin. Echt nich!
LanguageDeutsch
Release dateJun 1, 2010
ISBN9783938424377
Was war eigentlich morgen

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    Was war eigentlich morgen - Ahne

    Meine erste Fernsehtalkshow

    Ich bin ein großer Bewunderer der Talkshowexzesse eines gewissen Klaus Kinski. Auf Fragen einfach mal gar nicht antworten, willkürlich den Gegenüber beleidigen, obwohl der einem doch wohlgesonnen war, wild auf dem Tisch herumtanzen, dem Moderator Bier ins Gesicht kippen, ständig nachfragen: „Was wollen Sie eigentlich von mir?", au ja, au fein, so sollte es sein. Dazu waren Talkshows schließlich gemacht, dazu waren Talkshows da, deswegen schalteten die Leute doch ein. Es konnte nichts Besseres geben, als wenn eine sich zur Autobahn bekennende Eva Herrmann live und ohne doppelten Boden vor den Augen eines Milliardenpublikums vom Chef der Kastelruther Spatzen bespuckt und beschimpft und, nachdem dieser für Sodomie-Praktiken geworben hat, sogar noch mal bespuckt wird.

    Wie langweilig dagegen, wenn Peter Kraus, Michael Mittermeier und die DDR-Dumpfbacke schlechthin, Katarina Witt, sich gegenseitig versichern, sie würden einander gerne im Fernsehen zuschauen.

    Montag, der soundsovielte November. (Hab jetzt nicht nachgeblättert im Kalender, weil das den Fluss der Geschichte stören würde.) Ich bin gerade erwacht, zum dreizehnten Mal. Ich bin aufgeregt, zittere am ganzen Körper. Nachher werde ich zum ersten Mal in einer Talkshow einen Moderator in den Wahnsinn treiben. Nachher ist abends, jetzt ist mittags. Ich diniere im Dorfkrug Prenzlauer Berg. Ich habe mich selber dazu eingeladen. Es gibt Pizza mit Sushi und Tofu-Ente, runtergespült wird standesgemäß mit einem gepflegten Cognak macchiato. Geiz war gestern, morgen bin ich tot. Die Bedienung ist freundlich, sie kommt nicht von hier. Sagt sogar „Tschüss. Nach dem Essen bin ich satt. Aber nicht nur. Ich bin auch zufrieden. Deshalb darf ich nicht so spät essen, damit mir nachher nicht noch die Talkshow missrät. Oder wie schon früher die alten Ritter sagten: „Ein voller Bauch macht keine Zicken.

    Auf der Straße werde ich von einem Bus angefahren, da ich aber kräftig bin, tut es nicht besonders weh. Ich habe ja Muskeln. Ich stehe vor meinem Haus. Ich habe meinen Schlüssel vergessen. Ich schreibe zu oft „ich".

    Um 18.30 Uhr sollen wir uns am Fernsehturm einfinden. Der Sender, der die Live-Talkshow ausstrahlt, nennt sich Lettra-TV und ist in der großen Familie von Premiere zu Hause. Premiere, das bedeutet Bezahlfernsehen und das ist selbstverständlich ein Riesenhaufen Scheiße oder anders ausgedrückt … und so weiter und so fort. Lettra-TV ist ein so genannter Spartenkanal, der sich ausschließlich mit Literatur beschäftigen soll. Wer so was sehen will? Fragt mich nicht. Um 18.30 Uhr ist es jedenfalls kalt in Berlin. Der Palast der Republik ist kaputtgegangen, der Mond scheint, die Krähen singen ein Totengedicht.

    In der Schminke meint man, ich habe so was gar nicht nötig. Sie schminken mich trotzdem. Hinterher sehe ich so ähnlich aus wie Kiss. Wie Kiss in ihrer spätpubertären Phase, als sie nicht mehr auf der Bühne standen. Lediglich die Haare nicht ganz so lang.

    Ich werde verkabelt und freue mich, dass der Assistent bemerkt, dass ich mich seit Tagen nicht gewaschen habe. Er muss mit dem Gesicht ganz dicht ran an mich und wird dafür wahrscheinlich noch nicht mal bezahlt. Armer Praktikant. Armes neoliberales Schweinesystem.

    Um 20.45 Uhr ist es dann so weit. Ich darf auf die Couch. Ulla Meinecke, die vorher immerhin den Moderator nicht zu Wort kommen ließ, Frank Klötgen und Christiane Schacht gucken zu mir empor. Die Scheinwerfer brennen unglaublich heiß. Ich setze mich in einen Stuhl. Es ist trotzdem noch unglaublich heiß. Ich trinke unglaublich viel Wasser.

    „Ja, antworte ich auf die erste Frage, die der Moderator stellt, „Ja, ich schreibe. Ja, ich habe als Kind schon geschrieben. Was ist los mit mir? „Ja, das mache ich auch im Radio. Ja, auch auf der Bühne. Ja, auch ein Buch habe ich mit. Bin ich wahnsinnig geworden? Was rede ich da? Sind Drogen in dem Wasser? „Sicher, in den Geschichten da ist vieles, was ich selbst erlebe, aber auch anderes. Ja, eine CD ist da auch mit drin in dem Buch. Mmh, ich wohne im Prenzlauer Berg. Ach du grüne Neune! Heiliger Stoffbeutel! Hoffentlich sieht das wirklich keiner! Kann man ja niemandem anbieten! So eine Schluffi-Scheiße! So ein Dreck! Voll das Allerweltsgequatsche! Dabei wollte ich doch Talkshowgeschichte schreiben. Wollte mich doch als schwuler IM outen, der in seiner Freizeit zum Hooligan mutiert und vor den Kloppereien in der Fankurve den Koran studiert. Ich wollte doch gestehen, dass ich meine Frau nur deshalb nicht verlassen habe, weil alle anderen, die ich bisher ansprach, nicht mit mir wollten. Ich hatte vor Hundefleischrezepte anzupreisen, wollte den Röhm-Putsch leugnen und, tätä, zeigen, dass ich unter der Vorhaut rasiert bin. Ich wollte nicht aufhören zu reden, ich wollte nicht rausgehen und ich wollte mir auf gar keinen Fall diese Jacke anziehen lassen, in der man nicht mal mehr mit den Fingern Zeichen machen konnte.

    Zum Glück sind die von Lettra-TV nicht so. Sie fanden’s gut, eigentlich. Wollen mich noch mal einladen, im Januar. (Blätter ich aber jetzt nicht im Kalender nach, weil das sonst den Fluss der Geschichte stört.)

    Ich hoffe natürlich, dass ich dann nicht mehr so aufgeregt sein werde und vernünftig in der Lage bin, das Programm stören zu können. Man wird schließlich auch älter, reifer, besonnener. So was wie im November, das passiert mir kein zweites Mal. Darauf könnt ihr euch verlassen, Lettra-TV. Ihr werdet mich kennenlernen. Richtig kennenlernen!

    Es lebe das Handwerk

    So eine Scheiße! Hab ich vielleicht eine Lust zu schreiben. Schreiben ist eine Kunst, jaja! Verdammt! Ich muss, ich muss, ich muss!

    Sie hat mir meinen Rucksack geklaut, mit allen Geschichtenbüchern der letzten drei Jahre drin. Alles für die Katz. Aus die Maus. Alles futsch. Alles nur wegen ihr. Alles nur wegen der. Der verdammten Vergesslichkeit. Meiner verdammten Vergesslichkeit. Ach, ich könnt mich hauen. Dis mach ich auch. Tut aber nicht weh.

    Im Taxi hab ich ihn liegen lassen, glaub ich zumindest. Im Taxi in Basel, in einem Basler Taxi. Wir sollten mit unserem Bier aufpassen, dass wir dis nich verschütten. Hab ich auch getan. Hab ganz gut auf dis Bier aufgepasst. Es ist absolut nichts davon verschüttet worden. Nichts auf die Polster getropft. Keinen Spritzer gab’s. Keinen Klecks. Ich hab so dermaßen gut auf dis Bier aufgepasst, dass ich darüber vollkommen den Rucksack vergessen habe. Der is übrigens schwarz, mit hinten so ’nem ganz kleinen Kiffer-Blatt drauf, weil der nämlich, glaube ich, aus Marihuana hergestellt ist, aber aus ungiftigem, völlig harmlos, braucht niemand die Polizei anrufen, ich steck keinen mit irgendwas an. Da sind auch keine Spritzen drin, nur Bücher. Außerdem isser weg. Hier, ich heb mal demonstrativ meine Hände, kein Rucksack da.

    Der Taxifahrer. Na, ich will mal lieber nichts Böses sagen über den Taxifahrer. Der war ja eigentlich ganz nett. Dick, mit Bart und nett. Dass wir auf unser Bier aufpassen sollten, dis war ja im Prinzip nur zu unserem Vorteil gemeint. „Betrinkt euch mal ruhich Jungs, ihr habt dis verdient. Nichts verschütten, sonst seid ihr nachher nich richtich hacke." So war dis gemeint. Er ist eindeutig auf unserer Seite, 100%ig ein Lieber. Oder aber eben ein Dieb.

    Was rede ich. Dieb, so ein Quatsch. Ein morphisches Feld sollte ich besser aufbauen, eines das ihn erreichen kann. Die Schweizer Taxizentralen können das ja offenbar nicht. Sollte die Schweiz etwa doch nicht so perfekt sein, wie ich bisher dachte? Will mir Gott etwas sagen? Huhu, Gott, wo biste denn?!

    Vielleicht ist es ja auch ein Zeichen. Vielleicht sollte ich vollkommen von vorne anfangen. Neu beginnen. Irgendwo bei Null starten, oder sogar darunter. Im Minusbereich. Als Dachdecker zum Beispiel, wie Erich Honecker, oder als Maler wie van Gogh.

    Sonnen kann ich ja schon ganz gut malen. Gelbe Sonnen. Da wär ich immerhin schon bei über Null. Rote Sonnen kann ich auch ganz gut, aber nicht so gut wie gelbe Sonnen. Am besten kann ich eigentlich blaue Sonnen. Gibt’s aber gar nicht, blaue Sonnen. Leider. Obwohl, wer sagt denn, dass man alles immer so malen muss, wie es in Wirklichkeit aussieht. Genau! Ich mach dis einfach nich. Nö. Ich revolutioniere ma einfach die Kunst. Na bitte, da wär doch noch ein Platz für mich frei, ein Platz als Kunstrevoluzzer. Blaue Sonne am Frühstückstisch, mit Kind. Den Titel hätten wir schon mal.

    Vielleicht sollte ich einem Kollektiv beitreten. Mit jemandem zusammenarbeiten, der Kinder malen kann. Und mit noch jemandem dazu, der Frühstückstische malen kann. Da könnte man sich dann gegenseitig befruchten, oder sagen wir nicht befruchten, nehmen wir ein anderes Wort, doch befruchten, sagen wir ruhig befruchten. Hähä.

    Ich stelle mir das so vor. Mal male ich die Sonne links unten auf das Blatt, mal rechts oben, oder sogar in die Mitte, wo sie wissenschaftlich betrachtet ja auch hingehört, jedenfalls hat dis mal ein Lehrer in der Schule so gesagt, und der war nicht bei der Stasi!

    Ich male jedenfalls die blaue Sonne hin, wo es mir gefällt. Ich bin Herr über das Blatt. Ich bin so frei. Es sei denn natürlich, ein Kollektivgenosse hat schon vorher was auf das Blatt draufgemalt, zum Beispiel ein Kind. Isser vielleicht früher aufgestanden und hat nich geduscht, das Schwein! Isser gleich zum jungfräulichen Blatt hin und hat dis besudelt, mit so ’nem lächerlichen Kind. Dann kann ich da an die gleiche Stelle natürlich nicht auch noch meine wunderschöne blaue Sonne hinmalen. Dis geht natürlich nicht. Obwohl, warum eigentlich nicht? Doch. Dis geht doch. Einfach rübermalen. Schön feste aufdrücken mit dem Kugelschreiber. Fertig. Eine Sonne. Eine blaue Sonne. Und damit mir keiner meiner unfähigen Kollegen dis schöne Kunstwerk versauen kann, mach ich die blaue Sonne gleich mal vorsichtshalber ein bisschen größer. Ja …, größer. Noch etwas größer. Wer sagt eigentlich, dass man blaue Sonnen nicht auch rechteckig malen kann und ohne so ’ne dämlichen Strahlen dran? Wer dis behauptet, ist enttarnt als Verfechter der Vergangenheit. Ich bin die Gegenwart und mir gehört die Zukunft. Ich male dis ganze Blatt blau aus. Alles schön blau. Vollkommen blau. Blaue Sonne am Frühstückstisch mit Kind. Da werden die andern sich grün ärgern vor so viel Blau.

    Vielleicht bin ich aber auch gar nicht so gut geeignet für ein Malkollektiv. Vielleicht bin ich ja eher der Unverstandene, der einsame Bohème, der lediglich darauf wartet, eine unheilbare Krankheit zu kriegen um groß rauszukommen. Mir schläft ja schon manchmal so die linke Hand ein. Wenn ich die dann bewege, die Hand, dann wird dis auch gleich wieder besser, aber wer sagt denn eigentlich, dass das ewig so bleibt?!

    Oh, ein Anruf. Mein Rucksack, hoffentlich is mein Rucksack dran. „Ja … Nein … Nein … Nein. Nein, ich verstehe Sie nicht … Ja … Ja, genau. Ja, jetzt verstehe ich Sie schon besser … Ja … Nein … Nein … Nein, ich verstehe Sie glaube ich doch nicht. Ja, tut mir leid. Auf Wiedersehen." War nich der Rucksack. Nur ein Mensch. Besoffen wahrscheinlich, konnte kein Wort verstehen, aber wer sagt denn auch, dass man immer alles verstehen muss?! Gleich morgen, morgen in aller Frühe, bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao, geh ich los und kauf mir einen Tuschkasten. Scheiß auf die Bücher, es lebe das Handwerk. Hurra, hurra, hurra!

    Briefverkehr

    Vanessa und Kathleen wollen sich ficken lassen. Von hinten, in den Po, richtig hart. Das schreiben sie mir jedenfalls, in Form eines Elektrobriefes. Ich habe ihnen bisher noch nicht geantwortet, weil mir jemand sagte, dass die mich gar nicht persönlich meinen würden. Sicherlich haben sie sich in der Adresse geirrt. Gibt ja so viele Computeradressen heutzutage. Da kann man sich schon mal irren. Alleine in China gibt es ja mehr als 1000 Computer und die haben ja alle Adressen und es werden täglich mehr. Bald sind es wahrscheinlich 2000 Computer. Da kann man sich schon mal vertun.

    Ich nehme das den beiden Damen auch nicht wirklich übel, ja, letzten Endes hat ihr Brief sogar ein wenig Farbe in meinen tristen Alltag gekleckst. ‚Ficken lassen?‘, dachte ich, ‚Nanu?

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