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Um das Böse zu besiegen, muss man es begreifen
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Um das Böse zu besiegen, muss man es begreifen

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About this ebook

Es gibt gute Gründe dafür, sich mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Das Böse ist nämlich immer. Und überall. Es muss nicht gleich die große Apokalypse sein. Die kleine reicht auch schon. Einmal ins falsche S-Bahn-Abteil zu den falschen Leuten gestiegen und man liegt kurz darauf am Boden, während es Tritte und Schläge hagelt. Sadistische Lehrer, brutale Mitschüler, mobbende Chefs, stalkende Kollegen, Ehrabschneider und Gerüchtestreuer - sie alle können unser Leben infernalisch machen. Darauf muss man sich gefasst machen.

Markus Spieker weiß: Erst, wenn man das Böse begreift, kann man es auch bekämpfen. Der ARD-Hauptstadtkorrespondent erzählt die Geschichte des Bösen. Dabei nimmt er Bezug auf aktuelle Tragödien, die die Welt erschüttert haben, aber auch auf alltägliche Gefahren im Leben jedes Einzelnen. Und er zeigt, wie man sich gegen das Böse wappnen kann, wenn man es erst erkannt hat. Am Ende, da ist er sich sicher, ist die Liebe stärker.
LanguageDeutsch
Publisheradeo
Release dateMar 25, 2013
ISBN9783863347161
Um das Böse zu besiegen, muss man es begreifen
Author

Markus Spieker

Dr. Markus Spieker arbeitet als TV-Auslandskorrespondent. Er wurde in Duisburg geboren und studierte in Gießen und Los Angeles Geschichte und Filmwissenschaften.1999 veröffentlichte er seine Dissertation "Hollywood unterm Hakenkreuz: Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich". Er ist Autor mehrerer Bücher und schreibt regelmäßig für das evangelische Nachrichtenmagazin "idea".

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    Um das Böse zu besiegen, muss man es begreifen - Markus Spieker

    Ein Mann will nach unten

    Warum ich dem Bösen

    auf den Abgrund gehen will

    »Wer kann Hinweise geben?«, steht auf dem Polizei-Plakat, das an einer Hauswand klebt. Jemand hat ein Gebäude in der Nachbarschaft angezündet. Eine Mutter und ihre drei Kinder sind in den Flammen umgekommen. Dabei sieht die Straße im Zentrum von Berlin ganz friedlich aus. Einige Mädchen kommen mir auf Fahrrädern entgegen. Vielleicht kannten sie die Opfer, haben mit ihnen gelacht und gealbert, bevor das Böse zugeschlagen hat. Mein Blick wandert zwischen ihnen und dem Plakat hin und her. Ich bin zu einem Freund unterwegs. Aber die Lust auf eine lockere Unterhaltung ist mir vergangen. Die Fragilität des Lebens wird mir mit einem Schlag bewusst. Als ich die Straße entlanggehe, beäuge ich die Passanten eine Spur misstrauischer.

    Eigentlich bin ich Experte für das Böse. Durch meinen beruflichen Alltag zieht sich eine Blutspur. Ich arbeite schließlich als Nachrichtenjournalist. Und schlechte Nachrichten sind, gemessen an Einschaltquoten und Auflagenzahlen, gute Nachrichten. Das kennt jeder Autofahrer. Mehr als die schönste Landschaft fesselt der Anblick eines Autowracks, vor allem, wenn es noch raucht. Noch größer werden unsere Augen, wenn wir sehen, wie Menschen aufeinander losgehen. Oder wie massakrierte Leichen herumliegen. So sind wir. Unglücksjunkies. Solange es um das Unglück der anderen geht. Wenn anderen eine Grube gegraben wird, stehen wir daneben und gucken fasziniert zu. Zumindest, wenn wir es bequem vom Fernsehsessel aus tun können. Oder wie ich vom Redakteursstuhl.

    Trotzdem wird mir immer wieder bewusst, wie wenig ich tatsächlich vom Bösen verstehe. Von seinen Ursachen, seinem Wesen, seinen Auswirkungen. Vielleicht hätte ich statt Geschichte und Filmwissenschaften lieber Theologie und Philosophie studieren sollen. Oder einfach gründlicher recherchieren, was sich hinter den negativen Schlagzeilen tatsächlich verbirgt.

    Zugegeben: Mit den besonders schrecklichen Auswüchsen menschlichen Fehlverhaltens werde auch ich nur selten konfrontiert. Ich bin politischer Korrespondent. Das heißt: Meistens beschäftige ich mich mit Menschen, die zivilisiert miteinander umgehen. Zumindest nach außen hin. Die Spitzenpolitiker, die in meinen Beiträgen zu Wort kommen, haben nicht mehr und nicht weniger kriminelle Energie als andere Bürger. Manche lassen sich im Urlaub von ihren reichen Freunden freihalten. Andere schreiben bei ihrer Doktorarbeit ab. Kleinkram.

    Doch zuweilen bricht das nackte Grauen ohne Vorwarnung auch in meine Arbeit ein. Dann stehe ich mit meinen Kollegen zusammen, und wir schütteln fassungslos die Köpfe, bevor wir uns an die Arbeit machen. Bilder drehen. Reaktionen einholen. Das Unfassbare in Zwei-Minuten-Beiträge packen. Ich habe in meinen zehn Jahren als Hauptstadtkorrespondent mehrere Hundert Pressekonferenzen besucht, mehrere Tausend Interviews geführt, unzählige Informationen zu Beiträgen aufbereitet. Das meiste davon habe ich vergessen. Woran ich mich erinnere, sind die Momente, in denen ich gespürt habe, dass ich gerade mit dem unverhüllt Bösen konfrontiert werde.

    Wie damals an einem sonnigen Spätsommernachmittag, als ich mich auf einen frühen Dienstschluss freute und auf meinem Computermonitor plötzlich eine Eilmeldung rot aufleuchtete: Angriff auf das World Trade Center. Ein paar Minuten später stand ich mit anderen Kollegen und dem Chefredakteur in dessen Büro, und wir starrten fassungslos auf den Bildschirm, auf dem sich das zweite Flugzeug in den anderen Turm bohrte und beide Türme kurz darauf kollabierten.

    Oder damals auf dem Kongress in Berlin, auf dem ich Jugendlichen etwas über gesellschaftliche Verantwortung erzählen sollte, als die Nachricht vom Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium hereinplatzte. Ich wurde zurück zu meinem Sender kommandiert, um beim ARD-Brennpunkt mitzuhelfen, und musste 200 junge Leute verstört und fragend zurücklassen.

    Oder beim Besuch der Deutschen Botschaft in Bagdad. Ich schlenderte auf dem von fünf Sicherheitsmauern umgebenen Innenhof herum. Ein Wachmann bot mir an, mir die Stelle zu zeigen, an der ein paar Monate zuvor eine Bombe die äußerste Mauer zerstört hatte. Der Sprengsatz hatte auch seine linke Gesichtshälfte weggesprengt – und den Kopf seines Bruders.

    Oder auf dem Rückflug von Afghanistan. Dort hatte ich über den Beginn des Truppenabzugs berichtet. Wir waren in einem Panzerwagen herumkutschiert worden. Zusätzlich mussten wir uns kugelsichere Westen umschnallen. Es passierte nichts. Keine Bombenattentate. Keine tödlichen Schüsse. Im gefährlichsten Land der Welt hatte das Böse eine Pause eingelegt. Kurz bevor wir in Berlin landeten, kam ein erschütterter Guido Westerwelle in den hinteren Teil des Flugzeugs gelaufen: Der Außenminister meldete, dass in Norwegen ein Attentat verübt worden war. Über Täter und Hintergründe hatte er noch keine Informationen.

    Wir zeichneten rasch ein Interview mit ihm auf. Westerwelle zeigte sich betroffen und drückte sein Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer aus. Er hätte sich natürlich viel drastischer geäußert, wenn er die tatsächliche Dimension des Verbrechens und den wahren Täter gekannt hätte. Ein milchgesichtiger Junggeselle, Anders Breivik, hatte planvoll 77 Leben ausgelöscht. Unter seinen Opfern befanden sich vor allem idealistische Jugendliche, die auf einer idyllischen Insel über eine bessere Welt diskutierten. Die Mordtat ereignete sich ausgerechnet in und kurz vor Oslo, einer der friedlichsten Hauptstädte der Welt. Als ich das letzte Mal dort gewesen war, hatten junge Leute auf der Hauptstraße Gratis-Umarmungen an wildfremde Menschen verteilt.

    Wir werden immer öfter mit dem Bösen konfrontiert, weil es im Internetzeitalter immer weniger Geheimnisse gibt. Früher konnten Leichenberge noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit verscharrt werden. Heute findet sich immer jemand, der eine Handykamera draufhält und den Clip anschließend um die Welt schickt.

    Wer sich für das Böse interessiert, muss allerdings nicht Youtube-Clips aus Norwegen, Syrien, dem Iran oder dem Jemen angucken.

    Das Böse ist auch unter uns.

    Dabei denke ich nicht nur an die Salafisten, die an Bahnhöfen scheinbar harmlos Korane verteilen, während ihre Gesinnungsgenossen in anderen Ländern Kirchen abbrennen und Andersgläubige töten. Oder an die Neonazi-Szene, die in der Mordserie des selbst ernannten »Nationalsozialistischen Untergrunds« ihre militante Fratze gezeigt hat. Oder an die ehemaligen Wärter des Stasi-Gefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen, die jahrzehntelang Regimegegner drangsaliert haben und jetzt immer noch Informationsabende über die SED-Diktatur mit pöbelnden Zwischenrufen sprengen. Oder an in Deutschland illegal arbeitende Prostituierte, denen die Kinder nach der Geburt weggenommen werden, um sie an Pädophile zu verkaufen.

    Ich denke auch an Alltagsschurken, die unbemerkt von der Öffentlichkeit ihren Mitmenschen die Lebensfreude rauben: prügelnde Eltern, betrügerische Geschäftsleute, sadistische Lebenspartner, verleumderische Nachbarn.

    Mir kommt eine Freundin in den Sinn, die mir irgendwann die Ursache für ihre nicht enden wollende Traurigkeit erzählte. Sie war als Studentin vergewaltigt worden, und mit der Erinnerung an dieses Trauma schlief sie jeden Abend ein, um mit demselben Gedanken wieder aufzuwachen. Sie hatte den Täter vorher gekannt und wollte über seine Person nur so viel sagen: »Er sagte, er sei mein Freund.«

    Dann ist da noch der junge Mann, der mir den Grund für seinen Hass auf das Christentum erzählte. Er war in einer angeblich strenggläubigen Familie aufgewachsen. Sein Vater hatte ihn jahrelang missbraucht. Sowohl seine Mutter als auch die Leitung der Kirchengemeinde hatten die Tat gedeckt oder zumindest nicht auf die Hilferufe des Jungen reagiert.

    So schlimm wie weitverbreitet sind auch die Erfahrungen eines Freundes. Ich traf ihn auf einem Sommerfest, nachdem er gerade aus der Reha-Klinik entlassen worden war. Sein Chef hatte ihn in das Burn-out gemobbt. Kaum war mein Freund zurück an seinem Arbeitsplatz, setzte der Boss die Schikanen fort. »Er hat einfach Spaß daran, Menschen zu demütigen und zu quälen«, sagte mein Freund, während seine Frau tröstend ihren Arm um ihn legte. Und ich habe mich gefragt: Was hat zu der charakterlichen Deformation dieses Vorgesetzten geführt? Und welche Möglichkeiten gibt es für einen Untergebenen, sich gegen solche giftigen Attacken zu immunisieren?

    Was ist das Böse und wie kann es bekämpft werden? Vor allem diesen beiden Fragen will ich nachgehen. Deshalb habe ich diesen Anti-Böse-Ratgeber verfasst. Er bildet einen Gegenakzent zu den vielen Anleitungen zum Glücklichwerden und zur Daseinsoptimierung. In der ersten Hälfte des Buches beschreibe ich das Gift und seine Wirkung. In der zweiten Hälfte skizziere ich mögliche Gegenmaßnahmen. Mein Ziel ist es, dabei zu helfen, das Böse zwar nicht zu eliminieren, aber zu reduzieren.

    Das Böse zu outen.

    Das Böse zu beschreiben und zu erklären.

    Das Böse in die Defensive zu bringen.

    Denn das Böse breitet sich da aus, wo es unerkannt, unverstanden und unwidersprochen bleibt. Wo es ohne Aufmerksamkeit und ohne Gegenwehr verstören und vergiften kann.

    Wie wichtig Schlechtigkeitsprophylaxe ist, wusste keiner besser als Jesus. Man muss nur das bekannteste Gebet der Christenheit lesen, das Vaterunser. Jesus beginnt mit einer Anrede des Allmächtigen: »Vater unser im Himmel«. Dann folgen sieben Bitten, von denen die ersten drei der Verherrlichung Gottes gewidmet sind (»Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe«). Bleiben vier Bitten, die sich auf das Leben im Hier und Jetzt beziehen. Eine Art Wunschkatalog, mit dem wir Gott in den Ohren liegen sollen.

    Die erste Bitte lautet: »Unser tägliches Brot gib uns heute.« Jesus beginnt auf der untersten Stufe der Bedürfnispyramide. Die Grundversorgung soll gewährleistet sein. Darauf baut er aber nicht etwa mit Bitten um Wohlstand, Partnerschaftsglück oder Selbstverwirklichung auf, sondern er geht buchstäblich in die Tiefe.

    Die zweite Bitte heißt: »Und vergib uns unsere Schuld, während wir auch unseren Schuldnern vergeben.« Das bezieht sich auf das Böse, das wir bereits getan haben oder das uns angetan wurde. Es muss bewältigt werden.

    Die dritte Bitte: »Und führe uns nicht in Versuchung.« Hier geht es um das Böse, das wir in Zukunft tun könnten.

    Die vierte Bitte: »Und erlöse uns von dem Bösen.«

    Amen.

    Das klingt, als wäre Jesus ziemlich defizitorientiert gewesen. Ein Schwarzseher. Ein Pessimist. Oder einfach nur weltweise. Jesus wusste: Zu einem gelingenden Leben gehört es vor allem, den inneren Schweinehund zu besiegen, von fiesen Typen verschont zu bleiben und den Teufel auf Abstand zu halten. Sein eigenes Leben war gerahmt und durchzogen von moralischen Scheußlichkeiten. Kurz nach seiner Geburt wurden Dutzende von Säuglingen und Kleinkindern in Bethlehem massakriert. Er selbst wurde mit der qualvollsten Hinrichtungsart, der Kreuzigung, zu Tode gemartert. Und ein paar Jahrzehnte später wurde ganz Israel zerstört. Historiker gehen von bis zu einer Million Toten aus.

    Und seitdem?

    Zwar haben wir in Europa Krieg, Folter und Todesstrafe abgeschafft und das Zeitalter des ewigen Friedens eingeläutet. Aber wie lange hält der wirklich? Und was passiert, wenn die Währungs- und Schuldenkrise sich zu einer echten ökonomischen Katastrophe auswächst?

    Das habe ich mich gefragt, als ich zuletzt das Deutsche Historische Museum in Berlin besucht habe. Ich war nicht allein dort, sondern hatte ein Kamerateam und einen Geschichtswissenschaftler dabei, den ich zur Lage auf den Finanzmärkten interviewte. Ich postierte ihn dabei vor einem Bildschirm, über den Originalaufnahmen aus dem Jahr 1932 flimmerten. Deutschland auf dem Höhepunkt der letzten großen Depression. Panische Bürger, hilflose Politiker und Nazis, die frech aufmarschierten, während die Polizisten mal brutal dreinschlugen, mal untätig zuschauten. Zwischen damals und heute gebe es einige Parallelen, meinte der Geschichtsexperte. Der Fernsehbeitrag lief vor einem Interview mit einem führenden Bundespolitiker. Der reagierte stinksauer, schimpfte über die angeblich unverantwortliche Panikmache. Später gab er im Vieraugengespräch zu, dass er die Lage ebenfalls für äußerst bedrohlich hielt. Und seitdem verschärft sich die wirtschaftliche Krise immer weiter.

    Auch andere Entwicklungen geben Anlass zur Sorge.

    Laut Kriminalstatistik steigt auch die Anzahl der politisch motivierten Delikte. Die Bindekraft von Familien, Vereinen und Kirchen nimmt ab. Die Volksgemeinschaft franst an den Rändern aus. Die Zukunftsängste nehmen zu. Überall klaffen Risse und Krater des Misstrauens und des Egoismus. Darin kann sich das Böse einnisten, bis es irgendwann wieder an die Oberfläche kriecht. In Gestalt von Populisten, Demagogen, Hasspredigern.

    »Man soll nicht immer das Schlimmste denken. Wo führt das hin! Ich will meine Ruhe und meinen Frieden haben«, schimpft der Protagonist in Max Frischs Drama »Biedermann und die Brandstifter«. Während sein Haus von Terroristen zur Kommandozentrale für einen Anschlag umfunktioniert wird, verschließt er aus Bequemlichkeit die Augen: »Schließlich lebe ich nur einmal!« Am Ende fliegt die ganze Stadt in die Luft und der Chor singt: »Was nämlich jeder voraussieht lange genug, dennoch geschieht es am End.«

    Es muss ja nicht gleich die große Apokalypse sein.

    Die kleine Apokalypse reicht auch schon. Die alltägliche Begegnung mit dem schnöden Gemeinen. Einmal ins falsche S-Bahn-Abteil zu den falschen Leuten gestiegen, und schon liegt man am Boden, während es Tritte und Schläge hagelt. Einmal auf der falschen Party mit den falschen Leuten und zu viel Alkohol gefeiert und kurz darauf ist man Opfer einer Vergewaltigung. Einmal einen narzisstischen Choleriker als Chef vor die Nase gesetzt bekommen und irgendwann landet man mit Nervenzusammenbruch oder gar Herzinfarkt im Krankenhaus.

    Ich selbst habe bisher nur flüchtige persönliche Begegnungen mit dem Bösen gehabt. Ich bin beklaut, abgezockt, verleumdet und belogen worden, aber noch nie wirklich schlimm verletzt. Aber meine vermeintliche Glückssträhne kann schnell reißen. Wenn die echten Schurken aus den Kulissen hervorgekrochen kommen und über mich herfallen, will ich – so gut wie irgendwie möglich – vorbereitet sein. Und wer weiß: Vielleicht drängen mich ja auch meine eigenen destruktiven Tendenzen irgendwann in die falsche Richtung.

    Für mich bedeutet dieses Buch außerdem den Abschluss einer vierteiligen Serie über die wesentlichen Fragen des Lebens. Nachdem ich mich in drei Büchern mit dem Glauben (»Mehrwert: Glaube in heftigen Zeiten«), der Hoffnung (»Faithbook: Ein Journalist sucht den Himmel«) und der Liebe (»Mono: Die Lust auf Treue«) beschäftigt habe, wende ich mich nun der Gegenseite zu, der dunklen Seite, dem Bösen. Ich räume meinen Platz an der Sonne und starte zu einer literarischen Höllenfahrt, einer Expedition ins Grauen, einer Reise ins Herz der Finsternis.

    So viel kann ich vorwegnehmen: Die Finsternis hat kein Herz, kein Kraftzentrum, keine Größe. Das Reich des Bösen gleicht nicht dem schauerlich-schönen Land Mordor im »Herrn der Ringe« – eher einer von Würmern und Maden bevölkerten Mülltonne. Das Böse schluckt nur, aber es produziert nichts. Der Teufel existiert – und gleichzeitig doch nicht. Seine Essenz ist sein Mangel. Er ist eine Null, ein seelenloser Seinsvernichter, ein erbärmlicher Runterzieher.

    Respekt oder gar Ehrfurcht ist deshalb nicht angebracht. Aber Vorsicht, denn die Fouls des Teufels können tödlich sein.

    Teil 1

    Licht aus

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    1

    Jenseits von Gut

    Das Böse in der Theorie

    Komplizierte Sachverhalte in aller Kürze erklären – dafür werde ich bezahlt. Was ist ein Überhangmandat? Oder die Vorratsdatenspeicherung? Oder die Flexi-Frauenquote für die Aufsichtsräte von Dax-Unternehmen? Kann ich alles problemlos beantworten, gerne auch in einer Minute.

    Und was, bitte schön, ist genau das Böse?

    Äh …

    Die Schwierigkeit beginnt bereits auf der sprachlichen Ebene. Wenn wir ein positives Qualitätsurteil abgeben, brauchen wir dafür nur ein Wort: »gut«. Für ein negatives Verdikt können wir zwischen »schlecht« und »böse« wählen, je nachdem, ob wir moralische Kriterien anlegen oder nicht. Schlecht ist der Tod, der Schmerz, der Mangel. Böse dagegen ist der Vorsatz, die Tat, der Verbrecher, eben die menschliche Triebkraft hinter der Schlechtigkeit. Die Welt ist mitunter schlecht, nämlich dann, wenn sie Krankheiten, Naturkatastrophen und Hungersnöte hervorbringt. Destruktivität, die aus menschlichem Vorsatz geschieht, nennen wir böse.

    Das amerikanische Nachrichtenmagazin Time hat einmal eine »Top Ten« angeblich böser Tiere veröffentlicht. Ganz oben stand der asiatische Karpfen, der die Vegetation ganzer Seen leer frisst; auf den folgenden Plätzen rangierten die Tsetse-Fliege und der Bandwurm. Allesamt fiese Kreaturen, die allerdings nur Ekel und Furcht, aber keine Entrüstung hervorrufen. Denn ihnen fehlt die Kapazität zur freien Willensentscheidung. Tiere können nicht böse sein. Nur schädlich.

    Die böse Tat setzt einen Entschluss voraus, der über blinden Triebgehorsam hinausgeht. Wie »frei« solche Entschlüsse tatsächlich sind, danach werde ich in den folgenden Kapiteln forschen. Zunächst interessiert mich das »Böse« an sich und was es ausmacht.

    Manchen Menschen attestieren wir einen »guten Kern«. Gibt es auch Menschen mit einem »bösen Kern«? Oder klafft bei ihnen anstelle der Seele ein schwarzes Loch, das sie mit ihren Untaten zu stopfen versuchen?

    Viel spricht dafür, dass das Böse keine eigene Substanz hat, sondern ein reines Mangelphänomen ist. Das bestätigen auch Gerichtspsychiater, die sich mit Serienmördern beschäftigen. Sie beschreiben solche Täter als Menschen, die aus einem tief empfundenen Mangel an sich selbst zu Bestien werden.

    Die Bösen sind Minus-Menschen. Sie subtrahieren von dem, was existiert. Sie bauen nicht auf, sondern buchen ab. Die Bösen sind wie die ungezogenen Kinder, die die Sandburgen der anderen zertreten. Schlechte Verlierer. Aggressive Unerfüllte. Ihre

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