Die Bergklinik 9 – Arztroman: Unser Glück soll ewig dauern
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Dr. Magnus Kelterer, der chirurgische Oberarzt der Bergklinik, sah auf die Uhr. Er hatte noch eine halbe Stunde Dienst, dann war seine Bereitschaft zu Ende, und er konnte nach Mittenwald zu seiner Frau Carola fahren. Er hatte Carola versprochen, in den kommenden drei freien Tagen zuerst mit ihr nach Peißenberg zu ihren Eltern und dann weiter nach München zu reisen. Dort wollten sie Bekannte besuchen und einen ausgedehnten Einkaufsbummel machen. Magnus freute sich ebenso auf die Tage wie Carola, vor allem jedoch darauf, daß er mit ihr ein paar Tage zusammen sein würde.
Dann klopfte es an die Tür des Bereitschaftszimmers, und ein wenig ärgerlich, weil gleich Dienstschluß war, stand er auf, um die Tür zu öffnen.
"Giovanna…!" Magnus starrte seine Schwester fast erschrocken an, denn er hatte keine Ahnung gehabt, daß sie ihn besuchen wollte. "Jetzt hast du mich aber überrascht. Komm herein. Bei allen guten Geistern, was bringt dich denn her?"
Giovanna lächelte. Sie war eine außergewöhnlich hübsche junge Frau. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt, hatte ganz dunkle Haare, und der Blick aus ihren oft schwarz wirkenden Augen hatte schon manchen Mann verzaubert.
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Book preview
Die Bergklinik 9 – Arztroman - Hans-Peter Lehnert
Inhalt
Unser Glück soll ewig dauern
Rivalen bis aufs Blut
Die Bergklinik
– 9–
Die Bergklinik
Hans-Peter Lehnert
Unser Glück soll ewig dauern
Roman von Hans-Peter Lehnert
Dr. Magnus Kelterer, der chirurgische Oberarzt der Bergklinik, sah auf die Uhr. Er hatte noch eine halbe Stunde Dienst, dann war seine Bereitschaft zu Ende, und er konnte nach Mittenwald zu seiner Frau Carola fahren. Er hatte Carola versprochen, in den kommenden drei freien Tagen zuerst mit ihr nach Peißenberg zu ihren Eltern und dann weiter nach München zu reisen. Dort wollten sie Bekannte besuchen und einen ausgedehnten Einkaufsbummel machen. Magnus freute sich ebenso auf die Tage wie Carola, vor allem jedoch darauf, daß er mit ihr ein paar Tage zusammen sein würde.
Dann klopfte es an die Tür des Bereitschaftszimmers, und ein wenig ärgerlich, weil gleich Dienstschluß war, stand er auf, um die Tür zu öffnen.
»Giovanna…!« Magnus starrte seine Schwester fast erschrocken an, denn er hatte keine Ahnung gehabt, daß sie ihn besuchen wollte. »Jetzt hast du mich aber überrascht. Komm herein. Bei allen guten Geistern, was bringt dich denn her?«
Giovanna lächelte. Sie war eine außergewöhnlich hübsche junge Frau. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt, hatte ganz dunkle Haare, und der Blick aus ihren oft schwarz wirkenden Augen hatte schon manchen Mann verzaubert.
Bevor Giovanna antworten konnte, schob Magnus ihr einen Stuhl hin und ließ sie Platz nehmen.
»Meine Güte, warum hast du denn nicht vorher angerufen?« fragte er. »Wir haben uns in letzter Zeit so selten gesehen, und wenn ich jemand vermisse, dann dich.«
»Ich vermisse dich auch«, antwortete Giovanna. Sie hatte eine wunderschön klingende Stimme, und ihr dunkles Haar umrahmte mit seidenweichen Locken ihr hübsches Gesicht.
Daß sie heute entgegen ihrer sonstigen Art sehr still, ja fast zurückhaltend war, ihn nicht mal richtig mit Umarmung und Küssen begrüßt hatte, war Magnus Kelterer gar nicht aufgefallen. Er sah Giovanna und war hin- und hergerissen, daß sie da war. Er war zwar elf Jahre älter als seine Schwester, trotzdem hatten sie aber sehr viel Zeit miteinander verbracht, und er freute sich immer, wenn sie sich für ein paar Tage sehen konnten, was in den letzten Jahren allerdings nicht sehr häufig der Fall gewesen war.
»Wie geht es Mama und Papa?« wollte Magnus wissen.
Sein Vater war gebürtiger Südtiroler, seine Mutter stammte dagegen aus der Toscana und hatte dafür gesorgt, daß die Familie bei den Kindern hoch im Kurs stand.
Dann fiel Magnus die schweigsame Zurückhaltung seiner sonst so temperamentvollen Schwester auf. Er zog die Augenbrauen zusammen und sah Giovanna fast ein wenig ängstlich an.
»Was ist mit Mama und Papa?« wollte er wissen. »Irgendwas stimmt doch nicht. Du kommst, ohne dich anzukündigen, her, bist schweigsam und schaust ganz und gar traurig drein.« Dann verzog sich sein Gesicht. »Bitte, sag nicht, daß mit Mama oder Papa was passiert ist. Ich…!«
»Mach dir keine Sorgen um Mama und Papa.« Giovanna schüttelte den Kopf.
»Aber irgendwas verheimlichst du mir doch«, sagte Magnus, »etwas stimmt nicht.«
»Ich bin nicht alleine gekommen«, antwortete Giovanna.
»Was heißt das, du bist nicht alleine gekommen?« Magnus sah seine Schwester fragend an.
»Bruno ist bei mir«, antwortete diese.
»Welcher Bruno…?« Magnus wurde blaß. Sein Herz schlug plötzlich noch heftiger als vorher schon. »Sprichst du etwa von Bruno Orter? Hab’ ich dich da richtig verstanden?«
Giovanna nickte. »Ja, ich spreche von Bruno Orter.«
»Was will der hier?« Plötzlich wirkten die bis dahin weichen Gesichtszüge des chirurgischen Oberarztes der Bergklinik hart, und er sah seine Schwester auch nicht mehr so freundlich an wie vorher.
»Bruno braucht deine Hilfe«, murmelte Giovanna.
Bruno Orter war ebenso alt wie Magnus Kelterer, die beiden waren zusammen zur Schule gegangen, lange Zeit allerbeste Freunde gewesen, bis sie sich eines Tages total verkracht hatten, und seitdem herrschte zwischen ihnen absolute Funkstille.
Der Streit war gar nicht mal um persönliche Dinge gegangen, sondern er hatte sich an Wasserrechten entzündet, die beide Familien für sich beanspruchten. Dann waren noch andere Streitpunkte hinzugekommen, ein Grundstück reklamierten beide Familien für sich, und als auch da keinerlei Einigung erzielt werden konnte, verhärteten die Fronten immer mehr und der Streit war perfekt.
Magnus und Bruno waren damals einmal heftig aneinander geraten, und seitdem hatten sie kein Wort mehr miteinander geredet, sie waren sich aus dem Weg gegangen.
Jetzt sah Magnus seine Schwester mit einem nicht besonders freundlichen Blick an, dann wollte er wissen, was sie mit Bruno zu tun habe.
Giovanna wich eine Weile dem Blick ihres Bruders aus, dann sah sie ihn wieder an.
»Ich liebe Bruno.« Plötzlich lächelte das hübsche Mädchen. »Und das schon seit vielen Jahren. Ich werde mich künftig dessen auch nicht mehr schämen, sondern wenn es gut ausgehen sollte mit Bruno, dann werde ich Mama und Papa sagen, daß ich Bruno Orter liebe und heiraten werde.«
Magnus kannte seine kleine Schwester gut genug, um zu wissen, daß die nicht scherzte.
»Bisher hat Bruno sich nicht getraut, zu seiner Liebe zu stehen«, fuhr Giovanna fort, »und ich hab’s auch nicht getan. Er wegen seiner und ich wegen meiner Familie. Aber damit ist jetzt Schluß. Ich werde zu Bruno stehen, gleichgültig ob die Sache mit ihm gut endet oder nicht.«
»Was meintest du damit?« Dr. Magnus Kelterer sah seine Schwester aufmerksam an.
Die hatte plötzlich Tränen in den Augen.
»Bruno ist krank«, schluchzte sie, »sehr krank sogar.«
Magnus Kelterer spürte sein Herz plötzlich heftiger schlagen. Bruno sollte krank sein? Der unverwüstliche Bruno? Ausgerechnet er? Bruno hatte immer alles gekonnt, er war immer auf den höchsten Baum geklettert, er hatte immer alles gewußt, er war immer ein wenig geschickter gewesen als alle anderen, er hatte niemals aufgegeben und die anderen immer mitgerissen. Dieser Bruno sollte krank sein?
»Was fehlt ihm?« wollte der chirurgische Oberarzt der Bergklinik wissen.
»Er hat Bauchspeicheldrüsenkrebs«, antwortete Giovanna. »Es geht ihm nicht gut.«
»Wer hat es diagnostiziert?«
»Der Chef der Inneren Medizin im Krankenhaus in Bozen«, antwortete Giovanna.
Magnus Kelterer ging im Bereitschaftszimmer der chirurgischen Abteilung der Bergklinik auf und ab, blieb dann vor seiner Schwester stehen und sah sie fragend an. »Wo ist Bruno? Du sagtest, daß er mitgekommen ist.«
»Wir haben uns auf der Loser-Alm ein Zimmer genommen«, antwortete Giovanna Kelterer. »Seit drei Wochen sind wir dort.«
»Seit drei Wochen? Wieso denn das? Wieso bist du denn nicht früher gekommen? Und wieso ist Bruno nicht gleich mitgekommen?« Magnus starrte seine Schwester verwirrt an.
Die schüttelte lachend den Kopf. »Was hättest du gesagt, wenn ich mit Bruno gekommen wäre? Erinnere dich daran, wie du reagiert hast, als ich dir gesagt habe, daß ich nicht alleine, sondern mit Bruno gekommen bin.«
Magnus Kelterer sah unter sich. »Entschuldige bitte, es war total dumm von mir.«
»Ich lebe mit Bruno wie Mann und Frau zusammen«, begann Giovanna daraufhin zu erzählen. »Ich arbeite, wie du weißt, in Bozen, und er auch. Ich habe keine eigene Wohnung, wie Mama und Papa glauben, und Bruno hat auch keine eigene Wohnung, wie seine Eltern glauben. Wir leben zusammen in einer Wohnung, und ich war glücklich, bis… bis…!« Giovanna begann wieder zu weinen. »Es geht Bruno gar nicht gut. Ihm ist immer schlecht und…!«
»Kann er herkommen?« fragte Magnus Kelterer.
»Du… du würdest ihn empfangen?« Giovanna sah ihren Bruder fragend an. »Du bist seine letzte Hoffnung. Er wollte unbedingt zu dir, zu niemand anderem. Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, aber er hat sich nicht davon abbringen lassen. Er will sich auch mit dir versöhnen, bevor er…!« Wieder begann sie zu weinen. »Er hat noch ein ganz klein wenig Hoffnung, und diese Hoffnung verkörperst du.«
Dr. Magnus Kelterer sah zu Boden. Plötzlich kam er sich sehr kleinmütig vor. Er erinnerte sich an Ereignisse, die er mit Bruno Orter zusammen erlebt hatte. An dessen jugendlichen Frohsinn, an seine Willensstärke, seine Freundschaft und die Lebensfreude, die Bruno Orter immer verkörpert hatte.
Magnus Kelterer ging zum Fenster und sah hinaus. Inzwischen war sein Bereitschaftsdienst längst zu Ende. Aber er dachte in dem Moment weder an seine Frau Carola, die zu Hause auf ihn wartete, noch an sein Versprechen, mit ihr nach München zu fahren. In diesem Moment dachte er nur an Bruno Orter, der einmal sein bester Freund gewesen war, mit dem er sich dann total verkracht hatte und der nun offenbar darauf setzte, daß er ihm half.
»Ich fahre mit dir zu Bruno«, sagte Magnus. »Das heißt, wenn du es möchtest. Ich werde dann mit ihm reden, und wir entscheiden gemeinsam, was zu tun ist.«
»Du… du schickst Bruno also nicht weg?« Über Giovannas Wangen rannen Tränen.
Magnus Kelterer schüttelte den Kopf.
Da fiel Giovanna ihrem Bruder um den Hals und begann laut zu schluchzen.
»Ich danke dir«, sagte sie, als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. »Du… du und die Bergklinik, ihr seid Brunos letzte Hoffnung. Er hat zu Hause in Bozen pausenlos von dir und der Bergklinik geredet. Er hat in der Zeitung von der Klinik gelesen. Irgendwas von Clemens Stolzenbach. Was der schon alles geschafft hat. Kleine Wunder, hat Bruno es genannt. Auf ein solches Wunder hofft er ganz tief drinnen in seinem Herzen auch.«
*
Giovanna hatte ihren Bruder nach kurzem Überlegen darum gebeten, nicht mit auf die Loser-Alm zu fahren.
»Ich will den Bruno nicht zu sehr belasten«, sagte sie, »ich schätze, daß er momentan eh an der Grenze des gerade noch Möglichen lebt. Ich werde ihm zuerst von meinem Besuch bei dir erzählen und dann komme ich mit ihm herunter.«
Magnus hatte mit den Schultern gezuckt. »Ich würde draußen warten, bis du mich hereinholst.«
Doch Giovanna hatte nochmal gesagt, daß sie lieber alleine zurück zur Loser-Alm fahren würde. Dann hatte sie verraten, warum sie Magnus nicht dabei haben wollte.
»Bruno weiß nicht, daß ich heute zu dir gefahren bin«, hatte sie gesagt.
Vor einer Stunde, es war am Tag nach ihrem Besuch in der Klinik, hatte sie angerufen und angekündigt, daß sie gleich nach dem Mittag mit Bruno kommen würde, wenn es Magnus recht sei.
Der hatte sofort zugestimmt. Seine Frau Carola war alleine zu ihren Eltern gefahren, und als Magnus ihr die Umstände erklärt hatte, hatte sie verstanden, warum er sie nicht begleiten würde.
Magnus Kelterer war aufgeregt wie selten, denn er hatte Bruno Orter schon mehrere Jahre nicht mehr gesehen und noch länger nicht mehr mit ihm geredet.
Wie würde Bruno aussehen, wie weit war seine Krankheit fortgeschritten und was konnte er, Magnus Kelterer, für seinen ehemaligen Freund und jetzigen Lebensgefährten seiner Schwester tun?
Als es dann an die Tür des Bereitschaftszimmers klopfte, war Magnus rappelig wie selten. Als er die Tür öffnete, stand Giovanna da und lächelte ihn an.
»Bruno ist unten in der Aufnahme«, sagte sie. »Er fürchtet sich ein wenig vor der Begegnung mit dir.«
»Dann geht’s ihm wie mir.« Magnus zog die Augenbrauen hoch. »Aber da müssen wir jetzt durch.«
Dann ging er neben seiner Schwester in Richtung Aufnahme.
Bruno Orter stand ein wenig schwerfällig auf, als Magnus näherkam und zwei Meter vor ihm stehenblieb. Ein Augenlid zuckte ein paarmal, dann versuchte er zu lächeln.
»Hallo, Magnus«, sagte er schließlich, »daß wir uns mal unter diesen Umständen wiedersehen würden, hab’ ich nie für möglich gehalten.« Dann wollte er die Hand ausstrecken, zögerte jedoch.
Magnus Kelterer tat daraufhin ein paar Schritte auf Bruno zu und legte kurz entschlossen die Arme um ihn.
»Hallo, Bruno«, murmelte er. »Daß wir endlich wieder miteinander ins Gespräch kommen, ist schön, die Umstände jedoch weniger. Jetzt kommt ihr erst mal mit mir…!«
Bruno war mehr als verlegen. Er drehte sich zur Seite und wischte sich ein paar Tränen vom Gesicht.
»Wir haben uns jetzt fast neun Jahre nicht mehr gesehen«, sagte er nach einer Weile. »Ich hab’ mich oft gefragt, was wir da für einen Blödsinn anrichten. Als ich dann mit Giovanna zusammen war, da hab’ ich mir immer wieder vorgenommen, zu dir zu fahren, um diese Dummheit zu beenden. Ich hab’ dann Angst gehabt, weil ich nicht wußte, wie du darauf reagieren würdest, daß Giovanna und ich…?«
Magnus mühte sich ein Lächeln ab. »Es sieht dir ähnlich, daß du dir das hübscheste Mädchen aus ganz Südtirol angelst.«
Auch Bruno lächelte nun. »Giovanna ist wirklich sehr
hübsch, aber das ist nicht alles. Sie hat die schönste Seele, die ein Mensch haben kann. Ich weiß nicht, was ich ohne sie getan haben würde.«
»Wollt ihr noch länger hier herumstehen?« fragte Giovanna. Sie hatte inzwischen aufgeatmet und hakte sich bei beiden ein.
»Ja«, Magnus nickte, »laß uns hinaufgehen. Deine Untersuchungspapiere, Röntgenaufnahmen und dergleichen hast du mit?« Er sah Bruno fragend an.
Der nickte. »Giovanna hat alles dabei. Ich sag’ ja, wenn ich sie nicht hätte.«
Dr. Wolfgang Schröder hatte Wochenendbereitschaft, doch Magnus hatte ihn gebeten, ihm das Bereitschaftszimmer zu überlassen.
Magnus bat seine Schwester und Bruno, Platz zu nehmen, dann nahm der die Krankenpapiere und las sie sorgfältig durch. Nach einer Weile atmete er tief durch und legte sie beiseite.
»Wir werden alle Untersuchungen nochmal wiederholen«, sagte er dann. »Nicht, weil wir glauben, in Bozen habe man nicht sorgfältig gearbeitet, sondern um eventuelle Veränderungen zu erkennen. Hast du irgendwelche Beschwerden?«
Magnus zuckte mit den Schultern, dann schüttelte er den Kopf. »Eigentlich nicht.«
»Wieso sagst du denn nicht, daß dir oft schlecht ist?« Giovanna strich Bruno eine Haarsträhne von der Stirn. »Du bist doch hier, weil Magnus dir helfen soll. Oder irre ich mich da?«
Bruno nickte zögernd, dann rann ihm zuerst eine einzelne Träne übers Gesicht, danach immer mehr, schließlich begann er leise zu weinen. Nach einer Weile sagte