Kloß und Spinne
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Humorvoll, hintersinnig, mit Sprachwitz und Berliner Schnauze – und garantiert ohne Brause!
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Book preview
Kloß und Spinne - Volker Strübing
Tach allerseits!
Das Leben ist wie ein Glas Bier. Für die einen halb voll, für die anderen halb leer. Und manchmal eben auch einfach ganz leer oder ganz voll. Oder vielleicht gar kein Glas Bier, sondern ein Glas Brause.
Wenn das Leben wie ein Glas Bier ist, dann ist eine Kneipe wie das Universum, und wir können alle Geheimnisse des Lebens ergründen, indem wir uns an die Bar setzen und beobachten. Stephen Hawking hat einen Bestseller mit dem Titel Das Universum in der Nussschale geschrieben. Hier nun also: Das Universum in der Eckkneipe.
Die Kneipe, von der wir hier erzählen, befindet sich irgendwo in Ostberlin. Gegenüber ihren Paralleluniversen in Westberlin, München oder Eisenhüttenstadt hat sie einen entscheidenden Vorteil: Sie ist gleich bei mir um die Ecke.
Den Namen der Kneipe möchte ich nicht verraten, nennen wir sie »Schrödingers«, denn solange man nicht hineinschaut, weiß man nie, ob die Katze auf der Fensterbank noch lebt oder schon tot ist. Man könnte also sagen, dass die Kneipenkatze gleichzeitig lebendig und tot ist, und würde damit eindrucksvoll beweisen, dass man keine Ahnung von Quantenmechanik hat.
Wenn man sich die Mühe macht, hineinzuschauen (www.klossundspinne.de) wird man jedenfalls erleichtert feststellen, dass die Katze noch lebt.
Außer der Katze haben es sich noch ein paar Stammgäste bequem gemacht: An seinem Platz direkt am Zapfhahn, dort, wo das nächste Bier nie weit entfernt ist, sitzt Kloß. Kloß würde das Leben niemals mit so erfreulichen Analogien wie Biergläsern oder Pralinenkästen beschreiben, denn Kloß hat schlechte Laune. Immer. Kloß ist die Mutter aller Miesepeter und das uneheliche Kind von Bernd dem Brot und Marvin dem Roboter. So wie Licht für jeden Beobachter stets dieselbe Geschwindigkeit hat, hat Kloß für jeden Beobachter unabhängig von dessen eigener Stimmung stets die schlechteste Laune im ganzen Universum, sprich der ganzen Kneipe.
Sein Kumpel Spinne ist das genaue Gegenteil: Nichts tut seiner Lebensfreude Abbruch, kein Thema ist so deprimierend, dass er ihm nicht auch etwas Positives abgewinnen könnte, und selbst wenn all seine Versuche, in seiner Stammkneipe ein schönes Glas Brause zu bekommen, am archaischen Kneiperstolz des Wirtes scheitern, kann das nichts an seiner guten Laune ändern. Man kann auch ohne Brause glücklich sein!
Auf dem Platz an der Wand hockt manchmal Wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Dirk und sagt unvermittelt »Hitler«. Ganz selten verirrt sich sogar ein gänzlich Fremder in die Kneipe; meist ein junger Mann mit Bart, der aber in der Regel nur mal schnell aufs Klo will, weil er woanders so viel Kaffee oder Beck’s to go getrunken hat. Und schließlich ist da noch Horst: ein rosa bepulloverter Geist, ein bebrillter blinder Fleck, eine kleine verschüchterte Bewegung im Augenwinkel. Man muss schon sehr genau hinschauen, um ihn überhaupt zu bemerken. So genau schaut aber niemand hin. Horst ist tatsächlich wie Schrödingers Katze, nur eben leider keine Katze, sondern ein derart langweiliger und eigenschaftsloser Mensch, dass sich auf Teufel komm raus niemand findet, der sich die Mühe machen würde, seinen zwischen Existenz und Nichtexistenz oszillierenden Zustand durch Beobachtung festzulegen. Germanistikstudenten späterer Generationen werden kluge Arbeiten schreiben, in denen sie Horst mit dem Autor dieser Zeilen gleichzusetzen versuchen. Totaler Quatsch, aber immer noch besser, als wenn sie Marketing studieren würden.
In jeder Galaxie und jeder Kneipe dreht sich alles um das Zentrum beziehungsweise den Wirt. Im Falle der Milchstraße handelt es sich um ein gigantisches Schwarzes Loch von 4,3 Millionen Sonnenmassen, im Falle der Kneipe handelt es sich um Norbert, der auch ein bisschen Übergewicht hat. Ein ärmelloses Unterhemd bringt seinen Bierbauch bestens zur Geltung. Wenn ihn nicht gerade ein Gast stört, verbringt Norbert seinen Arbeitstag in stummer Meditation, wobei er oft zu Einsichten von erhabener Weisheit gelangt, an denen Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf den folgenden Seiten teilhaben können.
Viel Spaß beim Lesen. Um mit den Helden dieses Buches zu sprechen: »Hihi, das ist lustig!« – »Isses nich.«
Computer
»Tach allerseits!« Spinne platzt in die traurige kleine Kneipe wie ein Junggesellenabschied in eine Trauerfeier.
»Tach Spinne«, murmelt Kloß in sein Bierglas.
»Tach«, schnauzt Norbert, der Wirt.
»Hitler«, sagt Wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Dirk.
»Norbert, machste mir ’ne Brause?«, fragt Spinne, obwohl er die Antwort schon ahnt.
»Brause hamwer nich. Schnaps kannste haben«, brummt Norbert.
»Ach nee, dann erstmal nüscht«, sagt Spinne und setzt sich fröhlich auf einen der zahlreichen freien Barhocker. »Na Kloß, wie geht’s?«
»Scheiße geht’s.«
»Ach du grüne Neune, was ist denn los?«
»Mein Computer ist kaputtgegangen. Mitten im Spiel.«
Spinne nickt. »Ach, darum sitzt du schon so früh hier an der Bar!« Dann klopft er seinem Kumpel auf die Schulter. »Na, Mensch, ist doch super, dass der Computer kaputt ist!«
Kloß hebt das erste Mal den Blick vom Bier und schaut Spinne ehrlich überrascht an. »Wieso denn das?«
»Na Mensch, da haste mal wieder Zeit für andere Sachen«, sagt Spinne. »Bist doch voll versauert vor dem Ding!«
»Na und? Jetzt versauer ich eben vor dem kaputten Computer. Oder hier. Soll’ n daran besser sein?«
»Du musst ja nich versauern! Du kannst die Zeit ja für was anderes nutzen!«
»Was anderes?«
»Ja!«, ruft Spinne. »Hobbys und so.«
»Mein Hobby ist versauern«, sagt Kloß und versenkt den Blick wieder im Bierglas.
»Früher haste doch so gerne … hm … irgendwas hast du doch bestimmt mal gerne gemacht?!«
»Am Computer gesessen?«
»Nein, noch früher, als du noch gar keinen Computer hattest. Anfang der 90er …«
»Hm. Kann mich nicht erinnern. War aber scheiße.«
»Na, vielleicht ist ja der kaputte Computer die Chance, rauszufinden, was dir sonst noch so Spaß macht. Mensch Kloß, geh ein bisschen raus, triff dich mit Freunden …«
»Freunde? Ist das sowas wie bei Facebook? Die mich zu Farmville einladen und ›nachdenkliche Sprüche‹ teilen und finden, dass ich hässlicher bin als eine zwei Tage alte Schrippe?«
Spinne zieht die Augenbrauen hoch. »Was, wieso das denn?«
»Naja«, sagt Kloß. »Das war so ein Experiment, das ich mir ausgedacht habe. Ich habe das Foto von ’ner ollen Schrippe als neues Profilbild hochgeladen, und alle haben ›Gefällt mir‹ gedrückt. Das kann doch nur heißen, dass sie froh waren, statt meinem Gesicht die olle Schrippe zu sehen.«
»Hm, wahrscheinlich hat die Schrippe einfach freundlicher geguckt als du. Jedenfalls meinte ich echte Freunde. Real Life und so.«
»In 3D und zum Anfassen?«, fragt Kloß.
»Genau.«
»Mit Körpergeruch und Pickeln und Bierbauchansätzen und sich langsam lichtenden Haaren? Die man im Krankenhaus besuchen muss, wenn sie kaputtgehen? Die dich anrufen, damit du ihnen am Sonnabendvormittag beim Umzug hilfst?« Während Kloß aufzählt, rollt Spinne mit den Augen und ahmt mit der rechten Hand einen schnatternden Entenschnabel nach. »Genau!«, entgegnet er, als Kloß seine Litanei beendet. »Die dir am Sonnabendvormittag beim Umzug helfen und dich im Krankenhaus besuchen, wenn du kaputtgegangen bist. Die dich aufmuntern, wenn’s dir scheiße geht.«
»Die einem mit ihrer guten Laune auf die Nerven gehen, meinst du … Hab ich dir mal erzählt, dass ich nach einer Stunde mit dir zwei Stunden Killerspiele spielen muss, um meine Aggressionen loszuwerden?!«
»Na, das wird ja